Verwaltungsrecht

Abschiebung, Abschiebungsandrohung, Asylantrag, Ausreise, Aufenthaltserlaubnis, Prozesskostenhilfe, Bescheid, Einreise, Asyl, Kindeswohl, Asylbewerber, Familiennachzug, Anordnungsanspruch, Vergewaltigung, einstweilige Anordnung, elterliche Sorge, Nachholung des Visumverfahrens

Aktenzeichen  Au 6 E 21.1140

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22487
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Der vom Antragsgegner für eine Sammelabschiebung am 26. Mai 2021 eingeplante Antragsteller begehrt vorläufig eine Duldung und hierfür Prozesskostenhilfe.
I.
Der im Jahr 2013 unerlaubt ins Bundesgebiet eingereiste Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger und beantragte in Deutschland erfolglos Asyl. Das … lehnte nach einem zunächst erfolglosen Dublin-Verfahren den Asylantrag mit seit 16. April 2019 bestandskräftigem Bescheid vom 11. Dezember 2017 ab, forderte den Antragsteller zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen auf und drohte ihm die Abschiebung nach Nigeria an (Behördenakte, Bl. 187 ff.). Der Antragsteller hatte behauptet, wegen einer von ihm spontan begangenen Vergewaltigung und Tötung seiner Schwester von der nigerianischen Dorfgemeinschaft bis nach Griechenland verfolgt worden zu sein. Die deutsche Staatsanwaltschaft stellte das dazu eingeleitete Strafverfahren wegen der nicht ausschließbaren Möglichkeit ein, dass sich die vom Antragsteller angegebene Tat gar nicht ereignet und der Antragsteller ausschließlich zur Erlangung eines Aufenthaltstitels eine durch ihn begangene Straftat der Wahrheit zuwider frei erfunden habe, was aber nicht geklärt werden könne (ebenda Bl. 232, 296). Das Verwaltungsgericht wies seine Klage gegen den ablehnenden Bescheid des * u.a. mit der Begründung ab, alles spräche dafür, dass die Verfolgungsgeschichte des Antragstellers völlig unglaubhaft und frei erfunden sei (VG Augsburg, U.v. 6.3.2019 – Au 7 K 17.35723 – Rn. 23). Der Antragsteller reiste aber nicht aus.
Der zunächst passlose Antragsteller wurde vom Antragsgegner wegen der Passlosigkeit nach erfolgter Belehrung über die Ausreisepflicht und die Passpflicht, wobei er angegeben hatte, nicht freiwillig ausreisen zu wollen, erstmals ab dem 31. Mai 2019 förmlich geduldet. In der Folgezeit wurde er immer wieder über seine Ausreisepflicht belehrt und gab wie zuvor auch zuletzt am 16. April 2021 an, nicht freiwillig ausreisen zu wollen (ebenda Bl. 320, 346, 1045).
Erst in einer Sammelvorführung bei der nigerianischen Auslandsvertretung konnte die nigerianische Staatsangehörigkeit des Antragstellers im November 2019 bestätigt werden. Eine auf behördlichen Druck vorgelegte angebliche nigerianische Geburtsurkunde stufte das Landeskriminalamt als Fälschung ein (ebenda Bl. 856, 911). Einen ihm am 16. November 2020 ausgestellten nigerianischen Reisepass legte er danach der Ausländerbehörde vor (ebenda Bl. 952, 1018). Wegen des zwischenzeitlichen passlosen und unerlaubten Aufenthalts wurde der Antragsteller zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 7,00 Euro verurteilt (AG, U.v. 16.6.2020 -, ebenda Bl. 746).
Der Antragsteller begehrte im Oktober 2019 die vorgeburtliche Anerkennung der Vaterschaft eines von einer im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigten nigerianischen Staatsangehörigen noch zu gebärenden Kindes; die Beurkundung wurde mit Blick auf den Verdacht einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung zunächst ausgesetzt. Erst ein nach der Geburt des Kindes am 2. Februar 2020 eingeholter Vaterschaftstest bestätigte die biologische Vaterschaft des Antragstellers; am 10. März 2020 erkannte er die Vaterschaft für das Kind an und vereinbarte mit dessen Mutter die gemeinsame Personensorge (ebenda Bl. 455, 625, 745, 917).
Auf eine zugunsten des Antragstellers durchgeführte Petition hin erklärte der Bayerische Landtag die Petition für erledigt mit der Maßgabe, dass die Ausländerbehörde dem Antragsteller die Erwerbstätigkeit zwecks Erwirtschaftung der Kosten für die Nachholung des Visumverfahrens ermögliche. Der Antragsgegner erlaubte dem Antragsteller daher eine Erwerbstätigkeit. Mit ausführlichem Schreiben vom 16. Juli 2020 und nochmals am 18. August 2020 bot die Ausländerbehörde dem Antragsteller vergeblich die Nachholung des Visumverfahrens und eine entsprechende Duldung zur Verkürzung der Trennungszeit an. Mit Bescheid vom 5. März 2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis u.a. unter Verweis auf die Titelerteilungssperre und die notwendige Nachholung des Visumverfahrens ab. Er beabsichtigt die Abschiebung des Antragstellers am 26. Mai 2021.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 6. Mai 2021 ließ der Antragsteller beim * beantragen, die in Ziffer 5 des bestandskräftigen Bescheids des * vom 11. Dezember 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung aufzuheben, hilfsweise zu widerrufen, weil sie unionsrechtswidrig sei, da das Kindeswohl des im Bundesgebiet lebenden Kindes des Antragstellers bei der mit dem Einreiseverbot verbundenen Rückkehrentscheidung entgegen Art. 5 Buchst. a RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.
Am 12. Mai 2021 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten neben Prozesskostenhilfe im Wege einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO beantragen,
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller zunächst bis zur Bestandskraft der Entscheidung über dessen Antrag auf Aufhebung bzw. Widerruf der Abschiebungsandrohung durch das * zu dulden.
Zur Begründung ließ der Antragsteller ausführen, er nehme die elterliche Sorge für sein Kind wahr und lebe mit ihm trotz der räumlichen Trennung tatsächlich zusammen; eine Umverteilung zu seiner Lebensgefährtin/Kindesmutter und dem Kind sei bisher versagt worden. Im Fall der Abschiebung nach Nigeria drohe ihm die Trennung von beiden Personen auf unbestimmte Zeit. Die Abschiebungsandrohung jedoch sei rechtswidrig, weil bei ihrem Erlass die spätere Geburt des Kindes und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Antragsteller und seinem Kind nicht berücksichtigt worden seien, was jedoch nach Art. 5 Buchst. a RL 2008/115/EG erforderlich sei. Zudem bestehe ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten im Fall der Abschiebung. Eine solch lange Trennung von seinem Kind verstoße gegen das Kindeswohl, denn das Visumverfahren sei grundsätzlich familienfreundlich mit absehbarer Trennungszeit auszugestalten. Zudem bestehe das Risiko, dass dem Antragsteller mangels Rechtsgrundlage überhaupt kein Visum zur Einreise nach Deutschland erteilt werden könnte, insbesondere auch nicht nach § 36 Abs. 2 AufenthG, da offen sei, ob die deutsche Auslandsvertretung eine außergewöhnliche Härte im Falle des Antragstellers und seines Kindes zu deren Gunsten überhaupt annehme. Sollte sein Visumantrag abgelehnt werden, bliebe ihm nur der Gang vor das Verwaltungsgericht Berlin, bei dem er bis zu einer mündlichen Verhandlung mit einer Verfahrensdauer von zwei Jahren ab Klageerhebung und damit ebenfalls einer zu langen Trennungszeit zu rechnen hätte. Zudem stünde der Visumerteilung auch noch die fehlende Sicherung der Lebensgrundlage entgegen, da der Antragsgegner dem Antragsteller die Weiterbeschäftigung versagt habe.
Auf gerichtliche Nachfrage ließ der Antragsteller zuletzt mitteilen, eine einvernehmliche Lösung sei nicht erzielt worden. Die freiwillige Nachholung des Visumverfahrens komme nicht in Betracht, da auf Grund der Rechtsunsicherheit eine erhebliche Gefahr bestehe, dass die deutsche Auslandsvertretung kein Visum zur Wiedereinreise erteile und der Antragsteller daher dauerhaft von seiner Familie getrennt würde.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag ohne ausdrückliche Antragstellung entgegen und hält an der Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens fest. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Belange des Kindeswohls. An einer einvernehmlichen Lösung sei der Antragsteller nicht interessiert, denn er habe bei sämtlichen Vorsprachen bei der Ausländerbehörde stets erklärt, nicht freiwillig ausreisen zu wollen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet, da der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, vorläufig einen Anspruch auf Duldung gegen den Antragsgegner und damit einen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1 VwGO zu haben.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Ausländer keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
1. Der Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet, da der Abschiebung des Antragstel lers keine rechtlichen Hindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG entgegenstehen.
a) Der Antragsteller ist aufgrund der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrags und nach Ablauf der ihm durch das Bundesamt gesetzten Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig nach § 50 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, weil er einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt und die in Ziffer 5 des bestandskräftigen Bescheids des Bundesamts vom 11. Dezember 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung endgültig vollziehbar ist.
b) Die im Bescheid des Bundesamts enthaltene Abschiebungsandrohung ist auch nicht deswegen nicht vollziehbar, weil der Antragsteller ihre Aufhebung beim Bundesamt beantragt hat.
Die Abschiebung war nach § 59 Abs. 1 AufenthG anzudrohen; ihrem Erlass standen und stehen nach § 59 Abs. 3 AufenthG Abschiebungsverbote und Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen, so dass auch die Bezugnahme des Antragstellers auf Art. 5 Buchst. a RL 2008/115/EG zu keiner anderen Beurteilung und insbesondere zu keinem Anspruch auf Duldung führt.
aa) Der Abschiebung steht kein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Auf enthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG entgegen.
Einem solchen Anspruch – so der Tatbestand erfüllt und auch das eingeräumte behördliche Ermessen auf Null reduziert wäre – steht bereits die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen eines Ausweisungsinteresses entgegen, da – wie der Antragsgegner zutreffend geltend macht – hierzu kein Ausnahmefall vorliegt; ebenso steht die Erteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die den Beteiligten bekannte Begründung des Bescheids des Antragsgegners vom 5. März 2021 verwiesen (dort S. 9 f.).
bb) Ein Anspruch auf Familiennachzug aus sonstigen Gründen ist nicht ersichtlich, ins besondere ist die Ehe zwischen dem Antragsteller und der Kindesmutter nur traditionell in Nigeria – wohl als Trauung in Abwesenheit – geschlossen worden, aber nicht in den für eine Anerkennung in Deutschland erforderlichen Formen.
Nach Art. 13 Abs. 4 EGBGB kann eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Eine Ehe zwischen Verlobten, von denen keiner Deutscher ist, kann jedoch vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden; eine beglaubigte Abschrift der Eintragung der so geschlossenen Ehe in das Standesregister, das von der dazu ordnungsgemäß ermächtigten Person geführt wird, erbringt den vollen Beweis der Eheschließung. Daran fehlt es hier. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die den Beteiligten bekannte Begründung des Bescheids des Antragsgegners vom 5. März 2021 verwiesen (dort S. 11 f.).
Der Antragsteller hat auch nicht nachgewiesen, dass die Eheschließung im Ausland vor einer hierzu ermächtigten Person stattgefunden hätte, sondern in „traditioneller“ Form, mithin nicht als Zivilehe. Eine nach deutschem Recht wirksame Eheschließung ist daher nicht glaubhaft gemacht.
cc) Die Abschiebungsandrohung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen Art. 5 Buchst. a RL 2008/115/EG unvollziehbar.
Es kann im Rahmen des Eilverfahrens dahinstehen, ob Art. 5 Buchst. a RL 2008/115/EG überhaupt wegen unzureichender Umsetzung in nationales Recht unmittelbar anwendbar ist oder nicht. Selbst bei einer unmittelbaren Anwendung führte er zu keiner Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung.
Nach Art. 5 Buchst. a RL 2008/115/EG berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie in gebührender Weise das Wohl des Kindes. Nach Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung und verlängern – soweit erforderlich – nach Art. 7 Abs. 2 RL 2008/115/EG die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls – wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen – um einen angemessenen Zeitraum. Die Mitgliedstaaten haben die allgemeine Regel des Art. 5 Buchst. a RL 2008/115/EG bei der Umsetzung der Richtlinie unmittelbar zu beachten, wenn die zuständige nationale Behörde gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich illegal auf dem Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhält und außerdem Vater eines minderjährigen Kindes ist, das sich legal dort aufhält, eine mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung erlässt (EuGH, U.v. 11.3.2021 – C112/20 – Rn. 32). Dies ist vorliegend beachtet worden:
(1) Im Zeitpunkt des Erlasses der in Ziffer 5 des Bescheids des Bundesamts vom 11. Dezember 2017 enthaltenen Abschiebungsandrohung war das erst danach am 2. Februar 2020 geborene Kind schon zeitlich noch nicht zu berücksichtigen.
(2) Solange der Antragsteller nach Abschluss seines Asylverfahrens, also ab Rechts kraft des klageabweisenden Urteils (Eintritt am 16. April 2019) und Ablauf der Ausreisefrist von 30 Tagen, zunächst wegen Passlosigkeit geduldet wurde, wurde sein seit dem Jahr 2013 andauernder unerlaubter Aufenthalt dadurch nicht legalisiert. Aber er erhielt die Möglichkeit zu einem weiteren faktischen Aufenthalt im Bundesgebiet unter Wahrung des Kindeswohls, weil der Antragsgegner seine Abschiebung wegen Passlosigkeit aufschob und sich die Ausreisefrist faktisch verlängerte.
Auch nach Vorlage des Reisepasses am 19. November 2020 wurde der Antragsteller nicht unverzüglich abgeschoben, sondern zunächst mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 an seine Ausreisepflicht und die Möglichkeit der Nachholung des Visumverfahrens zur Legalisierung seines Aufenthaltes unter Bezugnahme auf sein in Deutschland aufenthaltsberechtigtes nigerianisches Kind hingewiesen. Diese Möglichkeit hat er bis heute nicht wahrgenommen. Der Antragsgegner hat nicht nur faktisch dem Antragsteller die Ausreisefrist verlängert und bisher die Ausreisepflicht nicht zwangsweise durchgesetzt, sondern alles unternommen, um dem Antragsteller unter Wahrung des Kindeswohls eine Legalisierung seines Aufenthaltes mit möglichst kurzer Trennungszeit zu ermöglichen und die Folgen der Abschiebungsandrohung abzumildern. Ein Verstoß gegen Art. 5 Buchst. a und Art. 7 Abs. 2 RL 2008/115/EG ist daher nicht ersichtlich und auch sonst nicht glaubhaft gemacht.
c) Dass der Antragsteller wegen befürchteter Unwägbarkeiten des Visumverfahrens dieses nicht nachholen möchte, entbindet ihn nicht von seiner Ausreisepflicht und lässt auch die bevorstehende Abschiebung nicht rechtswidrig werden, insbesondere auch nicht aus einer rechtlich schützenswerten tatsächlich gelebten ehelichen oder familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK.
Die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei ihrer Entscheidung die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zu berücksichtigen. Allerdings beinhaltet Art. 6 GG keinen unbedingten Anspruch des betroffenen Ehegatten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu bleiben. Vielmehr ist das Schutzgebot für Ehe und Familie nur in verhältnismäßiger Weise mit den öffentlichen Interessen abzuwägen (BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.226 – juris Rn. 13). Insbesondere ist eine kurzfristige Trennung von Ehegatten durch Abschiebungen zur Nachholung des Visumverfahrens zumutbar (BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvQ 24/18).
Dies gilt umso mehr, als die behauptete Ehe im gemeinsamen Herkunftsstaat der beiden Ehegatten geschlossen worden ist und die tatsächliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet durch unerlaubte Einreise mindestens des Antragstellers und im Bewusstsein der fehlenden erforderlichen Erlaubnis zum Aufenthalt des Antragstellers erfolgt ist. Eine so begründete Lebensgemeinschaft kann nicht denselben Vertrauensschutz beanspruchen wie eine ohne die Umgehung des Visumverfahrens begründete Lebensgemeinschaft.
Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Ausländer hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Auch ein kleines Kind, selbst wenn es die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.). Allerdings darf die Dauer des Visumverfahrens nicht unabsehbar sein. Dies setzt u.a. voraus, dass geklärt ist, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.).
Derzeit sind keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb dem Antragsteller die Nachho lung des Visumverfahrens unzumutbar sein sollte. Er hat vielmehr wie jeder andere Ausländer auch, der zum Ehegatten- oder Familiennachzug in der Bundesrepublik ein Aufenthaltsrecht begründen möchte, das Visumverfahren nachzuholen, da dieses dem öffentlichen Interesse an der Steuerung der Zuwanderung und der Prüfung von deren Voraussetzungen im Herkunftsstaat der Ausländer dient. Da der Antragsteller und seine Angehörigen aus demselben Herkunftsstaat stammen und dort einreise- und aufenthaltsberechtigt sind, können sie den Kontakt auch während ihrer Trennung postalisch und durch moderne Kommunikationsmittel aufrechterhalten (als Kriterium bei EGMR, U.v. 20.12.2018 – 18706/16 – NVwZ 2019, 1425/1426 Rn. 49) und die Wartezeit bis zur Erteilung des Visums überbrücken. Dies gilt umso mehr, als der Antragsgegner dem Antragsteller die Nachholung des Visumverfahrens unter Überbrückung von Wartezeiten für die Urkundenüberprüfung und die Beantragung des Visumtermins im Herkunftsland durch eine familienbezogene Duldung angeboten hat (Schreiben vom 16. Juli 2020, Antragserwiderung vom 12. Mai 2021). Zu mehr ist der Antragsgegner auch nicht um des Kindeswohls willen verpflichtet, denn dieses kehrt die grundlegende Pflichtenverteilung im Ausländerrecht nicht um. So wird ein Aufenthaltstitel wie ein Visum nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 6 Abs. 3, § 81 Abs. 1 AufenthG nur auf Antrag erteilt, den der Antragsteller aber bei der deutschen Auslandsvertretung zu stellen verweigert. Diese Weigerung widerspricht auch seiner generellen Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG.
Es wird dabei nicht verkannt, dass die Verweigerungshaltung des Antragstellers, der bislang keine Schritte unternommen hat, um das Visumverfahren mit freiwilliger Ausreise zu ermöglichen, möglicherweise bei einer Abschiebung zu einer längerfristigen Trennung von seinem Kind führen wird und dieses in seinem Grundrecht aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in besonderer Art und Weise beeinträchtigt sein kann. Diese besondere Beeinträchtigung resultiert jedoch nicht aus staatlichem Handeln, sondern ist kausal alleinig auf die autonome Entscheidung des Antragstellers zurückzuführen, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Offenbar hat für ihn als nach § 1626a Abs. 1, § 1627 BGB mitpersonensorgeberechtigten Elternteil das Kindeswohl seines Kindes keinen so hohen Stellenwert wie für die Ausländerbehörde des Antragsgegners. Die Folgen einer physischen Trennung der Familie über längere Zeit haben in diesem Fall sowohl der Antragsteller wie auch sein Kind und die Kindesmutter hinzunehmen. Auch bei vergleichbaren freiheitsentziehenden Maßnahmen des Strafrechts (vgl. EGMR, U.v. 20.12.2018 – 18706/16 – NVwZ 2019, 1425/1426 Rn. 49) bzw. im Falle des Entschlusses eines Elternteils, die Familie zu verlassen, kommt es zu einer langfristigen Trennung des Kindes von einem Elternteil, der auf eigenständige Handlungen des Elternteils zurückzuführen ist. Insoweit ist der erhöhte Eingriff in das Grundrecht auf Familie aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht dem Staat zurechenbar, insbesondere, wenn dieser konkrete Maßnahmen angeboten hat, um den Grundrechtseingriff möglichst gering zu halten und der verbleibende Eingriff gerechtfertigt und zumutbar ist (s.o). Letztlich ist der Antragsteller auf das ihm zumutbare rechtmäßige Alternativverhalten einer – ihm mehrfach vergeblich angebotenen – freiwilligen Ausreise mit Nachholung des Visumverfahrens zu verweisen. Andernfalls könnte der Antragsteller durch beharrliche Verweigerung der Mitwirkung am Ausreise- und Visumverfahren ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet allein durch sein Kind erzwingen.
Eine Garantie einer bestimmten Verfahrenshöchstdauer kann es dabei nicht geben. So weisen die deutschen Vertretungen in Nigeria auf ihrer gemeinsamen Webseite darauf hin, dass die Bearbeitungsdauer eines Langzeitvisums stark einzelfallabhängig und schwer vorauszusagen ist. Gegebenenfalls steht dem Antragsteller die Möglichkeit offen, gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Generalkonsulats in Anspruch zu nehmen und auf diesem Weg seine Rechte aus Art. 6 GG durchzusetzen. Auch hier kann die Kammer – ebenso wie bei der Frage der verfassungskonformen Auslegung der Anspruchsnorm des § 36 Abs. 2 AufenthG durch das Deutsche Generalkonsulat – nicht davon ausgehen, dass das Verwaltungsgericht Berlin seinem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht nachkommt.
d) Hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots von 30 Monaten im Fall der Ab schiebung ist der Antragsteller auch insoweit auf das ihm zumutbare rechtmäßige Alternativverhalten einer – ihm mehrfach vergeblich angebotenen – freiwilligen Ausreise zu verweisen, wodurch die Sperrwirkung nicht ausgelöst würde, sowie auf einen Antrag auf nachträgliche Verkürzung der Befristung. Als bloßer Annex zur Abschiebungsandrohung stellen sein Erlass und seine Befristung die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung gegen den vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller nicht in Frage.
2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist auch deswegen unbegründet, da der Abschiebung des Antragstellers keine tatsächlichen Hindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG entgegenstehen. Der Antragsteller ist im Besitz eines Reisepasses, so dass davon auszugehen ist, dass er nach Nigeria wird einreisen bzw. dorthin überstellt werden können. Etwaige pandemiebedingte Beschränkungen des Reiseverkehrs sind vorübergehender Natur und können für eine Abschiebung ausgeräumt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren ist abzulehnen, da der Antrag unbegründet ist.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Vorliegend fehlt es zwar an der Bewilligungsreife, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eintritt (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14), woran es hier mangels Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch fehlt. Doch selbst bei Unterstellung der Mittellosigkeit des derzeit unstreitig erwerbsund vermögenslosen Antragstellers ist der Antrag aus den o.g. Gründen unbegründet.


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