Verwaltungsrecht

Abschiebungsschutz

Aktenzeichen  M 32 S 18.33965

Datum:
29.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55939
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 26 Abs. 3, § 29 Abs. 1, § 71
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen eine Ablehnung eines Folgeantrags als unzulässig gilt der Prüfungsmaßstab der „ernstlichen Zweifel“. Im vorliegenden Fall bestehen solche ernstlichen Zweifel nicht.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 60 Abs. 5 AufenthG bezieht sich lediglich auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bezieht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BeckRS 2013, 49252). Hierzu zählen nicht die vom Antragsteller vorgetragene Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen, die in Deutschland nicht anerkannt wird, sowie auch nicht seine Vaterschaft.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen auf den bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 23. Oktober 2017 gestützte Abschiebemaßnahmen.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe Edo zugehörig und christlichen Glaubens. Am 12. Juli 2016 stellte er einen Asylantrag, den er im Wesentlichen mit Problemen mit Mitgliedern einer Kultgruppe, der Ermordung eines Zimmergenossen und der daraus resultierenden Verfolgung seitens der Polizei sowie Mitgliedern einer Kultgruppe begründete. Bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte er, getötet zu werden. Nach seiner Ausreise habe ihm seine Mutter erzählt, dass seine (damals 14-jährige) Schwester in Nigeria verschwunden sei. Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Oktober 2017 abgelehnt, Abschiebungsverbote verneint und der Antragsteller unter Fristsetzung zur Ausreise aufgefordert; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde seine Abschiebung nach Nigeria angedroht. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 29. März 2018 (Az. M 15 K 17.49032) abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen des Klägers sei unglaubhaft, da es an vielen zentralen Punkten in sich widersprüchlich sei.
Am 6. September 2018 stellte der Antragsteller einen Asylfolgeantrag, den er im wesentlichen damit begründete, dass seine Mutter ihm gesagt habe, seine 17-jährige Schwester werde vermisst. Sie sei zuletzt mit Leuten des Aye-Kults gesehen worden. Weiterhin trug der Antragsteller vor, er habe in Nigeria in Abwesenheit eine deutsche Staatsangehörige geheiratet; diese Ehe sei aber in Deutschland noch nicht anerkannt. Im Übrigen sei seine Frau schwanger.
Mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Weiterhin wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 23. Oktober 2017 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abgelehnt (Nr. 2). Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Die für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG erforderliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers sei nicht gegeben. Der Antragsteller habe keine rechtlich relevanten Wiederaufnahmegründe geltend gemacht. Seine behauptete Lebenspartnerschaft mit einer deutschen Frau und deren behauptete Schwangerschaft stellten ebenfalls keinen asylrechtlich relevanten Umstand dar. Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien nicht gegeben. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Seitens des Antragstellers seien keine Umstände vorgetragen, die zu einem vom Erstverfahrensbescheid differierenden Ergebnis bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG führen würden. Ferner seien solche Umstände auch nicht bekannt.
Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers am 23. Oktober 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 32 K 18.33964) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 1. Oktober 2018 wieder herzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die bisherigen Asylgründe würden fortgelten. Hinzu komme die in Abwesenheit des Klägers in Nigeria erfolgte Heirat einer deutschen Staatsangehörigen und deren Schwangerschaft.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
1. Gem. § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 16; VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 11) sowie als Antrag auf vorläufigen Rechtschutz zur Sicherung eines Anspruchs des Antragstellers auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (vgl. VG München, B.v. 8.8.2018 – M 18 E 18.32455 – juris Rn. 13 m.w.N.) auszulegen.
a) Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Rahmen eines Folgeantrags, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage anzugreifen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff). Denn eine Unzulässigkeitsentscheidung verschlechtert die Rechtsstellung des Antragstellers, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass sein Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt und darüber hinaus auch im Falle eines weiteren Asylantrags abgeschnitten wird (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 16). Des Weiteren darf ein Antragsteller bis zur Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde nach § 71 Abs. 5 AsylG nicht abgeschoben werden, so dass ihm bis zur Entscheidung des Bundesamts, ob ein neues Asylverfahren einzuleiten ist, auf Antrag eine Duldung erteilt werden muss. Mit der Ablehnung des Antrags als unzulässig entfällt damit auch ein Duldungsgrund; auch hierin liegt eine belastende Entscheidung, gegen die eine Anfechtungsklage statthaft ist.
Da in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft ist, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft (so unter Verweis auf die neue Rspr. des BVerwG ausführlich VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 11 ff.; VG Dresden, B.v. 11.9.2017 – 13 L 1004/17.A – juris Rn. 17 ff.; VG Würzburg, B.v. 10.10.2017 – W 8 E 17.33483 – juris Rn. 8 ff.). Der Antrag richtet sich auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig. Denn die Anfechtungsklage entfaltet keine aufschiebende Wirkung (§ 71 Abs. 4 AsylG verweist auf § 36 AsylG; damit liegt kein Fall des § 38 AsylG vor (§ 75 Abs. 1 AsylG).
b) Demgegenüber ist die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, in der Hauptsache weiterhin (hilfsweise) durch eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung zu stellen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 20). Denn insoweit hat sich das Bundesamt nach § 31 Abs. 3 AsylG sachlich mit dem Schutzbegehren zu befassen (BVerwG, a.a.O.).
Da in der Hauptsache die (hilfsweise) Verpflichtungsklage statthaft ist, kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur ein Antrag nach § 123 VwGO in Betracht. Insoweit ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dem Bundesamt aufzugeben, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung des betroffenen Ausländers bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hauptsacheverfahren vorläufig nicht vollzogen werden darf. Auf die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG kann hingegen nicht abgestellt werden, da diese allein den Folgeantrag nach § 71 AsylG betrifft).
2. Die so ausgelegten Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
a) Für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen eine Ablehnung eines Folgeantrags (§ 71 AsylG) als unzulässig gilt der Prüfungsmaßstab der „ernstlichen Zweifel“: Denn für Fälle, in denen mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG kein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird, hat der Gesetzgeber durch die Regelungen in § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kraft einfachen Rechts für das gerichtliche Eilverfahren den Maßstab des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG bestimmt. Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz daher nur gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 22).
Solche ernstlichen Zweifel bestehen hier nicht: Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müsste sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32). Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
Der Antragsteller hat zur Begründung seines Folgeantrags keine in diesem Sinne rechtlich relevanten neuen Gründe vorgetragen. Insoweit folgt das Gericht vollumfänglich den Feststellungen und der Begründung des Bescheids des Bundesamts, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist festzustellen, dass der Antragsteller den Umstand, dass seine Schwester vermisst würde, bereits bei seiner Anhörung gem. § 25 AsylG am 15. Juli 2016 im Rahmen seines ersten Asylverfahrens vorgebracht hat (damals war seine Schwester 14 Jahre alt). Das Bundesamt hat den Folgeantrag daher zu Recht als unzulässig abgelehnt.
b) Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Wie vom Bundesamt im Bescheid vom 1. Oktober 2018 unter Bezugnahme auf seinen Erstverfahrensbescheid vom 23. Oktober 2017 zutreffend ausgeführt wurde, liegen – weiterhin – keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor. Dem folgt das Gericht und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen und eine Abänderung des Bescheids vom 23. Oktober 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurden somit von der Antragsgegnerin zu Recht verneint.
Soweit sich der Antragsteller auf seine in Deutschland nicht anerkannte Heirat einer deutschen Staatsangehörigen und seine Vaterschaft beruft, ist anzumerken, dass sich § 60 Abs. 5 AufenthG lediglich auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bezieht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 35). Abschiebungshindernisse, die sich etwa aus Art. 8 EMRK ergeben wenn mit einer Abschiebung eine Trennung des Betroffenen von seiner Familie droht, sind aber inlandsbezogen und daher von der Ausländerbehörde zu prüfen (BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.8.2016, AufenthG § 60 Rn. 36).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben