Verkehrsrecht

Fahrtenbuchauflage nach Fahrerflucht

Aktenzeichen  M 23 S 17.1666

Datum:
20.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5
StVZO StVZO § 31a
StGB StGB § 142 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Für die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage reicht die Erfüllung des objektiven Tatbestandes einer Verkehrsvorschrift aus. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort stellt unabhängig von der Höhe des entstandenen Schadens die Verletzung einer Verkehrsvorschrift in nennenswertem Umfang dar. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Lehnt der Fahrzeughalter erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung eines Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zur Feststellung des Fahrzeugführers zu betreiben. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 31a StVZO gehört zu den Vorschriften, bei denen zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter, nämlich die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs, das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO im Regelfall mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes zusammenfällt (vgl. BayVGH BeckRS 2002, 25764). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.200,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs.
Auf den Antragsteller ist der Personenkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen „… …“ zugelassen.
Gemäß dem Verkehrsunfallprotokoll der Polizeiinspektion S … vom 18. November 2016 wurde diese am 27. Oktober 2016 um 16.10 Uhr wegen einer Verkehrsunfallanzeige zu dem Unfallort R … W … in  St. gerufen. Gemäß den Aussagen der am Unfallort befindlichen zwei Zeugen habe der Pkw des Antragsteller beim Vorbeifahren den linken Außenspiegel des auf Höhe der Haus-Nr. 8 am rechten Fahrbahnrand abgestellten Pkws des Geschädigten mit dem amtlichen Kennzeichen „… …“ touchiert. Hierbei sei dieser komplett abgerissen und das Glas zerbrochen worden. Die Zeugen hätten das Kennzeichen des Fahrzeugs des Antragstellers notiert. Die Polizei fertigte Lichtbilder des geschädigten Wagens.
In dem Verkehrsunfallprotokoll wird weiter ausgeführt, dass die Halternachschau bei dem Antragsteller am 27. Oktober 2016 negativ verlief; die Ehefrau des Antragstellers habe angegeben, dass ihr Ehemann gerade mit dem Fahrzeug unterwegs sei. Am 28. Oktober 2016 sei der Antragsteller um 8.32 Uhr telefonisch kontaktiert worden. Hierbei sei er ordnungsgemäß als Beschuldigter belehrt worden. Er habe geäußert, dass er keine Angaben zur Sache mache und sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufe; er wolle auch keinerlei Angaben zum Standort des Fahrzeugs machen.
Eine nochmalige telefonische Kontaktaufnahme mit den beiden Zeugen am 28. Oktober 2016 habe keine neuen Erkenntnisse gebracht, da beide Zeugen keine Fahrerbeschreibung abgeben hätten können.
Eine Recherche habe als weiteren möglichen Fahrzeugführer den Sohn des Antragstellers erbracht. Es sei erfolglos versucht worden, diesen am 28. Oktober 2016 sowie an folgenden Tagen sowie nochmals am 17. November 2016 persönlich aufzusuchen. Am 17. November 2016 sei der Sohn des Antragstellers schließlich telefonisch kontaktiert worden. Nachdem die ermittelnde Beamtin sich am Telefon als Angehörige der Polizeiinspektion S … zu erkennen gegeben habe, habe der Sohn des Antragstellers unvermittelt aufgelegt. Weitere telefonische Kontaktversuche seien ohne Erfolg geblieben, da das Telefon ausgeschaltet worden sei.
Mit Verfügung vom 30. November 2016 stellte die Staatsanwaltschaft München II das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. In den Gründen der Einstellungsverfügung wird ausgeführt, dass ein Tatnachweis gegen den Antragsteller nicht mit der für die Anklageerhebung notwendigen Sicherheit geführt werden könne, da nicht aufklärbar sei, wer der Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt gewesen sei.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 übersandte die Staatsanwaltschaft München II dem Landratsamt St. die Akten zur Prüfung einer Fahrtenbuchauflage.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 hörte das Landratsamt den Antragsteller zu der beabsichtigten Anordnung eines Fahrtenbuchs an. Die Bevollmächtigten des Antragstellers äußerten sich hierauf mit Schreiben vom 19. Januar 2017. Sie führten insbesondere aus, dass eine entsprechende Tatbestandserfüllung bestritten werde. Eine Beschädigung am Fahrzeug des Antragstellers liege nicht vor. Dies hätte die Staatsanwaltschaft bei ordnungsgemäßer Ermittlung jederzeit feststellen können. Darüber hinaus dürfe der Gebrauch des Aussageverweigerungsrechts keineswegs mit der Anordnung eines Fahrtenbuchs geahndet werden. Im Übrigen sei die Anordnung unverhältnismäßig, da nur ein geringer Sachschaden in Höhe von 400,- € entstanden sei.
Das Landratsamt St. erwiderte hierauf mit Schreiben vom 2. Februar 2017, worauf die Bevollmächtigten nochmals am 14. Februar 2017 Stellung nahmen.
Mit Bescheid vom 6. März 2017, den Bevollmächtigten am 10. März 2017 zugestellt, legte das Landratsamt St. dem Antragsteller für sechs Monate die Führung eines Fahrtenbuchs für das Tatfahrzeug (Nr. 1 des Bescheids) sowie etwaige Nachfolgefahrzeuge (Nr. 2 des Bescheids) auf und verpflichtete den Antragsteller zur Vorlage und Aufbewahrung des Fahrtenbuchs (Nr. 3 und 4 des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1, 3 und 4 wurde angeordnet (Nr. 5 des Bescheids) sowie im Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung unter Nr. 4 ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- € angedroht (Nr. 6 des Bescheids). Des Weiteren wurden dem Kläger die Kosten auferlegt sowie eine Gebühr in Höhe von 85,- € festgesetzt (Nr. 7 und 8 des Bescheids). Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass Verkehrsvorschriften in nennenswertem Umfang verletzt worden seien. Trotz aller angemessenen und zumutbaren Maßnahmen habe der verantwortliche Fahrzeugführer nicht ermittelt werden können. Das Tatfahrzeug sei durch zwei Zeugen eindeutig benannt worden. Es reiche aus, dass der Verkehrsverstoß aufgrund von Zeugenaussagen mit hinreichender Sicherheit feststehe. Die Berufung auf ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht stehe der Auflage eines Fahrtenbuches nicht entgegen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers erhoben gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 10. April 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (Az. M 23 K …) und beantragten die Aufhebung des Bescheids. Des Weiteren beantragten sie mit gleichem Schreiben,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung führten die Bevollmächtigten insbesondere aus, dass ein erlaubtes Entfernen vom Unfallort nicht stattgefunden habe. Trotz Bitte um Akteneinsicht habe man von Seiten der Staatsanwaltschaft München II keine Einsicht in die Strafakte erhalten. Es treffe nicht zu, dass der auf den Antragsteller zugelassene Pkw einen anderen Pkw touchiert habe. Bei einem solchen Vorfall hätte auch der Außenspiegel des Pkws des Antragstellers in Mitleidenschaft gezogen werden müssen. Eine solche Beschädigung liege aber nicht vor. Die Polizei habe die Angelegenheit nicht ausreichend ermittelt. Vor allen Dingen habe es keinerlei Bemühungen der Polizei gegeben, eine Nachschau am Fahrzeug durchzuführen. Außer dem einen Telefonat mit dem Antragsteller am 28. Oktober 2016 habe es keinerlei Ermittlungen gegeben, vor allen Dingen keine, welche geklärt hätten, ob mit dem Fahrzeug des Antragstellers überhaupt ein Unfall verursacht worden sei. Außerdem könne sich der Kläger auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen, eine indirekte weitere Strafe nach § 31a StVZO sei nicht möglich. Schließlich erscheine die Auferlegung des Fahrtenbuchs als unverhältnismäßig.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2017 legte das Landratsamt St. die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung bezogen sie sich insbesondere auf die Ausführungen im Bescheid. Der Antragsteller habe im Telefonat vom 28. Oktober 2016 von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und keinerlei Angaben zum Standort des Fahrzeugs gemacht, daher habe die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen am Fahrzeug durchführen können.
Durch Beschluss der Kammer vom 19. Juni 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 23 K 17.1667 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts St. vom 6. März 2017 hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teil-weise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen gegen den angefochtenen Bescheid keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Klage wird daher aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben. Das besondere öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung überwiegt somit das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend aller Voraussicht nach erfüllt.
Mit einer Fahrtenbuchauflage soll in Ergänzung der Kennzeichnungspflicht dafür Sorge getragen werden, dass anders als in dem Fall, der Anlass zur Auferlegung ei-nes Fahrtenbuchs gegeben hat, künftig die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich ist. Die Anordnung richtet sich an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt. Gefährdet er die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dadurch, dass er unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit einer Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Fahrzeug gefahren hat, darf er durch das Führen eines Fahrtenbuchs zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugnutzung angehalten werden. Ob vom Fahrzeughalter selbst als Führer seines Kraftfahrzeugs Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen zu besorgen sind, ist demnach rechtlich nicht ausschlaggebend. Vielmehr genügt regelmäßig die bei jeder Kraftfahrzeugnutzung nicht auszuschließende Möglichkeit, dass der jeweilige Fahrer Verkehrsvorschriften zuwiderhandelt (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1989 – 7 B 90/89 – NJW 1989, 2704).
Um eine Fahrtenbuchauflage zu rechtfertigen, müssen Verkehrsvorschriften in nennenswertem Umfang verletzt worden sein. Schon bei einem einmaligen Verstoß ist die Auflage zulässig, wenn es sich um einen nicht unwesentlichen Verstoß handelt, der sich verkehrsgefährdend auswirken kann.
Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften liegt vor. Der Verstoß gegen die Verkehrsvorschrift muss in tatsächlicher Hinsicht feststehen. Die Straßenverkehrsbehörde, die die Auferlegung eines Fahrtenbuchs prüft, muss grundsätzlich ebenso wie das Verwaltungsgericht, dass in einem sich anschließenden Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage befindet, alle Tatbestandsmerkmale der Bußgeld- bzw. Strafvorschrift selbständig prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2012 – 11 CS 11.2727 – juris). Für die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage reicht jedoch aus, dass der objektive Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Auf Feststellungen zum Vorsatz kommt es nicht an, da derartige Feststellungen die Ermittlung des Täters voraussetzen und die Fahrtenbuchauflage gerade dazu dienen soll, diese Voraussetzung in künftigen Fällen zu erfüllen (vgl. VG Sigmaringen, B.v. 8.11.2013 – 2 K 2856/13 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Das Gericht ist (zumindest) im Rahmen der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung der Überzeugung, dass mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug des Antragstellers am 27. Oktober 2016 um 16.10 Uhr der objektive Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB erfüllt wurde. Dies ergibt sich mit hinreichender Sicherheit aus den vorgelegten Behördenakten, die (mindestens auszugsweise) die Akten der Staatsanwaltschaft München II enthalten. Zwar sind die Sachverhaltsfeststellungen im Rahmen der Verkehrsunfallanzeige nicht besonders umfangreich und erfolgte auch keine wortwörtliche Aufzeichnung der Zeugenaussagen. Da jedoch Lichtbilder vom Tatort gemacht wurden und weitere Ermittlungen vorgenommen wurden, geht das Gericht davon aus, dass die ermittelnden Behörden den Zeugenaussagen vollständig Glauben schenkten und daher von genaueren Aufzeichnungen absahen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass für die ermittelnden Behörden der von den Zeugen geschilderte Tathergang mit der vor Ort vorgefundenen Situation übereinstimmte. Darüber hinaus liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen hervorrufen könnten, die, ohne selbst Betroffene zu sein und unabhängig vom dem Fahrzeughalter des geschädigten Fahrzeug, die Polizei zu dem Unfallort gerufen hatten. Der Halter des Fahrzeugs kam erst im Verlauf der Verkehrsunfallaufnahme vor Ort. Zwar konnte durch die ermittelnde Behörde das Fahrzeug des Antragstellers – wie auch von dem Bevollmächtigten gerügt – nicht in Einsicht genommen werden, um eine mögliche Übereinstimmung von Beschädigungen zu prüfen. Die bloße Behauptung des Bevollmächtigten, dass an dem Fahrzeug keinerlei Schäden vorhanden seien und gewesen seien, reicht für die Entkräftung des Tathergangs jedoch nicht aus. Vielmehr stand für die ermittelnden Behörden der Tathergang eindeutig fest, so dass sie nach der Weigerung des Antragstellers von einer Inaugenscheinnahme des beteiligten Fahrzeugs absahen, lediglich die Fahrerermittlung im weitere Fokus stand und schließlich ergebnislos verlief. Zur Überzeugung des Gerichts steht daher fest, dass der Fahrer des auf den Antragsteller zugelassenen Fahrzeugs sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt hat, bevor zu Gunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war, ermöglicht hat (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Hierbei handelt es sich auch um eine Verkehrsvorschrift in nennenswertem Umfang. Entgegen der Ansicht der Bevollmächtigten ist hierfür nicht entscheidend, in welcher Höhe ein möglicher Schaden durch den Unfall entstanden ist, sondern mit welchem Strafmaß die Straftat geahndet werden kann. Gemäß § 142 StGB wird das unerlaubte Entfernen vom Unfallort mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 142 StGB) sowie mit drei Punkten im Verkehrszentralregister geahndet (Nr. 1.6 der Anlage 13 zu § 40 der Verordnung über die Zulassung von Personen im Straßenverkehr – FeV). Nach ständiger Rechtsprechung reicht bereits grundsätzlich ein lediglich mit einem Punkt (bereits nach dem bis zum 30. April 2014 geltenden Punktekatalog) bewerteter Verkehrsverstoß für die Anordnung der Fahrtenbuchauflage aus, ohne dass es auf die Feststellung der näheren Umstände der Verkehrsordnungswidrigkeit und der Gefährlichkeit des Verstoßes ankommt (vgl. OVG NRW, B. 13.1.2016 – 8 A 1030/15; BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 11 CS 14.176 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 9.9.1999 – 3 B 94/99; OVG NRW, U.v. 29.4.1999 – 8 A 699/97 – jeweils juris). Damit liegt im vorliegenden Fall ein wesentlicher Verkehrsverstoß von einigem Gewicht unzweifelhaft vor (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 14.1.2014 – 10 S 2438/13 – juris).
Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO geforderte Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers liegt vor, da die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Für die Beurteilung der Angemessenheit der polizeilichen Aufklärungsmaßnahmen kommt es wesentlich darauf an, ob die zuständige Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, kann sich an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.
Die Ermittlungen waren im vorliegenden Fall ausreichend, aber nicht zielführend. Insbesondere hat die ermittelnde Behörde umgehend versucht, mit dem Antragsteller Kontakt aufzunehmen. Bereits unmittelbar nach Unfallaufnahme erfolgte die erste Kontaktaufnahme, die jedoch negativ verlief, da die Ehefrau angab, dass der Ehemann – also der Antragsteller – gerade mit dem Fahrzeug unterwegs sei. Bereits am Morgen des folgenden Tages wurde der Antragsteller telefonisch von den ermittelnden Behörden kontaktiert. Da der Antragsteller bei dieser Vernehmung nach ordnungsgemäßer Belehrung keine Aussagen zur Sache machte, sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berief und auch keinerlei Angaben zum Standort des Fahrzeugs machen wollte, waren weitere Ermittlungen in diese Richtung nicht angezeigt. Die Aussagen des Antragstellers hierzu waren eindeutig, so dass weder eine nochmalige Kontaktaufnahme durch die Polizei noch eine Vernehmung durch einen Ermittlungsrichter (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2576 – juris) angezeigt waren. Auch die fehlende Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs des Antragstellers führt nicht zu unzureichenden Ermittlungen. Gemäß der – im Übrigen auch unbestrittenen – Aufzeichnungen durch die ermittelnde Behörde hat der Antragsteller bei dem Gespräch am 28. Oktober 2016 ausgesagt, dass er keinerlei Angaben zum Standort des Fahrzeugs machen werde. Eine Inaugenscheinnahme der Polizei war daher für diese nicht möglich. Es ist der Polizei nicht zumutbar, ohne weitere Anhaltspunkte das Fahrzeug des Antragstellers möglicherweise im Weiteren umgriff des Wohnort des Antragstellers zu suchen und Garagen ggf. nach Einholung von richterlichen Durchsuchungsbeschlüssen zu sichten. Ebenso verliefen die weiteren Ermittlungen in Bezug auf den Sohn des Antragstellers erfolglos. Auch die nochmalige Befragung der Zeugen erbrachte keine weiteren Erkenntnisse zur Fahrerermittlung. Weitere Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen bezüglich des Fahrers des Tatfahrzeugs lagen nicht vor.
Auch soweit der Antragsteller von seinem Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, führt dies nicht zu einem Nachteil für ihn. Entgegen der Ansicht der Bevollmächtigten des Antragstellers entspricht es der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs nicht verlangen kann, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er von einem Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Es besteht kein doppeltes „Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen, die auch der Kläger für sich gegenüber anderen in Anspruch nimmt. Die Auferlegung einer Fahrtenbuchführung dient der Sicherheit des Straßenverkehrs, sie hat keinen Sanktionscharakter. Sie soll sicherstellen, dass in Zukunft der verantwortliche Fahrer eines Kraftfahrzeugs bei Zuwiderhandlungen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften ermittelt werden kann (ständige Rspr.; vgl. OVG B-B, B. 25.11.2016 – OVG 1 n 31.15; Hamb.OVG, B.v. 28.6.2016 – 4 Bf 97/15.Z; BayVGH, B. v. 28. 1.2015 – 11 ZB 14.1129; B.v. 23.2.2009 – 11 CS 08.2948; BVerfG, B.v. 7.12.1981 – 2 BvR 1172/81 – jeweils juris, m.w.N .).
Das Landratsamt St. hat auch von dem ihm bei der Entscheidung über die Anordnung zustehenden Ermessen in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Wie aus den Gründen des angefochtenen Bescheids erkennbar ist, wurde gesehen, dass es sich bei der zu treffenden Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt und es erfolgte eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Maßnahme. Mit der präventiven Zielsetzung, künftige Verkehrsverstöße dadurch zu vermeiden, dass der jeweilige Fahrer mit einer leichten Aufklärbarkeit des Verstoßes rechnen muss, wird ein legitimer Zweck verfolgt. Die Fahrtenbuchauflage ist hierzu geeignet, erforderlich sowie als angemessene Maßnahme anzusehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Insbesondere verstößt die Auferlegung eines Fahrtenbuchs auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn es sich um einen erstmaligen Verstoß handelt. Ob die Dauer einer Fahrtenbuchauflage mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang steht, ist mit Blick auf den Anlass der Anordnung und den mit ihr verfolgten Zweck unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Als Kriterium für ihre zeitliche Bemessung ist vor diesem Hintergrund vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung heranzuziehen. Bei der Festlegung der Dauer einer Fahrtenbuchauflage ist daneben das Verhalten zu würdigen, das der Fahrzeughalter im Zusammenhang mit den Bemühungen der Behörde an den Tag gelegt hat, eine mit seinem Kraftfahrzeug begangene Verkehrszuwiderhandlung aufzuklären. Denn je mehr sich ein Fahrzeughalter darum bemüht, zu der Tataufklärung beizutragen, desto weniger wird unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr Anlass bestehen, ihn hierzu für künftige Fälle durch eine Fahrtenbuchauflage anzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2011 – 11 CS 11.1548 – juris). Durch die Fahrtenbuchauflage soll der Fahrzeughalter zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung und zur Mitwirkung im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes angehalten werden. Um dies effektiv zu erreichen, ist eine gewisse Mindestdauer der Führung des Fahrtenbuchs erforderlich, so dass ein Zeitraum unter sechs Monaten nicht als geeignet erscheint. Die Dauer des Fahrtenbuchs erscheint damit im untersten Bereich und kann keinesfalls als unverhältnismäßig erscheinen (vgl. zur Rechtmäßigkeit einer Auflagedauer von 18 Monaten bei einem Verkehrsverstoß nach § 142 StGB: VG Sigmaringen B. v. 8.11.2013 – 2 K 2856/13, bestätigt durch VGH B-W, B.v. 14.1.2014 – 10 S 2438/13 – jeweils juris).
Auch die weiteren Anordnungen im angefochtenen Bescheid begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
Die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem angefochtenen Bescheid genügt auch den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist dargelegt worden, weshalb dem Interesse, vorläufig von der Führung eines Fahrtenbuchs verschont zu bleiben, der Nachrang gegenüber den Interessen der Allgemeinheit gebührt, dass künftig erhebliche Verkehrsverstöße unterbleiben oder jedenfalls geahndet werden können. § 31a StVZO gehört zu den Vorschriften, bei denen zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter, nämlich die Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr, das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im Regelfall mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts zusammenfällt und sich die Behörde bei der Abwägung der Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken kann, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (BayVGH, B.v. 17.7.2002 – 11 CS 02.1320 – juris; VGH BW, B.v. 17.11.1997 – 10 S 2113/97 – NZV 1998, 126 m.w.N.). Dementsprechend ist auch den formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei der Anordnung des Sofortvollzugs einer Fahrtenbuchauflage bereits dann genügt, wenn die Begründung der Anordnung erkennen lässt, dass die Behörde diese Gesichtspunkte bei ihrer Interessenabwägung berücksichtigt hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2015 – 11 CS 15.247, B.v. 17.7.2002– 11 CS 02.1320 – jeweils juris). Dies ist bei den Gründen des angefochtenen Bescheids der Fall. Besondere Umstände, die zu einem anderen Ergebnis hätten führen können, sind im Fall des Antragsstellers nicht ersichtlich.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Empfehlungen im Streitwertkatalog 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Nr. 1.5, 46.11).


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