Strafrecht

Tagessatzhöhe, Asylbewerber, Geldleistung, Bezüge, Aufnahmeeinrichtung, Existenzminimum

Aktenzeichen  1 Qs 57/19

Datum:
8.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6035
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AsylbLG § 3 Abs. 1
AsylG § 44 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

6 Cs 309 Js 108159/18 2019-04-02 Bes AGNOERDLINGEN AG Nördlingen

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Augsburg gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nördlingen vom 02.04.2019 wird als unbegründet
verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Augsburg hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Angeklagte ist Asylbewerber und in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Augsburg erließ das Amtsgericht Nördlingen am 4.9.2018 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen zweier Fälle des Erschleichens von Leistungen mit einer Gesamtgeldstrafe von 20 Tagessätzen zu je € 15,-. Gegen diesen, am 26.11.2018 zugestellten Strafbefehl legte der Angeklagte Einspruch ein, den er zugleich auf die Höhe des Tagessatzes beschränkte. Sein Verteidiger trug vor, er bekomme Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von € 216,- monatlich, woraus sich eine Tagessatzhöhe von € 7,50 ergebe. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin, den Tagessatz auf € 10,-, jedenfalls aber auf volle Euro festzusetzen. Das Amtsgericht änderte daraufhin den Strafbefehl durch Beschluss vom 2.1.2019 „im Hinblick auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse“ auf eine Tagessatzhöhe von € 7,- ab.
Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft am 23.1.2019 sofortige Beschwerde ein und begründete diese damit, dass bei der Tagessatzhöhe neben Geldleistungen auch „weitere Bezüge“ zu berücksichtigen seien. Die Tagessatzhöhe sei daher auf „mindestens 10 Euro“ festzusetzen. Nachdem die Staatsanwaltschaft diese Beschwerde aufrechterhalten wollte, bat die Kammer darum, den Wert der vom Angeklagten bezogenen Leistungen festzustellen und zu belegen. Die durchgeführten Ermittlungen ergaben, dass der Angeklagte € 135,- monatlich erhält. Hiervon werden ihm für Sachleistungen für Hygiene € 14,73 und für ein Busticket € 25,49 abgezogen, so dass er 94,78 € Taschengeld monatlich in bar zur freien Verfügung hat. Hinzu kommt ein Kleidergeld von € 206,18 halbjährlich (= € 34,03 monatlich).
Weitere Sachleistungen für Essen, Schlafen, Heizung, Medizin u.a. sind nach Auskunft der zentralen Gebührenabrechnungsstelle für Asylbewerber kostenlos und mit keinem Eurowert gekennzeichnet.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Die Festsetzung einer Tagessatzhöhe von € 7,- bei einem Asylbewerber ist rechtlich nicht zu beanstanden.
1. Der Tatrichter hat dabei einen weiten Beurteilungsspielraum, OLG Oldenburg v. 3.7.2009 – 2 Ss 163/09 -, juris, der bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist, BGHSt 27, 228, 230. Allerdings empfiehlt es sich, die Begründung der Tagessatzhöhe auch nachvollziehbar in den Gründen des Beschlusses darzulegen.
2. Es ist weitgehend anerkannt, wenn auch nicht unumstritten, dass bei der Bemessung der Tagessatzhöhe grundsätzlich neben den Geldauch Sachleistungen zu berücksichtigen sind, vgl. OLG Stuttgart StV 2009, 131; Fischer, 66. Aufl. 2019, Rn. 7 zu § 40 StGB; MK-Radke, 3. Aufl. 2016, Rn. 60 und 87 zu § 40 StGB; a.A.: OLG Dresden v. 7.8.2000 – 1 Ss 323/00-,; LG Karlsruhe StV 2006, 473 (Tagessatzhöhe dort € 1,20). Dem steht nicht entgegen, dass die Berücksichtigung von Sachleistungen, wegen des tatsächlichen Fehlens liquider Mittel gerade bei höheren Geldstrafen bei Asylbewerbern häufig dazu führen wird, dass nicht die Geldstrafe, sondern eine Ersatzfreiheitsstrafe vollzogen wird. Das ist jedoch nur eine rein faktische Erscheinung. Sie folgt aber gerade nicht aus der Gesetzeslage, die einer strukturellen Benachteiligung einkommensschwacher Personen, durch die Möglichkeit der Ratenzahlung gemäß § 42 Satz 1 StGB bzw. § 459a StPO entgegenwirkt.
3. Nach § 3 Abs. 1 AsylbLG erhalten Asylbewerber, die in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Abs. 1 AsylG untergebracht sind, Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts, legal definiert als „notwendiger Bedarf“. Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt, die ebenfalls primär als Sachleistung zu gewähren sind. Werden diese durch Geldleistungen gedeckt, so § 44 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG, beträgt der Geldbetrag zur Deckung aller notwendigen persönlichen Bedarfe monatlich für alleinstehende Leistungsberechtigte wie im konkreten Fall auch 135 Euro. Die vom Verteidiger angeführten € 216,- kommen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG nur dann zum Tragen, wenn der Asylbewerber außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht wäre, was vorliegend gerade nicht der Fall ist.
4. Auch ein Hinzurechnen von fiktiven Kosten für Unterkunft und Verpflegung führt im Ergebnis nicht zu einer Erhöhung der Tagessatzhöhe. Der anzurechnende Betrag kann dabei gemäß § 40 Abs. 3 StGB auch geschätzt werden, was das OLG Köln, v. 17. Juni 2015 – III -1 RVs 101/15 -, juris, verkennt. Eine tragfähige Schätzgrundlage hierfür bieten die „Informationen zu den Kosten für Unterkunft und Heizung für den sozialen Bereich im Landkreis Donau-Ries“. Danach ist für die Unterbringung einer „weiteren“ Person ein Betrag von € 90 anzusetzen. Das wird der Form der Unterbringung in Mehrbettzimmern am ehesten gerecht. Für den Wert der Verpflegung kann der Differenzbetrag für Unterbringungen in bzw. außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung genommen werden, also € 216 abzüglich € 135, mithin € 81. Dies würde rein rechnerisch zu der von der Staatsanwaltschaft erstrebten Tagessatzhöhe von € 10, – führen.
5. Im Hinblick darauf, dass das Gesamteinkommen des Angeklagten das Existenzminimum von € 9.000,- für das Jahr 2018 erheblich unterschreitet, vgl. zur Höhe des Existensminimums den 11. Existenzminimumsbericht, htpps://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2016/11/Inhalt e/Kapitel-3-Analysen/3-4-existenzminimumbericht.html. Danach ist die Festsetzung eines höheren Tagessatzes als € 7,- kaum zu begründen. Denn in einem solchen Fall gebietet es das Sozialstaatsprinzip, vom Nettoeinkommensprinzip abzuweichen und den Tagessatz niedriger festzusetzen als er sich rein mathematisch ergibt. Das ist in Literatur und Rechtsprechung allgemein anerkannt, vgl. z.B. Fischer, 66. Aufl. 2019, Rn. 11f. zu § 40 StGB m.w.N.
Andererseits ist das Amtsgericht vom gesetzlichen Mindestmaß der Tagessatzhöhe von einem Euro noch so weit entfernt, dass der Bedeutung der Strafe im Ergebnis hinreichend Rechnung getragen wird.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.


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