Versicherungsrecht

Lebensversicherungsvertrag – Rückzahlungsanspruch gemäß § 8 VVG a.F.

Aktenzeichen  52 S 936/17

Datum:
20.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 129250
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 8
BGB § 124 Abs. 3, § 199 Abs. 1, § 288 Abs.1 , § 291, § 346 Abs. 1, § 347 Abs. 1, 1
ZPO § 92 I, § 313a 1, § 544, § 708 Nr. 10, § 713
EGZPO § 26 Nr. 8
EGBGB Art. 229 § 6  IV u. V

 

Leitsatz

1. Eine Rücktrittsbelehrung im Versicherungsvertrag muss nicht durch eine gesonderte Unterschrift des Versicherungsnehmers bestätigt werden. Es genügt grundsätzlich die Unterschrift unter dem Antrag, in dem die Rücktrittsbelehrung enthalten ist. In diesem Fall ist aber wenigstens erforderlich, dass sie sich vom sonstigen Text deutlich abhebt. (Rn. 10)
2. Das Rücktrittsrecht erlischt nicht entsprechend § 124 Abs. 3 BGB, weil seit Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. (Rn. 14)

Verfahrensgang

2 C 1123/16 2017-05-24 Urt AGKEMPTEN AG Kempten

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 24.05.2017, Az. 2 C 1123/16, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.310.77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.10.2016 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Gemäß § 540 i.V.m. § 313a 1 ZPO, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen.
II
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
Dem Kläger steht ein RückZahlungsanspruch gemäß § 8 V WG a.F. i.V.m. § 346 I BGB in Höhe von 1.310,77 € nebst Zinsen im tenorierten Umfang (§§ 288 I, 291 BGB) zu. Insoweit beruht das die Klage vollständig abweisende Urteil des Amtsgerichts auf einer Rechtsverletzung, weshalb das Urteil auf die Berufung des Klägers teilweise abzuändern war. Die weitergehende Berufung des Klägers mit dem Ziel der vollständigen Stattgabe der Klage hat jedoch keinen Erfolg.
Im Einzelnen:
1. Der Kläger ist – entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts – wirksam von den beiden streitgegenständlichen Lebensversicherungsverträgen zurückgetreten.
Die beiden Versicherungsverträge sind im Jahr 2000 unsteitig im Antragsmodell abgeschlossen worden, weshalb sich das Rücktrittsrecht des Klägers allein nach § 8 V WG in der vom 01.01.2000 bis zum 07.12.2004 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) richtet. Die Regelung des § 5a WG a.F. ist nicht einschlägig.
Das Rücktrittsrecht wurde von der Klägerseite formell ordnungsgemäß ausgeübt. Die Schriftsätze des Klägervertreters vom 22.08.2016 (Anl. K7, K8), in denen jeweils eine Rücktrittserklärung enthalten ist, sind der Beklagten auch zugegangen.
Das Rücktrittsrecht ist – entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts – auch nicht verfristet.
Zwar kann der Versicherungsnehmer gemäß § 8 V 1 WG a.F. an sich nur innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Abschluss des Vertrages vom Vertrag zurücktreten. Die Frist beginnt aber gemäß § 8 V 3 WG a.F. erst zu laufen, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer über sein Rücktrittsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat. Dies ist hier nicht der Fall:
Zwar teilt die Kammer durchaus die Auffassung des OLG Köln (BeckRS 2015, 113016), wonach aus dem Wortlaut des § 8 V 3 WG a.F. nicht zu entnehmen ist, dass die Rücktrittsbelehrung durch eine gesonderte Unterschrift des Versicherungsnehmers zu bestätigen ist. Es genügt nach Auffassung der Kammer auch grundsätzlich die Unterschrift unter dem Antrag, in dem die Rücktrittsbelehrung enthalten ist. In diesem Fall ist aber wenigstens erforderlich, dass sie sich vom sonstigen Text deutlich abhebt. Andernfalls ist nicht gewährleistet, dass gerade auch die Kenntnis der Belehrung durch die Unterschrift bestätigt wird (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Auflage 2004, § 8 WG, Rn. 54 und 46 zu der damals geltenden Gesetzeslage). Nach Auffassung der Kammer hebt sich die Rücktrittsbelehrung in den Antragsformularen (Anl. K1, K3) nicht hinreichend deutlich vom sonstigen Text ab.
Abgesehen davon müsste die Belehrung nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 28.09.2016, IVZR 41/14 – juris) möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht des Verbrauchers auch eindeutig sein, wobei auch eine Form der Belehrung erforderlich ist, die dem Aufklärungsziel gerecht wird und zum Ziel hat, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln. Hieran fehlt es hier ebenfalls, und dies nicht nur in formeller Hinsicht (s.o.): Die Kammer teilt die Auffassung des OLG Frankfurt (vorgelegt als Anlage BB1), wonach dem Versicherungsnehmer hätte mitgeteilt werden müssen, dass der maßgebliche Zeitpunkt für den Fristbeginn der Zugang der Annahmeerklärung durch den Versicherer darstellt, welche in der Zusendung des Versicherungsscheins zu sehen ist.
Das Rücktrittsrecht des Klägers ist auch nicht gemäß § 8 V 4 WG ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen. Diese Befristung ist aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des § 8 WG bei vorliegendem Vertragstyp unwirksam (BGH, 28.09.2016 IV ZR 41/14, juris).
Das Rücktrittsrecht ist auch nicht verwirkt (§ 242 BGB). Die Beklagte zeigt nicht auf, aufgrund welcher besonderen Umstände trotz der nicht ordnungsgemäßen Rücktrittsbelehrung ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten vorliegen soll. Der vorliegende Fall ist nicht mit dem vom BGH (Urteil vom 22.03.2016, IV ZR 130/15) entschiedenen Fall vergleichbar. Eine unzulässige Rechts ausübung (§ 242 BGB) ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Das Rücktrittsrecht ist auch nicht entsprechend § 124 III BGB erloschen, weil seit Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. Zwar wäre diese Ausschlussfrist gemäß Art. 229 § 6 V, IV EGBGB durchaus in zeitlicher Hinsicht auf die vorliegenden, im Jahr 2000 abgeschlossenen Versicherungsverträge („Altverträge“) anwendbar. Nach Auffassung der Kammer ist diese Regelung aus dem Anfechtungsrecht aber nicht auf das hier maßgebliche Rücktrittsrecht analog anwendbar, da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.
2. Der Kläger kann aufgrund des wirksam ausgeübten Rücktrittsrechts gemäß § 346 I BGB die geleisteten Prämienzahlungen (abzüglich Risikokosten) zurückverlangen. Zudem ist zu bei der Berechnung zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits in der Klage die ausbezahlten Rückkaufswerte in Abzug gebracht hat.
Der von der Kammer zugesprochene Hauptsachebetrag von 1.310,77 € berechnet sich danach wie folgt:
„Versicherungsvertrag Endnummern -896:
Geleistete Prämienzahlungen:
1.738,08 € (unstreitig)
./. 33.55 € (Risikoanteil, unstreitig)
1.704,53 €
+ 0.00 € (Nutzungsersatz)
1.704,53 €
./. 1.004,60 € (vom Kl. selbst in Abzug gebrachter Rückkaufswert)
./. 51.53 € (Nachzahlung 2008. unstreitig)
648,40 €
Versicherungsvertrag Endnummern -902:
Geleistete Prämienzahlungen: 1.763,64 € (unstreitig)
./. 25,64 € (Risikoanteil, unstreitig)
1.738,00 €
+ 0,00 € (Nutzungsersatz)
1.738,00 €
./. 1.023,13 € (vom Kl. selbst in Abzug gebrachter Rückkaufswert)
./. 52.50 € (Nachzahlung 2008. unstreitig)
662,37 €
Gesamtsumme: 1.310,77 €
Der vom Kläger geltend gemachte Nutzungsersatzanspruch kann nicht zusätzlich bei der vorliegenden Berechnung angesetzt werden.“
Es ist für die Kammer bereits zweifelhaft, ob die Beklagte überhaupt Nutzungen aus den gesamten Prämienzahlungen in der vom Kläger geltend gemachten Höhe von 968,59 € (vgl. Anlage K15) bzw. 973,03 € (vgl. Anlage K16) gezogen hat (§ 346 I BGB). Die Beklagte hat die Eigenberechnungen des Klägers substantiiert bestritten.
Zudem folgt die Kammer der Auffassung des BGH (BeckRS 2016, 10791, Rn. 30), wonach bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung grundsätzlich nur der mit der Anlage des Sparanteils in Fonds erzielte Gewinn dem Versicherungsnehmer als tatsächlich gezogene Nutzung zustünde. Den ihm zustehenden Gewinn aus der Anlage des Sparanteils hat der Kläger jedoch bereits mit der Auszahlung des Rückkaufswerts erhalten (vgl. hierzu BGH, a.a.O., Rn. 27 und 31). Dies gilt auch beim gesetzlichen Rücktrittsrecht (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 485). Es bestehen vorliegend auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil für die Nutzungsziehung herangezogen worden ist (vgl. hierzu BGH, NJW-RR 2017, 485). Eine tatsächliche Vermutung zugunsten des Klägers besteht insoweit jedenfalls nicht (vgl. BGH, a.a.O.).
Die besonderen Voraussetzungen des § 347 I BGB sind nicht dargelegt worden. 3.
Die Klageforderung ist auch durchsetzbar. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung (§ 214 I BGB) ist unbegründet, da die Klageforderung erst im Jahr 2016 durch Ausübung des Rücktrittsrechts entstanden ist (§ 199 I BGB).
4. Der Zinsanspruch ergibt sich im tenorierten Umfang aus §§ 288 I, 291 BGB. 5.
Die vom Kläger geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (2 x 255,85 €) sind nicht gemäß §§ 280 I, II, 286 BGB ersatzfähig, da es an einem kausalen Verzugsschaden fehlt. Wie sich aus den Schriftsätzen vom 22.08.2016 ergibt, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst die Rücktrittserklärungen ausgesprochen, und damit erst die Rückzahlungsansprüche zur Entstehung gebracht, welche er später im Namen des Klägers durch weitere Schriftsätze gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 I, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Bei der Kostenregelung hat die Kammer auch das Teil unterliegen des Klägers hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten berücksichtigt.
IV.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 II ZPO liegen nicht vor.

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