Verwaltungsrecht

Abgewiesene Klage eines eritreischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 12 K 17.49204 1810

Datum:
11.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56853
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwVfG § 43

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Verfahrensgegenstand ist, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 8 September 2017 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG, hilfsweise auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gem. § 4 AsylG und hilfsweise auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hat (vgl. Antrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung und vom 9. November 2017).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klage zulässig ist. Jedenfalls ist sie unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die Behauptung des Klägerbevollmächtigten, es fehle an einer wirksamen Bekanntgabe des Bescheides, ist unzutreffend. Es mag sein, dass dem Kläger der Bescheid nicht zugestellt wurde, was zur Folge hatte, dass die Klagefrist nicht zu laufen begann. Allerdings bedeutet Bekanntgabe des Bescheides gem. § 43 VwVfG, dass der Kläger vom Bescheid Kenntnis erhalten hat. Der Kläger hat nach Angabe des Prozessbevollmächtigten vom Bescheid Kenntnis erhalten durch Übersendung der Bundesamtsakte, in der sich der Bescheid befand. Durch die Bekanntgabe wurde der Bescheid existent und konnte von diesem Zeitpunkt an mit Rechtsbehelfen angegriffen werden. Dementsprechend hat der Bevollmächtigte auch gegen den Bescheid vom 8. September 2019 am 9. November 2017 Klage erhoben.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG, Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG oder Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Auch liegen bei dem Kläger keine nationalen Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i.S.d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Der Kläger macht zwar Flüchtlingseigenschaft hinsichtlich einer auf Eritrea bezogenen Verfolgungsfurcht geltend; das Gericht geht aber davon aus, dass der Kläger nicht die eritreische Staatsangehörigkeit hat, sondern die äthiopische.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1A Nr. 2 GFK nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder – bei de jure Staatenlosen – im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 10 C 50/07 – juris; U.v. 8.2.2005 – 1c 29.03 – juris). Ist der Kläger aber äthiopischer Staatsangehöriger oder ist die Staatsangehörigkeit ungeklärt, ist die Flüchtlingseigenschaft bei ihm nicht gegeben, da er in Äthiopien keiner flüchtlingsrelevanten Bedrohung ausgesetzt ist, so dass es auf seinen Eritrea betreffenden Vortrag nicht ankommen kann.
Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, weil Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden. Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dementsprechend gibt es keine Beweisregel des Inhalts, dass der Nachweis der Staatsangehörigkeit eines Staates nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates geführt werden kann. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck der freien Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden (BVerwG, U.v. 8.2.2015 – 1 C 29/03 – juris). Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln.
Dass der Kläger mit Blick auf die geltend gemachte Verfolgungsfurcht tatsächlich eritreischer Staatsangehöriger ist, hat der darlegungs- und nach Kräften beweisbelastete Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können.
Die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage ergibt sich in Äthiopien aus Art. 33 der Verfassung vom 21. August 1995, dem früheren Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) Äthiopien 1930, das durch Art. 25 des nachfolgenden StAG Äthiopien 2003 aufgehoben wurde und dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003, das am selben Tag in Kraft trat (Zitierung nach Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien, Stand 1. November 2004, S. 15 ff.).
In Eritrea ergibt sich die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage aus der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992, die am 24. Mai 1993, dem Tag der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas in Kraft trat (Zitierung nach Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea, Stand: 23. August 2004, S. 8 ff.).
Der Kläger konnte keine Dokumente vorlegen, die seine eritreische Staatsangehörigkeit beweisen würden. Er trug vor, noch nie Personaldokumente besessen zu haben (Bl. 54 BA und Vortrag in der mündlichen Verhandlung).
Der Kläger trug vor, im Jahr 1995 in Äthiopien geboren zu sein (Bl. 96 und 54 BA). Die Eltern seien „aus Eritrea“ (Bl. 54 BA), dies glaube der Kläger, „weil sie von Äthiopien ausgewandert seien“ (Bl. 83 BA).
Mit der Geburt auf äthiopischen Gebiet im Jahr 1995 hat der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit nicht erworben. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwar den Staat Eritrea und die eritreische Staatsangehörigkeit. Allerdings konnte der Kläger nicht glaubhaft machen, dass die Eltern des Klägers die eritreische Staatsangehörigkeit hatten, die sie an der Käger hätten weitergeben können.
Durch die o.g. Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 (im Folgenden: Proklamation) hat der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit von seinen Eltern nicht erworben. Nach Art. 2 Abs. 1 der Proklamation ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vaters oder einer Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. „Eritreischer Abstammung“ ist gem. Art. 2 Abs. 2 der Proklamation, wer 1933 seinen Aufenthalt in Eritrea hatte. Grund für das Abstellen auf das Jahr 1933 war, dass die damalige Kolonialmacht Italien in jenem Jahr eine umfassende Registrierung der örtlichen Bevölkerung begann. Der Begriff der „eritreischen Abstammung“ in Art. 2 Abs. 2 der Proklamation ist also nicht mit der eritreischen Volkszugehörigkeit identisch, sondern verlangt den Aufenthalt einer Person im Gebiet des heutigen Eritrea im Jahr 1933 (VGH Baden Württemberg, U.v. 21.1.2003 – A 9 S 397/00 – juris). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift muss es auch ausreichen, wenn die Eltern der Eltern der Kläger im Jahr 1933 auf dem Gebiet von Eritrea gelebt hat (VG Münster, U.v. 22.7.2015 – 9 K 3488/13.A – juris).
Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Eltern oder die Vorfahren der Eltern im Jahr 1933 auf dem Gebiet Eritreas gelebt haben. Die Einlassung des Klägers beim Bundesamt, er könne sich an seinen Vater nicht erinnern, er sei als Soldat im Jahr 1998 gestorben (Bl. 83, 84 BA), die Mutter sei ebenfalls verstorben (Bl. 84 BA), er habe keine Verwandten in Eritrea (Bl. 55, 57 BA), wo der Bruder und die Schwester lebten, wisse er nicht, der Bruder habe 10 Jahre im Sudan gelebt (Bl. 55 BA), an die Personalien des Großvaters väterlicherseits erinnere er sich nicht, genügt dafür nicht.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger nachträglich die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit gem. Art. 2 Abs. 5 oder Art. 3 ff. der Proklamation erworben hat. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er oder seine Eltern einen Antrag an das eritreische Innenministerium zum Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit gerichtet haben, Art. 2 Abs. 5 der Proklamation. Auch haben die Eltern offenbar nicht am Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 1993 teilgenommen. Der Kläger hat entsprechende Fragen nach der Anerkennung der eritreischen Staatsbürgerschaft der Eltern beim Bundesamt entweder verneint oder nicht beantwortet (Bl. 97 BA). Darüber hinaus kann aus den Angaben des Klägers auch nicht darauf geschlossen werden, dass sich die Eltern im Jahr 1993 überhaupt auf eritreischem Gebiet befunden haben. Er trug vor, die Mutter sei nach dem Tod des Vaters mit den Kindern im Jahr 1998 nach Eritrea gegangen (Bl. 54, 96 BA). Bis dahin haben alle offenbar in Äthiopien gelebt. Wo der Vater gelebt haben soll, wurde nicht vorgetragen. Er sei im Jahr 1998 als Soldat gestorben, der Kläger könne sich nicht an ihn erinnern (Bl. 83, 84 BA). Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Eltern am Unabhängigkeitsreferendum teilgenommen haben und/oder sich beim eritreischen Innenministerium haben registrieren lassen (vgl. Stellungnahme des … … vom 20. Juni 2017 an VG Kassel, Rn. 38). Hätten der Vater oder die Mutter im Jahr 1993 eine eritreische ID-Karte erhalten, wäre der Kläger als minderjähriges Kind in den Unterlagen der eritreischen Behörden automatisch als eritreischer Staatsbüger eingetragen worden (* … …, a.a.O., Rn. 39). Auch durch Einbürgerung, Adoption oder Eheschließung hat der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit offenbar nicht erworben, Art. 3 ff. der Proklamation. Aus einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an den VGH Baden-Württemberg vom 21.11.2001 ergibt sich, dass im Ausland lebende Eritreer, auch wenn sie eine fremde Staatsangehörigkeit besitzen, als eritreische Staatsangehörige anerkannt werden, wenn sie ihre Abstammung nachweisen oder Zeugen dafür benennen können. Üblicherweise würden Eritreer bei der jeweiligen Auslandsvertretung vorsprechen und eine ID-Card oder einen eritreischen Pass beantragen. Mit diesem Antrag müssen Nachweise über die eritreische Abstammung eingereicht werden bzw. Zeugen, die die Abstammung bestätigen können, benannt werden (VGH BadenWürttemberg, U.v. 21.1.2003 – A 9 S 397/00 – juris). Dies hat der Kläger offenbar nicht getan.
Auch die weiteren Umstände sprechen gegen eine eritreische Staatsangehörigkeit des Klägers. Er konnte über das Land seiner behaupteten Staatsangehörigkeit nichts sagen (Bl. 55, 56 BA). Wären die Eltern, insbesondere die Mutter, eritreische Staatsangehörige gewesen und der Kläger selbst als Kind für zwei Jahre in Eritrea gewesen, müsste er zumindest etwas über Eritrea wissen oder sich zumindest dafür interessieren. Dasselbe gilt auch von der Sprache tigrinia, die er von der Mutter bis zum Alter von vier oder fünf Jahren (in der Lebenszeit, in der die Sprache erlernt wird) hätte erlernen müssen. Die Einlassung des Klägers beim Bundesamt, nach der Ausreise aus Äthiopien habe er mit dem Bruder im Sudan gelebt, wo er mit Äthiopiern Kontakt gehabt und amharisch gesprochen habe (Bl. 97 BA), überzeugt nicht. Es geht um die Zeit nach seiner Geburt im Jahr 1995 bis zur behaupteten Ausreise nach Eritrea im Jahr 1998 bis zum Alter von vier oder fünf Jahren nach dem Tod der Mutter, als er in den Sudan gegangen sein will. In diesen vier Jahren hat er mit der Mutter zusammengelebt, z. T. angeblich in Eritrea, so dass er eigentlich tigrinisch hätte lernen können.
Im Übrigen können sich Eritreer – selbst wenn der Kläger ein solcher wäre – seit Januar 2004 in Äthiopien entweder einbürgern lassen oder erhalten auf Wunsch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Sie können eine äthiopische Identitätskarte beantragen, auf der ihre eritreische Staatsangehörigkeit vermerkt wird, ebenso wie einen äthiopischen Fremdenpass. Als weiteres „Privileg“ können sie ihre (im Ausland) erfolgte Geburt nachregistrieren lassen und damit auch Geburtsurkunden beantragen. Das Verfahren läuft problemlos (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.12.2012, II. 1.3). Insofern hätte der Kläger in Äthiopien ohne weiteres Identifikationspapiere über seine behauptete eritreische Herkunft erhalten können, auch vom Ausland aus (vgl. auch Institut für Afrika-Studien (GIGA) vom 13.8.2009 an VG Sigmaringen, Amnesty international vom 27. Juli 2009 vom an das VG Sigmaringen). Da er dies nicht getan hat, spricht nichts für seine eritreische Staatsangehörigkeit (Stellungnahme … … an VG Kassel vom 20. Juni 2017, Rn. 45).
Der Kläger ist seiner Darlegungs- und Beweislast daher nicht nachgekommen; es spricht nichts dafür, dass er die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt.
Daran ändert auch die vom Klägerbevollmächtigten vorgelegte Bescheinigung des äthiopischen Generalkonsulats vom 12. Oktober 2019 nichts. Da der Kläger keine Dokumente über seine Staatsangehörigkeit vorgelegt hat, hat er natürlich weder gegenüber dem Gericht noch gegenüber dem Generalkonsulat „Beweise“ im Sinne der vorgelegten Bescheinigung vorgelegt. Wie aber oben ausgeführt, muss das Gericht im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung prüfen, welche Staatsangehörigkeit der Kläger hat; dies hat das Gericht auch ausführlich getan (vgl. oben).
Darüber hinaus hat der Kläger für die Ausreise aus Eritrea und Äthiopien einen unsubstantiierten, unglaubhaften, nicht asylrelevanten Sachverhalt vorgetragen, so dass sich daraus keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt.
Für die Ausreise aus Äthiopien hat der Kläger keine asylrelevanten oder nachvollziehbaren Gründe vorgetragen. Er trug vor, Äthiopien sei nicht „seine Heimat“, er kenne Äthiopien nicht, Äthiopien habe ihn abgeschoben (Bl. 72 BA). Dabei handelt es sich um nicht asylrechtlich relevantes Vorbringen. Eritreische Flüchtlinge werden auch längst nicht mehr aus Äthiopien abgeschoben (vgl. z.B. VG Münster – 11 K 3094/16.A – juris). Äthiopien verfolgt eine Politik der offenen Tür und nimmt Flüchtlinge aus den Nachbarländern, insbesondere aus Eritrea, in der Regel ohne weitergehende Prüfung auf (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 8.4.2019, III.5).
Für die Ausreise aus Eritrea trug der Kläger nur vor, er habe dort keine Familie und keine Verwandte, er habe Angst um sein Leben und er habe seinen Vater im Krieg verloren (Bl. 72 BA). In der mündlichen Verhandlung trug er vor, Eritrea verlassen zu haben, weil die Mutter gestorben sei und der Bruder zwangsrekrutiert werden sollte. Dabei handelt es sich nicht um ihn persönlich betreffende, asylrechtlich irrelevante Gründe. Im Übrigen hat der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit nicht glaubhaft gemacht (siehe oben), so dass es auf die Eritrea betreffenden Gründe nicht ankommt. Unerheblich ist deshalb auch, ob die Ausreise des Klägers aus Eritrea als Kind als Entziehung aus dem eritreischen Nationaldienst angesehen werden könnte.
Auf die Gründe der Ausreise aus dem Sudan kommt es nicht an, da weder der Kläger behauptet, dass er sudanesischer Staatsangehöriger ist noch ergibt sich dies aus den vom Kläger geschilderten Umständen.
Insgesamt hat der Kläger zu seiner Vorverfolgung einen asylrechtlich irrelevanten bzw. unglaubhaften Sachverhalt vorgetragen, von dem das Gericht annimmt, dass er sich nicht ereignet hat und der Kläger aus Eritrea und Äthiopien sowie dem Sudan aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist ist. Er hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung von Familienasyl gem. § 26 Abs. 3 AsylG. Der Bevollmächtigte trägt zwar vor, dass der Kindsmutter und dem Kläger Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Allerdings kann Familienasyl nur gewährt werden, wenn die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst.j der RL 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Inhaber der Flüchtlingseigenschaft politisch verfolgt wird, § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 Satz 2 AsylG. Dass vorliegend die Kindsmutter mit dem Kläger bereits in Eritrea oder Äthiopien als Familie gelebt hat, wurde nicht glaubhaft gemacht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG. Zum einen wird auf obige Ausführungen verwiesen; zum anderen ist der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat eingereist (Bl. 69 BA), so dass er schon deshalb nicht als Asylberechtigter anzuerkennen ist, § 26a AsylG.
Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Äthiopien die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht der Kläger selbst nicht geltend.
Es kann auch nicht angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Dafür wurden vom Kläger keine Anhaltspunkte vorgetragen.
Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.
Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 82 ff. m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei dem Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge hat. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, hat trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, AdhocBericht, S. 20). Jedenfalls lässt sich nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.
Aus allen diesen Gründen ist dem Kläger kein subsidiärer Schutz gem. § 4 AsylG zuzuerkennen.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt offensichtlich nicht vor.
Bei dem Kläge liegt auch kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Kläger können keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie bei ihrer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wären, dass sie im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würden (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Ca. 3,2 Mio. Äthiopier waren in 2014 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, Die Hilfskosten wurden für 2014 auf 451,9 Mio. US-$ beziffert, darin enthalten sind neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch Non Food Items wie Kosten für Hygiene und Gesundheit. Zusätzlich werden 7.8 Mio. Menschen über das Productive Safety net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigen würden (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 4.3.2015, IV.1.1.1 und vom 24.5.2016., IV.1.11, vom 22.3.und 17.10.2018 sowie vom 8.4.2019 jeweils IV.1.1.1). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen.
Der Kläger hat in Äthiopien keine Schule besucht, er hat als Hilfskraft in einer Werkstatt als KFZ-Mechaniker und Lackierer gearbeitet (Bl. 70 BA). Er wird im Bundesgebiet etwas Deutsch lernen können. Es ist dem Kläger zuzumuten, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür er als Rückkehrer gute Chancen hat; er kann auch an die von ihm ausgeübten Tätigkeiten als Hilfskraft anknüpfen und in einem ähnlichen Beruf in Äthiopien arbeiten.
Die Stellung eines Asylantrags im Bundesgebiet bzw. die illegale Ausreise aus Äthiopien oder Eritrea bleiben bei Rückkehr ohne Konsequenzen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Äthiopien vom 24.5.2016, II.,1.9 und vom 6. 3. 2017, IV. 2, 8.4.2019, IV.2; Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Eritrea vom 22.3.2019, IV.2).
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigter/Schutzberechtigter anerkannt.
Soweit sich der Kläger mit seiner Klage gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate wenden, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Über den gestellten Hilfsantrag war nicht zu entscheiden, da er nur für den Fall gestellt wurde, dass das Gericht nicht von einer wirksamen Bekanntgabe des Bescheides ausgeht. Das Gericht geht aber davon aus, dass der Bescheid wirksam bekanntgegeben wurde (siehe oben). Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO.


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