Verwaltungsrecht

Ablehnung der Zahlung von Witwengeld wegen Vermutung einer Versorgungsehe

Aktenzeichen  M 21 K 17.1500

Datum:
9.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 61492
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Eine Ehedauer von weniger als einem Jahr begründet die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe. Besondere Umstände, die die Vermutung einer Versorgungsehe entkräften können, sind solche, die auf einen anderen Beweggrund der Heirat als die Versorgungsabsicht schließen lassen. Umstände, bei denen ein anderer Beweggrund als die Versorgungsabsicht nahe liegt, sind etwa gegeben, wenn der Beamte unvorhergesehen verstorben ist, im Zeitpunkt der Heirat also nicht mit seinem Tod zu rechnen war. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2019 entschieden werden, obwohl außer der Klagepartei kein weiterer Beteiligter erschienen ist. Denn in der form- und fristgerecht erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen Witwengeld gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid vom 12. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG erhält die Witwe eines Beamten auf Lebenszeit, der die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 erfüllt hat, oder eines Ruhestandsbeamten Witwengeld. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG besteht ein Anspruch auf Witwengeld nicht, wenn die Ehe mit dem Verstorbenen nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen.
Eine Ehedauer von weniger als einem Jahr begründet die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe. Besondere Umstände, die die Vermutung einer Versorgungsehe entkräften können, sind solche, die auf einen anderen Beweggrund der Heirat als die Versorgungsabsicht schließen lassen. Umstände, bei denen ein anderer Beweggrund als die Versorgungsabsicht nahe liegt, sind etwa gegeben, wenn der Beamte unvorhergesehen verstorben ist, im Zeitpunkt der Heirat also nicht mit seinem Tod zu rechnen war. Musste hingegen im Zeitpunkt der Heirat mit dem Tod des Beamten gerechnet werden – etwa bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung -, liegt die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nahe, sie kann indes widerlegt werden. Auch ein bereits vor der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung getroffener Heiratsentschluss kann ein besonderer Umstand im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG sein, sofern die Heirat aus wirklichkeitsnahen Gründen nur aufgeschoben wurde, der Heiratsentschluss aber nicht aufgegeben worden ist. Die Vermutung einer Versorgungsehe ist widerlegt, wenn eine Gesamtbetrachtung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Ausreichend für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung ist, dass für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat. Allerdings müssen die gegen eine Versorgungsehe sprechenden Umstände umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit des Beamten zum Zeitpunkt der Heirat war. Für die Widerlegung der Vermutung stehen der Witwe alle zulässigen Beweismittel zur Verfügung. Ihr Vorbringen ist im Rahmen der Beweiswürdigung zu werten, wobei Behörde bzw. Gericht die volle Überzeugung davon gewinnen müssen, dass die von ihr vorgetragene Motivation für die Heirat der Wahrheit entspricht (vgl. VG München, U.v. 6.4.2017 – M 21 K 15.3207; BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 C 21/14 – juris Rn. 15 ff.; zusammenfassend BayVGH, B.v. 20.6.2016 a.a.O. – juris Rn. 4).
Entsprechend diesen Maßstäben wurde die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sprechen nicht ausreichend viele Gründe dafür, dass die von der Versorgungsabsicht unabhängigen Beweggründe überwogen haben oder zumindest gleichwertig waren.
Für eine mit der Eheschließung verfolgte Versorgungsabsicht spricht insbesondere der enge zeitliche Bezug der Eheschließung zur Kenntnis von den beiden Krebserkrankungen des verstorbenen Ehemanns der Klägerin im Juni 2014 und im Dezember 2015. Zu ihren Gunsten spricht zwar, dass die Ehegatten, die sich erst 2013 kennengelernt hatten, bereits seit Januar 2014 in einer gemeinsamen Wohnung lebten und Anfang 2015 einen gemeinsamen Heiratswillen hatten. Zu Ihren Lasten spricht jedoch, dass die nachfolgende Eheschließung am 27. Januar 2016 in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Kenntniserlangung Ende 2015 von der weiteren schweren Krebserkrankung des Ehemannes stand. Zwar wurde der erste Heiratstermin beim Standesamt für Juni 2016 bereits im Herbst 2015 und damit unabhängig von der weiteren Krebserkrankung des verstorbenen Ruhestandsbeamten terminiert. Allerdings ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin bereits im Juni 2014 an Speiseröhrenkrebs erkrankt ist, auch wenn diese Krebserkrankung zunächst erfolgreich therapiert werden konnte. Maßgeblich für das Überwiegen des Versorgungsgedanken spricht hier aber insbesondere die Vorverlegung des Termins beim Standesamt für die Eheschließung von Juni 2016 auf Januar 2016. Es ist anzunehmen, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte nicht bereits im Januar 2016 geheiratet hätten, wenn der verstorbene Ruhestandsbeamte nicht im Dezember 2015 eine weitere Krebserkrankung erlitten hätte. Die Hochzeitsplanung erfolgte bis dahin längerfristig und ohne Zeitdruck, da die Ehegatten im Herbst 2015 erst für Juni 2016 einen Termin beim Standesamt vereinbarten. Unmittelbar nach Kenntnis von der weiteren Erkrankung des Ruhestandsbeamten im Dezember 2015 wurde die Eheschließung hingegen spontan und kurzfristig vollzogen. Unter Berücksichtigung aller Umstände geht die Kammer deshalb davon aus, dass der gesamte Krankheitsverlauf des verstorbenen Ehegatten die Hochzeitsplanungen maßgeblich beeinflusste und dass der Versorgungsgedanke überwiegender Beweggrund für die im Januar 2016 vollzogene Eheschließung war.
Demgegenüber genügen die von der Klägerin und die in den beiden Stellungnahmen der engen Bekannten des verstorbenen Ruhestandsbeamten aufgeführten Gesichtspunkte nicht für eine hiervon abweichende Bewertung und lassen nicht auf ein Überwiegen oder eine Gleichwertigkeit versorgungsunabhängiger Beweggründe für die Ehe schließen – insbesondere hat die Kammer auch nicht die Überzeugung gewonnen, dass sich die Eheschließung als Umsetzung eines unabhängig von der Erkrankung gefassten Heiratsentschlusses darstellte. Insbesondere durch die Vorverlegung des Heiratstermins von Juni 2016 auf Januar 2016 manifestierte sich Eindruck, dass der Versorgungsgedanke überwiegender Beweggrund für die Eheschließung war.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


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