Verkehrsrecht

Geltendmachung von abgetretenen Forderungen aus Gutachtenerstellung durch Verrechnungsstelle

Aktenzeichen  12 C 1504/16

Datum:
9.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 133269
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RDG § 2, § 3, § 5 Abs. 1
BGB § 134, § 249, § 249 Abs. 2 S. 1, § 305c Abs. 1, § 404
StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Direktabrechnung des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer dient nur der Vereinfachung und Vereinheitlichung der Schadensregulierung und bleibt damit beim Sachverständigen eine nach § 5 Abs. 1 RDG zulässige Nebenleistung. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gericht kann sich bei der Schätzung (§ 287 ZPO) der für die Erstattung des Gutachtens tatsächlich erforderlichen Kosten am üblichen Sachverständigenhonorar orientieren, wie es in der Honorarbefragung des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK) ermittelt wird. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Aktivlegitimation der klagenden Verrechnungsstelle unter Berufung auf eine nach § 307 BGB unwirksame Abtretung verneinend, nachfolgend LG Coburg BeckRS 2017, 151593 und BGH BeckRS 2018, 22195. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 73,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.09.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 73,40 € festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz weiterer Sachverständigenkosten in Höhe von 73,40 € gemäß § 249 BGB, § 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
Die Abtretung verstößt nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz.
Die erfüllungshalber erfolgte Abtretung ist nicht nach §§ 2, 3 RDG i.V.m. § 134 BGB nichtig. Denn die in der Einziehung der dem Geschädigten zustehenden Ersatzansprüche gegen die Beklagte liegenden Rechtsdienstleistung des Sachverständigen ist nach § 5 Abs. 1 RDG erlaubt. Nach § 5 Abs. 1 RDG sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind.
Entscheidend ist mithin allein, ob ein sachlicher Zusammenhang zwischen Haupt- und Nebenleistung besteht (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, ER-Drucks. 623/06, S. 106 ff.). Nach diesen Grundsätzen soll die Einziehung von Kundenforderungen, die einem Unternehmer erfüllungshalber abgetreten werden, grundsätzlich erlaubt sein, auch wenn sie eine rechtliche Prüfung erfordert, weil die Rechtsdienstleistung – die Einziehung der eigenen Vergütungsansprüche gegenüber einem Dritten – besonders eng mit der eigentlichen, den Vergütungsanspruch auslösenden Haupttätigkeit verbunden ist (OLG Dresden, Urteil v. 19.02.2014, 7 U 111/12). Ausdrücklich genannt als Anwendungsfall der als Nebenleistung zulässigen Inkassotätigkeit wird im Bereich der Unfallschadenregulierung beispielsweise die Geltendmachung von Mietwagenkosten. Gerade die in einem Streitfall erforderliche Rechtfertigung der eigenen Leistung durch den Unternehmer belege die in § 5 Abs. 1 RDG geforderte Zugehörigkeit zu dessen eigentlicher Hauptleistung. Es soll mithin gerade nicht mehr darum gehen, die durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen (BGH, Urt. v. 31.01.2012, Az: VI ZR 143/11). Auch beim Sachverständigen ist der Forderungseinzug als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild des Sachverständigen anzusehen, wenn der Haftungsgrund unstreitig ist (OLG Dresden, Urteil v. 19.02.2014, 7 U 111/12; LG Saarbrücken, Urt. v. 15.10.2010, 13 S 68/10; LG Bonn, Urt. v. 28.9.2011, 5 S 148/11).
Dies entspricht den Interessen der Beteiligten. Das Sachverständigengutachten wird primär zur Absicherung der den Schaden tragenden Haftpflichtversicherung eingeholt. Die an der Erstattung des Gutachtens interessierten Unfallgeschädigten gehen deshalb – für den Sachverständigen erkennbar – davon aus, dass die hierdurch entstehenden Kosten von dem gegnerischen Haftpflichtversicherer, der ihnen gegenüber dem Grunde nach zu deren Übernahme verpflichtet ist, erstattet werden und sie mit der Schadensregulierung in keinem größeren Umfang behelligt werden, als unbedingt notwendig. Demzufolge sind Direktabrechnungen nicht nur von Autovermietern mit den gegnerischen Haftpflichtversicherern, sondern auch von Sachverständigen weit verbreitet (OLG Dresden, Urteil v. 19.02.2014, 7 U 111/12). Allein das regelmäßige Anbieten dieser Leistung führt mithin nicht dazu, dass die Nebenleistungen zur Hauptleistung wird (OLG Dresden, Urteil v. 19.02.2014, 7 U 111/12). Diese Vorgehensweise erfolgt ersichtlich, zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Schadensregulierung.
Im vorliegendem Fall ist die Haftung der Beklagten insgesamt dem Grunde nach von Anfang an unstreitig und die Beklagten greift allein die Höhe der Rechnung an. Nach den vorgenannten Grundsätzen ist der Forderungseinzug durch den Sachverständigen damit aber als Nebenleistung zu seinem Berufs- bzw. Tätigkeitsbild als Sachverständiger für Kfz-Schäden anzusehen und nach § 5 Abs. 1 RDG grundsätzlich erlaubt (vgl. LG Saarbrücken, Urt. v. 15.10.2010, 13 S 68/10; LG Bonn, Urt. v. 28.9.2011, 5 S 148/11; OLG Dresden, Urteil v. 19.02.2014, 7 U 111/12).
Die Abtretung ist hinreichend auch bestimmt und wirksam.
Die abzutretende Forderung muss, wie jeder Gegenstand einer Verfügung, bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Dieses Erfordernis bezieht sich auf den Zeitpunkt, in dem die Forderung übergehen soll, also auf den Zeitpunkt des Abtretungsvertrages oder des (späteren) Entstehens der Forderung. Das Erfordernis betrifft Gegenstand und Umfang der Forderung, d.h. Person des Schuldners, Gegenstand und Umfang der Leistung, bei Verwechslungsgefahr auch weiter den Rechtsgrund der Forderung. Es ist hierfür nicht relevant, ob das Grundhonorar konkret angegeben ist, sondern lediglich der Honorarbereich V. Der Anspruch des Sachverständigen ist ein Werklohnanspruch. Dieser muss vor Beauftragung nicht verbindlich vereinbart sein. Es kommt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf an, in welcher Höhe Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall erforderlich sind. Abgetreten wird der Schadenersatzanspruch aus dem Verkehrsunfall. Ob diese Forderungen tatsächlich in dieser Höhe besteht, also erforderlich war, hat nichts mit der Abtretung zu tun. Im Umkehrschluss würde dies ansonsten bedeuten, dass nur Forderungen wirksam abgetreten werden können die unstreitig sind. Streitige oder unsichere Forderungen könnten dann nie Gegenstand einer Abtretung sein. Dem steht auch die Vorschrift des § 404 BGB entgegen. Die Unsicherheit über die Höhe der erstattungsfähigen Kosten ist von daher streng von der Abtretung einer Forderung abzugrenzen.
Die Abtretung ist auch nicht überraschend. Es liegt kein Verstoß gegen § 305 c Abs. 1 BGB vor. Die hier verwendete Abtretungsklausel ist nicht mit der im Urteil des BGH vom 21.6.2016 (AZ: VI ZR 477/15) vergleichbar. Es erfolgt auch keine Risikoverlagerung zulasten des Geschädigten. Insbesondere wird nicht die Durchsetzung seiner weiteren Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall verkürzt. Aus der „Anweisung“ folgt auch nicht, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung den vollen Betrag an den Sachverständigen zahlt bzw. zahlen muss.
Diese kann natürlich die Erforderlichkeit der in Rechnung gestellten Forderung prüfen und angreifen, was die Beklagte in diesem Verfahren und in vielen weiteren auch praktiziert.
Die Kosten der Schadensfeststellung sind Teil des zu ersetzenden Schadens (Palandt, BGB-Kommentar, § 249 Rn. 58; BGH NJW-RR 1989, 956). Der Schädiger hat daher die Kosten von Sachverständigengutachten zu ersetzen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (Palandt, BGB-Kommentar, § 249 Rn. 58; BGH NJW 1974, 35; BGH NJW 2007, 1451). § 249 Abs. 2 S. 1 BGB beschränkt den Anspruch auf Ersatz von Sachverständigenkosten auf den objektiv erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte deshalb vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung nur den Ersatz derjenigen Sachverständigenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und erforderlich halten darf (BGH VersR 2005, 380; BGH NJW 2007, 1452). Der Geschädigte hat dabei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des ihm Zumutbaren stets den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann.
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Der Höhe der von der Klägerin erstellten Rechnung kann bei der Schadensschätzung keine Indizwirkung für die Erforderlichkeit der geltend gemachten Kosten beigemessen werden, denn die Rechnung wurde von dem Geschädigten nicht bezahlt (so auch BGH, 26.04.2016, AZ: VI ZR 50/15). Der Grund für die Annahme einer Indizwirkung des vom Geschädigten tatsächlich erbrachten Aufwands bei der Schadensschätzung liegt darin, dass bei der Bestimmung des erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die besonderen Umstände des Geschädigten, mitunter auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten, zu berücksichtigen sind. Diese schlagen sich regelmäßig im tatsächlich aufgewendeten Betrag nieder, nicht hingegen in der Höhe der vom Sachverständigen erstellten Rechnung als solcher. Dies wird durch die hier gegebene Fallkonstellation verdeutlicht, in der der Geschädigte dem Sachverständigen am Tag der Auftragserteilung seinen gegen die Beklagte gerichteten Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten abgetreten hat (so auch BGH, 26.04.2016, AZ: VI ZR 50/15).
Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Der Geschädigte ist auch grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen für den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Dabei verbleibt für ihn allerdings das Risiko, dass er ohne nähere Erkundigungen einen Sachverständigen beauftragt, der sich später im Prozess als zu teuer erweist. Der Geschädigte kann dann nur Ersatz der für die Erstattung des Gutachtens tatsächlich erforderlichen Kosten verlangen, deren Höhe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu bemessen hat.
Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (vgl. BGH, NJW 2014, 3151 ff.).
Es ist dabei grundsätzlich anerkannt, dass ein Sachverständiger sein Honorar zeitunabhängig und pauschal nach Grundhonorar und Nebenkosten abrechnen darf. Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Sachverständigen abgerechneten Preisen für die Begutachtung überwiegend um den erforderlichen Herstellungsaufwand.
Das vom Sachverständigen berechnete Grundhonorar in Höhe von 320,00 € liegt für den Geschädigten nicht erkennbar erheblich über den üblichen Preisen.
Die Berechnung eines Grundhonorars in Höhe von 320,, € bei Reparaturkosten in Höhe von 1.047,71 € netto stellt sich für einen verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen als nicht erkennbar erheblich überhöht dar. Dies deswegen weil, dass abgerechnete Grundhonorar im Korridors der BVSK-Honorarbefragung 2015 (HB III und HB IV) liegt. Bei einem Nettoschaden bis zu 1.250,00 € netto rechnen danach 90 % der BVSK-Mitglieder maximal 315,00 € bzw. 95 % der BVSK-Mitglieder maximal 320,00 € ab. Eine Orientierung an der BVSK-Honorarbefragung im Rahmen der Schadensschätzung durch das Gericht gemäß § 287 ZPO ist anerkannt und zulässig. Bei der Schadensschätzung können grundsätzlich Listen oder Tabellen Verwendung finden (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2008, Aktenzeichen VI ZR 164/07). Dabei kann das Gericht sich am üblichen Sachverständigenhonorar orientieren, wie es in der Honorarbefragung des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK) ermittelt wird.
Die Befragung wird bereits seit Jahrzehnten durchgeführt und bildet einen wichtigen Anhaltspunkt für die Angemessenheit von Sachverständigenhonoraren. Zudem bildet der BVSK den größten Zusammenschluss freiberuflicher qualifizierter Kfz-Sachverständiger in Deutschland. Es ist davon auszugehen, dass die im Rahmen der Befragung erlangten Ergebnisse nicht ohne Realitätsbezug sind. Deshalb sind diese geeignet um einen Anhaltspunkt für eine Schätzung im Sinne des § 287 ZPO zu bilden. Auch kann die BVSK-Tabelle 2015 zu Grunde gelegt werden (so Landgericht Coburg; AZ: 33 S 78/15).
Mithin ist das Grundhonorar nicht überhöht.
Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Nebenkosten gelten dieselben Grundsätze wie für das abgerechnete Grundhonorar. Die abgerechneten Nebenkosten sind teilweise erkennbar überhöht.
Hinsichtlich der Nebenkosten ist grundsätzlich auf die BVSK-Honorarbefragung 2015 abzustellen (Landgerichts Coburg, AZ: 32 S 71/15 und 32 S 79/15). Ausweislich der BVSK-Honorarbefragung 2015 sind für den 1. Fotosatz 2,- €, den 2. Fotosatz 0,50 €, für Fahrtkosten 0,70 €, für Schreibkosten 1,80 € je tatsächlich beschriebene Seite, für Kopien 0,50 € und für Porto/Telefon 15,- € jeweils netto zu berücksichtigen waren.
Mithin können Fahrtkosten nur mit 0,70 € in Ansatz gebracht werden. Porto- und Telefonpauschale ist angefallen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das Gutachten per Post versandt wird. Es handelt sich einen Pauschale. Davon ist z.B. auch Gebühren für das Internet erfasst.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze hält Gericht erforderliche Sachverständigenkosten in Höhe von gesamt 480,40 € brutto für angemessen, auf die die Beklagte außergerichtlich 407,00 € reguliert hat, so dass ein Betrag von 73,40 € verbleibt.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel