Verkehrsrecht

Zum Nachweis eines bedingungsgemäßen Unfallereignisses in der Kaskoversicherung bei Behauptung eines gestellten Unfalls durch den Versicherer

Aktenzeichen  26 O 16765/15

Datum:
26.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG VVG § 81 Abs. 1
ZPO ZPO § 286 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens zum Beweis eines bedingungsgemäßen Unfallereignisses in der Vollkaskoversicherung ist bereits dann entbehrlich, wenn eine etwaige Korrespondenz des Schadenbildes mit der Unfallschilderung des Versicherungsnehmers nicht ausreichen würde, um den Nachweis eines bedingungsgemäßen Unfallereignisses zu erbringen und es im Übrigen an ausreichenden Anknüpfungstatsachen fehlt (anders nachgehend OLG München BeckRS 2016, 19865 Rn. 13 ff.; zur Frage, ob die Unfreiwilligkeit zum Begriff des Unfalls iSv A.2.3.2 AKB 2008 gehört und wer insoweit die Beweislast für die (Un-) Freiwilligkeit trägt: BGH BeckRS 9998, 103530). (redaktioneller Leitsatz)
Benennt der Versicherungsnehmer einer Kaskoversicherung, dem der Versicherer ein gestelltes Unfallereignis vorwirft, einen Zeugen zum Beweis seines Gemütszustands nach dem behaupteten Unfallereignis, kann eine Vernehmung des Zeugen wegen fehlender Erheblichkeit des Beweisthemas unterbleiben (anders nachgehend OLG München BeckRS 2016, 19865 Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 11.726,63 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
A. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Erbringung von Versicherungsleistungen aus dem zwischen den Parteien bestehenden Kfz-Kaskoversicherungsvertrag.
Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat den Beweis, dass sie mit ihrem Pkw BMW 530d am 04.03.2015 einen bedingungsgemäßen Unfall erlitten hat, nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts geführt. Das Gericht ist nicht mit der für ein klagezusprechendes Urteil erforderlichen hohen Sicherheit davon überzeugt, dass die Klägerin am 04.03.2015 tatsächlich den von ihr behaupteten Unfall erlitt und, dass hierbei die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Schäden entstanden sind. Es bestehen vielmehr aus Sicht des Gerichts durchaus Indizien dafür, dass sich der Unfall nicht so zugetragen hat, wie dies von der Klägerin (und der Zeugin …) angegeben wurde.
Die Klägerin gab schriftsätzlich und in ihrer informatorischen Anhörung an, am 04.03.2015 abends sei der Unfall auf einer schmalen Straße passiert. Sie sei dem entgegenkommenden Fahrzeug hineingefahren (es wurde nunmehr klargestellt, dass es sich hierbei um eine streifende Kollision, nicht um eine Frontalkollision, gehandelt haben soll). Hintergrund sei gewesen, dass ein Tier von der Seite angezischt gekommen sei und sie sich erschrocken habe. Vom Gericht zu ihrem näheren Verhalten nach dem Unfall befragt, gab die Klägerin an, sie habe die Daten mit der Unfallgegnerin, die sie nicht kenne, ausgetauscht, diese sei dann weggefahren. Gegeben habe sie ihr ihren Namen, die Adresse, die Nummer sowie die Daten von der Versicherung. Die Unfallgegnerin habe ihr den Namen und die Adresse gegeben. Sie habe alles auf einen Zettel aufgeschrieben. Vielleicht habe sie sich noch das Kennzeichen der Unfallgegnerin notiert. Auf Frage des Gerichts nach eigenen Schäden gab die Klägerin an, es sei die ganze Fahrerseite beschädigt worden, die Reifen. Sie habe das Fahrzeug gerade noch herüberziehen können. Aus dem Fahrzeug sei Flüssigkeit ausgelaufen. Auf die Schäden der Unfallgegnerin habe sie nicht so genau geachtet. Den Ausweis der Unfallgegnerin habe sie sich nicht zeigen lassen.
Die uneidlich einvernommene Zeugin … gab an, sie sei ca. eine halbe Stunde vor Ort gewesen. Sie hätten die Daten ausgetauscht, wobei sie ihre eigenen Daten auf einen eigenen Zettel aufgeschrieben habe. Zum gegnerischen Fahrzeug habe sie sich keine Daten aufgeschrieben. Auch zur Versicherung sei nicht gesprochen worden, weder zur eigenen noch zur gegnerischen. Sie habe ihren Personalausweis vorgezeigt und die Gegnerin habe ihren Führerschein vorgezeigt. Genau wisse sie die Schäden am Fahrzeug der Unfallgegnerin nicht. Vor Ort sei nichts ausgelaufen oder verschüttet gewesen.
Das Gericht hat Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit von Klägerin und der Zeugin … sowie gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben in der informatorischen Anhörung bzw. der uneidlichen Zeugeneinvernahme. Die Klägerin kann als Unfallbeteiligte und Anspruchstellerin des vorliegenden Verfahrens nicht von vornherein für glaubwürdig erachtet werden. Bei der Zeugin … fiel eine ersichtliche Unwilligkeit zu Angaben im vorliegenden Verfahren insbesondere bei Nachfragen, des Gerichts, auf Klägerin und Zeugin war gemein, dass ihre Angaben zum eigentlichen Unfallgeschehen und insbesondere dem Handeln unmittelbar danach erstaunlich dünn blieben, dies auch und gerade auf Nachfrage des Gerichts. Insbesondere gab die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts mehrfach an, es nicht mehr so genau zu wissen, da sie durch den Unfall geschockt gewesen sei. Es sei ihr erster Unfall gewesen. Auch unter Berücksichtigung etwaig fehlender Erfahrung mit Verkehrsunfällen, dem noch vergleichsweise jungen Alter der Klägerin sowie eines möglichen „Schocks“ der Klägerin durch den Unfall blieben die Angaben der Klägerin sehr vage. Erstaunlich erscheint, dass die Klägerin sich – obwohl sie meinte, am Unfall schuld zu sein – das Fahrzeug der Gegnerin, für deren Schäden sie (losgelöst von der Versicherung) zunächst haftete, nicht näher anschaute. Eine derartige Überprüfung liegt bei noch anwesendem Unfallgegner derart nahe, dass das Gericht der Einlassung der Klägerin, dies nicht näher gemacht zu haben, keinen Glauben zu schenken vermag.
Auch ergaben sich inhaltlich Abweichungen in den Angaben von Klägerin und Zeugin …, die auch unter Berücksichtigung des allerdings moderaten Zeitablaufs seit dem Unfall und einem möglichen „Schockzustand“ (im nicht medizinischen Sinne) erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Angaben aufkommen ließ. So will die Klägerin alle Angaben auch der Unfallgegnerin zunächst selber aufgeschrieben haben, wohingegen die Zeugin … ihre Angaben selber aufgeschrieben haben will. Auch hinsichtlich der ausgetauschten Angaben korrespondieren die wechselseitigen Angaben nicht. Von Seiten der Zeugin … erscheint auch erstaunlich, dass sie sich, bei einem ausgeliehenen Fahrzeug und vermeintlich klarer Haftungslage nicht für die Versicherung des gegnerischen Fahrzeugs interessiert haben will. Auch hinsichtlich einer Überprüfung der Identität der jeweils anderen Seiten – beide Seiten wollen sich noch nie zuvor gesehen haben – gehen die Angaben auseinander. Divergenzen bestehen weiter hinsichtlich der vor Ort verbrachten Zeit (wobei das Gericht nicht verkennt, dass das Zeitempfinden insbesondere in Belastungssituationen sehr unterschiedlich sein kann) und zu einer ausgelaufenen Flüssigkeit am Fahrzeug der Klägerin.
Ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten war nicht einzuholen. Hinsichtlich der eigentlichen Unfallstelle fehlt es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen. In Bezug auf eine etwaige sich ergebende Schadenskorrespondenz ist darauf hinzuweisen, dass die bloße Schadenskorrespondenz nicht zu einer Leistungsverpflichtung der Beklagten führen würde, da die Beklagte nur für das angegeben Unfallereignis zu leisten braucht, sich das Gericht hiervon aber auch bei vorliegender Schadenskorrespondenz nicht zu überzeugen vermöchte. Auch die Einnahme des Zeugen … konnte unterbleiben. Dieser kann nach den eigenen Angaben der Klägerin den eigentlichen Unfall nicht bezeugen, auch nicht die Beteiligung der Zeugin … da diese bei seinem Eintreffen nicht mehr vor Ort gewesen sei. Dass die Klägerin durch den Unfall „aufgelöst“ war, kann zu ihren Gunsten als wahr unterstellt werden, ohne dass sich das Gericht deswegen von einem tatsächlichen Vorliegen eines Unfalls am 04.03.2015 zu überzeugen vermöchte.
B. Der Akteneinsichtsantrag der Klägerin in die beigezogene Akte 8 O 2884/15 LG München II war abzulehnen. Mit Schreiben vom 03.02.2016 hat das LG München II die direkte Erteilung von Akteneinsicht in die beigezogene Akte verweigert. Auswirkungen für das vorliegende Verfahren hat dies jedoch nicht, da zwar das Gericht wie beantragt diese Akte beigezogen hatte, jedoch im Urteil keine Verwertung der Beiakte erfolgt ist. Es ist auch (wie schon in der mündlichen Verhandlung der Klägerin dargelegt) darauf hinzuweisen, dass die Verweigerung von Prozesskostenhilfe für die Unfallgegnerin in dem genannten Verfahren auf fehlender Überzeugung des LG München II von den behaupteten wirtschaftlichen Verhältnissen beruht, nicht auf einer Auseinandersetzung mit dem behaupteten Unfallgeschehen.
C. Die Entscheidung über die Kosten erfolgte nach § 91 ZPO. Über die vorläufige Vollstreckbarkeit war nach § 709 ZPO zu entscheiden.


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