Verwaltungsrecht

Abgelehnter Antrag auf Zulassung der Berufung – Rechtmäßiger Vorauszahlungsbescheid auf den Straßenausbaubeitrag

Aktenzeichen  6 ZB 18.2370

Datum:
9.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15136
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 5 S. 1, Art. 19 Abs. 7, Abs. 8
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 124a Abs. 5 S. 2, S. 4, § 152 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine Abschnittsbildung iSd Art. 5 Abs. 1 S. 5 Hs. 1 KAG setzt unter anderem eine eindeutige Willensbekundung zur Bildung eines Abrechnungsabschnitts voraus. Will die Gemeinde abweichend von der Regel den Ausbauaufwand nicht auf der Grundlage einer einzelnen Ortsstraße, sondern auf der eines (Abrechnungs-)Abschnitts ermitteln, ist es erforderlich, dass sie ihren Willen zur Abschnittsbildung deutlich zum Ausdruck bringt. (Rn. 11) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Die Beitragsfähigkeit für den Ausbau von Gehwegen entfällt nur dann, wenn diese funktionsunfähig wären, also die ihnen zugedachte verkehrstechnische Funktion nicht erfüllen könnten. (Rn. 12) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Das (hier: das Nichterfüllen der zugedachten verkehrstechischen Funktion) ist nicht schon der Fall, wenn wegen der – infolge der Neuananlegung von Verkehrseinrichtungen – beengten Verhältnisse die in den „Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsanlagen“ genannte (idealtypische) Mindestbreite von 1,50 m mehr oder weniger deutlich unterschritten wird. Diese Empfehlungen haben keine verbindliche Wirkung wie ein Gesetz. (Rn. 12) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

RO 11 K 18.366 2018-09-19 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 19. September 2018 – RO 11 K 18.366 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.595,33 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Der Kläger wurde mit Bescheid vom 31. Oktober 2014 als Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1239 von der beklagten Stadt für die Erneuerung und Verbesserung der Ortsstraße S.straße zwischen „Kreisverkehr JVA und K.straße“ zu einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag in Höhe von 7.595,33 € herangezogen.
Den vom Kläger erhobenen Widerspruch hat die Regierung der Oberpfalz mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2017 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 19. September 2018 abgewiesen. Es ist zum Ergebnis gelangt, dass der Vorauszahlungsbescheid rechtmäßig sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Die im Zulassungsantrag dargelegten Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die in einem Berufungsverfahren geklärt werden müssten.
Durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) wurde rückwirkend zum 1. Januar 2018 die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verboten (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG n.F.). Allerdings verbleibt es für Beiträge und für Vorauszahlungen, die – wie hier – bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG bei der früheren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage, die sich aus dem Kommunalabgabengesetz selbst (KAG a.F.) und dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt. Auf dieser Grundlage hat der Senat mit dem Verwaltungsgericht weder dem Grunde noch der Höhe nach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vorauszahlungsbescheids.
Der Zulassungsantrag zieht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass beitragsrechtlich auf den Straßenzug der S.straße beginnend von der Abzweigung vom „Kreisverkehr JVA“ bis zur Einmündung in den (noch zu errichtenden) Kreisverkehr K.straße als maßgebliche Einrichtung abzustellen ist, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Zweifel.
Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass bei einer beitragsfähigen Ausbaumaßnahme grundsätzlich auf die einzelne Ortsstraße als die maßgebliche öffentliche Einrichtung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG a.F. abzustellen ist. Wo eine solche Ortsstraße beginnt und wo sie endet, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Einrichtung als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen oder Grundstücksgrenzen, sondern ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Ausstattung mit Teileinrichtungen auszurichten (vgl. etwa BayVGH, B.v. 6.12.2017 – 6 ZB 17.1104 – juris Rn. 7; U.v. 1.6.2011 – 6 BV 10.2467 – BayVBl 2012, 206 Rn. 41; U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – BayVBl 2010, 470 Rn. 12). Zugrunde zu legen ist dabei der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten, also nach Durchführung der Ausbaumaßnahme. Bei der – hier in Streit stehenden – Erhebung von Vorauszahlungen, die begrifflich immer vor dem Entstehen der endgültigen sachlichen Beitragspflichten erfolgt, ist prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu bewerten, wie die Ortsstraße sich nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird (BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 6 ZB 17.1585 – juris Rn. 5; B.v.13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 8).
Gemessen an diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht mit überzeugenden Erwägungen zum Ergebnis gelangt, dass für die Erhebung der streitigen Vorauszahlung – nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2017 – auf den Straßenzug der Sstraße beginnend von der Abzweigung vom „Kreisverkehr JVA“ bis zur Einmündung in den (noch zu errichtenden) Kreisverkehr K.straße als beitragsrechtlich maßgebliche Einrichtung abzustellen ist. Die Einwände des Klägers dagegen bleiben ohne Erfolg.
a) Fehl geht der Einwand, dass nicht feststehe, wie der Kreisverkehr K.straße genau ausgestaltet werde, zumal auch der Umfang des Grunderwerbs noch nicht feststehe. Er verkennt den Maßstab für die bei Vorauszahlungen vorzunehmende Prognose. Da bei der Erhebung von Vorauszahlungen im Sinne des Art. 5 Abs. 5 Satz 1 KAG prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu bewerten ist, wie sich die Ortsstraße nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird (BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 6 ZB 17.1585 – juris Rn. 5; B.v.13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 8), hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf das zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2017 (und nach Aktenlage bis heute) geltende Ausbauprogramm der Beklagten für die S.straße abgestellt. Dieses sieht nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Westen einen Kreisverkehr mit einem Durchmesser von 20 m und einer erhöhten Mittelinsel mit 8 m Durchmesser vor, in den drei selbstständige Straßenäste münden. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass dieser Kreisverkehr eine deutliche Zäsur bewirkt und die abgerechnete S.straße – nach Umsetzung des Ausbauprogramms – an der Einmündung in den Kreisverkehr endet, begegnet keinen ernstlichen Zweifeln. Damit sind die westlich des Kreisverkehrs gelegenen Grundstücke entgegen der Annahme des Klägers nicht am umlagefähigen Aufwand zu beteiligen, weil sie an einer eigenständigen Ortsstraße anliegen.
b) Der Einwand der Klägerseite, dass eine unzulässige Abschnittsbildung vorliege, trifft nicht zu. Eine Abschnittsbildung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 KAG setzt – neben weiteren Voraussetzungen (BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 6 ZB 17.1585 – juris) u.a. eine eindeutige Willensbekundung zur Bildung eines Abrechnungsabschnitts voraus. Will die Gemeinde abweichend von der Regel den Ausbauaufwand nicht auf der Grundlage einer einzelnen Ortsstraße, sondern auf der eines (Abrechnungs-)Abschnitts ermitteln, ist es erforderlich, dass sie ihren Willen zur Abschnittsbildung deutlich zum Ausdruck bringt. Es bedarf einer entsprechenden Entscheidung der Gemeinde, die als konstitutiver „innerdienstlicher Ermessensakt“ deutlich und unmissverständlich bekundet und vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflichten getroffen werden muss (BayVGH, B.v. 13.2.2015 – 6 B 14.2372 – juris Rn. 15; U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – BayVBl 2010, 470/471). Eine solche kann weder dem Beschluss des Bauausschusses vom 24. September 2008, mit dem lediglich das Bauprogramm für die S.straße (zwischen K.straße und Z.straße) beschlossen wurde, noch der Beschlussvorlage des Referats für Stadtentwicklung und Bauen vom 15. September 2008 für den Bauausschuss entnommen werden. Die im Zusammenhang mit der Abschnittsbildung vorgebrachten Rügen gehen daher ins Leere, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat.
c) Ohne Erfolg bleiben auch die Rügen der Klägerseite, dass die nach dem Ausbau zu schmal bemessenen Gehwege nicht ordnungsgemäß genutzt werden könnten. Die Gehwege beidseits der S.straße wurden – infolge der Anlegung eines Parkstreifens auf der südlichen Straßenseite sowie zweier Angebotsstreifen für Radfahrer in jede Richtung – verschmälert. Dies führt entgegen der Auffassung des Klägers aber noch nicht zur Funktionsunfähigkeit der Gehwege. Die Beitragsfähigkeit für den Ausbau der Gehwege würde nur dann entfallen, wenn diese funktionsunfähig wären, also die ihnen zugedachte verkehrstechnische Funktion nicht erfüllen könnten. Davon kann hier keine Rede sein, auch wenn wegen der – infolge der Neuananlegung von Verkehrseinrichtungen – beengten Verhältnisse die in den „Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsanlagen“ genannte (idealtypische) Mindestbreite von 1,50 m mehr oder weniger deutlich unterschritten wird. Diese Empfehlungen haben indes keine verbindliche Wirkung wie ein Gesetz. Der genannte Wert zielt darauf ab, eine störungsfreie Begegnung zweier Fußgänger zu ermöglichen. Ein Gehweg kann jedoch schon dann – wenn auch eingeschränkt, so doch noch ausreichend – funktionsfähig sein, wenn er den erforderlichen Mindestgehraum für einen Fußgänger bietet (BayVGH, B.v. 18.7.2017 – 6 ZB 16.681 – juris Rn. 12 m.w.N.). Legt man mit den genannten Empfehlungen für einen Fußgänger eine Grundbreite von 55 cm zu Grunde und veranschlagt zusätzlich beidseitig einen Bewegungsspielraum von jeweils 10 cm, so ergibt sich für den notwendigen Verkehrsraum eines Fußgängers eine Mindestgehwegbreite von 75 cm. Das ist bei den Gehwegen entlang der ausgebauten S.straße der Fall; weil sie nach den Angaben des Klägers „ca. 0,8 m bis unter 1,25 m“ breit sind. Selbst wenn die Breite an vereinzelten Engstellen unter diesem Wert bliebe, würde das die Beitragsfähigkeit nicht entfallen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2017 – 6 ZB 16.681 – juris Rn. 12; U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 38 m.w.N.).
d) Die Rüge des Klägers, dass die Grundstücke FlNr. 1245/1, 1245/6 und 1245/8 zu Unrecht nicht bei der Verteilung des beitragsfähigen Aufwands berücksichtigt worden seien, greift ebenfalls nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Grundstücke nach den Festsetzungen des rechtsverbindlichen Bebauungsplans „S/H.straße“ durch eine Schallschutzwand von der abgerechneten S.straße abgetrennt werden sollen. Entlang der jeweiligen Grenzen dieser Grundstücke ist zur Dämmung in den Erdgeschossen die Einfriedung als fugendichte Schallschutzwand bzw. -mauer mit 2,0 m Höhe auszubilden (Festsetzung Nr. 12 des Bebauungsplans). Damit ist nach vollständiger Umsetzung des Bauprogramms eine Inanspruchnahme der S.straße von diesen Grundstücken aus nicht mehr möglich. Dass die Lärmschutzwände entlang der Grundstücke FlNr. 1245/1, 1245/6 und 1245/8 derzeit noch nicht existieren und ihre Finanzierung nach Angaben des Klägers nicht gesichert ist, ist beitragsrechtlich unbeachtlich. Maßgeblich ist allein das gemeindliche Bauprogramm, das den Rahmen für die beitragsrechtliche Beurteilung vorgibt. Es kommt deshalb darauf an, wie sich die Ortsstraße nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird (BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 6 ZB 17.1585 – juris Rn. 5).
2. Die Rechtssache weist aus den unter 1. genannten Gründen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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