Verwaltungsrecht

8 B 3/20

Aktenzeichen  8 B 3/20

Datum:
11.11.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2020:111120B8B3.20.0
Spruchkörper:
8. Senat

Verfahrensgang

vorgehend VG Gera, 21. Mai 2019, Az: 6 K 1292/17 Ge, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 21. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1
Die Kläger begehren als Erben ihrer Mutter, Frau P. H., die Gewährung höherer Ausgleichsleistungen für deren 1948 entschädigungslos enteigneten Unternehmensanteil an der Kommanditgesellschaft L. W. KG, Strick- und Wirkwarenfabrik A. (nachfolgend: Unternehmen). Mit Bescheid vom 10. November 2017 wurde der Erbengemeinschaft nach P. H. eine Ausgleichsleistung in Höhe von 10 737,13 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 911,82 € zugesprochen. Das Verwaltungsgericht hat die auf die Gewährung einer höheren Ausgleichsleistung gerichtete Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
2
Die Beschwerde der Kläger, die allein Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht, hat keinen Erfolg.
3
1. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich nach ständiger Rechtsprechung nur dann als eine das Recht auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten. Das legen die Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
4
Ihr Vortrag, die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zum Einheitswert des Unternehmens zum 1. Januar 1935, zur Anteilswertfestsetzung zum 1. Januar 1940 und zum Kapitalanteil ihrer Mutter zum 31. Dezember 1946 beruhten auf ihnen unbekannten Tatsachen und seien daher überraschend gewesen, begründet keinen Verfahrensfehler. Das Verwaltungsgericht hat die beanstandeten Feststellungen dem von der Behörde vorgelegten Verwaltungsvorgang entnommen und diesen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Der Kläger zu 2 hat darüber hinaus am 18. und 19. April 2018 Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang genommen. Von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts konnten die Kläger daher nicht überrascht sein, vielmehr mussten sie mit ihnen rechnen. Auch die Auskunft des Finanzamts W. vom 15. Februar 2005, wonach nur Einheitswertbescheide für die Unternehmensgrundstücke, nicht aber für das Gesamtunternehmen zum Schädigungszeitpunkt vorlagen, ist Bestandteil des Verwaltungsvorgangs und konnte für die Kläger nicht überraschend sein.
5
Gleichfalls erfolglos bleibt ihre Rüge, der Auseinandersetzungsvertrag vom 18. Februar 1954 sei nicht Gegenstand des Verfahrens oder des Parteivortrags gewesen. Der Auseinandersetzungsvertrag ist ebenfalls Bestandteil des Verwaltungsvorgangs und musste den Klägern bekannt sein. Soweit sie darüber hinaus geltend machen, das Verwaltungsgericht hätte aus dem Auseinandersetzungsvertrag nicht auf Westvermögen des enteigneten Unternehmens schließen dürfen, wenden sie sich allein gegen die materiell-rechtliche Würdigung der Vorinstanz, die nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein kann. Das gilt auch für den Einwand, diese Würdigung werde den Voraussetzungen der Wertpapierbereinigung nicht gerecht. Bei ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht hätte seiner Entscheidung den vom Ausgleichsamt H. festgestellten Ersatzeinheitswert nicht zugrunde legen und Westvermögen davon nicht in Abzug bringen dürfen, handelt es sich ebenfalls um eine in das Gewand der Gehörsrüge gekleidete Kritik an der materiell-rechtlichen Würdigung der Vorinstanz. Im Hinblick darauf bedurfte es auch keines vorherigen gerichtlichen Hinweises (§ 86 Abs. 3 VwGO), denn ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Juli 2018 – 8 B 46.17 – juris Rn. 11 m.w.N.). Unabhängig davon hat der Vorsitzende ausweislich der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass das Gericht den angefochtenen Bescheid für nachvollziehbar halte und die Kläger keine zu einer abweichenden Bewertung führenden Unterlagen vorgelegt hätten.
6
2. Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nicht dargelegt. Wird die Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO geltend gemacht, muss der Rechtsmittelführer substantiiert darlegen, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer ihm günstigeren Entscheidung hätte führen können (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2020 – 8 C 13.19 – juris Rn. 26). Daran fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat der Bemessung der Ausgleichsleistung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 EntschG den für das Unternehmen bestandskräftig festgestellten Ersatzeinheitswert des Ausgleichsamts H. zugrunde gelegt, weil ein Einheitswert für das Gesamtunternehmen zum Schädigungszeitpunkt nach Auskunft des Finanzamts W. vom 15. Februar 2005 nicht vorlag. Wiederaufnahmegründe, die im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG i.V.m. § 580 ZPO zu einer abweichenden Bemessungsgrundlage führen könnten, hat es verneint. Die Kläger legen nicht dar, welche über die vom Beklagten bei der Finanzverwaltung veranlassten Ermittlungen hinausgehenden Aufklärungsmaßnahmen sich dem Verwaltungsgericht auch ohne förmlichen Beweisantrag hätten aufdrängen müssen.
7
3. Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe ohne die Prüfung der staats- und völkerrechtlichen Vorfragen entschieden, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2000 – 1 BvR 2307/94 u.a. – (BVerfGE 102, 254) sowie seine eigene Rechtsprechung verwiesen und damit zu erkennen gegeben, dass es die Rechtsauffassung der Kläger, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei gegenstandslos geworden, nicht teilt. Danach bestand aus der für die Beurteilung von Verfahrensrügen maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts kein Anlass für die von den Klägern angeregte Vorlage des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht. Darin liegt weder eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter noch ein Verstoß gegen die Gewährleistung rechtlichen Gehörs.
8
4. Soweit die Kläger schließlich sinngemäß geltend machen, es fehle an einer Ladung zum Termin vom 21. Mai 2019, trifft auch dieser Vortrag nicht zu. Der Kläger zu 2, zugleich als Bevollmächtigter des Klägers zu 1, wurde mit Schreiben vom 12. April 2019 gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO ordnungsgemäß geladen. Abgesehen davon war der Kläger zu 2 ausweislich der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung am 21. Mai 2019 auch persönlich anwesend.
9
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.


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