Strafrecht

Vorbeugender Rechtsschutz auf Unterlassung polizeilicher Maßnahmen

Aktenzeichen  M 7 E 17.3101

Datum:
27.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3126
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Das erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse für die Gewährung vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutzes kann allenfalls dann angenommen werden, wenn bereits die kurzfristige Hinnahme eines befürchteten Verwaltungshandelns geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten in besonders schwerwiegender, nicht wiedergutzumachender Weise zu beeinträchtigen (ebenso BayVGH BeckRS 2005, 39385). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine vorbeugende Unterlassungsklage ist ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn der Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre und eine konkrete Wiederholungsagefahr besteht, wofür der Vortrag nicht ausreicht, in der Vergangenheit bereits mehrfach Adressat polizeilicher Maßnahmen gewesen zu sein. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Polizei weitere gegen ihn gerichtete Maßnahmen zu unterlassen.
Am 1. Januar 2017 wurde der Antragsteller in polizeilichen Gewahrsam genommen. Hiergegen erhob er mit Schreiben vom 12. Januar 2017 bei dem Amtsgericht München Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme vom 1. Januar 2017.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2017 hat der Antragsteller Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Der Antragsteller trägt vor, dass er am 1. Januar 2017 ohne erkennbaren Grund mit auf die Polizeiwache H. Straße genommen und dort mehrere Stunden lang festgehalten worden sei. Er habe zwar Strafanzeige gegen die Polizeibeamten beim Bayerischen Landeskriminalamt sowie einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme beim Amtsgericht München gestellt, jedoch habe seitdem weder die Polizei noch das Gericht auf seine Sachstandsanfragen reagiert. Er müsse daher in der ständigen Ungewissheit leben, die Polizei könne erneut willkürliche Maßnahmen gegen ihn durchführen. Dies stelle eine die Gesundheit beeinträchtigende Situation für ihn da und verletzte sein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Ferner sei sein Recht auf Freiheit bedroht, da er jederzeit damit rechnen müsse, dass die Polizei ihm erneut ohne erkennbaren Grund seine Freiheit entziehen könnte. Sein Rechtsschutzbedürfnis folge daraus, dass ihn die Polizei seit 2005 immer wieder mit rechtswidrigen polizeilichen Maßnahmen behellige, welche teils schwerwiegende und belastende Grundrechtseingriffe dargestellt hätten. Ohne die begehrte verwaltungsgerichtliche Entscheidung sei er bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache schutzlos dem willkürlichen Handeln der Polizei ausgesetzt.
Der Antragsteller beantragt,
den Freistaat Bayern als Träger der bayerischen Polizei zu verpflichten, es zumindest bis zum Abschluss des Verfahrens über die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen vom 1. Januar 2017 nach Art. 18 PAG beim Amtsgericht München, Aktenzeichen: …, zu unterlassen, ihn erneut durch Polizeibeamte der bayerischen Polizei zu belästigen, seine Freiheit zu beschränken oder zu entziehen, sofern dies nicht aufgrund einer absolut und objektiv erkennbar notwendigen Situation erforderlich wäre und seine Grundrechte ausreichend gewahrt sind (Recht auf Rechtsanwalt, Recht auf gerichtliche Entscheidung).
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag wird abgewiesen.
Der Antragsgegner trägt vor, der Antrag sei bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da die in der Hauptsache zu erhebende vorbeugende Unterlassungsklage offensichtlich unzulässig sei. Vorbeugende Klagen seien nur dann zulässig, wenn ein besonderes schutzwürdiges Interesse an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes bestehe. Insbesondere sei eine in Art und Ausmaß konkretisierte Wiederholungsgefahr nicht gegeben.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg, da er bereits unzulässig ist.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Denn bei Begehren um vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz – wie vorliegend – ist zu beachten, dass die Bestimmungen der VwGO grundsätzlich keinen vorbeugenden Rechtsschutz, der das Ziel hat, die Entscheidungsfreiheit der Verwaltung durch richterliche Anordnungen einzuengen, bieten (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.1992 – 21 CE 92.949 – juris Rn. 5). Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, mit dem vorläufiger, vorbeugender Rechtsschutz begehrt wird, ist daher nur dann zulässig, wenn der Antragsteller dafür ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis geltend macht. Da gerichtlicher Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlichenfalls sehr schnell gewährt werden kann, lässt sich ein solch schutzwürdiges Interesse an einer einstweiligen Anordnung, durch die der vollziehenden Gewalt von vornherein bestimmte Maßnahmen verboten werden sollen, allenfalls für diejenigen Fälle bejahen, in denen bereits die kurzfristige Hinnahme des befürchteten Verwaltungshandelns geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten in besonders schwerwiegender, nicht wiedergutzumachender Weise zu beeinträchtigen (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2005 – 11 CE 05.921 – juris Rn. 17). Der Antragsteller hat jedoch nicht substantiiert vorgetragen, dass er in absehbarer Zukunft Adressat polizeilicher Maßnahmen sein wird, wodurch ihm irreparable Schäden oder nicht wieder gutzumachen Nachteile drohen. Insbesondere lässt der Vortrag, dass er in der Vergangenheit mehrfach bereits Adressat polizeilicher Maßnahmen gewesen sei, keinen Schluss darauf zu, dass eine konkrete Gefahr dahingehend besteht, dass der Antragsteller in absehbarer Zukunft erneut Adressat polizeilicher Maßnahmen werden wird. Der Antragsteller hat nicht dargetan, dass ihm gegenüber künftigen polizeilichen Maßnahmen – bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Amtsgericht München – der Rechtsschutz über § 80 VwGO nicht möglich ist bzw. dass dieser nicht ausreichen wird, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden.
Darüber hinaus fehlt einem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO das Rechtsschutzbedürfnis bei offensichtlicher Unzulässigkeit der Klage in der Hauptsache. Die in der Hauptsache noch zu erhebende vorbeugende Unterlassungsklage ist offensichtlich unzulässig. Denn vorbeugende Klagen sind ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, mit anderen Worten wenn der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor § 40, Rn. 25). Bei der Klage auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen liegt das nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche qualifizierte, d.h. auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtete Rechtsschutzinteresse vor, wenn eine Wiederholungsgefahr gegeben ist und der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – für den Kläger mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 7/13 – juris Rn. 17 m.w.N.). Entsprechend den obigen Ausführungen ist weder eine konkrete Wiederholungsgefahr ersichtlich, noch hat der Antragsteller substantiiert dargetan, dass ihm im Fall neuerlicher polizeilicher Maßnahmen der nachgängige Rechtsschutz unzumutbar wäre.
Die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz – GKG – unter Berücksichtigung von Nr. 1.5 und Nr. 35.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


Ähnliche Artikel


Nach oben