Versicherungsrecht

Anforderungen an die Verbraucherinformation und die Widerspruchsbelehrung bei Vertragsschluss im sog. Policenmodell

Aktenzeichen  25 U 373/18

Datum:
9.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53874
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 5a
VAG aF § 10a
VVG-InfoV § 1 Abs. 1 Nr. 7, Nr. 8, Nr. 9

 

Leitsatz

1. Die gem. § 5a Abs. 2 S. 1 VVG aF erforderliche Widerspruchsbelehrung genügt in Ansehung des Fristbeginns den gesetzlichen Anforderungen, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer dahin belehrt, dass die Frist “mit Zugang” der fristauslösenden Unterlagen zu laufen beginnt (entgegen OLG Köln, Urt. v. 27.2.2015 – 20 U 160/14, s. auch BGH BeckRS 2015, 3697). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e der Anlage Teil D zum VAG aF fordert nicht die Angabe eines Gesamtbetrages, der sich aus allen Prämien zusammensetzt, die über die gesamte Laufzeit des Vertrages gezahlt werden. Auch ein Einzelausweis des auf eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung entfallenden Anteils der Prämie ist nicht erforderlich, da diese Zusatzversicherung gerade keinen selbständigen Versicherungsvertrag darstellt. (Rn. 11 und 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem Vertragsschluss nach dem Policenmodell ist auch eine Information über die Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein soll (Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f der Anlage Teil D zum VAG aF), nicht erforderlich (so auch OLG Köln BeckRS 2016, 13400 Rn. 15). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

25 U 373/18 2018-04-17 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.12.2017, Aktenzeichen 23 O 6657/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des je zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.459,38 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten nach im Jahr 2015 erklärtem Widerspruch bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages aus dem Jahr 1996. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 19.12.2017 Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass das Widerspruchsrecht selbst bei fehlerhafter Verbraucherinformation jedenfalls verwirkt sei. Auf die Entscheidungsgründe wird ebenfalls Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Klageziel – Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 28.459,38 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.1.2016 und zur Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € – vollumfänglich weiterverfolgt. Auf die Berufungsbegründung vom 05.04.2018 (Bl. 122/132 d.A.), die am 22.05.2018 eingegangene Gegenerklärung (Bl. 149/163 d.A.) und den ergänzenden Schriftsatz vom 25.05.2018 (Bl. 164/167 d.A.) wird verwiesen.
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,
das angefochtene Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts München I abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Schlussantrag des Klägers zu entscheiden;
hilfsweise, die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 17.04.2018 (Bl. 137/146 d.A.) auf seine Absicht, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, hingewiesen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.12.2017, Aktenzeichen 23 O 6657/17, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung und ihrer Ergänzung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
1. Der Senat hält aus den im Hinweis unter 1. a) dargelegten Gründen an seiner Auffassung fest, dass der Kläger in der erforderlichen drucktechnisch deutlichen Form belehrt wurde. Mit der nach Auffassung der Gegenerklärung entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich der Senat im Hinweis befasst und dort dargelegt, dass und warum den dortigen Entscheidungen Fallgestaltungen zugrunde lagen, die der hiesigen nicht vergleichbar sind. Zu beurteilen ist stets die konkrete Gestaltung von Vertragsunterlagen und Widerspruchsbelehrung. Im vorliegenden Fall ist in dem lediglich einseitigen Anschreiben durch den sofort ins Auge fallenden Fettdruck einzelner Satzteile in der Überschrift und in der Belehrung dieser Absatz insgesamt ausreichend drucktechnisch hervorgehoben; die Gefahr des Überlesens eines Teils der Informationen, weil der Leser seinen Blick nur auf das Fettgedruckte richten könnte, besteht bei der vorliegenden Gestaltung nicht.
2. Der Senat hält auch daran fest, dass die Formulierung „mit Zugang“ nicht zu beanstanden ist. Auf die Begründung unter 1. b) des Hinweises wird Bezug genommen. Das von der Gegenerklärung zitierte Urteil des OLG Köln vom 27.02.2015, Az. 20 U 160/14, (Seiten 6/7), führt nicht dazu, dass aufgrund Divergenz die Revision zuzulassen wäre. Dem OLG Köln war bei Erlass dieser Entscheidung das erst kurz zuvor ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.02.2015, Az. IV ZR 311/13, offensichtlich noch nicht bekannt – in den Gründen werden zwar mehrere andere BGH-Entscheidungen zur Thematik zitiert und ausgewertet, nicht aber dieses; die Entscheidung des OLG Köln ist durch das Urteil des BGH überholt. Nach dessen Begründung kommt es entscheidend darauf an, dass der Versicherungsnehmer der Belehrung entnehmen kann, „dass die Frist zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem er die Unterlagen erhalten halt“ (BGH aaO Rn. 18 bei juris). Das ist bei der Formulierung „mit Zugang“ ebenso gewährleistet wie bei insoweit im allgemeinen Sprachgebrauch vergleichbaren Formulierungen wie z.B. „nach“ oder „ab“ dem „Erhalt“ oder der „Überlassung“ der Unterlagen. Da der BGH selbst in der Begründung seines Urteils vom 11.02.2015 auf die vorangegangene Entscheidung des VII. Zivilsenats vom 23.09.2010 Bezug genommen hat, hält er offenbar – anders als der Kläger – die Entscheidung durchaus für übertragbar auf Konstellationen, in denen der Fristbeginn nicht vom Vertragsschluss, sondern vom Zugang bestimmter Unterlagen abhängt.
3. Die fristauslösenden Unterlagen sind aus den im Hinweis ebenfalls unter 1. b) dargelegten Gründen zutreffend benannt. Der Aussagegehalt der Sätze 1 und 3 der Widerspruchsbelehrung erschließt sich eindeutig aus deren Wortlaut und Zusammenhang. Anders als bei der Fallgestaltung, die dem Urteil des BGH vom 24.02.2016, IV ZR 142/15, Rn. 12, zugrunde lag, wird vorliegend unmissverständlich klargestellt, dass der Fristbeginn nicht nur vom Zugang des Anschreibens abhängt, sondern auch vom Zugang der weiteren maßgeblichen Unterlagen.
4. Der Senat verbleibt aus den im Hinweis unter 1. c) aa) genannten Gründen bei seiner Auffassung, dass die gemäß Anlage D, Abschnitt I, Nr. 1 e) VAG a.F. erforderliche Angabe des „insgesamt zu zahlenden Betrages“ nicht fehlte. Für diese Auffassung des Senats spricht insbesondere die vom Kläger zu Unrecht für seine gegenteilige Auffassung herangezogene Nachfolgeregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 7 (sowie Nr. 8 und 9) VVG-InfoV und die zugehörige Gesetzesbegründung, vgl. VersR 2008, 183, 187. In der Gegenerklärung wird die Gesetzesbegründung zwar zutreffend auszugsweise zitiert, der Kläger legt ihr aber einen Sinn bei, der ihr bei zutreffender Auslegung nicht zukommt. Nach der Gesetzesbegründung ist – und war entsprechend auch schon nach den früheren Regelungen – unter dem „Gesamtpreis der Versicherung“ (zuvor gemäß Nr. 1 e) des Abschnitts I der Anlage D VAG a.F.: „Prämienhöhe“) die vom Versicherungsnehmer für einen bestimmten, ausdrücklich zu nennenden Zeitraum zu entrichtende Bruttoprämie zu verstehen – von der Bruttoprämie über die gesamte vorgesehene Laufzeit ist hier also gerade nicht die Rede. Diesem Erfordernis ist mit der Angabe der monatlich zu zahlenden Prämie von 125,00 DM Genüge getan. Der Begriff des „insgesamt zu zahlenden Betrages“ wird in § 1 Abs. 1 VVG-InfoV im Übrigen neben dem des „Gesamtpreises“ verwendet, und zwar unter der nachfolgenden Nr. 8 (vgl. VersR 2008, 283). Nach dieser Unterziffer hat der Versicherer den Versicherungsnehmer nicht nur über den in Nr. 7 geregelten „Gesamtpreis der Versicherung“, sondern auch über „gegebenenfalls zusätzlich anfallende Kosten unter Angabe des insgesamt zu bezahlenden Betrages sowie …“ zu informieren. Diese neuere klare Zuordnung stützt die Auslegung auch des Wortlauts der Vorläuferregelung in Nr. 1 e) des Abschnitts I der Anlage D VAG a.F. dahingehend, dass sich die dort am Satzende genannte „Angabe des insgesamt zu zahlenden Betrages“ entsprechend allein auf die unmittelbar zuvor genannten „Angaben zu etwaigen Nebengebühren und -kosten“ bezieht und nicht auch auf die im ersten Satzteil geregelten „Angaben zur Prämienhöhe“.
Auch der Verweis der Gegenerklärung und des ergänzenden Schriftsatzes auf die PAngV überzeugt nicht. Dass laut VerBAV 1995, 284 die Preisangabenverordnung zu beachten ist, bedeutet schon nicht, dass der Begriff „Prämienhöhe“ in der Anlage D VAG a.F. deckungsgleich mit den Begriffen „Endpreis“ oder „Gesamtpreis“ in der PAngV auszulegen wäre. Der „Bruttopreis“ muss bei Dauerschuldverhältnissen auch nicht zwingend einer über eine vorgesehene gesamte Laufzeit sein. Die angestrebte Vergleichbarkeit verschiedener Angebote wird hinreichend dadurch gewährleistet, dass – wie es die zugrunde liegenden Richtlinienvorgaben verlangten – klar sein musste, auf welchen Zeitraum (z.B. Monat oder Jahr) sich die angegebene Prämienhöhe bezog und wie lange die Prämienzahlung andauern sollte.
Auch daran, dass der auf die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung entfallende Anteil der Prämie nicht aufgrund Nr. 1 e) des Abschnitts I der Anlage D VAG a.F. einzeln ausgewiesen werden musste, hält der Senat fest. Der im Hinweis unter 1. c) aa) zitierte Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Er verlangt einen Einzelausweis der Prämie nur bei mehreren selbständigen Versicherungsverträgen – hier geht es jedoch um eine unselbständige Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: es wird ein zusätzliches Risiko abgedeckt, dies aber nicht in selbständiger Form. Nach Auffassung des Senats kann der insoweit eindeutige Wortlaut und Regelungsgehalt der Vorschrift nicht dadurch letztlich umgangen werden, dass eine solche Zusatzversicherung unter Berufung auf richtlinienkonforme Auslegung dann doch als „selbständig“ oder als „Nebenleistung“ eingeordnet wird und unter diesem Aspekt ein Einzelausweis des darauf entfallenden Prämienanteils verlangt wird. Die Einschätzung des BAV in VerBAV 1995, 283, 284 bindet den Senat in der rechtlichen Beurteilung nicht (vgl. zur Problematik auch Prölss in Prölss/ Martin, VVG, 27. Aufl., § 5a Rn. 32 und Präve in VW 1995, 90 ff.).
5. Es besteht kein Anlass, aufgrund der Gegenerklärung die fehlende Angabe einer Antragsbindungsfrist anders zu beurteilen als im Hinweis unter 1. c) bb) geschehen. Die Argumentation des Klägers blendet das dortige – vom Bundesgerichtshof bereits gebilligte – Hauptargument, dass es bei nicht bestehender Antragsbindungsfrist nichts gibt, worüber zu belehren wäre, aus und vermengt unzulässig diese Frage mit der ganz anderen Frage der europarechtlichen Zulässigkeit des Policenmodells an sich. Der in der Gegenerklärung am Ende dieses Punktes angesprochenen Auffassung von Präve folgt der Senat nicht.
6. Die Erläuterungen der Gegenerklärung zur Entscheidung des BGH vom 23.09.2015, Az. IV ZR 179/14, führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Senat geht im vorangegangenen Hinweis – wie auch hier – offensichtlich gerade davon aus, dass nicht nur eine formell oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung, sondern auch eine etwa unvollständige Verbraucherinformation zu einem fortbestehenden (“ewigen“) Widerspruchsrecht führen kann. Sonst hätten sich einige der obigen Prüfungspunkte erübrigt. Auch die Erläuterungen enthalten keine konkrete weitere Rüge, inwiefern die Verbraucherinformation unvollständig gewesen sein sollte.
7. Zu den Ausführungen der Gegenerklärung hinsichtlich der vom Senat bejahten Rechtsmissbräuchlichkeit der Ausübung des Widerspruchsrechts bzw. Verwirkung selbst bei unterstellter Fehlerhaftigkeit der Belehrung wird auf die ausführliche Darlegung im Hinweis unter Ziffer 3. verwiesen. Der Senat hat dort die Maßgaben der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dieser Frage dargelegt sowie ausführlich begründet, warum unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe die – vom Tatrichter vorzunehmende – Einzelfallbeurteilung zum gefundenen Ergebnis führt. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof keinen Rechtssatz aufgestellt, dass im Rahmen dieser Beurteilung, die eine Gesamtwürdigung verschiedener, für sich allein je nicht ausreichender Umstände beinhaltet, der Umstand, wie schwerwiegend ein Belehrungsfehler ggf. war, nicht berücksichtigt werden dürfte. Der behauptete evidente Gegensatz der Ausführungen des Senats zur ständigen Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs besteht nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 Abs. 1 GKG bestimmt.


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