Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Befähigung zum Richteramt, Flüchtlingseigenschaft, Abschiebungsandrohung, Verwaltungsgerichte, Aufenthaltsverbot, Existenzminimum, Abschiebungshindernis, Ausreiseaufforderung, Ärztliche Bescheinigung, Wesentliche Verschlechterung, Asylberechtigte, Prozeßkostenhilfeverfahren, Schwerbehinderte, Konkrete Gefahr, Abschiebungsschutz, Politische Verfolgung, Subsidiärer Schutzstatus, mündlich Verhandlung

Aktenzeichen  W 8 K 20.30733

Datum:
21.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39834
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2
AsylG § 3
AsylG § 4
AsylG § 25
AsylG § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien keine politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht (vgl. auch BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; B.v.14.8.2018 – 15 ZB 18.31693 – juris).
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen, zumal in der mündlichen Verhandlung von der Klägerseite niemand erschienen ist und der Kläger offenbar kein Interesse hatte, sein Anliegen persönlich gegenüber dem Gericht zu vertreten, sowie – trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO – überhaupt keine Klagebegründung oder sonst ein relevantes Vorbringen erfolgte. Unter Zugrundelegung der (früheren) Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass die geltend gemachten fehlenden Rechte (kein Rollstuhl, keine Sozialwohnung, keine Arbeit) keinen asylerheblichen Verfolgungseingriff darstelle. Die geschilderten Unannehmlichkeiten gingen von ihrer Art und Intensität nicht über asylrechtlich unerhebliche Benachteiligungen hinaus. Eine Unterschreitung des wirtschaftlichen Existenzminimums sei nicht zu befürchten. Der Kläger sei jung und trotz seiner Behinderung arbeitsfähig. Er habe bisher als Parkplatzwächter und durch kleinere Tätigkeit wie Verkauf sein Existenzminimum und das Leben seine Familie sichern können. Er habe zwar Unterhaltspflichten, aber seine Familie komme offenbar auch ohne seine Unterstützung zurecht. Notfalls könne er die Unterstützung seiner Großfamilie in Anspruch nehmen. Der Kläger sei als zu 100% anerkannter Schwerbehinderter durch den algerischen Staat sozialversichert. Der Kläger habe auch in der Vergangenheit mit seiner Krankheit jahrzehntelang in Algerien leben können. Er habe keinen Anspruch auf eine möglicherweise in Deutschland bessere medizinische Versorgung. Eine lebensbedrohliche Krankheit liege nicht vor. Der Kläger habe kostenlosen Zugang zu den Leistungen der Gesundheitsversorgung in Algerien. Die allgemeinen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gefahren aufgrund der COVID-19-Pandemie rechtfertigten kein Abschiebungsverbot. Es sei eine allgemeine, weltweite, temporäre Gefahr. Der Kläger habe keine individuellen Gefahren geltend gemacht.
Die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 26.6.2020; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 11, Algerien, Marokko, Tunesien, Menschenrechtslage, im Focus: vulnerable Personen, Stand: 6/2019; Länderreport 3, Algerien, November 2018) und mit der Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa VG Würzburg, B.v. 6.10.2020 – W 8 S 20.31116 – juris; Ue.v. 28.9.2020 – W 8 K 20.30690 und W 8 K 20.30307 – jeweils juris; B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.31066 – juris U.v. 24.8.2020 – W 8 K 20.30714 – juris; B.v. 13.8.2020 – W 8 S 20.30940; B.v. 6.8.2020 – W 8 S 20.30912 – juris; jeweils m.w.N.).
Auch sonst liegen – wie die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat – die Voraussetzungen für eine Begründung eines subsidiären Schutzanspruchs nach § 4 AsylG oder für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Kläger im Anschluss an seine Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 6, 8 f. und 21; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 26.6.2020, S. 27 ff.). Der Kläger ist noch jung (genug) und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Kläger eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (ebenso VG München, B.v. 2.7.2020 – M 26 S 20.31428 – juris; VG Frankfurt, U.v. 5.3.2020 – 3 K 2341/19.F.A – juris; SaarlOVG, B.v. 25.9.2019 – 2 A 284/18 – juris; VG Minden, B.v. 30.8.2019 – 10 L 370/19.A – juris; U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 46/18 – InfAuslR 2019, 309; U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – Buchholz 402.242, § 58a AufenthG Nr. 12; VG Stade, U.v. 1.4.019 – 3 A 32/18 – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Soweit der Kläger auf seine durch die Kinderlähmung (Polio) bedingte 100%-ige Schwerbehinderung verweist, ist dem entgegen zu halten, dass es dem Kläger schon in der Vergangenheit in Algerien möglich war, durch eigene Erwerbstätigkeit, insbesondere als Parkplatzwächter, Geld zu verdienen, und dass er darüber hinaus als Schwerbehinderter 15,00 EUR pro Monat bekommen hat. Im Übrigen lebt seine Familie in Algerien. Der Kläger ist insbesondere verheiratet und hat Kinder, die ihn ebenso wie seine Ehefrau unterstützen könnten. Abgesehen davon hat das Gericht nicht den Eindruck, dass den Kläger seine Behinderung derart beeinträchtigen würde, dass er nicht aufgrund eigener Tätigkeit zu seiner Existenzsicherung beitragen könnte. Denn wie aus seiner Ausländerakte zu entnehmen ist, ist der Kläger in Deutschland wiederholt straffällig geworden, insbesondere durch Diebstähle, zu denen der Kläger auch ein gewisses Geschick und entsprechende Energie benötigte, die der Kläger in Algerien auch zu seiner Existenzsicherung einsetzen könnte.
Zudem hat IOM im letzten Jahr ein Programm zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach und der Integration in Algerien ins Leben gerufen. Das Programm wird aus EU-Mitteln und auch bilateral von deutscher Seite unterstützt (Auswärtiges Amt, Bericht über asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Stand: Juni 2020 vom 11.7.2020, S. 22).
Des Weiteren begründen die gesundheitlichen Aspekte auch sonst kein Abschiebungshindernis. Die Behandlung von Erkrankungen – der Kläger macht insbesondere geltend: Kinderlähmung (Polio); 100%-ige Schwerbehinderung; Schmerzen wegen eines Metallstücks im Bein nach Bruch des Oberschenkels – ist in Algerien gewährleistet. Denn nach der vorliegenden Erkenntnislage ist die medizinische Grundversorgung mit einem für die Bürger weitgehend kostenlosen Gesundheitssystem auf niedrigem Niveau sichergestellt. Grundsätzlich ist die medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht oft nicht europäischem Niveau. Krankenhäuser, in denen schwierige Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es in den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt. Für mehrere Medikamente und medizinische Geräte ist der Import verboten, um die algerische Produktion zu stärken. Obwohl viele Medikamente als lokal produzierte Generika verfügbar sind, kommt es immer noch zu Presseberichten über einen Mangel an bestimmten Medikamenten in den Apotheken. Die Sozial- und Krankenversicherungen ermöglichen staatlichen Krankenhäusern eine grundsätzlich kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten oder von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 21 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 26.6.2020, S. 29 ff.).
Erkrankungen rechtfertigen zudem grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG). Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 3 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt. Der Ausländer bzw. die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
An einer solchen qualifizierten ärztlichen Bescheinigung fehlt es im vorliegenden Fall. Der Kläger hat keine ärztlichen Atteste vorgelegt, geschweige denn eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG. Mangels gegenteiliger aussagekräftiger Unterlagen sind keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen ersichtlich, wonach bei einer Rückkehr in die Heimat eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen bestünde. Auch unabhängig davon, dass eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nicht vorgelegt wurde, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen sowie dem Vorbringen des Klägers nicht ersichtlich, dass die gesundheitlichen Probleme des Klägers nicht – wie auch schon früher – zumindest nach den skizzierten Möglichkeiten des algerischen Gesundheitssystems in Algerien behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten. Nach dem Vorbringen des Klägers nimmt er lediglich Schmerzmittel wegen des Metallstücks in seinem Bein. Dem Vorbringen des Klägers lässt sich aber nicht entnehmen, dass gegenwärtig eine Rückkehr nach Algerien aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre, weil sich etwaige lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden.
Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung des Klägers stellen sich bei einer Rückkehr nach Algerien auch nicht anders dar wie vor der Ausreise und wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in vergleichbarer Lage.
Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Algerien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des algerischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Der Kläger ist gehalten, sowohl die Möglichkeiten des algerischen Gesundheitssowie Sozialsystems auszuschöpfen, als auch gegebenenfalls auf private Hilfemöglichkeiten, etwa durch Verwandte oder Hilfsorganisationen, zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren. Der Kläger ist bei einer Rückkehr nach Algerien nicht auf sich allein gestellt bzw. nicht allein und ohne Unterstützung; vielmehr kann er gegebenenfalls auch auf seine (Groß-)Familie zurückgreifen. Der Kläger verfügt über Verwandte, die ihn, wie zuvor, unterstützen können. In seiner Heimat leben insbesondere noch seine Mutter sowie seine Ehefrau und seine Kinder. Letztlich muss sich der Kläger grundsätzlich auf den in seinem Heimatstaat vorhandenen Versorgungsstandard im Gesundheitswesen verweisen lassen. Chronisch Erkrankte haben keinen Anspruch auf eine optimale Behandlung ihrer Erkrankung. Dies gilt insbesondere auch für eine etwaige Behandlung der Folgeerkrankungen. Der Verweis auf den Standard im Heimatland gilt nicht nur für die Grunderkrankung, sondern auch für die Folgeerkrankungen einschließlich der dafür erforderlichen Medikation. Ein Anspruch auf eine optimale Behandlung besteht nicht. Selbst wenn die Qualität der Medikamente und der Behandlung der Erkrankung des Klägers hinter der in Deutschland zurückbleibt, verschafft dies dem Kläger nicht ein Bleiberecht in Deutschland.
Schließlich ist noch zu betonen, dass nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlichen verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Für die Annahme einer solchen unmittelbar eintretenden Gefahr fehlen greifbare Anhaltspunkte, wenn sich der Kläger den Möglichkeiten des algerischen Gesundheitssystems unterwirft.
Im Ergebnis begründet die Erkrankung des Klägers kein Abschiebungsverbot, zumal er schon in der Vergangenheit in Algerien behandelt worden ist und bei einer Rückkehr in sein Heimatland erforderlichenfalls von der Ausländerbehörde die zur Überwindung von Übergangsschwierigkeiten erforderlichen Medikamente (insbesondere Schmerzmittel) für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung gestellt bekommen kann (ebenso VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris m.w.N.; vgl. auch VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Sonstige Gründe für das Bestehen eines Abschiebungsverbots sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Ergänzend wird lediglich noch angemerkt, dass insbesondere auch die weltweite COVID-19-Pandemie kein Abschiebungshindernis begründet, weil nach den aktuellen Fallzahlen in Algerien – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe Sitzungsprotokoll, S. 2), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder gar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt gerade, wenn der Kläger die von algerischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutzmasken usw.) beachtet und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der algerische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfemaßnahmen getroffen hat (siehe Auswärtiges Amt, Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise; Deutsche Botschaft Algier, aktuelle Corona-Maßnahmen in Algerien; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage, vom 9.7.2020, S. 14 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien, vom 26.6.2020, S. 30; siehe auch VG München, B.v. 2.7.2020 – M 26 S 20.31428 – juris; vgl. zum Ganzen ausführlich VG Würzburg, B.v. 6.10.2020 – W 8 S 20.31116 – juris; Ue.v. 28.9.2020 – W 8 K 20.30690 und W 8 K 20.30307 – jeweils juris; B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.31066 – juris U.v. 24.8.2020 – W 8 K 20.30714 – juris; B.v. 13.8.2020 – W 8 S 20.30940; B.v. 6.8.2020 – W 8 S 20.30912 – juris; B.v. 17.7.2020 – W 8 S 20.30824 – juris; jeweils m.w.N.).
Abgesehen davon hat der Kläger keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 in Algerien darstellt, insbesondere wie viele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger Sars-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wie vielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen und welche Effektivität der algerische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Fall einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen, zu der auch eine eventuelle – beim Kläger nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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