Strafrecht

Wirksamkeit befristeter Aufenthaltserlaubnis – die öffentliche Sicherheit des Landes gefährdendes Verhalten eines Türken

Aktenzeichen  Au 1 K 19.965

Datum:
19.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 37203
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
EMRK Art. 8 Abs. 2
ARB Art. 6
GG Art. 6
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache nur zum Teil Erfolg.
1. Gegenstand der Klage ist die begehrte Aufhebung der Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 3. Juni 2019 sowie das zugleich auf sieben Jahre und sechs Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot.
2. Die Klage ist zulässig, aber nur hinsichtlich der Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung begründet. Der angegriffene Bescheid ist im Übrigen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) und des Bleibeinteresses (§ 55 AufenthG) ist die Kammer der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt.
a) Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 54 und 55 AufenthG. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Hierbei sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit dem Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) ist die Kammer der Überzeugung, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt.
b) Stehen dem Ausländer – was hier dahingestellt bleiben kann – Rechte nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn der Ausländer darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger assoziationsberechtigt ist, weil – wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat – die Ausweisung auch unter Berücksichtigung des Maßstabs des § 53 Abs. 3 AufenthG verfügt werden konnte.
c) Die Ausweisung des Klägers ist auch unter Berücksichtigung dieses strengeren Maßstabs rechtmäßig, weil die Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Wiederholungsgefahr ist hierbei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 13.11 – InfAuslR 2012, 397, Rn. 12).
aa) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ord nung der Bundesrepublik Deutschland, weil von ihm auch weiterhin eine erhebliche Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten ausgeht.
Ausweisungsanlass ist die Verurteilung des Klägers u.a. wegen banden- und gewerbsmäßiger Hehlerei, besonders schwerem Betrug sowie besonders schwere Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten durch Urteil des Landgerichts … vom 22. Februar 2017. Die in diesem Urteil festgestellten schweren Straftaten stellen unzweifelhaft eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Der Kläger hatte sich zusammen mit drei weiteren Personen zu einer hochorganisierten und arbeitsteilig agierenden Gruppierung zusammengeschlossen, welche in der Zeit ab Juni 2015 bis Februar 2016 eine Vielzahl hochwertiger Kraftfahrzeuge absetzte, die von Dritten widerrechtlich erlangt worden waren. Der Kläger hat daher insbesondere im Hinblick auf die von ihm verletzten Rechtsgüter des Eigentums, des Vermögens und der Sicherheit und Zuverlässigkeit im Rechtsverkehr schwere Straftaten von besonderem Gewicht begangen. Gerade durch das organisierte und arbeitsteilige Zusammenwirken in einer Bande hat der Kläger fortgesetzt und in erheblichem Maße eine Vielzahl von Opfern geschädigt, um sich eine fortdauernde illegale Einnahmequelle zu verschaffen. Darüber hinaus ist aufgrund des Organisationsgrads und der individuellen Umstände der Taten auch eine besondere Gefährlichkeit des Klägers zu Tage getreten.
bb) Die vom Kläger ausgehende und durch die strafrechtlichen Verurteilungen zum Ausdruck kommende Gefahr dauert bis heute an, weil eine Tatwiederholung konkret zu befürchten ist. Die auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, führt unter Berücksichtigung der bereits in der Vergangenheit zahlreich begangenen Straftaten zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr. An diesem Ergebnis vermag auch der Eindruck, den der Kläger durch das seit der Haftentlassung und in der mündlichen Verhandlung gezeigte Verhalten hinterlassen hat, nichts zu ändern. Das Gericht verkennt nicht die bereits in der Haft begonnene positive Entwicklung des Klägers. Die beiden Führungsberichte vom 6. Juni 2018 und 18. Januar 2019 bescheinigen dem Kläger gute Ansätze und ein beanstandungsfreies Verhalten im Strafvollzug. Positiv zu würdigen ist auch die Aufnahme einer Beschäftigung nach der Haftentlassung und sein ehrenamtliches Engagement im Sport. Ob diese ersten guten Ansätze aber zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung führen werden, ist noch nicht abzusehen. Daher sind diese nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Wiederholungsgefahr aufzuwerfen. Derzeit geht vom Kläger nach wie vor eine ganz erhebliche Wiederholungsgefahr aus.
Der Kläger ist seit dem Jahr 2000 und damit wenige Jahre nach seiner Einreise ins Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich verurteilt worden. Den Verurteilungen lagen zum Teil schwere Straftaten aus dem Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte zugrunde. So ist der Kläger u.a. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Alle diese strafrechtlichen Verurteilungen sowie insbesondere die verbüßte Freiheitsstrafe konnten den Kläger nicht davon abhalten, erneut schwerwiegende Straftaten über einen längeren Zeitraum zu begehen. Der Kläger ist zudem Bewährungsversager. Ihm bereits eingeräumte Chancen hat der Kläger in der Vergangenheit nicht genutzt. In offener Bewährung hat der Kläger unter hoher Rückfallgeschwindigkeit erneut einschlägige und schwere Straftaten begangen und dabei abermals in einer organisierten Bande agiert. Aufgrund dessen wurde er zum zweiten Mal zu einer erheblichen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem nach wie vor noch erhebliche Schulden, wobei er diese nicht einmal genau beziffern konnte (40.000 – 50.000 Euro). Unter Berücksichtigung seines bisherigen strafrechtlichen Werdegangs, der Begehung zahlreicher Vermögensdelikte, seinen hohen Schulden und seinem geringen Einkommen durch eine Beschäftigung als Reinigungskraft geht die Kammer davon aus, dass vom Kläger noch immer eine ganz erhebliche Gefahr der Begehung von weiteren Straftaten im Vermögensbereich ausgeht.
cc) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.
Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44 m. w. N.). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) AufenthG durchzuführen (vgl. dazu die Gesetzesbegründung zu § 53 Abs. 3, BT-Drs. 18/4097 S. 50; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44; U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 37).
(1) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse beson ders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts … vom 22. Februar 2017 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt.
(2) Auf der anderen Seite hat die Beklagte zutreffend ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG angenommen, da der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisung eine Niederlassungserlaubnis besessen hat und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Seine neue Lebensgefährtin und sein Sohn leben ebenfalls in Deutschland. Sein Lebensmittelpunkt befindet sich schon seit vielen Jahren in der Bundesrepublik.
(3) Das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem ein gleichwertiges Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG gegenübersteht, führt nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen. Es muss anhand einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich überwiegt und die Ausweisung unerlässlich im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG ist. Bei dieser Abwägung überwiegt bei Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien sowie aller sonstigen Umstände im Fall des Klägers das öffentliche Interesse an der Ausreise sein Bleibeinteresse. Seine Ausreise ist unerlässlich, um ein Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren.
(a) Für den weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet spricht bei dieser Abwägung, dass er sich seit vielen Jahren in der Bundesrepublik aufhält. Sein erwachsener Sohn sowie seine neue Lebensgefährtin und deren Sohn leben ebenfalls hier.
(b) Massiv gegen den Kläger spricht jedoch, dass er sich weder wirtschaft lich noch sozial integriert hat und vielfach straffällig geworden ist. Er hat nur zeitweise gearbeitet und war immer wieder auch arbeitslos. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er über einen längeren Zeitraum durch die Begehung von schweren Straftaten. Eine nachhaltige wirtschaftliche Integration ist ihm daher nicht gelungen.
(c) Aufgrund der Vielzahl an einschlägigen Straftaten unter Missachtung fremden Eigentums und Vermögens, die der Kläger in der Vergangenheit fortlaufend verübt hat, und der jeweiligen Tatausführungen (zum Großteil in einer organisierten Bande) stellt das persönliche Verhalten des Klägers auch gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, welche das Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung unerlässlich macht (§ 53 Abs. 3 AufenthG).
dd) Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Art. 6 GG oderArt. 8 EMRK. Sie erscheint angesichts der Gesamtumstände nicht unverhältnismäßig.
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privatlebens. Der Kläger nur unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes des Art. 8 EMRK ausgewiesen werden. Die deshalb vorzunehmende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles führt hier aber zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und als verhältnismäßig anzusehen ist. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zunächst auf die Ausführungen unter 2. c) cc) verwiesen.
Die Kammer ist zudem davon überzeugt, dass es dem Kläger möglich und zumutbar ist, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren. Dies gilt insbesondere deshalb, weil er fast 30 Jahre in der Türkei gelebt hat, damit die türkische Sprache beherrscht und mit der türkischen Kultur vertraut ist. In der Türkei leben zudem noch seine Eltern sowie drei Brüder und vier Schwestern, sodass er dort voraussichtlich auf familiären Rückhalt zurückgreifen können wird. Sein inzwischen volljähriger Sohn lebt zwar in Deutschland, allerdings ist dieser nicht zwingend auf die Anwesenheit seines Vaters angewiesen. Seine Lebensgefährtin lebt ebenfalls im Bundesgebiet, allerdings liegt (noch) keine unter dem Schutz von Art. 6 GG stehende eheliche Lebensgemeinschaft vor. Sein Sohn und seine Lebensgefährtin können den Kläger im Übrigen in der Türkei besuchen und mittels Telefon und Internet den Kontakt aufrechterhalten. Eine Unzumutbarkeit liegt diesbezüglich nicht vor.
d) Die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf sieben Jahre und sechs Monate, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Ausreise, ist hingegen ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.
Die Befristungsdauer steht nach § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde), wobei diese Ermessensentscheidung entgegen der zur früheren Normfassung ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277 Rn. 40) nicht mehr einer uneingeschränkten, vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt, sondern das Gericht die Länge der Frist grundsätzlich nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfen darf. Eine Verkürzung der Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde erneut Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – juris Rn. 54 ff.; U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 59). Diese Rechtsauffassung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, weil nach dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung (nur) die Ausweisungsabwägung gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. BR-Drs. 642/14 S. 56).
Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Die Dauer der Frist darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 AufenthG fünf Jahre überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren vorliegen, soll sie grundsätzlich nach § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zehn Jahre nicht überschreiten. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung ohnehin kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
Nach diesen Maßstäben und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten festgesetzte Frist von sieben Jahren und sechs Monaten ab Ausreise ermessensfehlerhaft und daher rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig lang bemessen ist. Zwar konnte im vorliegenden Fall die Fristgrenze von fünf Jahren grundsätzlich überschritten werden, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist und von ihm zudem eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Zutreffend hat die Beklagte daher auch die erhebliche Wiederholungsgefahr bei der Bemessung der Fristlänge berücksichtigt. Nicht mit ausreichendem Gewicht berücksichtigt wurden aber die persönlichen Umstände und die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Klägers, die zu einer kürzer bemessenen Frist hätten führen müssen, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. So lebt der Kläger schon seit fast 25 Jahren im Bundesgebiet und war dementsprechend auch im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. In Deutschland lebt zudem sein – wenn auch volljähriger und nicht mehr zwingend auf seinen Vater angewiesener – Sohn, zu dessen Gunsten die Beklagte mangels entsprechender Erkenntnisse zwar Kontakte in beachtendem Umfang angenommen hat, jedoch dann nicht mit dem entsprechend notwendigen Gewicht berücksichtigt hat. Darüber hinaus sind zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch die Beziehung zu seiner neuen Lebensgefährtin und deren Sohn, seine inzwischen ansatzweise erkennbare wirtschaftliche Integration (unbefristetes Beschäftigungsverhältnis bei einer Reinigungsfirma) sowie sein ehrenamtliches Engagement bei einem Sportverein in die Ermessensentscheidung einzustellen, auch wenn diese Belange zugegebenermaßen nur mit geringerem Gewicht Berücksichtigung finden müssen.
Die Aufhebung der in der Ziffer 3 des Bescheids verfügten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots war ausreichend, weil die Beklagte auf der Grundlage des inzwischen neu gefassten § 11 Abs. 2 AufenthG verpflichtet ist, das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen und von Amts wegen zu befristen.
e) Die Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Es wird insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
3. Die Kostentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Verfahrenskosten zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.


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