Strafrecht

Rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss

Aktenzeichen  1 Ws 260/21

Datum:
29.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StV Spezial – 2021, 153
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 140 Abs. 1 Nr. 2, § 141 Abs. 1 S. 1, § 142 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 7, § 143a, § 304, § 309 Abs. 2
BtMG § 29a

 

Leitsatz

1. Entscheidet das Kollegialgericht anstatt des nach § 142 Abs. 3 Satz 3 StPO zuständigen Kammervorsitzenden über die Pflichtverteidigerbestellung, so ist die Entscheidung auf eine zulässige sofortige Beschwerde hin aufzuheben. Eine Zurückverweisung der Sache an den Vorsitzenden der Strafkammer ist jedoch regelmäßig nicht geboten. Das Beschwerdegericht hat vielmehr gemäß § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung selbst zu treffen (Festhaltung an OLG Bamberg, Beschluss vom 08.04.2021 – 1 Ws 195/21 bei juris). (Rn. 7 – 9)
2. Auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ist einem Angeklagten rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens gestellt, aber nicht bzw. nicht vorab verbeschieden wurde (entgegen OLG Hamburg, Beschluss vom 16.09.2020 – 2 Ws 112/20 = StraFo 2020, 486; OLG Bremen, Beschluss vom 23.09.2020 – 1 Ws 120/20 = NStZ 2021, 253 = OLGSt StPO § 140 Nr 42; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 – 1 Ws 12/21 u. KG Beschluss vom 04.09.2020 – Ws 217/19, jew. bei juris). (Rn. 10 – 16)
3. Durch die Zurückweisung eines die Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückweisenden Beschlusses ist der Angeklagte auch nach Eintritt der Rechtskraft eines gegen ihn ergangenen Urteils beschwert. (Rn. 6)

Tenor

I. Auf die Beschwerde des früheren Angeklagten wird der Beschluss der Jugendkammer des Landgerichts vom 09.03.2021 aufgehoben.
II. Dem Beschwerdeführer wird rückwirkend zum 13.10.2020 Rechtsanwalt Dr. F. als Pflichtverteidiger bestellt.
III. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.
Mit Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – vom 10.08.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Tatvorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Die Akten wurden der Berufungskammer am 06.10.2020 vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 13.10.2020 zeigte sich Rechtsanwalt Dr. F. unter Vorlage einer Vollmacht als Verteidiger an und beantragte, seinem Mandanten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Die bisherige Wahlverteidigerin erklärte gleichzeitig die Mandatsniederlegung. Mit Verfügung vom 15.10.2020, beim Landgericht eingegangen am 21.10.2020, erklärte die Staatsanwaltschaft die Rücknahme der Berufung. Mit Beschluss vom 22.10.2020 hat das Landgericht der Staatskasse die Kosten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten und zurückgenommenen Berufung und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.
Das Landgericht, Jugendkammer, hat mit Beschluss vom 09.03.2021, der in der Besetzung mit 3 Richtern erging, den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf dem Beschluss vom 09.03.2021 Bezug genommen. Gegen den Rechtsanwalt Dr. F. am 19.03.2021 zugestellten Beschluss wendet sich der ehemalige Angeklagte mit seiner am gleichen Tag beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde seines Verteidigers.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 13.04.2021 beantragt, die sofortige Beschwerde des Angeklagten kostenfällig als unbegründet zu verwerfen. Der Angeklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und äußerte sich mit Verteidigerschriftsätzen vom 22.04.2021.
II.
1. Die gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung statthafte sofortige Beschwerde (§§ 142 Abs. 7 Satz 1 StPO) ist zulässig.
a) Sie wurde form- und fristgerecht (§§ 306, 311 StPO) eingelegt. Auf Grund der Erklärung des Verteidigers vom 22.04.2021 steht zweifelsfrei fest, dass das Rechtsmittel im Namen des Beschwerdeführers und nach seinem ausdrücklichen Auftrag und nicht vom Verteidiger im eigenen Namen eingelegt wurde.
b) Dem Rechtsmittel fehlt es auch nicht an der notwendigen Beschwer. Sie ist nicht dadurch entfallen, dass das Verfahren gegen den Beschwerdeführer schon vor Entscheidung über den Beiordnungsantrag rechtskräftig abgeschlossen wurde und damit die Notwendigkeit seiner Verteidigung entfallen ist. Zwar dienen die Rechtsmittel der StPO einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer. Ihr Ziel ist die Aufhebung einer den Beschwerdeführer beeinträchtigenden Maßnahme (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 63. Aufl. vor § 296 Rn. 17 m.w.N.). Allerdings ist anerkannt, dass die Beschwer durch den Vollzug einer Maßnahme ausnahmsweise nicht entfällt, wenn Wiederholungsgefahr oder ein Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 18 m.w.N.). Eine Beschwerde bleibt daher beispielsweise zulässig in Fällen fortwirkender Grundrechtseingriffe, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 18a m.w.N.). Die zuletzt genannte Fallgruppe ist mit der vorliegenden Fallkonstellation vergleichbar und auf sie übertragbar. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Angeklagter oder Verurteilter alles aus seiner Situation Mögliche für die umgehende Bestellung eines Pflichtverteidigers getan hatte. Lediglich den Zeitpunkt der Entscheidung durch das zuständige Gericht und damit die Möglichkeit eines Rechtsmittels hatte er nicht in der Hand. Solange das zuständige Gericht nicht über den dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung (KK/Willnow StPO 8. Aufl. § 140 Rn. 1 m.w.N.) entspringenden Recht eines Angeklagten oder Verurteilten auf die schnellstmögliche Bestellung eines Pflichtverteidigers entscheidet (§ 141 Abs. 1 Satz 1 StPO), ist dieser zwar nicht durch eine positive Entscheidung, wohl aber durch das Unterbleiben einer Entscheidung beeinträchtigt, hat aber zunächst keine Möglichkeit, die Herbeiführung der Entscheidung zu erzwingen. Auf die Beendigung des Verfahrens, die die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers obsolet macht, hat er typischerweise ebenfalls keinen Einfluss. Liegt es somit allein an vom Angeklagten nicht zu beeinflussenden Abläufen, ob die Entscheidung über seinen Antrag vor dem Abschluss des Verfahrens ergeht, so ist ihm faktisch die Möglichkeit der Herbeiführung einer Entscheidung im gerichtlichen Beschwerdeverfahren verwehrt. Typischerweise geht ein solcher Schwebezustand einher mit erheblichen Eingriffen, beispielsweise dem Vollzug von Untersuchungshaft, dem Vollzug von Ermittlungsmaßnahmen oder im Vollstreckungsverfahren mit den Verurteilten treffenden nachteiligen gerichtlichen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer. Auch wenn im vorliegenden Fall keine derartigen Eingriffe erfolgten, ändert dies nichts an der Typizität der Fallgestaltung, mit der Folge, dass die Nichtbestellung eines Pflichtverteidigers eine Beeinträchtigung der prozessualen Rechte eines Angeklagten oder Verurteilten darstellt, die sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher dieser die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann.
2. Die sofortige Beschwerde ist schon deshalb erfolgreich und führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 09.03.2021, weil die Jugendkammer unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften als Kollegialgericht entschieden hat, obwohl nicht sie, sondern der Kammervorsitzende für den Erlass der angefochtenen Entscheidung funktionell zuständig war. Funktionell zuständig für die Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung war allein der Vorsitzende der Kammer (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO).
a) Die Entscheidung des Kollegialgerichts anstelle des zuständigen Vorsitzenden ist angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung auch nicht als rechtlich unschädlich anzusehen. Anders als etwa mit der Regelung des § 238 Abs. 2 StPO in den Fällen verfahrensleitender Anordnungen des Vorsitzenden ist für die gemäß §§ 140 ff StPO zu treffenden Entscheidungen gerade keine Auffangzuständigkeit des gesamten Spruchkörpers vorgesehen. Auch die Erwägung, die Entscheidung durch den gesamten Spruchkörper biete eine höhere Richtigkeitsgewähr, vermag daran nichts zu ändern, da die Kammer zwar eine materiell richtige Entscheidung treffen mag, im Einzelfall dabei aber die Möglichkeit besteht, dass der an sich allein zuständige Vorsitzende überstimmt und der Betroffene damit seinem gesetzlichen Richter entzogen wird (OLG Bamberg, Beschluss vom 08.04.2021 – 1 Ws 195/21 bei juris; OLG Hamm Beschluss vom 10.11.2013 – 1 Ws 562/13; OLG Rostock Beschluss vom 19.04.2005 – I Ws 158/05; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt § 126 Rn. 10 u. KK/Schultheis a.a.O. § 126 Rn. 13).
b) Eine Zurückverweisung der Sache an den Vorsitzenden der Strafkammer ist allerdings nicht geboten, da der Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung selbst zu treffen hat, er auch zur Entscheidung über einen Beschluss des funktionell zuständigen Vorsitzenden der Jugendkammer zuständig gewesen wäre und ein Fall „groben prozessualen Unrechts“ nicht vorliegt (OLG Bamberg a.a.O.; OLG Hamm a.a.O; OLG Rostock a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 309 Rn. 6; KK/Schultheis a.a.O. § 309 Rn. 10, jew. m.w.N.).
3. Der Antrag des Angeklagten auf Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. F. rückwirkend zum 13.10.2020 hat Erfolg. Es lag ein offensichtlicher Fall der notwendigen Verteidigung in einem anhängigen Strafverfahren nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 12 Abs. 1 StGB vor, als Rechtsanwalt Dr. F. formgerecht und vor dem zuständigen Gericht seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragte. Nachdem sonstige Ausschlussgründe für die Bestellung nicht ersichtlich sind, war er zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Dies war auch rechtskräftigem Verfahren noch rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung möglich.
a) Der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 20.07.2009 – 1 StR 344/08 bei juris = NStZ-RR 2009, 348) hat unter Geltung der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 gültigen Rechtslage die nach Verfahrensabschluss beantragte Beiordnung zum Pflichtverteidiger abgelehnt. Die obergerichtliche Rechtsprechung stand auf dem Standpunkt, dass die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers schlechthin unzulässig und unwirksam sei, und zwar auch dann, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt aber versehentlich nicht über ihn entschieden worden war (vgl. im Überblick Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 142 Rn. 19 m.w.N.).
b) Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung größtenteils die Ansicht vertreten, dass die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht in Betracht kommt, weil sie ausschließlich dem Zweck diene, dem Verteidiger für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, nicht jedoch die notwendige ordnungsgemäße Verteidigung zu gewährleisten (OLG Hamburg, Beschluss vom 16.09.2020 – 2 Ws 112/20 = StraFo 2020, 486; OLG Bremen, Beschluss vom 23.09.2020 – 1 Ws 120/20 = NStZ 2021, 253 = OLGSt StPO § 140 Nr 42; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 – 1 Ws 12/21 bei juris; jedenfalls ab rechtskräftigem Verfahrensabschluss: vgl. KG, Beschluss vom 04.09.2020 – Ws 217/19 bei juris, jew. m.w.N.). Die rückwirkende Beiordnung sei auf etwas Unmögliches gerichtet und würde die notwendige Verteidigung eines Angeklagten in der Vergangenheit nicht mehr gewährleisten (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.03.2020 – 1 Ws 19/20).
c) Teilweise wird die Ansicht vertreten, die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei jedenfalls dann zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.11.2020 – Ws 962/20 m.w.N. bei juris; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 142 Rn. 20).
d) Der Senat schließt sich unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (OLG Bamberg, Beschluss vom 15.10.2007 – 1 Ws 675/07 = NJW 2007, 3796 = VRS 113 Nr. 121 = VRS 113, 344) der letztgenannten Ansicht auch für den hier vorliegenden Fall an, dass das Verfahren bereits seinen rechtskräftigen Abschluss gefunden hat, der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aber ordnungsgemäß vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde.
aa) Mit der Reform der §§ 141, 142 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 aufgrund der dieser Gesetzesänderung zugrunde liegenden RL 2016/1919/EU ist die Annahme eines Rückwirkungsverbotes nicht mehr tragfähig. Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers dient nun nicht mehr ausschließlich dazu, ihm für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, sondern mittelbar auch den Interessen eines Angeklagten oder Verurteilten an einer ordnungsgemäßen Verteidigung.
Nach Art. 4 Abs. 1 der RL 2016/1919/EU haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Verdächtige und beschuldigte Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Über den rechtzeitigen und praktisch wirksamen Zugang zur Wahrnehmung der Verteidigerrechte hinaus (Art. 3 Abs. 1 der RL 2013/48/EU) regelt die RL 2016/1919/EU nunmehr also auch die finanziellen Grundlagen und zwar in der Weise, dass nicht nur die tatsächliche Verteidigung, sondern auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes gesichert werden soll (OLG Nürnberg a.a.O.). Die effektive Absicherung der Verfahrensbeteiligten würde unterlaufen, wenn eine Pflichtverteidigerbestellung nur deswegen versagt werden könnte, weil die Entscheidung hierüber zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, an dem die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers obsolet geworden war und zwar unabhängig davon ob die Entscheidung verzögert getroffen wurde (OLG Nürnberg a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 142 StPO Rn. 20) oder nicht, wie im vorliegenden Fall. Durch die Schaffung des Unverzüglichkeitsgebots in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass es seine Absicht war, jedem Beschuldigten ab der Eröffnung des Tatvorwurfs unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen die Möglichkeit der Einholung kompetenten, d.h. anwaltlichen Rats zwecks bestmöglicher Wahrnehmung seiner Interessen zur Verfügung zu stellen. Auch wenn es die Pflicht eines Verteidigers ist, ab dem Moment der Mandatsübernahme bestmöglich im Sinne des Mandanten tätig zu werden, so liegt doch die Befürchtung nicht fern, dass einzelne Verteidiger trotz Vorliegens der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und rechtzeitiger Antragsstellung bis zu Ihrer Bestellung nicht im gleichen Maße für ihren Mandanten tätig werden, wie dies bei einem Wahlverteidiger mit einem solventen Mandanten der Fall wäre, wenn sie befürchten müssten, letztlich keine Vergütung zu erhalten. Die Möglichkeit der rückwirkenden Beiordnung eines Pflichtverteidigers stellt sich somit als Instrument dar, um dem oder auch nur dem Verdacht eines solchen Verhaltens entgegenzuwirken.
bb) Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Warum für deren rückwirkende Bewilligung andere Voraussetzungen gelten sollten als für die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers, ist nicht ersichtlich.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe beispielsweise nach § 397a Abs. 2 StPO bzw. § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich nicht in Betracht. Begründet wird dies damit, dass die Förderung eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens in Rede stehen muss. Aufgabe der Prozesskostenhilfe ist es nicht, finanziell bedürftige Personen für prozessbedingte Kosten oder dafür eingegangene Verpflichtungen nachträglich zu entschädigen. Nach Abschluss der kostenverursachenden Instanz kommt demgemäß die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht mehr in Betracht, was im Übrigen im Einklang mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.07.2009 (a.a.O.) steht. Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise für den Fall, dass (1.) vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ein Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen gestellt wurde, der aber (2.) nicht bzw. nicht vorab verbeschieden wurde und (3.) der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan hat (st.Rspr: vgl. zuletzt BGH Beschluss vom 18.03.2021 – 5 StR 222/20 m.w.N. [bei juris]). Der vorgenannten Rechtsprechung liegt die Überlegung zugrunde, dass nach dem Abschluss einer Instanz die ordnungsgemäße Vertretung eines Mandanten nicht mehr nachgeholt werden kann und eine nachträgliche Verpflichtung der Staatskasse daher regelmäßig ausscheidet. Der Rechtsprechung liegt weiter die Überlegung zugrunde, dass, sofern der Betroffene einen Antrag rechtzeitig gestellt hat und alle formalen Voraussetzungen für dessen Bewilligung erfüllt sind, es ihm und indirekt dem von ihm beauftragten Anwalt finanziell nicht zum Nachteil gereichen soll, dass aus von ihnen nicht zu vertretenden und einzig im Verantwortungsbereich der Justiz liegenden Umständen mit einer Entscheidung hierüber bis zum Abschluss der Instanz zugewartet worden war.
Die skizzierte Interessenlage ist im Falle der Bestellung eines Pflichtverteidigers die gleiche. Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und eines Antrags auf Beiordnung eines Verteidigers rechtfertigen könnten, sind – auch vor dem Hintergrund, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Bestellung eines Pflichtverteidigers gleichwertige Alternativen darstellen, soweit es um die Verschaffung des Zugangs eines mittellosen Angeklagten zu professioneller Verteidigung geht – nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 473 Rn. 2).


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