Verwaltungsrecht

Ablehnung eines Antrags auf Asyl als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  AN 2 S 16.31586

Datum:
24.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2, § 36 Abs. 4
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob das Gericht die Rechtsgrundlage bzw. die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils auswechseln kann (VG München BeckRS 2013, 59435). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragssteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.09.2016 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind nach ihren Angaben irakische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-sunnitischen Glaubens.
Sie stellten am 4. April 2016 einen Asylantrag und gaben dabei an, am 26. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Bei der Ersterfassung wurden die Antragsteller mit dem Namen … und abweichenden Geburtsdaten erfasst, ohne dass aus der Akte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ersichtlich wird, wie es zu dieser Erfassung kam. Spätestens bei der Asylantragstellung erlegten die Antragsteller irakische Personalausweise und für die Antragsteller zu 1) und zu 2) irakische Staatsangehörigkeitszeugnisse, jeweils mit dem Ausstellungsdatum 17. Mai 2013, vor.
Zu diesen Unterlagen stellte das BAMF mit Vermerk vom 20. Juni 2016 fest, dass bei zerstörungsfreier Untersuchung Manipulationen nicht festgestellt werden können. Mit Vermerken vom 18. August 2016 traf das BAMF die Feststellung, dass die Formulare in Dokumentenmaterial, Untergrunddruck, Formulardruck, Ausstellungstechnik sowie in den sicherungstechnischen Merkmalen von dem vorliegenden Vergleichsmaterial abweiche und es sich hierbei um Totalfälschungen handle.
Bei ihrer Anhörung vor dem BAMF am 18. August 2016 beschränkten die Antragsteller ihren Antrag auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz und trugen vor, dass sie ihre Reisepässe auf der Reise verloren hätten. Sie hätten ihr Heimatland im Juli 2014 verlassen und seien am 20. Oktober 2015 nach Deutschland eingereist. Ihre Heimatstadt …, Vorort …, liege nahe …, das im Juli 2014 vom IS besetzt worden sei. Gegen Abend hätten sie plötzlich Schießerei und Raketenschüsse gehört. Sie seien dann mit dem Auto nach … und weiter nach … geflüchtet und anschließend mit einem Schlepper über die Türkei und weitere Länder nach Deutschland geflüchtet. Die Großfamilie des Antragstellers zu 1) habe Probleme mit der kurdischen Regierung. Sein Vater sei Offizier bei der Polizei und Leiter eines Kontrollpunktes zwischen der kurdischen und irakischen Regierung gewesen. Er habe versucht, den Schmuggel von Wertgegenständen von … nach … durch die Oberhäupter der kurdischen Regierung zu unterbinden. Im Dezember 2013 sei der Geheimdienst der kurdischen Regierung in das Geschäft des Antragstellers zu 1) gekommen, das er daraufhin aufgegeben habe. Im Februar 2014 habe man auf seinen Vater geschossen. Dieser sei daraufhin rund um die Uhr von Bodyguards und Bekannten geschützt worden. Da sein Haus in der Zone der irakischen Regierung gelegen habe, sei er vor der kurdischen Regierung geschützt gewesen. In Kurdistan könne er wegen der Probleme nicht leben. Durch den Einmarsch des IS habe die Familie aus ihrem Heimatort flüchten müssen.
Nach einem Vermerk der Anhörerin beim BAMF vom 18. August 2016 habe der Dolmetscher mitgeteilt, dass die Sprache der Antragsteller zu 1) und zu 2) dem Dialekt der Umgebung des angegebenen Heimatortes entspreche.
Mit Bescheid vom 29. September 2016 lehnte das BAMF die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anträge auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AsylG nicht vorlägen, forderte die Antragsteller unter Androhung der Abschiebung – primär in den Irak – zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde – ohne Nennung einer Rechtsgrundlage für das Offensichtlichkeitsurteil – darauf verwiesen, dass von einer mangelnden Glaubhaftmachung aufgrund der vorgelegten gefälschten Urkunden auszugehen sei und die Kläger über ihre Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht hätten. Der Bescheid wurde mit fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung den Antragstellern am 5. Oktober 2016 zugestellt.
Mit beim Verwaltungsgericht Ansbach am 11. Oktober 2016 eingegangenem Schriftsatz erhoben die Antragsteller durch ihre Prozessbevollmächtigten Klagen und beantragten gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Des Weiteren wurde Prozesskostenhilfe unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt, ohne dass bislang Belege zu dem Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorgelegt worden sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die kraft Gesetzes vollziehbare Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des Bescheids vom 29. September 2016 ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG zulässig und gemäß § 36 Abs. 4 AsylG begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsandrohung deshalb bestehen, weil gegen die Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet erhebliche Bedenken bestehen.
Das BAMF nennt in seinem Bescheid die Rechtsgrundlage, auf der die Beurteilung als offensichtlich unbegründet beruht, nicht. Es ist auch von der Begründung her nicht klar, ob die Einstufung auf § 30 Abs. 1 AsylG oder einer Fallgruppe nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 7 AsylG beruht. Aufgrund der weitreichenderen Rechtsfolge der Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 Abs. 3 AsylG (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) hält es das Gericht für erforderlich, dass – wenn ein derartiger Fall gemeint ist – eine ausdrückliche und unzweideutige Feststellung dahingehend auch erfolgt. Da es hieran fehlt, kann nur von einer Feststellung des BAMF nach § 30 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden.
Offensichtlichkeitsgründe nach § 30 Abs. 3 AsylG sieht auch das Gericht nicht. In dieser Situation kann die in der Rechtsprechung und Literatur streitige Frage, ob das Gericht die Rechtsgrundlage bzw. die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils auswechseln kann (s. BeckOK AuslR/Pietzsch AsylG § 36 Rn. 40.1, VG München, B. v. 29.8.2013, M 24 S 13.30753 – juris, VG Ansbach B. v. 18.5.2016, AN 4 S 16.30504 – nicht veröffentlicht) dahinstehen; das Gericht hält keine der Fallgruppen des § 30 Abs. 3 AsylG für einschlägig.
Ob die von den Antragstellern vorgelegten Dokumente tatsächlich Fälschungen i. S. v. § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG sind, ist im Eilverfahren bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht mit ausreichender Sicherheit feststellbar. Zwar sprechen die Umstände, dass sie alle das gleiche Ausstellungsdatum tragen und die Angaben zum Geburtsort und -datum sehr unpräzise sind, stark dafür, dass es sich nicht um echte Urkunden handelt; diese Aspekte hat jedoch auch das BAMF selbst nicht als Fälschungsmerkmale in seiner Bescheidsbegründung aufgegriffen, sondern – jedenfalls im Vermerk vom 18. August 2016 – Umstände wie Dokumentenmaterial und Ausstellungstechnik, die durch das Gericht im Eilverfahren, auch mangels Übersendung der Originalurkunden, nicht überprüfbar sind und mangels konkreter und substantiierter Darlegung der Unterschiede zum herangezogenen Vergleichsmaterial für das Gericht nicht nachvollzogen und der Entscheidung zugrunde gelegt werden können. Im Übrigen haben die Antragsteller ihr Vorbringen nicht ausdrücklich oder konkludent auf die vorgelegten Dokumente gestützt, diese lediglich zur Identitätsfeststellung vorlegt.
Auch dass die Antragsteller im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht haben, steht nach der summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht mit ausreichender Sicherheit fest. Selbst wenn es sich bei den Urkunden um Fälschungen handelt, steht damit die Täuschung über die Staatsangehörigkeit oder Identität nicht automatisch fest. Weitere Umstände, die auf eine Identitätstäuschung hinweisen, liefert die Akte des BAMF nicht. Wie es zu der ursprünglichen Erfassung mit dem Namen … kam, ist rätselhaft. Möglicherweise wurde durch das BAMF oder die Regierung von Mittelfranken einfach nur fehlerhaft der Wohnort der Antragsteller als Name erfasst. Eine Täuschungshandlung oder -Absicht der Antragsteller ist in diesem Umstand nicht erkennbar. Auch der Dolmetscher bestätigte, dass der Dialekt der Antragsteller zum vorgegebenen Herkunftsort der Antragsteller passt, so dass auch insoweit kein (weiterer) Täuschungsverdacht besteht.
Weitere Fallgruppen des § 30 Abs. 3 AsylG sind von vornherein nicht einschlägig.
Das Gericht teilt die Einschätzung der Ablehnung des BAMF als offensichtlich unbegründet auch nicht, was die Rechtsgrundlage des § 30 Abs. 1 AsylG angeht, sondern hat auch insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids i. S. v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Antragsteller bestehen zwar auch aus Sicht des Gerichts, diese sind jedoch, weil jedenfalls keine offensichtlichen Widersprüchlichkeiten zwischen dem Vorbringen des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) bestehen, der Antragsteller zu 1) auch keine völlig vagen, detailarme und insgesamt schwer nachvollziehbaren Angaben zu seinen Fluchtgründen gemacht hat, nicht so weitgehend, dass das Offensichtlichkeitsurteil veranlasst ist. Da der Entscheider des BAMF auch nicht mit dem Anhörer identisch war, kann die Bewertung als völlig unglaubwürdig auch nicht auf dem persönlichen Eindruck bei der Anhörung beruhen. Die Glaubwürdigkeitsbeurteilung sowie die Frage der Identitäts- oder Staatsangehörigkeitstäuschung und die Frage, ob tatsächlich gefälschten Unterlagen vorgelegt wurden, muss in dieser Situation dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage im Irak und speziell in der Herkunftsregion der Antragsteller rechtfertigt deren Vorbringen in Verbindung mit der angegebenen Volks- und Glaubenszugehörigkeit nicht die Annahme, dass asylerhebliche Umstände offensichtlich nicht vorliegen.
Die Kostenentscheidung des damit erfolgreichen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Über den Antrag auf Prozesskostenhilfe konnte mangels Vorlage des Bescheides über den Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz noch nicht entschieden werden.
Die Entscheidung ist gem. § 80 AsylG unanfechtbar.


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