Verkehrsrecht

Keine Gutachtensanordnung bei Unsicherheit der Frage des “Fahrens”

Aktenzeichen  11 CS 18.2277

Datum:
21.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2254
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 152 Abs. 1
FeV § 3 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c

 

Leitsatz

Zur Klärung von Eignungszweifeln ist bei Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr führt. Darunter fällt auch die erstmalige Fahrt mit einem Fahrrad (vorliegend verneint). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 18.1185 2018-09-28 Ent VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Unter Änderung der Nummer I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. September 2018 wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nummer 1 des Bescheids des Landratsamts Main-Spessart vom 9. August 2018 wiederhergestellt.
II. Unter Änderung der Nummer II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg trägt der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die minderjährige Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der
Untersagung des Führens erlaubnisfreier Fahrzeuge.
Durch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Main-Spessart bekannt, dass die Antragstellerin am 6. September 2017 zwischen 22:00 und 22:30 Uhr nach dem Konsum von Wodka vom Fahrrad gefallen war. Die Antragstellerin wurde in sichtlich alkoholisiertem Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert. Eine um 00:13 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,61 ‰ auf. Nach Darstellung der gegen 23:00 Uhr am Einsatzort eingetroffenen Polizei hätten Zeugeneinvernahmen ergeben, dass die Antragstellerin ein Stück auf ihrem Fahrrad auf der öffentlichen Straße im Wohngebiet gefahren sei. Als zwei Freunde sie vom Fahren hätten abhalten wollen und an ihr gezerrt hätten, sei sie vom Rad gefallen. Die Freunde hätten sie aufgefangen, wegen ihres Zustands ihre Mutter verständigt und das Fahrrad in ein angrenzendes Feld gelegt, damit es nicht auf der Straße herumliege. Die Staatsanwaltschaft Würzburg stellte das Ermittlungsverfahren gemäß § 45 JGG gegen Weisung, acht Stunden gemeinnützige Arbeit zu verrichten, ein.
Mit Schreiben vom 18. April 2018 gab das Landratsamt der Antragstellerin wegen des bekannt gewordenen Sachverhalts gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu der Frage beizubringen, ob sie die Gewähr dafür biete, künftig den Konsum von Alkohol und die Teilnahme am Straßenverkehr ausreichend sicher zu trennen.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 9. Mai 2018 bestritt die Antragstellerin, dass sie am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe. Mit Schreiben vom 1. Juni 2018 und 8. August 2018 wurde ausgeführt, sie habe ihr Fahrzeug nur ein ganz kurzes Stück auf der Wiese bzw. auf dem Grünstreifen abseits der Straßenfahrbahn bewegt. Nach ihrer Erinnerung habe sie nur einmal in die Pedale getreten und das Fahrrad kaum mehr als fünf Meter fortbewegt. Die Aussage in der polizeilichen Sachverhaltsdarstellung, sie sei auf einer öffentlichen Straße gefahren, sei durch die beiden Zeugenaussagen nicht gedeckt. Es handle sich um eine Spekulation bzw. Unterstellung. Das Ermittlungsverfahren sei eingestellt worden. Außerdem werde bestritten, dass die Antragstellerin bei der Fahrt mit dem Rad eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ gehabt habe. Der erst um 00:13 Uhr ermittelte Wert von 1,61 ‰ lasse einen solchen Rückschluss nicht ohne weitere Erkenntnisse zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei davon auszugehen, dass sich die Alkoholkurve des Betroffenen in den ersten beiden Stunden nach Trinkende noch in zunehmendem Anstieg befinde (Resorptionsphase). Zugunsten der Antragstellerin sei davon auszugehen, dass der Blutalkoholgehalt zwei Stunden vorher bei der streitgegenständlichen Fahrradfahrt deutlich geringer gewesen sei. Die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Antragstellerin werde daher der Aufforderung nicht nachkommen.
Nach Anhörung untersagte das Landratsamt der Antragstellerin unter Anordnung des Sofortvollzugs mit Bescheid vom 9. August 2018, Fahrräder oder Mofas im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FeV im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Am 10. September 2018 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Würzburg Anfechtungsklage erheben und beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Mit Beschluss vom 28. September 2018 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab und führte zur Begründung unter anderem aus, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Gutachtensanordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV hätten vorgelegen. Es sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ geführt habe. Aus den Zeugenaussagen und der Vernehmung der Antragstellerin ergebe sich, dass sie zumindest einige Meter gefahren sei. Wie oft sie in die Pedale getreten habe, spiele keine Rolle. Dass sie auf einer öffentlichen Straße gefahren sei, ergebe sich aus dem Polizeibericht. Polizeimeister W. sei unmittelbar nach dem Tatzeitpunkt am Tatort gewesen, so dass davon auszugehen sei, dass die vor Ort gewonnenen Erkenntnisse und Eindrücke zu der Schlussfolgerung geführt hätten. In dem Bericht sei sogar präzisierend ausgeführt, dass die Antragstellerin in einem Wohngebiet gefahren sei. Zudem sei kein Grund dafür ersichtlich, dass die Polizei dies unterstelle. Die Antragstellerin habe selbst nie angegeben, nur auf einer Wiese gefahren zu sein, sondern vielmehr, dass eine Person zu ihr gesagt habe, die Jungs hätten ihr Fahrrad in das Feld gelegt, damit es nicht auf der Straße herumliege. Hierfür hätte es keinen Grund gegeben, wenn sie nur auf der Wiese gefahren wäre. Auch aus den Zeugenaussagen ergebe sich nicht, dass sie auf einer Wiese gefahren sei. Die vom Zeugen R. angegebene Strecke deute eher darauf hin, dass sie auf einer öffentlichen Straße gefahren sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine Person zur Nachtzeit und erheblich alkoholisiert auf einer dunklen Wiese gefahren sein solle. Plausibler sei, dass sie auf einer befestigten Straße den Weg nach Hause habe antreten wollen. Ihr Vorbringen sei als Schutzbehauptung zu werten. So werde nicht vorgebracht, warum sie nur auf einer Wiese bzw. einem Grünstreifen gefahren sein solle und wo sich diese Wiese befinden solle. Weiter sei davon auszugehen, dass sie bei der Fahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ gehabt habe. Zum konkreten Trinkverhalten sei nichts vorgetragen worden. Es sei nicht ersichtlich, dass der Konsum unmittelbar vor Antritt der Fahrt stattgefunden habe. Bei einem gleichmäßigen Konsum ab dem Zeitpunkt des Zusammentreffens sei eher davon auszugehen, dass sie bis zur Blutentnahme noch Alkohol abgebaut habe. Außerdem reiche es nach der Rechtsprechung aus, wenn die entsprechende Alkoholmenge bei der Fahrt schon im Körper gewesen sei. Auch die Staatsanwaltschaft sei von einer Strafbarkeit der Antragstellerin ausgegangen. Die Einstellung eines strafrechtlichen Verfahrens gemäß § 45 Abs. 2 JGG setze einen hinreichenden Tatverdacht voraus. Auch die übrigen Voraussetzungen einer Gutachtensanordnung seien gegeben, so dass der Schluss gemäß § 11 Abs. 8 FeV gerechtfertigt sei.
Mit ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft einfach unterstellt, dass sie – was ausdrücklich bestritten werde – eine „ungeeignete“ Fahrzeugführerin sei. Die Gutachtensaufforderung sei rechtswidrig gewesen, weil die Antragstellerin nicht in alkoholisiertem Zustand am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht beachtet worden sei. Das Verwaltungsgericht habe die Rechtmäßigkeit der Anordnung unterstellt. Bei der Schlussfolgerung auf die fehlende Fahreignung handle es sich um einen Zirkelschluss. Der Entscheidung fehle der Bezug zum konkreten Einzelfall. So sei die Antragstellerin zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls erst 14 Jahre alt gewesen und habe noch nie ein Kraftfahrzeug geführt. Dennoch sei von der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen die Rede. Auch habe sich das Verwaltungsgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass die Antragstellerin zwischen diesem Zeitpunkt und dem Erlass des Untersagungsbescheids bereits wieder elf Monate völlig unauffällig und beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen habe. Soweit es davon ausgehe, dass die Antragstellerin ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ geführt habe, sei dies von der Aktenlage, insbesondere der polizeilichen Ermittlungsakte, nicht gedeckt. Sie sei definitiv mit ihrem Fahrrad nicht auf einer öffentlichen Straße gefahren. Der vor Ort anwesende, aber polizeilich nicht einvernommene Zeuge … … habe gesagt, die Antragstellerin sei lediglich auf Wiesengrund gefahren. Nach ihrem Sturz sei ein Junge mit dem Fahrrad durch die Gegend gefahren und habe es auf der Straße abgelegt. Andere Jungen hätten es dann in ein angrenzendes Feld gelegt. Die beiden vernommenen Zeugen und die Antragstellerin selbst hätten nicht davon gesprochen, dass sie auf einer öffentlichen Straße gefahren sei. Mit seiner dahingehenden Mutmaßung setze sich der sachbearbeitende Polizeibeamte über den Akteninhalt hinweg. Sie sei nicht durch irgendeine objektive Wahrnehmung gedeckt. Der gesamte streitgegenständliche Vorfall habe sich auf einem Bolzplatz außerhalb eines Wohngebiets abgespielt. Es sei daher ausgeschlossen, dass die Antragstellerin auf ihrer unstreitig ganz kurzen Fahrt (höchstens 10 m) durch ein Wohngebiet gefahren sei. Aus der Zeugenaussage des … … ergebe sich, dass das Fahrrad noch in der Wiese gelegen habe, als die Antragstellerin vom Rad gekippt sei. Außerdem habe sie gegen 22:15 Uhr, als sie nach Hause habe fahren wollen, noch keine Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ gehabt. Entgegen der Auffassung des Gerichts ergäben sich aus der Antragsschrift sehr wohl stichhaltige Gründe, die gegen diese Annahme sprächen. Es sei auf die zweistündige Resorptionsphase und die Aussage der Antragstellerin hingewiesen worden, wonach sie zuvor noch nie Alkohol getrunken und dies an dem Abend des Vorfalls zunächst auch abgelehnt habe. Erst nach 21:00 Uhr habe sie von dem ihr aufgedrängten Wodka-Saftgemisch getrunken. Es könne daher ausgeschlossen werden, dass sie bis zur Blutentnahme bereits Alkohol abgebaut habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie sich gegen 22:15 Uhr deutlich unterhalb der gesetzlichen Promillegrenze befunden habe.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Es fehle an hinreichend substantiierten und plausiblen Angaben zum Sachverhalt, die geeignet wären, die aktenkundigen Zeugenaussagen und die Angaben im Polizeibericht zu widerlegen. Die Angaben zum Trinkverhalten der Antragstellerin seien nicht glaubhaft. Die Behauptung, die angeblich – was im Hinblick auf den erreichten Alkoholwert schon für sich genommen nicht plausibel sei – bis zu diesem Tag vollkommen alkoholabstinente Antragstellerin habe lediglich im kurzen Zeitraum zwischen 21:00 und 22:15 Uhr eine solche Menge Alkohol konsumiert, dass die Blutprobe um 00:13 Uhr 1,61 ‰ aufgewiesen habe, sei schlechthin nicht nachvollziehbar.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2018 legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen … … vor.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, ist zulässig und begründet.
Die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Untersagungsbescheid vom 9. August 2018 erscheinen nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage offen und eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nach Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten gerechtfertigt.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Januar 2018 (BGBl I S. 2), hat die Fahrerlaubnisbehörde – ohne dass ihr insoweit ein Ermessen zukommt – das Führen von Fahrzeugen oder Tieren zu untersagen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet dafür erweist. Gemäß der Verordnungsbegründung zu § 3 FeV (BR-Drs. 443/98, S. 237) gilt diese Vorschrift auch für Personen, die kein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug führen, sondern in anderer Weise am Straßenverkehr teilnehmen, z.B. für Fahrrad- und Mofafahrer und Lenker von Fuhrwerken (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 11 B 16.1619 – juris Rn. 14; Hahn/Kalus in MünchKomm Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, Bd. 1 § 3 FeV Rn. 1; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 3 FeV Rn. 10; Ternig in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 3 FeV Rn. 1).
Nach § 3 Abs. 2 FeV finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Dabei sollten mit der Anordnung der entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften nicht die Voraussetzungen, unter denen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, relativiert werden, sondern der Regelungsgehalt dieser Vorschriften auf Fälle des Führens erlaubnisfreier Fahrzeuge nur insoweit erstreckt werden, als sie ihrem Wortlaut nach anwendbar sind, d.h. – was einen Fahrradfahrer anbetrifft – also nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs voraussetzen (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 = juris Rn. 6).
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr führt. Darunter fällt auch die erstmalige Fahrt mit einem Fahrrad (BVerwG, B.v. 20.6.2013 a.a.O. Rn. 5). Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Da eine festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs begründet, muss die Fahrerlaubnisbehörde den Eignungszweifeln nachgehen, unabhängig davon, welches Fahrzeug geführt worden ist. Insoweit finden die Grundrechte des Betroffenen ihre Grenzen in den Rechten Dritter, insbesondere in dem Recht der übrigen Verkehrsteilnehmer auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die zu schützen der Staat aufgerufen ist (BVerwG, B.v. 20.6.2013 a.a.O. Rn. 7). Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.).
Nach Aktenlage ist ungeklärt, ob die Antragstellerin ihr Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat. Zwar ging der sachbearbeitende Polizeibeamte der Polizeiinspektion Marktheidenfeld in seiner Sachverhaltsdarstellung vom 1. November 2017 und offenbar diesem folgend die Staatsanwaltschaft Würzburg aufgrund der Zeugenaussage des … … davon aus, dass die Antragstellerin einige Meter auf einer öffentlichen Straße gefahren ist, bevor sie gestürzt ist. Dies ist nach den bei Google Maps einsehbaren Gegebenheiten vor Ort auch durchaus möglich, weil sich in der Nähe des auf oder an einem relativ großen Haus- und Wiesengrundstück gelegenen Bolzplatzes öffentliche Straßen befinden, ergibt sich jedoch nicht aus der auf Blatt 10 der Behördenakte aufgezeichneten Zeugenaussage vom 6. September 2017. Danach ist die Antragstellerin an einer nicht näher bezeichneten Stelle „losgefahren“ und „ein Stück weiter … dann vom Fahrrad in die Wiese gekippt“. Die eigene Aussage der Antragstellerin vom 6. Oktober 2017 und die weitere Zeugenaussage vom 18. Oktober 2017 (Blatt 19 der Behördenakte) enthalten keinerlei konkrete Angaben zu dem Ort, an dem sie auf das Fahrrad gestiegen ist, und dessen Beschaffenheit. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Zeugen oder die Antragstellerin hierzu konkret befragt worden sind. Die von der Tatörtlichkeit gefertigten Lichtbilder befinden sich nicht in der Behördenakte. Somit ist derzeit ungeklärt, wie der etwa 30 bis 45 Minuten nach der Fahrt am Einsatzort eingetroffene Polizeibeamte zu seiner Feststellung gelangt ist. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass es sich hierbei um eine Schlussfolgerung aus der Aussage der Antragstellerin, „irgendwer“ habe auch gemeint, dass „die Jungs mein Fahrrad in das Feld gelegt haben, dass es nicht auf der Straße rumliegt“ oder aus dem Fundort des Fahrrads handelt. In Anbetracht der Angaben des Zeugen … … zur Fahrtstrecke und dem Geschehen nach dem Sturz der Antragstellerin vom Fahrrad wird im Klageverfahren zu prüfen sein, ob die polizeiliche Feststellung einer Fahrt auf öffentlichem Straßengrund, der der hierfür beweispflichtige Antragsgegner gefolgt ist, zutrifft.
Dahinstehen kann daher, ob die Antragstellerin bereits während ihrer Fahrt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 ‰ hatte oder ob aufgrund der bis zur Blutabnahme anhaltenden Resorptionsphase von einem niedrigeren Wert auszugehen ist. Den vorliegenden Zeugenaussagen sind keine konkreten Informationen zu Trinkbeginn und -ende sowie dem Trinkverlauf zu entnehmen. Der Zeuge … … hat der Polizei mitgeteilt, die Antragstellerin habe sich „im Laufe des Abends“ betrunken. Der Zeuge … … hat diesbezüglich keine konkreten Angaben gemacht. Es mag einiges dafür sprechen, dass trotz der anfänglichen Weigerung der Antragstellerin mitzutrinken zwischen dem Trinkende und der Blutabnahme erheblich mehr als zwei Stunden vergangen sind, nachdem sie angegeben hat, ihr Treffen mit den Freunden habe zwischen 18:30 und 19:00 Uhr und ihre Fahrt kurz nach 22:00 Uhr begonnen. Ebenso offen bleiben kann, ob der Auslegung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV durch das Verwaltungsgericht zu folgen ist, wonach es ungeachtet der tatsächlichen Blutalkoholkonzentration während der Fahrt auf die im Körper befindliche Alkoholmenge ankomme, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führe. Das Verwaltungsgericht hat sich insoweit der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt (B.v. 9.10.2009 – 3 M 324/09 – Blutalkohol 47, 46 = juris Rn. 11) angeschlossen, dass § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV entsprechend § 24a StVG und § 316 StGB auszulegen ist, ohne sich mit der entgegengesetzten Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl. U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VwVBl 2013, 19 = juris Rn. 42; ebenso Dauer, a.a.O. § 13 FeV Rn. 23 und VG München, U.v. 27.9.2011 – M 1 K 11.2974 – juris Rn. 16) auseinanderzusetzen, der dies unter Verweis auf den unterschiedlichen Wortlaut der Vorschriften abgelehnt hat. Auch wurde nicht dargelegt, inwiefern eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke gegeben ist.
Eine Abwägung der privaten Belange der Antragstellerin, die mit Ausnahme des Vorfalls am 6. September 2017 nie im Zusammenhang mit Alkoholkonsum oder davor oder danach bei der Teilnahme am Straßenverkehr auffällig geworden ist, mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit lässt eine Teilnahme der Antragstellerin mit einem erlaubnisfreien Fahrzeug am Straßenverkehr vertretbar erscheinen.
Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.14 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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