Verwaltungsrecht

Abschiebung nach Afghanistan – Verbesserung der humanitären Bedingungen

Aktenzeichen  Au 3 K 16.31444

Datum:
7.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 50479
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5 u. Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, die gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblich ist, haben die Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen. Die Voraussetzungen hierfür sind nicht gegeben.
1. Den Klägern droht bei einer Rückkehr nach Baghlan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aufgrund allgemeiner Gewalt oder schlechter humanitärer Bedingungen. Die Sicherheitslage hat sich in der Provinz Baghlan im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gebessert. So ist die Zahl der zivilen Opfer um 38 Prozent zurückgegangen (vgl. UNAMA, Afghanistan Jahresbericht 2017 vom Februar 2018). In der Provinz Kunduz, in der die Kläger nach ihren Angaben vor der Ausreise ihren Lebensmittelpunkt hatten, hat sich bei den zivilen Opfern sogar ein Rückgang um 41 Prozent ergeben. Was die humanitären Bedingungen angeht, ist die Lage in Afghanistan nicht derart schlecht, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris Rn. 5). Jedoch ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage für eine nach Afghanistan zurückkehrende Familie mit minderjährigen Kindern im Allgemeinen nicht möglich (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – juris Rn. 15). Dabei lässt die Annahme, dass die Sicherung der Lebensgrundlage für Familien mit minderjährigen Kindern „im Allgemeinen“ nicht möglich ist, Raum für die Annahme von Ausnahmefällen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2017 – 13a ZB 17.30230 – juris). Eine solche Ausnahmesituation liegt hier vor. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kläger abweichend vom Regelfall ihren Lebensunterhalt in Afghanistan nach einer Rückkehr sichern können. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie nicht in der Lage sein würden, ihre existenziellen Bedürfnisse zu decken, besteht damit nicht.
Die Überzeugung des Gerichts beruht in erster Linie auf den beruflichen Fähigkeiten des Klägers zu 1. Er hat Maurer gelernt und als selbstständiger Bauhandwerker alte Häuser gekauft, selber renoviert und die Häuser wieder verkauft. Zudem hat er auch im Auftrag von Hauseigentümern deren Häuser repariert. Nach eigenen Angaben hat er dabei monatlich 30.000 bis 45.000 Afghani verdient. Dies entspricht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 350,– bis 525,– EUR. Selbst wenn sich nach dem angegebenen Jahreseinkommen „nur“ ein durchschnittlicher Verdienst von umgerechnet ca. 220,– EUR pro Monat ergibt, lag der Verdienst des Klägers zu 1 allein aufgrund seiner Arbeit als Bauhandwerker weit über dem durchschnittlichen Monatseinkommen in Afghanistan von ca. 100 US-Dollar, wobei zu berücksichtigen ist, dass bei 36 Prozent der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US-Dollar pro Monat liegt (vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 333 unter Verweis auf EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan – Key socioeconomic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazare Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.). Es kommt hinzu, dass der Kläger zu 1 auch Ersatzteile für Motorräder verkauft und Motorräder repariert hat (siehe Niederschrift über die Anhörung beim Bundesamt am 14.6.2016 S. 3). Seine diesbezügliche Einlassung in der mündlichen Verhandlung, er habe keine Erfahrung beim Reparieren von Motorrädern, ist nicht glaubhaft, zumal seine pauschalen Angriffe gegen den Dolmetscher beim Bundesamt offenkundig haltlos sind. Insgesamt hat er in Afghanistan sogar so viel verdient, dass er sehr kurzfristig aus eigenen Mitteln 6.000 US-Dollar pro Person für die Reise nach Europa aufbringen konnte, insgesamt also 24.000 US-Dollar für die vierköpfige Familie.
Da es in Afghanistan einen sehr großen (Wieder-) Aufbaubedarf und einen sehr großen Wohnungsbedarf gibt, werden Bauhandwerker wie der Kläger zu 1 dort dringend benötigt und es kann ausgeschlossen werden, dass er dort keine seinen Fähigkeiten und seiner Berufserfahrung entsprechende Arbeit findet. Für etwaige Anlaufschwierigkeiten stehen die Reintegrationshilfen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERIN“ zur Verfügung, die unter anderem finanzielle Unterstützung bei Existenzgründungen beinhalten. Abgesehen davon benötigt der Kläger zu 1 für die Reparatur fremder Häuser bei weitem nicht das Kapital, das er benötigt, um renovierungsbedürftige Häuser aufzukaufen. Letztlich haben der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 nie in Abrede gestellt, dass der Kläger zu 1 bei einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage ist, den Lebensunterhalt der vierköpfigen Familie sicherzustellen. Gegenteilige Befürchtungen haben sie ausdrücklich nur für den Fall geäußert, dass der Kläger zu 1 in Afghanistan ums Leben kommen würde (vgl. Niederschriften über die Anhörung des Klägers zu 1 bzw. der Klägerin zu 2 am 14.6.2016, jeweils S. 5). Im Übrigen kann auch die Klägerin zu 2 zum Familienunterhalt beitragen, weil sie sich das Nähen beigebracht hat (vgl. Niederschrift über die Anhörung der Klägerin zu 2 am 14.6.2016 S. 3).
Darüber hinaus ist der Lebensunterhalt der Kläger in Afghanistan auch deshalb gesichert, weil sie in dem dem Vater der Klägerin zu 2 gehörenden großen Haus in Baghlan unentgeltlich wohnen können. In diesem Haus haben sie sich bereits vor ihrer Ausreise regelmäßig und zwar etwa einmal im Monat für drei bis vier Tage aufgehalten, wenn auch nur besuchsweise. Der Kläger zu 1 hat zwar in der mündlichen Verhandlung behauptet, die Taliban hätten ungefähr vor sechs Monaten das Haus seines Schwiegervaters zerstört, doch entspricht dies offenkundig nicht den Tatsachen. Denn die getrennt angehörte Klägerin zu 2 berichtete, dass ihr Vater, zu dem sie noch regelmäßigen Kontakt habe, nach wie vor in seinem Haus in Baghlan lebe. Allerdings ist ihre Aussage, ihr Vater habe mittlerweile einen gelähmten Arm und könne nicht arbeiten, nicht glaubhaft, weil sie sich zum Beginn der Krankheit widersprüchlich geäußert und der Kläger zu 1 eine Erkrankung seines Schwiegervaters auch nicht ansatzweise erwähnt hat. Ihre Glaubwürdigkeit wird zudem dadurch in Frage gestellt, dass sie ihren laut Tazkira einzigen Vornamen „*“ gegenüber den deutschen Behörden verschwiegen und stattdessen als ihren Vornamen „*“ angegeben hat. Unabhängig vom Gesundheitszustand des Vaters der Klägerin zu 2 ist die Ernährung der Kläger schon dadurch gesichert, dass der Vater der Klägerin zu 2 die Hälfte der Ernte auf den ihm gehörenden, aber verpachteten landwirtschaftlichen Flächen bekommt.
Wie bereits das Bundesamt festgestellt hat, können die Kläger in Afghanistan auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen. So hat die Klägerin zu 2 bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt angegeben, außer ihrem Vater lebten im Heimatland noch eine verheiratete Schwester, ein Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits. Die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene unsubstantiierte Behauptung, die Tante sei inzwischen verstorben und die verheiratete Schwester mit ihrer Familie in den Iran gezogen, erachtet das Gericht als zweckgerichtet und daher nicht glaubhaft. Mittlerweile besteht aber auch im europäischen Ausland ein familiäres Netzwerk, auf dessen Unterstützung die Kläger bei Bedarf zurückgreifen könnten. So überweist beispielsweise der in Schweden arbeitende Bruder * der Klägerin zu 2 ungefähr 8.000 Afghani jeden Monat an seinen Vater (vgl. zur rechtlichen Relevanz von Unterstützungsleistungen aus dem Ausland BVerwG, U.v. 18.3.1998 – 9 C 36.97 – juris Rn. 14, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris Rn. 26; OVG NRW, B.v. 5.9.2016 – 13A 1697/16.A – juris).
2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt, besteht für sie in Afghanistan jedenfalls landesweit keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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