Verwaltungsrecht

Abschiebungsandrohung nach Äthiopien ist rechtmäßig

Aktenzeichen  Au 1 K 17.31916

Datum:
4.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30701
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 2
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK ist notwendig, dass jemand bei Rückführung in das Heimatland einer Extremgefahr ausgesetzt werden würde. Dies kann nur angenommen werden, wenn er im Falle einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (Anschluss an BVerwG BeckRS 2001, 30193074). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das nach den aktuellen Feststellungen in den Erkenntnismaterialien bestehende besondere Risiko von Übergriffen, dem Frauen in Äthiopien ausgesetzt sind, reicht zur Annahme eines Abschiebungsverbots nicht aus. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Soweit die Klage bezüglich der zunächst ebenfalls begehrten Anerkennung als Asylberechtigte, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus durch eine entsprechende Beschränkung des Klageantrags in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen gewesen (vgl. § 92 Abs. 3 VwGO).
II.
Die rechtshängig gebliebene, auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichtete Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 24. März 2017 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Bei der Klägerin liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht mehr gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus den zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
b) Hiervon kann im Fall der Klägerin nicht ausgegangen werden. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht Gefahr liefe, dort auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Es wird dabei nicht verkannt, dass die Lebensumstände in Äthiopien äußerst schwierig sind. Ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amts werden Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o.ä. von der äthiopischen Regierung nicht erbracht. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 22.3.2018, Stand: Februar 2018 – im Folgenden: Lagebericht -, S. 23). Äthiopien ist bei etwa 92 Mio. Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 410 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt (Platz 174 von 188 im Human Development Index). Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze. Etwa 77% der Bevölkerung hatten im Jahr 2011 weniger als zwei US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien sind für große Teile der Bevölkerung, insbesondere auf dem Land, äußerst hart und schwierig. Für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wäre jedoch notwendig, dass die Klägerin durch eine Rückführung in ihr Heimatland einer Extremgefahr ausgesetzt werden würde. Dies kann nur angenommen werden, wenn sie im Falle einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 324; v. 19.11.1996, BVerwGE 102, 249 sowie v. 12.7.2001, BVerwGE 115, 1). Für eine solche Extremgefahr liegen selbst unter Berücksichtigung der aktuell äußerst schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Bedingungen in Äthiopien sowie der individuellen Umstände der Klägerin keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Die Klägerin ist eine arbeitsfähige Frau, die über verwandtschaftliche Beziehungen in ihrem Heimatland verfügt. Sie hat dort ihre Mutter, zwei ältere Schwestern, zwei ältere Brüder sowie ihre Großfamilie. Wie sie in der mündlichen Verhandlung selbst angab, hat sie jedenfalls noch zu einem ihrer Brüder über Facebook Kontakt. Das Gericht geht davon aus, dass die Familie die Klägerin zumindest in der Anfangszeit so weit unterstützen wird, dass sie auf diese Weise ihr Existenzminimum wird sichern können. Die Mutter der Klägerin hat sie bereits in der Vergangenheit unterstützt, sie in Äthiopien versorgt und ihr sogar Geld nach Libyen geschickt, damit sie die Reise nach Europa finanzieren konnte. Das Gericht geht weiter davon aus, dass die Familie der Klägerin sie auch im Falle der Kenntnis von ihrem unehelich geborenen Sohn zumindest so weit unterstützen wird, dass sie ihre existenziellen Bedürfnisse wird befriedigen können und nicht Gefahr laufen wird, dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt zu sein. Soweit die Klägerin geltend macht, ihre Familie würde sie ausschließen, wenn sie von ihrem unehelichen Kind erfahren würde, ist das Gericht der Überzeugung, dass sie jedenfalls von irgendeinem Mitglied der Großfamilie eine Mindestunterstützung dahingehend erfahren wird, dass sie nicht in eine existenzielle Not geraten wird. Es ist nicht nachvollziehbar und das Gericht hält es auch angesichts des in Äthiopien bekannten familiären Zusammenhalts nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass die gesamte Familie der Klägerin sie wegen eines unehelichen Kindes, das (ohne moralisch und gesellschaftlich vorwerfbares sexuelles Verhalten der Klägerin) durch eine Vergewaltigung hervorgegangen ist, wird fallen lassen und sie sehenden Auges in Todes- oder Leibesgefahr bringen wird. Das Gericht ist daher insgesamt der Überzeugung, dass die Familie sie nicht aufgrund ihres außerehelichen Kindes verhungern lassen wird und die Klägerin zumindest mit familiärer Unterstützung ihr Existenzminimum wird sichern können.
c) Auch die von der Klägerin vorgetragene befürchtete Diskriminierung als Frau mit unehelichem Kind begründet kein Abschiebungsverbot. Den Erkenntnismaterialien ist zwar zu entnehmen, dass Frauen in Äthiopien in besonderem Maße dem Risiko von Übergriffen ausgesetzt sind (Lagebericht, S. 17 f.). Die Feststellungen in den Erkenntnismaterialien reichen jedoch zur Annahme eines Abschiebungsverbots nicht aus, da nicht für jede Frau in Äthiopien ohne weiteres die aktuelle Gefahr eines Übergriffs besteht (VG Würzburg, U.v. 8.12.2016 – W 3 K 16.30416 – juris Rn. 32; VG Arnsberg, U.v. 24.10.2014 – 12 K 1874/13.A -juris Rn. 129; VG Düsseldorf, U.v. 23.5.2013 – 6 K 3576/13.A – juris Rn. 86). Wenngleich nach den vorliegenden Auskünften Frauen in Äthiopien diskriminiert werden und ihnen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zugewiesen wird, nehmen sie am gesellschaftlichen Leben teil und haben grundsätzlich Bewegungsfreiheit, Zugang zu Bildung, Arbeit und medizinischer Versorgung. Zahlreiche Rechtsnormen und staatliche Maßnahmen dienen ausdrücklich dem Schutz der Frauen (VG Würzburg, U.v. 8.12.2016 – W 3 K 16.30416 – juris Rn. 33). Eine gewisse gesellschaftliche Ächtung der Klägerin wegen des unehelichen Kindes hält das Gericht zwar durchaus für möglich, diese reicht jedoch nicht aus, dass ihr allein deswegen ein Abschiebungsverbot zuzusprechen ist.
d) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Auch hiervon ist bei der Klägerin nicht auszugehen. Gesundheitliche Einschränkungen, die ein derartiges Abschiebungsverbot begründen könnten, wurden weder vorgetragen noch durch entsprechende ärztliche Atteste belegt.
2. Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sowie die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen hat die Klägerin auch nicht erhoben.
3. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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