Verwaltungsrecht

Ablehnung der Gewährung von Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz auch bei staatlicher Verfolgung im Falle einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Aktenzeichen  11 ZB 17.30904

Datum:
4.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 122972
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2011/95/EU Art. 8
AsylG § 3c Nr. 1, Nr. 2, § 3d, § 3e Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Es ist hinreichend geklärt, dass die Ablehnung der Gewährung von Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz auch bei staatlicher Verfolgung grundsätzlich in Betracht kommt. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Falle einer Verfolgung durch den Staat oder Vertretern des Staates besteht eine Vermutung dafür, dass dem Antragsteller kein wirksamer Schutz zur Verfügung steht. Diese Vermutung ist jedoch widerleglich, wenn besondere Umstände vorliegen, dass der Verweis auf internen Schutz zumutbar ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Fragen, ob in der Ukraine ein wirksamer und nicht nur vorübergehender Schutz vor staatlicher Verfolgung iSv § 3e Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 iVm § 3d AsylG besteht und ob in der Ukraine andere Schutzakteure vorhanden sind, die in der Lage sind, Grundrechte zu gewährleisten und Schutz gegen staatliche Verfolgung zu bieten, sind einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 16.30406 2017-06-07 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Berufungszulassungsgründe hinreichend dargelegt ist.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72).
Die vom Kläger formulierte Frage, ob § 3e Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG auch dann anwendbar ist, wenn die Verfolgung ausschließlich von einem staatlichen Verfolgungsakteur (§ 3 c Nr. 1 und 2 AsylG) ausgeht, ist nicht klärungsbedürftig, sondern es ist hinreichend geklärt, dass die Ablehnung der Gewährung von Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz auch bei staatlicher Verfolgung grundsätzlich in Betracht kommt.
Der Einwand einer inländischen Fluchtalternative ist von der Rechtsprechung im Rahmen des Asylgrundrechts, jetzt Art. 16a GG, entwickelt worden (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 1 BvR 502/86 u.a. – BVerfGE 80, 333 = juris Rn. 61 ff.). Art. 16a GG gewährt dabei nur Schutz vor staatlicher Verfolgung, die entweder direkt vom Heimatstaat ausgeht oder diesem zumindest zurechenbar ist (BVerfG a.a.O. Rn. 40 und 46; Leibholz/Rinck/Hesselberger in Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 74. Lieferung 7.2017, Art. 16a GG, Rn. 62).
In Anlehnung an diese Rechtsprechung schließt Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – RL 2011/95/EU, ABl Nr. L 337 S. 9) ein Recht auf internationalen Schutz aus, wenn eine interne Schutzmöglichkeit gegeben ist. Insoweit wurde Art. 8 RL 2011/95/EU inhaltlich identisch vom Bundesgesetzgeber durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) mit Wirkung vom 1. Dezember 2013 in § 3e AsylVfG (mittlerweile § 3e AsylG) umgesetzt.
Aus Nr. 27 der Erwägungsgründe der Qualifikationsrichtlinie geht hervor, dass interner Schutz vor Verfolgung auch bei staatlicher Verfolgung grundsätzlich in Betracht kommt. Im Falle einer Verfolgung durch den Staat oder Vertretern des Staates sollte danach aber eine Vermutung dafür bestehen, dass dem Antragsteller kein wirksamer Schutz zur Verfügung steht. Diese Vermutung ist jedoch widerleglich, wenn besondere Umstände vorliegen, dass der Verweis auf internen Schutz zumutbar ist (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, Teil 1 Kapitel 3 § 14 Rn. 118, S. 218). Davon gehen sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Marx a.a.O. Rn. 124, S. 219) als auch die deutsche Rechtsprechung aus (Marx a.a.O. Rn. 125, S. 220). Ein diesbezüglicher grundsätzlicher Klärungsbedarf ist daher nicht ersichtlich.
2. Soweit der Kläger geltend macht, es sei darüber hinaus grundsätzlich zu klären, ob in der Ukraine ein wirksamer und nicht nur vorübergehender Schutz vor staatlicher Verfolgung i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 i.V.m. § 3d AsylG besteht und ob in der Ukraine andere Schutzakteure vorhanden sind, die in der Lage sind, Grundrechte zu gewährleisten und Schutz gegen staatliche Verfolgung zu bieten, kann auch dies nicht zur Zulassung der Berufung führen, denn diese Fragen sind einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Ob eine interne Schutzalternative besteht, hängt nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG davon ab, ob der Betreffende sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Nach § 3e Abs. 2 AsylG sind bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers zu berücksichtigen. Die Frage, ob eine interne Schutzmöglichkeit zur Verfügung steht, kann daher nicht grundsätzlich geklärt werden, sondern hängt von der Art der geltend gemachten Verfolgung und den persönlichen Umständen des Betreffenden ab.
Das Verwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass für den Kläger in anderen Landesteilen eine interne Schutzmöglichkeit besteht, weil nach seiner Ausreise über längere Zeit keine Nachfragen durch Polizei oder Staatsanwaltschaft mehr erfolgt seien. Dabei handelt es sich um die Würdigung der konkreten Situation des Klägers zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung (vgl. zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Beurteilung Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 3e AsylG Rn. 2), die keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich ist.
3. Ein Verfahrensfehler i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht hinreichend dargelegt. Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 74). In Bezug auf die Frage, ob ihm eine inländische Fluchtalternative zusteht, hat der Kläger keine Ausführungen dazu gemacht, was er vorgetragen hätte, wenn das Gericht ihn auf seine Rechtsansicht hingewiesen hätte. Im Übrigen war es nicht überraschend, dass das Verwaltungsgericht eine interne Schutzmöglichkeit angenommen hat. Der Kläger hat schon mit seiner Klagebegründung selbst vorgetragen, dass er nicht in andere Regionen seines Heimatlandes ziehen könne und damit die Frage einer internen Schutzmöglichkeit thematisiert. In der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2017 hat das Gericht ausweislich der Niederschrift die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative darüber hinaus ausdrücklich angesprochen.
Soweit der Kläger meint, es liege ein Verfahrensfehler vor, da das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sei, er stamme aus den unter Kontrolle von Aufständischen stehenden östlichen Landesteilen der Ukraine – was aber nicht zutreffe – und gehe deshalb unzutreffend davon aus, dass ihm in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden westlichen Landesteilen eine inländische Fluchtalternative zustehe, kann dem nicht gefolgt werden. Das Verwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass er aus den östlichen Landesteilen stammt. Es hat nur angenommen, dass dem Kläger nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, aber nicht in den von Aufständischen kontrollierten Landesteilen, interner Schutz eröffnet ist. Aus welchem Grund darin ein Verfahrensfehler liegen soll, ist nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
5. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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