Verkehrsrecht

Kein Ersatz von Desinfektion, Probefahrt und Endreinigung bei fiktiver Abrechnung

Aktenzeichen  350 C 628/21

Datum:
18.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25658
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249

 

Leitsatz

1. Bei fiktiver Abrechnung sind Arbeitsschritte, die objektiv nicht erforderlich sind, nicht zu ersetzen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Schutzmaßnahmen hinsichtlich der COVID-19 Pandemie dienen überwiegend dem Schutz der Arbeitnehmer des Reparaturbetriebs, auch wenn sie bei Fahrzeugrückgabe auch dem Geschädigten zu Gute kommen. Kosten des Arbeitsschutzes unterfallen den Gemeinkosten und sind nicht als gesonderte Rechnungspositionen ersatzfähig. (redaktioneller Leitsatz)
3. Kosten der Probefahrt sind nicht zu erstatten, da diese Fahrt nicht der Reparatur dient, sondern der Kontrolle der Ordnungsgemäßheit der bisher ausgeführten Arbeiten. Diese Kontrolle dient dem Ausschluss von Gewährleistungsansprüchen des Werkbestellers und dient vornehmlich dem Interesse des Werkunternehmers. Daher gehören diese Kosten nicht zu den erforderlichen Herstellungskosten. (redaktioneller Leitsatz)
4. Kosten der Fahrzeugreinigung sind nicht zu ersetzen, wenn eine außergewöhnliche Verschmutzung entweder durch den Unfall selbst oder durch konkrete Reparaturvorgänge hervorgerufen wurde. Geht eine solche Verschmutzung aus dem Gutachten nicht hervor, sind Reinigungskosten nicht zu ersetzen. (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei fiktiver Abrechnung greift auch nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum „Werkstattrisiko“. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 165,00 € festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
A. Am 25.08.2020 gegen 7.35 Uhr hat der Beklagte mit seinem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen … auf der Südwesttangente, Höhe Burgfarrnbach, einen Verkehrsunfall verursacht und dabei den Pkw der Klägerin, Marke Mercedes Benz, amtliches Kennzeichen … am Fahrzeugheck erheblich beschädigt. Zum Unfallzeitpunkt fuhr die Klägerin mit ihrem Fahrzeug auf der Südwesttangente Richtung Nürnberg. Vor der Ausfahrt Burgfarrnbach / Klinikum Fürth wurde es aufgrund von Arbeiten am Mittelstreifen einspurig. Die Klägerin musste verkehrsbedingt abbremsen. Dies hat der Beklagte übersehen und ist mit seinem Fahrzeug auf den Pkw der Klägerin aufgefahren.
Bezüglich des Unfallschadens am Fahrzeug der Klägerin wurde ein Gutachten über die Firma Kfz-Sachverständiger GmbH eingeholt. Entsprechend dem Gutachten der Firma Kfz-Sachverständiger GmbH belaufen sich die Nettoreparaturkosten auf 5.933,82 €.
Diesbezüglich wird auf Anlage K1 Bezug genommen.
Der Pflichtversicherer des Beklagten hat eine Haftung entsprechend 100% Verschuldensquote anerkannt. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten zahlte auf die Nettoreparaturkosten lediglich 5.768,82 €. Bei der Regulierung wurden die geltend gemachten Reinigungskosten in Höhe von 60,00 €, die Kosten für die Durchführung einer Probefahrt in Höhe von 60,00 € und die geforderten Reparaturkosten für die Schutzmaßnahmen hinsichtlich der COVID-19 Pandemie inklusive Desinfektionsmittel in Höhe von 60,00 € abgezogen.
Der Beklagte meint, die nicht regulierten Kosten in Höhe von insgesamt 165,00 € seien nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB.
B. Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Fürth ergibt sich sachlich aus § 1 ZPO i. V. m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 2 GVG und örtlich aus § 20 StVG, da sich der Unfall in Fürth ereignete.
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Die Eintrittspflicht der Beklagten ergibt sich aus § 7 StVG. Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.
2. Der Höhe nach hat die Klägerin keinen Anspruch mehr, denn ihr stehen gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nur die erforderlichen Wiederherstellungskosten zu.
Rechnet ein Geschädigter – wie hier – auf fiktiver Basis ab, steht das Gutachten bzw. der Kostenvoranschlag in vollem Umfang zur Überprüfung. Arbeitsschritte daraus, die objektiv nicht erforderlich sind, kann der Geschädigte nicht ersetzt verlangen (vgl. AG Recklinghausen, Urt. v. 15. Jan. 2018, Az. 51 C 232/17, IBRRS 2018, 1575).
a. Die Kosten für die Schutzmaßnahmen hinsichtlich der COVID-19 Pandemie inklusive Desinfektionsmittel in Höhe von 45,00 € sind nicht i. S. d. § 249 Abs. 1 S. 2 BGB zur Wiederherstellung erforderlich.
Es wurde schon nicht näher dargelegt, welche konkreten Schutzmaßnahmen zu ergreifen gewesen wären. Jedenfalls dienen Desinfektionsmaßnahmen in Kfz-Werkstätten überwiegend dem Schutz der Arbeitnehmenden, auch wenn sie bei der Fahrzeugrückgabe ebenfalls dem Werkbesteller zu Gute kommen. Die pauschal als „Schutzmaßnahmen/Desinfektion Corona“ benannte Position enthielt keinen Zusatz „(Nach Reparatur)“, weshalb auch nicht davon auszugehen ist, dass es sich hierbei ausschließlich oder überwiegend um die auf Aufwendungen für die Desinfektion vor Fahrzeugrückgabe handeln sollte. Kosten des Arbeitsschutzes unterfallen jedoch den Gemeinkosten und sind daher nicht als gesonderte Rechnungsposition ersatzfähig (vgl. AG Hannover, Urt. v. 28. Apr. 2021, Az. 435 C 1339/21 -, juris; AG Pforzheim, Urt. v. 17. Nov. 2020, Az. 4 C 208/20 -, juris).
Selbst wenn die Kosten nicht als solche des Arbeitsschutzes zu qualifizieren wären und als eigene Position ausgewiesen werden könnten, würde es sich höchstens um Mehrbelastungen, die dem allgemeinen Lebensrisiko unterfallen und daher als Erschwerung der Leistungserbringung vom Werkunternehmer zu tragen sind, handeln (vgl. AG Pforzheim, Urt. v. 17. Nov. 2020, Az.: 4 C 208/20 -, juris; AG Hannover, Urt. v. 28. Apr. 2021, Az. 435 C 1339/21 -, juris). Wegen der pandemischen Lage fallen in nahezu allen Wirtschaftsbereichen höhere Kosten zur Verhütung von Ansteckungen an, ohne dass diese gesondert abgerechnet werden.
Vorliegend rechnet die Klägerin die Reparaturkosten fiktiv auf Gutachtenbasis ab, sodass sie sich auch nicht auf ein von der Beklagtenseite zu tragendes „Werkstattrisiko“ berufen kann. Daher kann offenbleiben, ob die Rechnungsposition nach tatsächlich erfolgter Reparatur erstattungsfähig wäre.
b. Die Kosten einer Probefahrt sind nicht gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erstattungsfähig.
Eine Probefahrt vor Rückgabe des Fahrzeugs dient nicht der Reparatur selbst, sondern der Kontrolle der Ordnungsgemäßheit der bisher durchgeführten Arbeiten, um Gewährleistungsansprüchen des Werkbestellers vorzubeugen. Diese Arbeiten unterfallen daher vornehmlich dem Interesse des Werkunternehmers und gehören daher regelmäßig nicht zu den vom Werkbesteller zu tragenden Kosten für die Reparatur. Daher gehören diese Kosten auch nicht zu den erforderlichen Wiederherstellungskosten i. S. v. § 249 Abs. 2 S. 1.
Allenfalls bei der Reparatur von sensiblen Bauteilen zwecks Prüfung der allgemeinen Verkehrssicherheit kann man zu einem anderen Ergebnis gelangen (vgl. AG Bremen, Urt. v. 25.09.2020 – 9 C 0008/20, BeckRS 2020, 24128). Dass vorliegend besonders sensible Bauteile wie z. B. Lenkung oder Bremsen zu reparieren gewesen wären, ist nicht vorgetragen.
c. Die Reinigungskosten in Höhe von 60,00 € gehören nicht zu den gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Wiederherstellungskosten.
Reparaturbedingte Verunreinigungen im gewöhnlichen Ausmaß gehören zu den allgemeinen Unannehmlichkeiten, die ein Unfallgeschädigter hinnehmen muss (vgl. AG Recklinghausen, Urt. v. 15. Jan. 2018, Az. 51 C 232/17, IBRRS 2018, 1575). Die Kosten können demnach nur dann ersatzfähig sein, wenn eine außergewöhnliche Verschmutzung entweder durch den Unfall selbst oder durch die konkreten Reparaturvorgänge hervorgerufen wurde.
Das klägerseits vorgelegte Gutachten (Anlage K1), auf dessen Basis abgerechnet wurde, erfasst die Reinigungskosten im Anschluss an die Position „Probefahrt (nach Reparatur)“ schlicht als „Endreinigung durchführen (nach Reparatur)“. Eine starke unmittelbar unfallbedingte Verschmutzung des Fahrzeuges oder eine wegen der konkreten Art Reparatur entstehende besondere Verunreinigung, die wieder beseitigt werden müsste, ist nicht vorgetragen.
3. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf die Nebenforderungen.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.


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