Versicherungsrecht

Anspruch auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen bei Versicherungsverträgen im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge

Aktenzeichen  31 O 11448/15

Datum:
5.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134120
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HGB § 87a Abs. 1, § 92 Abs. 4
BGB § 158 Abs. 1, § 812
ZPO § 138 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Beruht die Stornierung oder Beitragsfreistellung von Versicherungsverträgen im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge nicht auf der mangelnden Erfüllung der vertraglichen Pflichten des Versicherungsnehmers, sondern auf dem Ausscheiden des versicherten Mitarbeiters aus dem Unternehmen des Versicherungsnehmers, scheidet eine Fortführung des Versicherungsvertrages mit dem bisherigen Versicherungsnehmer aus, so dass eine Einflussnahme auf den Versicherungsnehmer durch das Versicherungsunternehmen im Rahmen der nach Ausscheiden des Versicherungsvertreters grundsätzlich geschuldeten Nachbearbeitung von vornherein nicht erfolgversprechend und daher auch nicht geschuldet ist (weiter differenzierend und daher im Ergebnis anders nachfolgend OLG München BeckRS 2017, 112451). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Durchführung eines persönlichen Gesprächs mit dem jeweiligen Versicherungsnehmer und dem – aus dem Unternehmen des Versicherungsnehmers ausgeschiedenen – Versicherten, um auf die Weiterführung des Versicherungsvertrages (ggf. bei dem neuen Arbeitgeber) hinzuwirken, wird seitens des Versicherungsunternehmens im Rahmen einer etwaigen Nachbearbeitungspflicht nicht geschuldet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 69.104,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.03.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 69.104,12 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht München I für die Klage örtlich (§§ 12, 13 ZPO) und sachlich (§§ 23, 71 GVG) zuständig.
II.
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der von der Klägerin gezahlten Provisionen in Höhe von 69.104,12 €.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin der Beklagten Provisionen im Vorschussweg für abgeschlossene Verträge geleistet hat. Aus Ziff. I der Vergütungsbestimmungen des Agenturvertrags sowie §§ 92 Abs. 4, 87 a Abs. 1 HGB ergibt sich, dass der Provisionsanspruch im Sinne von § 158 Abs. 1 BGB aufschiebend bedingt ist durch die Prämienzahlung des Versicherungsnehmers. Soweit diese Bedingung nicht eingetreten ist, folgt ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 BGB bzw. aus Ziff. I der Vergütungsbestimmungen.
1. Die Klägerin hat ihre Forderung hinreichend substantiiert und nachvollziehbar dargetan.
Macht eine Partei im Wege der Klage einen Forderungsbetrag geltend, der sich nach Art eines Kontokorrentsaldos aus einer Reihe vieler selbständiger Positionen zusammensetzt, so genügt sie ihrer Darlegungslast grundsätzlich schon dann, wenn sie eine geordnete Zusammenstellung der einzelnen Rechnungsposten vorlegt, die rechnerisch nachprüfbar ist und eine Zuordnung zu den einzelnen Geschäftsvorfällen ermöglicht (OLG Saarbrücken, Urteil v. 24.03.1999 – 1 U 529/98; LG Hannover, Urteil v. 16.06.2005 – 2 O 356/04; LG Leipzig, Urteil v. 29.09.2011 – 7 O 2820/10).
Diesen Anforderungen ist die Klägerin mit ihrem Vortrag gerecht geworden. Eine geordnete Zusammenstellung hat die Klägerin mit den Provisionsabrechnungen vorgelegt, die in sich rechnerisch stimmig sind und aufgrund der Angabe der Namen der Versicherten und der jeweiligen Versicherungsnehmer eine Zuordnung zu einzelnen Geschäftsvorfällen ermöglicht. Zudem wird der Grund für die jeweilige Stornierung (Rückkauf, Beitragsfreistellung) angegeben. Anhand dieser Aufstellungen, die übersichtlich sind und daher ohne weiteres auch in Form einer Anlage in Bezug genommen werden können, kann die Beklagte nachvollziehen, um welche Vertragsabschlüsse es jeweils geht und in welcher Höhe jeweils Rückforderungsansprüche geltend gemacht werden.
Angesichts des substantiierten Vortrags der Klägerin, ist es Sache der Beklagten, ihrerseits näher zu substantiieren, welche der Rechnungspositionen aus welchem Grund bestritten werden. Erst hiernach besteht für die klagende Partei Veranlassung, ihren Vortrag noch näher zu substantiieren, denn die Anforderungen an die Substantiierung hängen davon ab, wie substantiiert der Gegner vorgetragen hat (OLG Saarbrücken a.a.O.; LG Hannover a.a.O.; LG Leipzig a.a.O.).
Die Beklagte hätte danach vortragen müssen, welche einzelnen Positionen von ihr bestritten werden und aus welchen konkreten Gründen diese Ansätze nicht gerechtfertigt sein sollten. Das hat sie nicht getan, sondern sich auf ein pauschales Bestreiten (mit Nichtwissen) beschränkt. Die Beklagte hat damit der ihr obliegenden Darlegungslast nicht genügt, mit der Folge, dass die sachliche Richtigkeit der klägerischen Abrechnung als zugestanden anzusehen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegensetzen, nicht über ausreichende Unterlagen zu Erwiderung auf den Vortrag zu verfügen. Zum einen hat die Beklagte nicht näher angegeben, welcher konkreten Unterlagen sie bedarf, um zu dem Klagevortrag substantiiert Stellung nehmen zu können. Zum anderen sind die Ausführungen der Klägerin jedenfalls so detailliert und vollständig, dass der Beklagten eine substantiierte Stellungnahme möglich sein muss. Dies gilt um so mehr, als die Beklagten selbst wissen muss, welche Zahlungen ihr von der Klägerin geleistet wurden und aufgrund welcher von ihr vermittelten Versicherungsvertragsabschlüsse ihr möglicherweise weitere Provisionsansprüche zustehen, die in der klägerischen Abrechnung nicht berücksichtigt sind.
2. Die Beklagte kann dem Rückforderungsanspruch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die von der Klägerin zurückverlangten Provisionsvorschüsse seien gem. §§ 92 Abs. 2, 87 a Abs. 3 S. 1 HGB als verdient anzusehen, weil die Klägerin keine ausreichenden Nachbearbeitungsmaßnahmen ergriffen habe. Die von der Beklagten geforderten Bemühungen gegenüber dem Versicherten, den Vertrag selbst fortzuführen oder auf einen anderen Arbeitgeber zu übertragen, schuldet die Klägerin im Rahmen der Nachbearbeitung nicht.
2.1. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der Handelsvertreter danach auch dann Anspruch auf Provisionen hat, wenn der Unternehmer das Geschäft nicht so wie abgeschlossen ausführt, es sei denn dass die Ausführung des Geschäfts unmöglich bzw. für den Unternehmer unzumutbar ist. Die Nichtausführung eines Versicherungsvertrags ist vom Unternehmer nur dann nicht zu vertreten, wenn er sich in ausreichender Weise um die Rettung stornogefährdeter Verträge bemüht hat. Für diesen Ausnahmetatbestand trägt der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urt. v. 19.11.1982 – I ZR 125/80).
Solange der Handelsvertreter für die Versicherung tätig ist, genügt der Unternehmer seiner Pflicht dadurch, dass er den Vertreter von einer drohenden Stornierung informiert und es diesem überlässt, geeignete Maßnahmen zu treffen. Nach Ausscheiden des Vermittlers ist der Unternehmer hierzu nicht mehr verpflichtet. Das bedeutet allerdings nicht, dass er untätig bleiben darf. Vielmehr muss er dann den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachbearbeiten. Hierzu muss er alles ihm Zumutbare und objektiv Erforderliche unternehmen, um den Versicherungsnehmer zur Erfüllung seiner Vertragspflicht ernsthaft und nachdrücklich anzuhalten und dadurch dem Versicherungsvertreter den Provisionsanspruch zu erhalten, bevor er den Versicherungsvertrag vorzeitig auflöst (BGH Urt. v. 01.12.2010 – VIII ZR 310/09; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.02.2007 – 16 W 70/06).
2.2. Vorliegend ist schon fraglich, ob im Falle des Austritts des Versicherten aus dem Unternehmen des Versicherungsnehmers überhaupt ein notleidender Vertrag vorliegt, der die Klägerin zur Nachbearbeitung verpflichtet. Ein solcher ist regelmäßig dann gegeben, wenn ein Versicherungsnehmer seine Pflichten aus dem Versicherungsvertrag nicht (mehr) erfüllt und deshalb eine Stornierung droht. Vorliegend resultiert die Stornierungsgefahr aber daraus, dass der bisherige Versicherungszweck – jedenfalls aus der Sicht des Arbeitgebers als Versicherungsnehmer – obsolet wird und der Versicherungsnehmer aufgrund des Vertrages zur Zahlung der Prämie nicht mehr verpflichtet ist.
2.3. Jedenfalls würde bei den hier gegenständlichen Versicherungsverträgen aber die nach der Rechtsprechung geschuldete Nachbearbeitung gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht zu einer Rettung des Vertrags führen. Denn die Stornierung oder Beitragsfreistellung der hier streitgegenständlichen Verträge beruht nicht auf der mangelnden Erfüllung der vertraglichen Pflichten des Versicherungsnehmers, sondern auf dem Ausscheiden des versicherten Mitarbeiters aus dem Unternehmen des Versicherungsnehmers. Aufgrund des Weggangs des Mitarbeiters scheidet eine Fortführung des Versicherungsvertrages mit dem bisherigen Versicherungsnehmer aus. Der ehemalige Arbeitgeber wird regelmäßig keine Versicherung für einen ausgeschiedenen Mitarbeiter fortführen. Eine Einflussnahme auf den Versicherungsnehmer, wie er nach der Rechtsprechung im Rahmen der Nachbearbeitung üblicherweise erforderlich ist, ist daher von vornherein nicht erfolgversprechend. Von vornherein zwecklose Nachbearbeitung ist nicht geschuldet (vgl. auch OLG Frankfurt, Urt. v. 03.09.2013 – 5 U 227/12 S. 9).
2.4. Eine Fortführung des Versicherungsvertrages kommt bei den hier gegenständlichen Versicherungsverträgen nur aufgrund eines entsprechenden neuen Entschlusses des versicherten ehemaligen Mitarbeiters und gegebenenfalls auch des neuen Arbeitgebers in Betracht. Die Herbeiführung eines solchen neuen Vertragsschlusses – bzw. hierauf gerichtete Bemühungen – schuldet die Klägerin im Rahmen der Nachbearbeitung jedoch nicht.
Im Rahmen der Nachbearbeitung kann nur eine Einflussnahme auf den bisherigen Versicherungsnehmer geschuldet sein, mit dem der ursprüngliche Vertrag vermittelt wurde, nicht jedoch das Einwirken auf einen Dritten, als neuer Versicherungsnehmer in den Vertrag einzutreten. Anderenfalls wäre die Versicherung verpflichtet, eine eigene Vermittlungstätigkeit zu entfalten, indem sie Dritte überzeugt, selbst vertragliche Verpflichtungen zu übernehmen. Dies würde über eine bloße Nachbearbeitung hinausgehen, die darauf abzielt, dem Versicherungsvertreter diejenige Provision zu sichern, die er durch die zum ursprünglichen Vertragsschluss führende eigene Überzeugungsleistung verdient hat.
2.5. Jedenfalls überspannt die Beklagte eine etwaige Nachbearbeitungspflicht, wenn sie die Durchführung eines persönlichen Gesprächs mit dem jeweiligen Versicherungsnehmer und dem Versicherten fordert, um auf die Weiterführung des Versicherungsvertrages hinzuwirken. Denn eine solche Pflicht würde zum einen nicht auf die Rettung eines notleidenden Vertrages abzielen, sondern auf die Umstellung eines Vertrages, der aufgrund des Ausscheidens des Mitarbeiters zunächst seine Geschäftsgrundlage verloren hat und der nun unter Auswechselung des Versicherungsnehmers umgewandelt werden soll. Zum anderen wäre ein solches Vorgehen im Hinblick auf die Höhe eines Teils der im Raum stehenden Provisionsrückforderungsansprüche und der hohen Fluktuation von Mitarbeitern bei den in Frage stehenden Versicherungsnehmern auch nicht wirtschaftlich.
2.6. Im übrigen fehlt es an einem Vortrag der Beklagten dazu, welche Maßnahmen sie selbst im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Vermeidung von Stornierungen oder Beitragsfreistellungen getroffen hat und ob diese erfolgreich gewesen sind – und dementsprechend auch derartige Maßnahmen der Klägerin erfolgversprechend wären. Auch ist nicht erkennbar, dass sie bereits vor der Beendigung ihrer Tätigkeit Beanstandungen gegen die Handhabung der Stornierungen durch die Klägerin hatte, insbesondere eine unzureichende Information der Versicherungsnehmer oder der Versicherten zu den Möglichkeiten in Bezug auf ihre Versicherung.
3. Da mithin die Bedingung für das Entstehen des (vollumfänglichen) Provisionsanspruchs nicht eingetreten ist, hat die Klägerin einen Rückzahlungsanspruch in der geltend gemachten Höhe.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 2, § 291 BGB, § 696 Abs. 3 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 709 ZPO.
Der Streitwert wurde gem. § 3 ZPO bestimmt.


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