Strafrecht

Wiederholungsgefahr, Unerlässlichkeit, Ausweisungsinteresse, Gefährliche Körperverletzung, Verwaltungsgerichte, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Befristete Aufenthaltserlaubnis, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Tatmehrheit, Gesamtfreiheitsstrafe, Aufenthaltsverbot, Jugendstrafe, Rechtsmittelbelehrung, Untersuchungshaft, Entziehungsanstalt, Streitwertfestsetzung, Vorsätzliche Körperverletzung, Körperliche Unversehrtheit, Betäubungsmittelstraftat

Aktenzeichen  Au 1 K 20.769

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41298
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1 bis 3
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit.b und Nr. 1b
AufenthG § 55
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. verkündet am 8. Dezember 2020 als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Gegenstand der Klage ist der Bescheid des Beklagten vom 21. April 2020, durch den der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm gegenüber ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet worden ist.
II.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 21. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Daneben hat der Kläger keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über die Länge des mit der Ausweisung angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Vorschrift des § 53 Abs. 2 AufenthG benennt dabei Gesichtspunkte, die bei der Abwägung nach Abs. 1 im Einzelfall zu berücksichtigen sind. Dies sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.
Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG wird durch die Vorschriften der §§ 54 und 55 AufenthG konkretisiert. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in diesen Vorschriften von vorneherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend“ oder als „schwerwiegend“. Stehen dem Ausländer zudem Rechte nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn der Ausländer darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
2. Die Ausweisung des Klägers ist vorliegend auch unter Berücksichtigung dieses strengen Maßstabs rechtmäßig, weil die Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist sowie das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
a) Das persönliche Verhalten des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ord nung der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig schwerwiegend, weil von ihm auch weiterhin eine erhebliche Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten ausgeht. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Wiederholungsgefahr ist hierbei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 13.11 – InfAuslR 2012, 397, Rn. 12).
Ausweisungsanlass ist das Urteil des Landgerichts … vom 31. Januar 2019, durch das der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und Beihilfe zur Vergewaltigung in drei Fällen und unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts … vom 4. April 2017 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden ist.
b) Der Kläger hat insbesondere im Hinblick auf das von ihm verletzte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit schwere Straftaten von besonderem Gewicht begangen. Die in dem Urteil vom 4. April 2017 festgestellten Straftaten stellen unter Berücksichtigung einer bestehenden Wiederholungsgefahr unzweifelhaft eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Die vom Gericht anzustellende Gefahrenprognose fällt vorliegend zu Lasten des Klägers aus. Beim Kläger ist nach wie vor eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben. Bereits seit seiner Jugend hat er wiederholt und zum Teil schwere Straftaten begangen, im Rahmen derer er immer wieder die körperliche Unversehrtheit seiner Opfer verletzt hat. Mehrere Dauerarreste sowie eine fast einjährige Verbüßung seiner Freiheitsstrafe im Strafvollzug konnten keine Verhaltensänderung des Klägers bewirken und ihn nicht von der Begehung weiterer schwerer Straftaten abhalten. Die vom Kläger ausgehende und durch die strafrechtlichen Verurteilungen zum Ausdruck kommende Gefahr dauert bis heute an, weil eine Tatwiederholung konkret zu befürchten ist. Bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung – wie im Falle der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit – sind im Rahmen tatrichterlicher Prognose der Wiederholungsgefahr umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277 Rn. 16). Auch die auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Die auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, führt unter Berücksichtigung der bereits in der Vergangenheit zahlreich begangenen Straftaten und der erfolglos beendeten Drogentherapie im Rahmen der strafrechtlichen Unterbringung zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr. Mit seinen wiederholten Gewalttaten und den Betäubungsmittelstraftaten hat der Kläger mehrfach das besonders hohe Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit in schwerwiegender Weise verletzt. Liegt – wie beim Kläger – die Ursache der begangenen Straftaten darüber hinaus auch in der Suchtmittelabhängigkeit, so ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2014 – 10 ZB 14.538 – juris Rn. 6 und BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11). Ausschlaggebend für das Entfallen der Wiederholungsgefahr ist, dass ein vorhandenes Handlungs- und Verhaltensmuster dauerhaft korrigiert wird. Dies ist erst bei einem erfolgreichen Abschluss einer Therapie anzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11). Der Kläger hat hingegen keine Drogentherapie erfolgreich absolviert. Außerdem war der Kläger nicht einmal im stark reglementierten und überwachten Strafvollzug willens oder in der Lage, straffrei zu bleiben. Vielmehr wurde er wegen seines Verhaltens im Strafvollzug wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und Beihilfe zur Vergewaltigung in drei Fällen verurteilt. Hinzu kommt die ausweislich des Therapieberichts des BKH … vom 1. Februar 2018 beim Kläger diagnostizierte emotionalinstabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typ, die ebenfalls nicht erfolgreich therapiert worden ist und die die ohnehin anzunehmende erhebliche Wiederholungsgefahr zusätzlich erhöht. In einer Gesamtschau ist somit davon auszugehen, dass der Kläger erneut Straftaten – insbesondere auch schwere Straftaten gegen Leib und Leben – begehen und daher eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich macht.
3. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwä gung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.
Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44 m. w. N.). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) AufenthG durchzuführen (vgl. dazu die Gesetzesbegründung zu § 53 Abs. 3, BT-Drs. 18/4097 S. 50; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44; U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 37).
a) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b) AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG ebenfalls besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer Straftaten nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind vorliegend jeweils erfüllt. Der Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts … vom 4. April 2017 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen und unerlaubten Anbau von Betäubungsmitteln und gewerbsmäßige unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in zehn Fällen und unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln und vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung sowie versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Unter Einbeziehung dieser Verurteilung wurde er zudem vom Landgericht … wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und Beihilfe zur Vergewaltigung in drei Fällen am 31. Januar 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
b) Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht hier zwar kein nach § 55 AufenthG typisiertes Bleibeinteresse entgegen. Der Kläger kann aber dennoch gewichtige Bleibeinteressen für sich beanspruchen. Er ist im Bundesgebiet geboren worden und hält sich seitdem ununterbrochen hier auf. Er ist somit faktisch ein Inländer, auch wenn er die türkische und nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die meisten seiner nächsten Familienangehörigen (seine Mutter und mehrere Geschwister) leben ebenfalls in Deutschland. Lediglich ein Bruder und eine Schwester des Klägers leben in der Türkei. Der Lebensmittelpunkt des Klägers befindet sich seit seiner Geburt in der Bundesrepublik.
c) Das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem ein gewichtiges Bleibeinteresse – selbst wenn es nicht typisiert von § 55 AufenthG erfasst ist – gegenübersteht, führt nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen. Es muss anhand einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vielmehr festgestellt werden, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich überwiegt und die Ausweisung unerlässlich im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG ist. Bei dieser Abwägung überwiegt bei Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien sowie aller sonstigen Umstände im Fall des Klägers das öffentliche Interesse an der Ausreise sein Bleibeinteresse. Seine Ausreise ist unerlässlich, um ein Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren.
aa) Für den weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet spricht bei dieser Abwä gung, dass er in der Bundesrepublik geboren wurde und sein ganzes Leben hier verbracht hat (sog. faktischer Inländer). Seine sozialen Beziehungen und Bindungen in die Türkei sind gering. Auch seine engsten Familienangehörigen leben weitgehend in Deutschland. Daneben gibt der Kläger vor, im Bundesgebiet auch eine Verlobte zu haben. In Deutschland hat der Kläger die Schule besucht und während seiner Inhaftierung den Hauptschulabschluss geschafft.
bb) Massiv gegen den Kläger spricht jedoch, dass er sich weder wirtschaftlich noch sozial nachhaltig integriert hat und vielfach straffällig geworden ist. Er hat zwar seinen Hauptschulabschluss absolviert, aber weder eine Berufsausbildung abgeschlossen, noch zumindest für längere Zeit als ungelernte Kraft gearbeitet. Seinen Lebensunterhalt finanzierte der Kläger u.a. durch die Begehung von Betäubungsmittelstraftaten. Eine nachhaltige wirtschaftliche Integration ist ihm damit nicht gelungen. Seit seiner Jugend hat der Kläger zudem zahlreiche und zum Teil schwerwiegende Straftaten verübt. Dabei hat er mehrfach eine extreme Gewaltbereitschaft gezeigt und durch die von ihm begangenen Straftaten im Bereich der Betäubungsmittel- und Gewaltkriminalität das hohe Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit vielfach und schwer verletzt. Deswegen hat er einen nicht unerheblichen Teil seines Lebens nicht in Freiheit, sondern im Strafvollzug verbracht.
cc) Aufgrund der Vielzahl an einschlägigen Straftaten gegen die körperliche Unver sehrtheit, die der Kläger in der Vergangenheit fortlaufend verübt hat, der jeweiligen Tatausführungen und insbesondere der erheblichen Gesundheitsschädigungen, die er durch seine massiven Betäubungsmitteldelikte verwirklicht hat, stellt das persönliche Verhalten des Klägers – besonders auch mit Blick auf die nach wie vor unbehandelte emotionalinstabile Persönlichkeitsstörung – gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, welche das Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung unerlässlich macht (§ 53 Abs. 3 AufenthG).
d) Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK.
Sie erscheint angesichts der Gesamtumstände nicht unverhältnismäßig.
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privatlebens. Der Kläger kann als sog. „faktischer Inländer“ nur unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes des Art. 8 EMRK ausgewiesen werden. Die deshalb vorzunehmende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles führt hier aber zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und als verhältnismäßig anzusehen ist. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zunächst auf die Ausführungen unter 3. c) verwiesen.
Die Kammer ist zudem davon überzeugt, dass es dem volljährigen Kläger möglich und zumutbar ist, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren. Zwar behauptet er, dass er nur Deutsch spreche. Dies hält die Kammer allerdings für unglaubhaft, nachdem die Mutter des Klägers nach seinen eigenen Angaben Analphabetin und erst als Erwachsene nach Deutschland gekommen ist. Darüber hinaus kennt der Kläger die Türkei von Urlaubsaufenthalten seit dem Jahr 2007. Die Kammer geht weiter davon aus, dass in der Familie des Klägers die türkische Kultur und Tradition gelebt wurde, sodass der Kläger mit der türkischen Kultur vertraut ist und nach möglichen anfänglichen Schwierigkeiten in der Türkei Fuß fassen kann. Zwar muss er sich in der Türkei ein neues Leben aufbauen, mangels wirtschaftlicher und sozialer Integration im Bundesgebiet stünde er jedoch hier vor den gleichen Herausforderungen und Schwierigkeiten. Seine in der Türkei lebenden Geschwister können ihn bei seiner Integration gegebenenfalls unterstützen. Das Gericht ist der Überzeugung, dass er zu ihnen wird Kontakt aufnehmen können. Die in Deutschland lebende Familie des Klägers sowie seine Verlobte können ihn in der Türkei besuchen und mittels Telefon und Internet den Kontakt aufrechterhalten. Eine Unzumutbarkeit liegt somit nicht vor.
4. Die in Ziffer 5 des angefochtenen Bescheids enthaltene Anordnung eines Einreiseund Aufenthaltsverbots, für das der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eine Verkürzung der Befristung auf sieben (statt zehn) Jahre zusicherte, ist ebenfalls rechtmäßig. Die Befristungsdauer steht nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde und unterliegt damit gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur der eingeschränkten Kontrolle des Verwaltungsgerichts. Die im vorliegenden Fall zuletzt zugesicherte Frist von sieben Jahren ist ermessensfehlerfrei erfolgt. Ein Ermessensfehler ist weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich. Gründe, die vom Beklagten auf sieben Jahre reduzierte Frist zwingend (noch) geringer zu bemessen, sind vom Kläger ebenfalls nicht vorgebracht worden und auch anderweitig nicht erkennbar. Sollte der Kläger doch noch erfolgreich eine Drogen- und/oder Verhaltenstherapie abschließen oder die von ihm vorgetragene Verlobte heiraten, besteht die Möglichkeit, den berechtigten Interessen des Klägers ebenso wie anderweitig neu hinzutretenden Belangen, die sich zu Gunsten des Klägers auswirken, durch eine Fristverkürzung nach § 11 Abs. 4 AufenthG Rechnung zu tragen.
5. Die Abschiebungsandrohung ist ebenso nicht zu beanstanden. Es wird insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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