Aktenzeichen 5 O 2804/16
StVG § 7
VVG § 115
Leitsatz
1. Kann der Unfallgeschädigte nicht nachweisen, dass eine bei ihm festgestellte Lendenwirbelsäulenproblematik unfallbedingt ist (hier: nach dem eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachten ausnahmslos anlagebedingte Veränderungen), kommt eine Erstattung von Heilbehandlungskosten nicht in Betracht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Erleidet ein Rennrad mit Carbonrahmen bei einem Verkehrsunfall einen wirtschaftlichen Totalschaden, darf der Geschädigte trotzdem die Kosten für eine erheblich teurere Reparatur als Schaden geltend machen, da ihm der Erwerb eines gebrauchten Rennrades mit Carbonrahmen nicht zumutbar ist (anders nachfolgend OLG München BeckRS 2018, 30653). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 24.08.2016 zu zahlen.
II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.332,85 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.03.2016 zu zahlen.
III. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 24.08.2016 zu bezahlen.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
V. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 75 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch 25 %.
VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Gründe
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
Der Kläger hat den Nachweis dafür, dass er über Schürfwunden am Fuß/Bein und eine Prellung des Knies hinaus bei dem streitgegenständlichen Unfall verletzt wurde, nicht führen können. Mangels Nachweis einer unfallbedingten Verletzung über die Schürfwunden bzw. Knieprellung hinaus, kommt eine Erstattung von Heilbehandlungskosten nicht in Betracht. Nachdem auch keine Verletzungen gegeben sind, die zukünftige materielle oder immaterielle Beeinträchtigungen erwarten lassen, war dem Feststellungsantrag nicht stattzugeben.
Der Kläger kann Ersatz der Reparaturkosten des bei dem Unfall beschädigten Fahrrades unter Berücksichtigung des bereits seitens der Beklagten bezahlten Betrages von 1.500,00 € auf den Fahrradschaden verlangen.
I.
Der Kläger ist beweispflichtig für die von ihm geltend gemachten unfallbedingten Verletzungen. Diesbezüglich hat er im Termin vom 22.12.2016 ausgeführt, dass er bei dem Fahrradsturz verletzt worden sei dergestalt, dass er Schmerzen erlitten habe sowie Schürfwunden am rechten Schienbein und am rechten Knie eine Schwellung erlitten habe.
1. Das Gericht geht davon aus, dass diese Angaben zutreffend sind. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger angesichts des Unfallgeschehens, das für das Gericht plausibel und nachvollziehbar seitens des Klägers geschildert wurde, nicht wie von ihm beschrieben verletzt wurde.
Soweit die Beklagtenpartei unfallbedingte Verletzungen bestritten hat, ist das Gericht aufgrund der informatorischen Angaben des Klägers davon überzeugt, dass der Kläger Schürfwunden sowie eine Schwellung des rechten Knies erlitten hat und die hiermit verbundenen Schmerzen bestanden.
2. Soweit der Kläger weitere unfallbedingte Verletzungen geltend macht, ist ein Nachweis der Unfallkausalität nicht gelungen.
Die Sachverständigen Dr. …/Dr. … kommen in ihrem Gutachten vom 08.02.2018 für das Gericht nachvollziehbar und plausibel zu dem Ergebnis, dass der Unfall beim Kläger zu keinen nachweisbar auf das Unfallgeschehen zurückzuführenden Verletzungen im Lendenwirbelsäulenbereich geführt hat.
Die Sachverständigen, die dem Gericht aus einer Vielzahl von gerichtlichen Sachverständigengutachten als kompetent und fundiert bekannt sind, stellen vielmehr fest, dass degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule und anlagebedingte Veränderungen am Spinalkanal vorliegen, die nicht auf den Unfall zurückzuführen seien. Auch der klinische Verlauf des Klägers nach dem Unfall sei mit einer wissenschaftlich begründeten Diagnosestellung einer schweren strukturellen Läsion nicht zu vereinbaren. Vielmehr handle es sich um ausnahmslos anlagebedingte Veränderungen.
Das Gericht legt die Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 08.02.2018 bei seiner Entscheidung vollumfänglich zugrunde.
Der Nachweis, dass über die unfallbedingt erlittenen Verletzungen in Form der Schürfwunden und der Schwellung des rechten Knies weitere Verletzungen des Klägers durch den Unfall verursacht wurde, ist damit nicht gelungen.
3. Bei der Bemessung des klägerseits wegen der Verletzungen begehrten Schmerzensgeldes geht das Gericht in der Gesamtschau davon aus, dass – insbesondere auch in Bezug auf vergleichbare Fälle – hier ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € erforderlich aber auch ausreichend ist, um die Schmerzen des Klägers zu kompensieren.
Ein höheres Schmerzensgeld kommt mangels weiterer dauerhafter Schmerzen aufgrund der Schürfwunden oder der Knieschwellung nicht in Betracht.
II.
Nachdem ein Nachweis weiterer unfallbedingter materieller oder immaterieller Schäden nicht gelungen ist, kommt auch der Ersatz von Heilbehandlungskosten für solche körperlichen Beeinträchtigungen, die der Kläger aufgrund des Unfalls geltend macht, nicht in Betracht. Des Weiteren besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass aufgrund der lediglich erwiesenen Schürfwunden und Knieschwellung materielle oder immaterielle Zukunftsschäden des Klägers zu befürchten sind, für die ein entsprechendes Feststellungsinteresse bestehen würde.
Die Klage war daher im Übrigen abzuweisen.
III.
Der Kläger kann Ersatz der Reparaturkosten für sein Fahrrad verlangen.
1. Soweit Reparaturkosten aufgrund des Kostenvoranschlags vom 18.09.2015 (Anlage K 1) in Höhe von 3.832,85 € seitens des Klägers vorgetragen werden, sind diese durch die Beklagte der Höhe nach nicht bestritten worden.
2. Die Beklagte hat vielmehr vorgetragen, dass eine Erstattung von Reparaturkosten nicht in Betracht käme, da es sich vorliegend um einen Totalschaden des Fahrrades handeln würde. Der Kläger könne daher nur auf Totalschadenbasis abrechnen, d.h. die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert verlangen. Hierzu verweist die Beklagte auf das Kurzgutachten Schaffner vom 20.01.2016 (Anlage B 2).
Das Gericht geht im vorliegenden Fall davon aus, dass ein Verweis des Klägers auf eine Abrechnung auf Totalschadenbasis nicht in Betracht kommt.
Der Kläger kann Erstattung der Reparaturkosten verlangen, da ihm nicht zuzumuten ist, ein gebrauchtes Rennrad mit Carbonrahmen, bei dem der Kläger keine ausreichende Kenntnis über eventuelle Vorschädigungen des Carbonrahmens haben wird, als Ersatz zu akzeptieren. Bei Carbonrahmen sind Beschädigungen, anders als bei sonstigen Rahmenwerkstoffen, nicht ohne weiteres erkennbar. Eventuelle Haarrisse, die beispielsweise aufgrund Umfallens des Fahrrades oder eines (auch nur leichten, aber für den Rahmen ungünstigen) Sturzes entstehen können, sind ohne weitere Diagnostik des Rahmens nicht sichtbar. Sie sind jedoch äußerst gefährlich, da sie bei Belastung zu einem plötzlichen Brechen des Rahmens führen können, das nicht vorhersehbar ist.
Der Kläger müsste daher bei Verweis auf eine Abrechnung auf Totalschadenbasis ein gebrauchtes Fahrrad kaufen, bei dem für ihn nicht erkennbar ist, ob es Vorschäden hat.
Dies ist zur Überzeugung des Gerichts nicht zumutbar.
Selbst wenn man den Kläger darauf verweist, dass er überprüfen lassen kann, ob der Rahmen unbeschädigt ist (was letztlich nur durch aufwendige und teure Diagnostik, wohl eine Computertomographie des Rahmens, möglich wäre), übersteigt dies zur Überzeugung des Gerichts das dem Kläger im Rahmen der Schadensregulierung Zumutbare.
Ausgangspunkt ist nämlich, dass der Kläger als Geschädigter so zu stellen ist, wie er ohne den Unfall stünde. Ohne den Unfall hätte der Kläger ein Rennrad mit Carbonrahmen, das er neu gekauft hat und dessen Zustand er genau kennt.
Dieser Zustand ist für ihn wiederherzustellen. Dies ist zur Überzeugung des Gerichts nur durch Ersatz des Rahmens mittels eines neuen Bauteils (Frameset) möglich.
3. Daneben ist zu berücksichtigen, dass ein nennenswerter Gebrauchtmarkt für Fahrräder, die dem des Klägers vergleichbar sind, nicht existiert. Insbesondere sind Rennräder in der vorliegenden Preisklasse individuell für den jeweiligen Fahrer ausgesucht und in Bezug auf die Rahmenspezifikationen, d.h. die Rahmengröße, Rahmengeometrie, d.h. die Längen der Rahmenbauteile (Oberrohr, Unterrohr, Vorbau, Sattelstütze etc.) auf die jeweiligen Proportionen des Fahrers abgestimmt. Es wäre deswegen eher Zufall, wenn ein gebrauchtes Fahrrad mit vergleichbaren Spezifikationen, gleicher Geometrie und vergleichbarem Alter in für den Kläger zumutbarer Nähe auf dem Markt zur Verfügung stehen würde.
Der Kläger kann daher aufgrund der zu erwartenden langen Nutzungsdauer eines Rennrades in der streitgegenständlichen Preisklasse, dem Umstand, dass ein Gebrauchtmarkt, der beispielsweise einem Kfz-Gebrauchtmarkt entsprechen würde, für solche Fahrräder nicht existiert und dem ideellen Interesse, das der Kläger an dem Fahrrad berechtigterweise hat, insbesondere aufgrund der Kenntnis darüber, ob (bzw. dass nicht!) mit dem Carbonrahmen eventuelle Unfälle geschehen sind, vorliegend Reparatur anstatt Abrechnung auf Totalschadenbasis verlangen.
Die der Höhe nach bestrittenen Reparaturkosten sind mit insgesamt 3.832,85 € brutto zugrunde zu legen, wovon die bereits auf den Fahrradschaden gezahlten 1.500,00 € in Abzug zu bringen sind. Der Kläger kann daher Ersatz von noch 2.332,85 € für den Fahrradschaden verlangen.
IV.
Aus dem Gegenstandswert von 2.832,85 € kann der Kläger Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen. Diese sind im Umfang von 1,3 Gebühren zuzüglich Pauschale und Mehrwertsteuer, insgesamt 334,75 € zu erstatten.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.