Verkehrsrecht

Verkehrsunfall, Schadensersatz, Reparaturkosten, Fahrzeug, Schadensbeseitigung, Abtretung, Unfall, Vertragsschluss, Gutachten, Anspruch, Unkostenpauschale, Wirtschaftlichkeitsgebot, Zahlung, Grundhonorar, Sinn und Zweck, Zulassung der Berufung, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  12 C 259/22

Datum:
28.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15046
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 178,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.01.2022 Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückgriffsansprüche wegen angeblicher Überzahlung gegen das … anlässlich der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs, amtliches Kennzeichnen …, aufgrund es Unfallschadens vom 25.11.2021, Rechnungsnummer … soweit sie nicht die originären Nacherfüllungsansprüche des Klägers aus dem Werkvertrag betreffen sowie weitere 128,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.01.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, auf das Konto des Klägers … unter Angabe der Vertragsnummer … eine weitere Wertminderung von 175,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 18.01.2022 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 504,74 € festgesetzt.

Gründe

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 178,50 €.
Die Reparaturkosten sind in dieser Höhe erstattungsfähig. Hierbei handelte es sich um den erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt.
Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers (AG Norderstedt, Urteil vom 14.9.2012 – 44 C 164/12; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014 – 9 S 314/13). Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014 – 37 C 11789/11). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendung sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind hier die Kosten der Verbringung sowie der Coronaschutzmaßnahmen ersatzfähig.
Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat der Kläger die Reparaturkosten insoweit für erforderlich halten dürfen. Damit sind insbesondere auch die Kosten zu erstatten, die die Beklagte als solche bestreitet (OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Die Reparatur und die Abrechnung sind der Einflusssphäre des Geschädigten entzogen. Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Von daher war auch kein Beweis zu erheben, da das Werkstattrisiko eben auch Arbeiten umfassen würde, die nicht ausgeführt wurden (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94).
Im hier konkret vorliegenden Fall hat dies auch in Bezug auf die geltend gemachten Kosten der Nutzung der Hebebühne zu gelten. Diese sind grundsätzlich Kosten der Schadensfeststellung und nicht der Reparaturkosten. Die als Anlage K11 vorgelegte angebliche Beauftragung durch den Geschädigten überzeugt zunächst nicht. Als Besonderheit des hier vorliegenden Falles hat der Sachverständige die Position „Gutachterhilfestellung“ aber (fälschlich) in sein Gutachten mit aufgenommen, auf dessen Basis der Reparaturauftrag erfolgte. Einem Geschädigten als Laien muss die Differenzierung zwischen Kosten der Schadensfeststellung und Schadensbehebung nicht einleuchten bzw. ergibt sich für den Laien kein Anlass den Sachverständigen diesbezüglich zu hinterfragen. Ein Auswahlverschulden ist dem Geschädigten wie gesagt nicht anzulasten. Nach den Grundsätzen des Werkstatt- und Prognoserisikos sind daher im konkreten Fall auch die Kosten der Nutzung der Hebebühne ohne weiteren Nachweis einer entsprechenden Beauftragung im Verhältnis zum Geschädigten zu erstatten. Der Schädiger hat sich hinsichtlich dieses vom Sachverständigen bewusst oder unbewusst vorgenommenen Fehlers an diesen oder an die Werkstatt zu halten.
Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Rechnung von dem Kläger bereits ausgeglichen worden ist oder nicht (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17; AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).
Für den Fall der noch nicht erfolgten Zahlung stand dem Kläger zwar ein Befreiungsanspruch gemäß §§ 249, 257 BGB zu. Dieser Befreiungsanspruch ist gemäß § 250 Satz 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen (AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).
Danach hat der Geschädigte die Möglichkeit, zu einem Anspruch auf Geldersatz zu gelangen, wenn er dem Ersatzpflichtigen erfolglos eine Frist zur Herstellung, d.h. zur Haftungsfreistellung mit Ablehnungsandrohung setzt. Dem steht es nach Rechtsprechung des BGH gleich, wenn der Schuldner die geforderte Herstellung oder überhaupt jeden Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert. Dann wandelt sich der Freistellungs – in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH, NJW 2004, 1868 ff.). Die Beklagte hat bereits außergerichtlich jegliche Zahlung auf weitere Reparaturkosten ernsthaft und endgültig abgelehnt, so dass es einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung seitens des Klägers zur Umwandlung in einen Geldanspruch nicht bedurfte. Der Kläger kann somit unmittelbar Zahlung verlangen.
Die Beklagte kann jedoch verlangen, dass ihr Zug um Zug etwaige Erstattungsansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag abgetreten werden.
Eine solche Abtretung schmälert die Rechtsposition des Klägers als Geschädigten nicht und ist nicht davon abhängig, dass etwaige Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt tatsächlich bestehen. Vielmehr genügt es, dass es möglich erscheint, dass solche Ansprüche vorhanden sind. Die Berechtigung eines solchen Anspruchs ist vielmehr dann im Verhältnis zwischen dem Schädiger, hier der Beklagten, und der Reparaturwerkstatt zu klären (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17). Voraussetzung des § 255 BGB analog ist nämlich nur, dass der abzutretende Anspruch als möglich erscheint. Dies ist der Fall.
2. Hinsichtlich der Unkostenpauschale steht dem Kläger ein weiterer Anspruch in Höhe von 6,00 € zu. Das Gericht erachtet eine Pauschale für unfallbedingte Wege und Aufwendungen von insgesamt 26,00 € für angemessen.
3. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten noch ein Anspruch auf Zahlung restlicher Sachverständigenkosten in Höhe von 122,60 € zu.
Zu den ersatzfähigen Kosten der Wiederherstellung im Sinne von § 249 BGB gehören grundsätzlich auch die Kosten für ein Schadensgutachten, sofern das Gutachten zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs – wie hier unstreitig – erforderlich und zweckmäßig ist.
Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Er kann jedoch vom Schädiger nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschadigten zur Behebung des Schadens zweckmaßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Der Geschädigte ist allerdings grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Es ist auf die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen. Der Geschädigte ist daher zwar nicht zur Marktforschung, aber unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots zu einer Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise verpflichtet (BGH, Urteil vom 29.10.2019, VI ZR 104/19). Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (vgl. BGH, NJW 2014, 3151 ff.).
Der tatsächliche Aufwand gibt ex post gesehen einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages, da sich in ihm regelmäßig die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten niederschlagen (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019, VI ZR 315/18, Urteil vom 01.06.2017, VII ZR 95/16). Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte deshalb regelmäßig durch die Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragten Sachverständigen, soweit diese von ihm beglichen wurde (u.a. BGH Urteil vom 17.12.2019, VI ZR 315/18, Urteil vom 28.02.2017, VI ZR 76/16). Die Zahlung einer Rechnung ist typischerweise das wesentliche Indiz für die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten und dafür, dass er die Kosten für erforderlich und angemessen hielt. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Demnach ist die Angemessenheit der Honorarvereinbarung bzw. des abgerechneten Preises vom Gericht zu prüfen.
Bei der Frage, wann von erkennbar überhöhten Preisen auszugehen ist, ist keine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, sondern auf die vom Sachverständigen veranschlagten jeweiligen Einzelpositionen (Grundhonorar und Nebenkosten) abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2017, VI ZR 61/17).
Im vorliegenden Fall wurde keine konkrete Honorarvereinbarung getroffen, weshalb sich die übliche und angemessene Vergütung nach dem erforderlichen Aufwand bestimmt. Das abgerechnete Grundhonorar von 1.200 € ist erstattungsfähig und nicht erkennbar überhöht.
Maßstab für die Höhe des ersatzfähigen Schadens ist allein der nach § 249 Abs. 2 BGB erforderliche Geldbetrag. Die Berechnung des Sachverständigenhonorars in Form eines Grundhonorars abhängig von der Schadenshöhe ist allgemein anerkannt.
Das Gericht orientiert sich bei der Überprüfung der Angemessenheit bzw. Überhöhung der Abrechnung an der BVSK-Honorarbefragung, um anhand dieser Feststellungen eine Entscheidung zur Frage der erkennbar deutlichen Überhöhung und dem zu erstattenden Betrag im Rahmen des dem Gericht nach § 287 ZPO zukommenden Schätzungsermessens zu treffen. Die BVSK-Befragungen sind in der Rechtsprechung als Schätzgrundlage allgemein anerkannt. Das Gericht hält die Befragungen betreffend das Grundhonorar für repräsentativ genug und ausreichend aussagekräftig (so auch Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Az.: 32 S 8/22).
Der Verkehrsunfall ereignete sich am 25.11.2021. Die BVSK-Liste 2020 war die zum Unfallzeitpunkt zeitlich nähere Befragung, weshalb das Gericht diese Tabelle bei der Schätzung zu Grunde legt.
Der Bundesgerichtshof hat eine Schätzung des erforderlichen Grundhonorars durch Bildung des arithmetischen Mittels des HB V-Korridors der zum Zeitpunkt der Auftragserteilung aktuellen BVSK-Umfrage im Urteil vom 28.02.2017, VI ZR 76/16, ausdrücklich gebilligt. Diese Beträge legt das erkennende Gericht im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO zugrunde. Zwar wurde im Landgerichtsbezirk Coburg die übliche, geschätzte Vergütung häufig dem arithmetischen Mittel von HB II und IV entnommen. Die Schätzpraxis der Gerichte ist aber sehr unterschiedlich. Teilweise wird die Erstattungsfähigkeit generell von HB III, teilweise der Mittelwerte aus verschiedenen Honorarbereichen und teilweise des Höchstwerts aus HB V (vgl. LG Köln, BeckRS 2020, 2966) angenommen. Zu berücksichtigen ist auch, dass bzgl. der Ortsüblichkeit/Angemessenheit auf den Ort des Unfalls bzw. Geschädigten und nicht den Sitz des erkennenden Gerichts abzustellen ist, was mit einer Vielzahl von Unwägbarkeiten behaftet ist. So hat das Landgericht Coburg in dem Urteil vom 18.03.2022 (Aktenzeichen: 32 S 8/22) unter Berücksichtigung dieser Grundsätze den Mittelwert aus dem Honorarkorridor HB V, in dem 50-60 % und damit jedenfalls mindestens die Hälfte der Sachverständigen abrechnen, als tauglichen Schätzwert angesehen.
Bei zugrunde zu legenden Netto-Reparaturkosten von bis 13.500 € beträgt nach der BVSK-Liste 2020 der Honorarkorridor HB V 1.107,00 € bis 1225,00 € sowie das arithmetische Mittel hieraus 1166,00 €.
Bei Zugrundlegung der genannten BVSK-Liste übersteigt das Grundhonorar mit 1.200 € um 34,00 € knapp den arithmetischen Mittelwert. Bei einer solch geringen Überschreitung kann von einer deutlichen Überhöhung jedenfalls nicht ausgegangen werden, wenn dem Merkmal der „Deutlichkeit“ überhaupt noch eigenständige Bedeutung zukommen soll.
Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Rechnung ist zwischen dem Grundhonorar und den Nebenkosten zu unterscheiden und nicht lediglich ein Gesamtvergleich der abgerechneten oder „abrechnungsfähigen“ Beträge vorzunehmen.
Der Geschädigte muss im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle überprüfen, ob die abgerechneten Nebenkosten erheblich überhöht sind. Hierzu ist er auch in der Lage, da es sich um Kosten des täglichen Lebens handelt, mit denen ein Erwachsener üblicherweise im Alltag konfrontiert ist und deren Höhe er typischerweise auch ohne besondere Sachkunde abschätzen kann (BGH, Urteil vom 24.10.2017 – VI ZR 61/17 m.w.N.).
Für die Frage, wann die Nebenkosten deutlich überhöht sind, schätzt das Gericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Landgerichts Coburg die Angemessenheit und Ortsüblichkeit der abgerechneten Nebenkosten wiederum anhand der Werte der BSVK-Befragung, wobei das Gericht auch hier die zeitlich nähere Befragung – nämlich diese aus dem Jahr 2020 – zu Grunde legt.
Zu berücksichtigen sind nach der genannten BVSK-Befragung mithin für den ersten Fotosatz pro Lichtbild 2,00 €, für Kopierkosten pro Seite 0,50 € und Schreibkosten von 1,80 € pro tatsächlich beschriebener Seite. Hinsichtlich der Fahrtkosten sind 0,70 € pro Kilometer und für pauschale Porto- und Telefonkosten 15,00 € anzusetzen.
Die Schreibkosten sind in Höhe von 12,60 € ersatzfähig.
Die Beklagte hat bestritten, dass überhaupt eine Gutachtensausfertigung ausgedruckt und postalisch versandt wurde. Die schriftlich einvernommene Zeugin … bestätigte den postalischen Versand und damit die Verkörperung.
Selbst wenn ein Gutachten jedoch nur elektronisch erstellt und versandt sein sollte, sind die Schreibkosten erstattungsfähig. Denn diese decken den Schreibaufwand ab (so auch: Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Aktenzeichen: 32 S 8/22).
Gemessen hieran kann der Kläger grundsätzlich Schreibkosten für 7 Seiten (je 1,80 €) des Gutachtens beanspruchen (12,60 €).
Hinsichtlich der abgerechneten Fotokosten sind 54,00 € ersatzfähig.
Das Gutachten enthält 27 Fotos. Mit dem Pauschalbetrag 2,00 € pro Lichtbild sind alle Aufwendungen im Zusammenhang mit der Fotoerstellung von Anschaffung der Kamera über Fotografieren und technische Aufbereitung bis zum ersten Ausdruck abgegolten. Dies ist bereits mit dem fertigen Erstellen des Gutachtens erreicht.
Das pauschale Bestreiten der Kosten für Porto und Telefon ist unbeachtlich. Die Vereinbarung einer Porto- und Telefonkostenpauschale ist üblich und in der BVSK-Tabelle vorgesehen. Die Höhe von 15,00 € ist nicht zu beanstanden (Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Aktenzeichen: 32 S 8/22). Über diese Pauschale, welche sowohl Telekommunikation als auch Portokosten abdecken soll, hinaus, können allerdings weitere 7,00 € Pauschale für Porto nicht geltend gemacht werden, weshalb diese Kosten in Höhe von 7,00 € nicht erstattungsfähig sind.
Gegen die abgerechneten Fahrtkosten bestehen keine Bedenken. Auch wenn die Entfernung zwischen Sachverständigenbüro und Besichtigungsort über 800 km beträgt, so entspricht der abgerechnete Betrag einer einfachen Entfernung von knapp 22 km, was nicht zu beanstanden ist.
Kosten für Coronaschutzmaßnahmen erachtet das Gericht grundsätzlich für erforderlich, da auch der Kunde bei Erstattung eines Gutachtens, welches mit Kontakt am eigenen Fahrzeug verbunden ist, erwarten darf, dass Kontaktflächen gereinigt und desinfiziert werden, um einer Ansteckung mit dem Coronavirus vorzubeugen. Angesichts der überschaubaren Kontaktflächen, welcher der einzelne Sachverständige berührt und des diesbezüglich geringen Zeitaufwandes des Desinfizierens, schätzt das Gericht die hierfür erforderlichen Kosten auf allenfalls 5,00 €.
Es ergeben sich mithin erstattungsfähige Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt 1.316,60 €, auf die die Beklagte 1.194 € reguliert hat, sodass ein Restbetrag in Höhe von 122,60 € verbleibt.
4. Unstreitig steht der Klagepartei grundsätzlich ein Anspruch auf Erstattung der durch den streitgegenständlichen Unfall eingetretenen merkantilen Wertminderung zu. Die Parteien streiten mithin noch über die Höhe des zu ersetzenden Minderwerts. Die Beklagte ist vorliegend der Ansicht, dass von der vom Sachverständigen festgestellten Wertminderung die Mehrwertsteuer abzuziehen sei, da der Kläger vorsteuerabzugsberechtigt ist. Gemäß § 251 Absatz 1 BGB hat der Geschädigte Anspruch auf Ausgleich in Geld, wenn die Wiederherstellung der beschädigten Sache nicht möglich oder zum vollständigen Schadensausgleich nicht ausreichend ist. Dies gilt insbesondere im Fall einer verbleibenden merkantilen Wertminderung. Die Bestimmung der Wertminderung gemäß § 287 ZPO unterliegt dem Ermessen der tatrichterlichen Überzeugungsbildung (AG Remscheid, Urteil vom 10.11.2017, Aktenzeichen 8 a C 190/16).
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen war vorliegend nicht notwendig. Gegen die Feststellung der Wertminderung im Privatsachverständigengutachten in Höhe von 1.100,00 € bestehen grundsätzlich seitens der Beklagten keine Einwendungen. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Klagepartei jedoch dieser vom privaten Sachverständigen festgestellte Betrag in voller Höhe zu. Ein Abzug der Mehrwertsteuer ist nicht angezeigt. Ausweislich der Sachverständigenbegutachtung wurde die Wertminderung unter Berücksichtigung der wesentlichen beeinflussenden Faktoren wie Fahrzeugalter, Zustand, Marktlage, Schadensumfang, Reparaturweg etc. ermittelt.
Mit der von der Beklagten angestellten Berechnung eines etwaigen Bereicherungsbetrages für Vorsteuerabzugsberechtigte kann nach Ansicht des Gerichts gerade nicht argumentiert werden. Stellt man selbige Berechnung mit einem nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten an, der von vornherein zwar selbst den Brutto-Wiederbeschaffungswert zahlen müsste, bei einem eigenen Verkauf aber nur den Nettopreis einnimmt, und ist davon auszugehen, dass der Sachverständige den merkantilen Minderwert vom gleichen Markt her ermittelt, unabhängig davon, ob der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt ist oder nicht (jedenfalls ergibt sich konkret aus dem Gutachten keine Unterscheidung), so würde sich auch der nicht Vorsteuerabzugsberechtigte in gleicher Weise bereichern. Im Ergebnis würde dann aber weder ein Vorsteuerabzugsberechtigter noch ein nicht Vorsteuerabzugsberechtigter den vom Sachverständigen ermittelten merkantilen Minderwert in voller Höhe erhalten. Dieses Ergebnis bzw. die Berechnungen bspw. der Amtsgerichte Remscheid (8a C 190/16), Wipperfürth (9 C 90/20) und Düsseldorf (39 C 107/19) können daher die Auffassung der Beklagten nicht stützen.
Vielmehr ist der Gegenstand der merkantilen Wertminderung als solcher zu betrachten. Grundsätzlich stellt dieser keine feststehende berechenbare absolute Größe dar, sondern einen vom Sachverständigen kalkulierten Wert, um den das Fahrzeug trotz fachgerechter Reparatur nach dem Unfall weniger wert ist.
Die Entscheidung darüber, ob es sich steuerrechtlich um nicht umsatzsteuerpflichtigen echten Schadensersatz oder um eine steuerbare sonstige Leistung handelt, hängt davon ab, ob die Zahlung mit einer Leistung des Steuerpflichtigen in Wechselbeziehung steht, ob also ein Leistungsaustausch stattgefunden hat. Grundlage des Leistungsaustausches ist dabei eine innere Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung im Sinne eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert. Maßgebend ist insoweit der tatsächliche Geschehensablauf. Lässt dieser erkennen, dass die Ersatzleistung die Gegenleistung für eine empfangene Lieferung oder sonstige Leistung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG darstellt, liegt keine nichtsteuerbare Schadensersatzleistung, sondern steuerpflichtiges Entgelt vor.
Dies ist für den vorliegenden tatsächlichen Geschehensablauf gerade nicht der Fall. Die Zahlung des merkantilen Minderwerts in Form des vom Sachverständigen kalkulierten Betrages, ist der Ausgleich des Schadens, der nicht durch eine fachgerechte Reparatur kompensiert werden kann und damit steuerrechtlich nicht umsatzsteuerpflichtiger echter Schadensersatz.
Ein Abzug in Höhe von 19 % entsprechend dem geltenden Mehrwertsteuersatz ist somit nicht vorzunehmen.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB schließt den Verzug mit der Erfüllung der Leistungspflicht und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nur aus, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird. Beruft sich der Schuldner erst danach auf sein Zurückbehaltungsrecht, wird der bereits eingetretene Verzug dadurch nicht beseitigt. Der Schuldner muss vielmehr durch geeignete Handlungen den Verzug beenden, zum Beispiel seine eigene Leistung Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung anbieten (BGH, Urteil vom 26.09.2013, Az. VII ZR 2/13 m.w.N.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Ziff 1 ZPO. Die Zuvielforderung des Klägers ist verhältnismäßig gering und veranlasst keine oder nur geringfügig höhere Kosten.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung bezüglich der Rechtsfrage, ob bei bestehender Vorsteuerabzugsberechtigung vom merkantilen Minderwert ein Abzug in Höhe des Mehrwertsteuerbetrages vorzunehmen ist.


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