Verwaltungsrecht

Abschiebung nach Afghanistan: Berufungszulassung wegen Divergenz

Aktenzeichen  13a ZB 17.31472

Datum:
8.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19745
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Eine Divergenz liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des Oberverwaltungsgerichts/Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist (Anschluss an BVerwG BeckRS 1997, 22791). (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein arbeitsfähiger, gesunder und volljähriger Mann ist regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen, so dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG regelmäßig nicht vorliegen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 1 K 17.33353 2017-09-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. September 2017 ist zuzulassen. Hinsichtlich der Erkenntnis, dass dem Kläger ein nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan zustehe, sind die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG gegeben (Divergenz).
Eine Divergenz liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des Oberverwaltungsgerichts/Verwaltungsge-richtshofs abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328; Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 132 Rn. 35).
Dies ist hier der Fall. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris; U.v. 30.1.2014 – 13a B 13.30279 – juris; U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris; U.v. 22.3.2013 – 13a B 12.30044 – juris U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30425 – juris; U.v. 8.12.2011 – 13a B 11.30276 – EzAR-NF …69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U.v. 3.2.2011 – 13a B 10.30394 – juris; U.v. 8.12.2.2011 – 13a B 10.30394 – juris). Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen regelmäßig nicht vor (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14; B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder und volljähriger Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der betreffende Ausländer Afghanistan bereits im Kleinkindalter verlassen hat. Ein spezielles „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ mag die Sicherung des Lebensunterhalts vereinfachen. Anhaltspunkte, dass dies erforderlich sein könnte, sind jedoch – sofern wenigstens eine der Landessprachen beherrscht wird – nicht ersichtlich (BayVGH, U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris). An dieser Auffassung hat der Verwaltungsgerichtshof auch angesichts der derzeitigen Sicherheits- und Versorgungslage festgehalten.
Vorliegend ist das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt, der Kläger befinde sich gemessen an seinen persönlichen Voraussetzungen in einer besonderen Ausnahmesituation. Er würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK gleichkomme (UA S. 9 ff.). Es hat dabei zwar auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verwiesen, aber offenkundig gemacht, dass es dieser Rechtsprechung nicht folgt und die Einschätzung der allgemeinen Lebensverhältnisse in Afghanistan durch das Berufungsgericht für unrichtig hält (vgl. Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 78 AsylG Rn. 38). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich der vorliegende Sachverhalt von denjenigen Umständen unterscheidet, die den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zugrunde lagen. Insbesondere sind nach dessen bisheriger Rechtsprechung bei gesunden alleinstehenden volljährigen afghanischen Staatsangehörigen in der Regel weder verwandtschaftliche Beziehungen noch eine Berufsausbildung oder ein vorheriger Aufenthalt in Afghanistan erforderlich, um den Lebensunterhalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan soweit sicherstellen zu können, dass keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK anzunehmen ist.
Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.


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