Versicherungsrecht

Verwirkung des Widerspruchsrechts durch Verwertungsausschluss und Hinnahme von Prämienanpassungen

Aktenzeichen  25 U 4170/17

Datum:
10.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 45169
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG a.F. § 5a, § 15a, § 165 Abs. 3
SGB II § 12 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Die Geltendmachung des Widerspruchs gegen eine im Policenmodell geschlossene Lebensversicherung ist als widersprüchlich und treuwidrig zu bewerten, wenn der Versicherungsnehmer den Vertrag fast 16 Jahre durchgeführt, alle dynamischen Prämienanpassungen akzeptiert und während der Vertragslaufzeit einen Verwertungsausschluss gem. § 165 Abs. 3 VVG aF vereinbart hat. (Rn. 9 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

25 U 4170/17 2018-03-23 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.11.2017, Aktenzeichen 23 O 5464/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu trägen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.716,22 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger macht nach Widerspruch durch Schreiben vom 11.12.2015 gegen einen zum 01.02.2000 mit der Beklagten im Policenmodell abgeschlossenen kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrag, der bei einem Eintrittsalter des Klägers von 33 Jahren eine Versicherungs- und Beitragszahlungsdauer von 32 Jahren haben sollte, als Hauptforderung bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung der geleisteten Prämien zuzüglich gezogener Nutzungen in Höhe von insgesamt 12.716,22 € geltend. Im Jahr 2005 vereinbarten die Parteien für diesen Versicherungsvertrag auf eine Anfrage des Klägers im Hinblick auf das Hartz-IV-Gesetz hin einen Verwertungsausschluss nach § 165 Abs. 3 VVG in der damals geltenden Fassung (im Kern entsprechend § 168 Abs. 3 VVG in der aktuellen Fassung). Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 16.11.2017 Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Vertrag sei zwar mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung nicht wirksam zustande gekommen und der vereinbarte Verwertungsausschluss als solcher stehe der Ausübung des Widerspruchs nicht entgegen; dem Kläger sei jedoch die Geltendmachung des Anspruchs aufgrund eingetretener Verwirkung gemäß § 242 BGB verwehrt. Es lägen insbesondere unter Berücksichtigung des vereinbarten Verwertungsausschlusses besonders gravierende Umstände vor, die die Geltendmachung als treuwidrig erscheinen ließen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiterverfolgt. Gravierende Umstände im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lägen nicht vor, insbesondere weder ein Fall einer Wiederinkraftsetzung des Vertrages noch eine mehrfache Abtretung noch ein vergleichbarer Fall. Auf die Berufungsbegründung vom 17.01.2018 (Bl. 129/133 d.A.) und die Gegenerklärung vom 04.04.2018 (Bl. 153/155 d.A.) wird Bezug genommen.
Die Beklagte ist der Berufung mit Berufungserwiderung vom 16.03.2018 (Bl. 140/146 d.A.) entgegengetreten.
Der Senat hat mit Beschluss vom 23.03.2018 (Bl. 148/152 d.A.) auf seine Absicht, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, hingewiesen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.11.2017, Aktenzeichen 23 O 5464/17, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
Der Senat hält nach nochmaliger Prüfung unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Gegenerklärung an seiner Auffassung fest, dass in der Gesamtschau gravierende Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, die Geltendmachung des Widerspruchsrechts und des Bereicherungsanspruchs durch den Kläger als widersprüchlich und treuwidrig zu bewerten. Denn zum Zeitmoment der sehr langen Vertragsdurchführung von fast 16 Jahren bis zur Erklärung des Widerspruchs, während derer bis zur Beitragsfreistellung im August 2014 sämtliche dynamischer Prämienanpassungen akzeptiert wurden, und zum Umstand der Vertretung durch einen Versicherungsmakler bei Vertragsabschluss tritt vorliegend als besonders gewichtiger Wertungsgesichtspunkt die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses gemäß § 165 Abs. 3 VVG a.F. im Jahr 2005 hinzu.
Die Beklagte erläuterte dem Kläger damals mit Schreiben vom 27.05.2005 (Anlage BLD 1) aufgrund dessen Anfrage im Hinblick auf das Hartz IV-Gesetz hin die Neuregelungen des Hartz-IV-Gesetzes (der mit Wirkung ab dem 01.01.2005 eingeführten § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 165 Abs. 3 VVG a.F.), nach denen bestimmte geldwerte Ansprüche, dis der Altersvorsorge dienen, von dem für die Berechnung des Arbeitslosengeldes II zu berücksichtigenden Vermögen abgesetzt werden könnten. Voraussetzung hierfür sei (neben Begrenzungen in der Höhe), dass der Arbeitslose die der Altersvorsorge dienenden Ansprüche aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung vor dem Eintritt in den Ruhestand nicht verwerten könne; eine solche Vereinbarung wäre unwiderruflich, da die Freibeträge lediglich zum Schutz der Altersvorsorge eingeräumt würden. Im mit dem Schreiben übersandten Formular zur Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses (Anlage BLD 2) war festgehalten, dass Verwertung im Sinne dieser Vereinbarung jede Nutzung des wirtschaftlichen Wertes der Versicherung zugunsten des Versicherungsnehmers oder eines Dritten, z.B. durch Kündigung, Beleihung, Verpfändung oder Abtretung, sei.
Mit Unterzeichnung dieser Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses gab der Kläger aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers klar zu erkennen, dass er sich, um die Möglichkeit wirtschaftlicher Vorteile bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II zu erlangen, unwiderruflich dahingehend binden wollte, den durch die bisherige und künftige Beitragszahlung erkauften wirtschaftlichen Wert der betroffenen Versicherung erst bei Eintritt in den Ruhestand und damit zum Zweck der Altersvorsorge – und nicht allgemein zu: Vermögensbildung oder beispielsweise als Sicherungsmittel bei Kreditgeschäften – zu nutzen. Es handelte sich um eine eindeutige Bestätigung seines Vertragsbindurgswillens, bei der aus Sicht der Beklagten davon ausgegangen werden konnte, dass der Kläger an dem Vertrag unabhängig von der Kenntnis eines noch fortbestehenden Widerspruchsrechts jedenfalls wegen der mit diesem nunmehr verbundenen Vorteile festhalten wollte.
Mit der Erklärung des Widerspruchs im Dezember 2015 verhielt sich der Kläger widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich. Denn damit würde er nun einerseits entgegen der in der Vereinbarung festgehaltenen Intention des Verwertungsausschlusses den bis dahin angesammelten wirtschaftlichen Wert der Versicherung realisieren, wenn auch im Wege der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung, und diese damit etwa 15 Jahre vor dem vorgesehenen Vertragsende (reguläres Ruhestandsalter) sowie ohne jede Zweckbindung insoweit für sich „verwerten“. Andererseits hätte er sich zuvor über etwa 10 Jahre hinweg die mit dem Verwertungsausschluss verbundenen wirtschaftlichen Vorteile im Hinblick auf das Arbeitslosengeld II sowie auf die Gewährung von Pfändungsschutz und steuerlicher Förderung (aufgrund weiterer Gesetzesänderungen) gesichert, obwohl die Einräumung dieser Vorteile lediglich dem Schutz der privaten Altersvorsorge durch (wirksam abgeschlossene) Lebensversicherungen dienen soll und nach der gesetzgeberischen Intention eine missbräuchliche Zuführung des Vorsorgekapitals zu anderen Zwecken verhindert werden sollte (vgl. BT-Drs. 16/886 vom 09.03.2006, Seiten 7/8).
Der Senat hält daher an seiner schon im Hinweis dargestellten Auffassung fest, dass die vorliegende Fallgestaltung wertungsmäßig mit solchen Fallgestaltungen vergleichbar ist, in denen auch vom Bundesgerichtshof Treuwidrigkeit angenommen wurde.
Entgegen der in der Gegenerklärung dargestellten Ansicht des Klägers steht dieser Wertung auch nicht § 15 a VVG a.F. entgegen. Die gemäß § 165 Abs. 3 VVG a.F. explizit zulässige Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses wie hier ist keine „Vereinbarung, durch welche von … § 5 a … zum Nachteile des Versicherungsnehmers abgewichen wird“. Die einseitige Unabdingbarkeit von § 5 a VVG a.F. verbietet es nicht, in die Gesamtwürdigung der Umstände einer etwaigen Treuwidrigkeit nach § 242 BGB auch die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses einzubeziehen.
Da nach Auffassung des Bundesgerichtshofs keine allgemein gültigen Maßstäbe dafür aufgestellt werden können, wann besonders gravierende Umstände vorliegen, die einen Verstoß gegen Treu und Glauben begründen, die Beurteilung im Einzelfall vielmehr dem Tatrichter obliegt, kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht und kann die Zurückweisung der Berufung im Beschlussweg erfolgen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 3 ff. ZPO, 47, 48 Abs. 1 GKG bestimmt.


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