Strafrecht

Stattgebender Kammerbeschluss: Unverhältnismäßigkeit eines im Rahmen von Führungsaufsicht gem § 68b Abs 1 Nr 4 StGB für fünf Jahre auferlegten Verbotes der Publikation nationalsozialistischen und rechtsextremistischen Gedankenguts – Verletzung der Meinungsfreiheit des Betroffenen – Zudem Unbestimmtheit des Verbots und mangelnde Abwägung – Gegenstandswertfestsetzung auf 8000 Euro

Aktenzeichen  1 BvR 1106/08

Datum:
8.12.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Stattgebender Kammerbeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20101208.1bvr110608
Normen:
Art 5 Abs 1 S 1 GG
§ 93c Abs 1 S 1 BVerfGG
§ 129a Abs 1 StGB
§ 130 StGB
§ 68 Abs 2 StGB
§ 68b Abs 1 S 1 Nr 4 StGB
§ 68c Abs 1 StGB
§ 68f Abs 1 S 1 StGB
§ 86a StGB
Spruchkörper:
1. Senat 1. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 8. Januar 2008, Az: 6 Ws 022/07 VRs, Beschluss

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 8. Januar 2008 – 6 Ws 022/07 VRs – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit dem Beschwerdeführer im Wege der Weisung für die Dauer der Führungsaufsicht ein Publikationsverbot für die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts auferlegt wird.
Die Entscheidung wird in dem vorgenannten Umfang aufgehoben. Die Sache wird insoweit zur Entscheidung an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Weisung, durch die dem Beschwerdeführer für
die Dauer von fünf Jahren ein Publikationsverbot für die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts
auferlegt wird.

I.
2
1. Mit Urteil vom 4. Mai 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung “Schutzgruppe”
des rechtsextremistischen “Aktionsbüros Süd” gemäß § 129a Abs. 1 StGB in Tateinheit mit zweifachem unerlaubtem Umgang mit
explosionsgefährlichen Stoffen gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 3, § 27 Abs. 1 SprengG und mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe gemäß
§ 52 Abs. 3 Nr. 2a, Abs. 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt
enthielt das Bundeszentralregister mehrere Einträge über den Beschwerdeführer, darunter zwei Einträge wegen Volksverhetzung
gemäß § 130 StGB und zwei Einträge wegen unerlaubten Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß §
86a StGB.

3
2. Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Januar 2008 erteilte das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 68 Abs. 2, §
68f Abs. 1 Satz 1, § 68c Abs. 1, § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB für die Dauer der Führungsaufsicht, in diesem Fall mithin
für fünf Jahre, unter anderem folgende Weisung:

4

“Dem Verurteilten wird verboten, rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten,
insbesondere durch Veröffentlichungen im Verlag ‘Deutsche Stimme’, in den ‘Nachrichten’ der ‘Hilfsorganisation für nationale
politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG)’ oder über den ‘Freundeskreis UN e.V'”.

5
Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus, dass der Beschwerdeführer bereits aus dem Strafvollzug heraus versucht habe,
seine extremistischen, antijüdischen und antiamerikanischen Parolen zu verbreiten, indem er Beiträge für rechtsextremistische
Zeitschriften verfasst habe. In diesem Zusammenhang seien auch die früheren Verurteilungen des Beschwerdeführers von Belang,
die – zusammen mit den Anlasstaten – eine Kontinuität bei der Begehung von politisch motivierten Straftaten erkennen ließen.
Die unverändert fortbestehende Gesinnung des Beschwerdeführers lasse besorgen, dass er in den Publikationen in einer die strafrechtlichen
Grenzen der §§ 130, 86a StGB nicht mehr wahrenden Weise rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut verbreiten
werde. Die Weisung schränke ihn in seiner zukünftigen Lebensführung in Freiheit auch nicht unzumutbar im Sinne von § 68b Abs.
3 StGB ein.

6
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer – unter anderem – eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art.
5 Abs. 1 Satz 1 GG durch das in der Weisung enthaltene Publikationsverbot. Er sei noch nie wegen einer Straftat zur Rechenschaft
gezogen worden, die im Zusammenhang mit seinem publizistischen Wirken stehe. Die in den in Strafhaft verfassten Beiträgen
geäußerte kritische Haltung zu den Vereinigten Staaten von Amerika oder zu dem Staat Israel sei nicht illegal. Die Erwägung,
der Beschwerdeführer werde aufgrund seiner politischen Gesinnung eventuell im Rahmen einer publizistischen Tätigkeit Straftatbestände
verwirklichen, sei eine reine Mutmaßung ohne jegliche tatsächliche Grundlage. Das Publikationsverbot sei nicht hinreichend
bestimmt und zudem unverhältnismäßig.

7
4. Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof eine Stellungnahme abgegeben. Er hält das
Publikationsverbot für verfassungsgemäß. Die Bundesregierung, die Bayerische Staatsregierung und der Bundesgerichtshof haben
von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.
8
1. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in Verbindung mit § 93a Abs.
2 Buchstabe b BVerfGG liegen vor.

9
Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts der Meinungsfreiheit
aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bereits entschieden und dabei die zu beachtenden Grundsätze entwickelt, nicht zuletzt auch unter
Berücksichtigung rechtsextremistischer Meinungsäußerungen (vgl. BVerfGE 7, 198 ; 90, 1 ; 90, 241 <247, 249
f.>; 124, 300 ; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. Dezember 2001 – 1 BvQ 49/01 -, NVwZ 2002,
S. 713).

10
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen
Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

11
a) Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist eröffnet. Die Meinungsfreiheit schützt grundsätzlich – in den Schranken
des Art. 5 Abs. 2 GG – auch die Verbreitung rechtsextremistischer Meinungen (vgl. BVerfGE 124, 300 ; BVerfGK 7, 221 ;
8, 159 ; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2008 – 1 BvQ 43/08 -, juris Rn. 22; vom 4.
Februar 2010 – 1 BvR 369/04 u.a. -, NJW 2010, S. 2193). Das staatlich auferlegte Publikationsverbot greift folglich auch in
die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.

12
b) Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

13
aa) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken
in den allgemeinen Gesetzen. Hierunter fällt auch die Weisungsbefugnis im Rahmen der Führungsaufsicht gemäß § 68b Abs. 1 Nr.
4 StGB, da dieser keine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung zum Gegenstand hat, die sich von vornherein nur gegen bestimmte
Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet (vgl. BVerfGE 124, 300 ). Auch im Übrigen bestehen an der Verfassungsmäßigkeit
des Instituts der Führungsaufsicht keine grundsätzlichen Zweifel. Die gesetzlich angeordnete Führungsaufsicht knüpft an ein
qualifiziertes, zurechenbar vorwerfbares Verhalten an, namentlich an die nicht nur rechtswidrige und schuldhafte, sondern
auch vorsätzliche Anlasstat, die überdies zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren geführt haben muss, ohne dass die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe verantwortet werden konnte.
Dass der Gesetzgeber aus einem solchen qualifizierten, zurechenbar vorwerfbaren Verhalten auf eine erhöhte Gefahr der Begehung
von weiteren Straftaten des Betroffenen schließt und hierfür eine regelhafte Vermutung (vgl. § 68f Abs. 2 StGB) aufstellt,
ist auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 55, 28 ).

14
bb) Auslegung und Anwendung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte.
Doch müssen sie hierbei das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen, damit sein Gehalt auch auf der
Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die allgemeinen Gesetze gemäß
Art. 5 Abs. 2 GG zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden
Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden
Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. BVerfGE 7, 198 ; 93, 266 ; 99, 185 ; 124, 300 ).

15
Bei einer präventiven Zwecken dienenden Schrankenbestimmung ist für die insoweit maßgebliche Gefahrenprognose die Feststellung
nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte vonnöten. Bloße Vermutungen reichen hierfür grundsätzlich – unabhängig von dem
normativ geforderten Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefahr – nicht aus (vgl. BVerfGK 8, 195 ; BVerfG, Beschlüsse der
1. Kammer des Ersten Senats vom 8. Dezember 2001 – 1 BvQ 49/01 -, NVwZ 2002, S. 713; vom 19. Dezember 2007 – 1 BvR 2793/04
-, NVwZ 2008, S. 671 ). Des Weiteren ist eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Abwägung zwischen der
durch die Meinungsäußerung drohenden Beeinträchtigung von Rechtsgütern einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch
ihre Einschränkung andererseits erforderlich (vgl. zuletzt: BVerfGE 124, 300 ). Im Rahmen einer solchen
Abwägung sind grundsätzlich die Art und die Schwere des Grundrechtseingriffs zu dem Eingriffsanlass, namentlich Rang und Qualität
des mit der Norm verfolgten Schutzgutes sowie Grad der drohenden Gefahr, in einen angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl.
BVerfGE 120, 274 ).

16
Zwar überprüft das Bundesverfassungsgericht die fachrichterliche Rechtsanwendung grundsätzlich nur darauf hin, ob die Gerichte
Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit verkannt haben (vgl. BVerfGE 18, 85 ; 85, 248 ; 93,
266 ). Im Zusammenhang mit den Kommunikationsgrundrechten hat die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte
nicht unerhebliche Rückwirkungen auf die verfassungsrechtlich geschützten Positionen. Schon einzelne Fehler bei der Auslegung
des einfachen Rechts können zu einer Fehlgewichtung des Grundrechts führen. Wegen der schwerwiegenden Folgen, die solche Fehler
im Strafverfahren nach sich ziehen können, ist zumindest dort eine intensivere Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht
unausweichlich. Angesichts der einschüchternden Wirkung, die staatliche Eingriffe hier haben können, muss eine besonders wirksame
verfassungsrechtliche Kontrolle Platz greifen, soll die Freiheit kommunikativer Äußerungen nicht in ihrer Substanz getroffen
werden (vgl. BVerfGE 43, 130 ; 81, 278 ).

17
cc) Den genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Auslegung und Anwendung der – als Instrument der Führungsaufsicht
– präventiven Schrankenbestimmung des § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (vgl. BVerfGE 55, 28 ) wird der insoweit angegriffene
Beschluss des Oberlandesgerichts nicht gerecht.

18
Offenbleiben kann hierbei allerdings, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Zusammenhang zwischen den bisherigen
Straftaten eines verurteilten Straftäters und den im Rahmen der Führungsaufsicht verhängten Maßnahmen zu stellen sind und
ob das Oberlandesgericht vorliegend davon ausgehen durfte, dass die tatsächlichen Anhaltspunkte noch hinreichend tragfähig
waren, um die für die Erteilung der angegriffenen Weisung erforderliche Prognose zu stützen, der Beschwerdeführer werde zukünftig
mit Hilfe von Publikationen Straftaten gemäß § 130 StGB und § 86a StGB begehen. Denn die angegriffene Weisung, für die Dauer
von fünf Jahren die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts zu unterlassen, schränkt den
Beschwerdeführer unabhängig hiervon wegen ihrer Reichweite unverhältnismäßig in seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1
Satz 1 GG ein.

19
(1) Die angegriffene Weisung ist unbestimmt und schon deswegen unverhältnismäßig.

20
Das dem Beschwerdeführer auferlegte Publikationsverbot erstreckt sich allgemein auf die Verbreitung von nationalsozialistischem
oder rechtsextremistischem Gedankengut. Mit dieser Umschreibung ist weder für den Rechtsanwender noch für den Rechtsunterworfenen
das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten abgrenzbar und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
auch nicht hinreichend beschränkt. Schon bezüglich des Verbots der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts lässt
sich dem Beschluss des Oberlandesgerichts nichts dazu entnehmen, ob damit jedes Gedankengut, das unter dem nationalsozialistischen
Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der nationalsozialistischen Ideologie,
und falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können. Erst Recht fehlt es
dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch
– möglicherweise in Abgrenzung zu “rechtsradikal” oder “rechtsreaktionär” – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen
Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung
mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher
Bedeutung (vgl. § 145a StGB), welche in rechtsstaatlicher Distanz aus sich heraus bestimmbar sind, nicht hinreichend erlauben.
Die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist damit kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium,
mit dem einem Bürger die Verbreitung bestimmter Meinungen verboten werden kann.

21
(2) Darüber hinaus kann die angegriffene Weisung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch schon deshalb nicht genügen, weil
es an einer Abwägung zwischen dem durch § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB geschützten öffentlichen Interesse und der Meinungsfreiheit
des Beschwerdeführers fehlt.

22
Das Oberlandesgericht hat das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG weder als Maßstab der Prüfung erwähnt
noch der Sache nach geprüft. Es hat sich bei der Anwendung des § 68b Abs. 3 StGB, der die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
einfachrechtlich konkretisiert, lediglich auf den nicht näher begründeten, sondern allein den Gesetzeswortlaut wiederholenden
Satz beschränkt, die das Publikationsverbot enthaltende Weisung grenze den Beschwerdeführer in seiner zukünftigen Lebensführung
in Freiheit nicht unzumutbar ein. Dieser Satz stellt jedoch keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Abwägung
dar. Der Entscheidung ist insbesondere weder eine gewichtende Bewertung der Reichweite und Dauer der Maßnahme in Bezug auf
die Meinungsfreiheit zu entnehmen, noch eine sich mit den Taten und dem Verhalten des Beschwerdeführers näher auseinandersetzende
Gewichtung bezüglich der Notwendigkeit des Verbots in Blick auf von dem Beschwerdeführer zu erwartende Straftaten.

23
(3) Die angegriffene Weisung ist auch in der Sache mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar.

24
Zwar wäre es möglicherweise nicht von vornherein ausgeschlossen, einem verurteilten Straftäter, der seine Strafe voll verbüßt
hat, für die Zukunft durch eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68b Abs. 1 Nr. 4 StGB in Bezug auf bestimmte
Situationen auch die Verbreitung von Meinungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle zu verbieten. Bei Maßnahmen, die an den
Inhalt einer Äußerung anknüpfen, bedarf es jedoch einer besonders sorgfältigen Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs
einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und dem Grad der Wahrscheinlichkeit insoweit drohender Rechtsgutverletzungen
andererseits. Für die Schwere des Eingriffs ist insbesondere die inhaltliche Reichweite und die zeitliche Dauer des Verbots,
das Spektrum der verbotenen Medien sowie die strafrechtliche Bewehrung gemäß § 145a StGB maßgeblich. Eine solche Maßnahme
ist von dem Betroffenen umso eher hinzunehmen, als sie sich – etwa durch eine Begrenzung auf bestimmte Situationen – auf die
Form und die äußeren Umstände der Meinungsäußerung beschränkt. Je mehr sie hingegen im Ergebnis eine inhaltliche Unterdrückung
bestimmter Meinungen selbst zur Folge hat, desto höher sind die Anforderungen an den Grad der drohenden Rechtsgutgefährdung
(vgl. BVerfGE 124, 300 ). Unverhältnismäßig sind jedenfalls an Meinungsinhalte anknüpfende präventive Maßnahmen, die
den Bürger für eine gewisse Zeit praktisch gänzlich aufgrund seiner gehegten politischen Überzeugungen von der – die freiheitlich
demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierenden – Teilhabe an dem Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ausschließen;
dies kommt einer Aberkennung der Meinungsfreiheit selbst nahe, die nur unter den Bedingungen des Art. 18 GG zulässig ist.

25
Hieran gemessen ist die angegriffene Entscheidung verfassungsrechtlich nicht tragfähig. Indem sie dem Beschwerdeführer für
fünf Jahre uneingeschränkt jede publizistische Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts
verbietet, hindert sie ihn unabhängig von besonderen Situationen, in denen eine erhöhte Gefährdung zur Begehung von Straftaten
besteht, generell an einer elementaren Form der Meinungsverbreitung zu vielen oder potentiell auch allen den Beschwerdeführer
interessierenden politischen Problemen. Im Ergebnis macht sie es damit dem Beschwerdeführer – abhängig von seinen Ansichten
– in weitem Umfang unmöglich, überhaupt mit seinen politischen Überzeugungen am öffentlichen Willensbildungsprozess teilzunehmen.
Dies ist mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar. Auch das staatliche Interesse der Resozialisierung des Beschwerdeführers
rechtfertigt ein so weitgehendes Verbot nicht, da auch das Resozialisierungsinteresse nur in Anerkennung der Meinungsfreiheit
des Betreffenden verwirklicht werden kann.

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3. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen des Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung,
ob daneben weitere Grundrechte verletzt sind.

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4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

28
5. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.


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