Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot hinsichtlich Spaniens für eine dort schutzberechtigte Familie mit kleinen Kindern

Aktenzeichen  AN 17 K 19.50228, AN 17 K 19.50337, AN 17 K 19.50338

Datum:
30.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22300
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5
GG Art. 6

 

Leitsatz

1. Eine Familie bestehend aus Eltern und vier minderjährigen Kindern, darunter auch Kleinkinder, deren Mitglieder in Spanien schutzberechtigt sind, wäre im Fall einer Rücküberstellung dorthin ohne besondere Zusicherung der zuständigen Behörden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Obdachlosigkeit und damit einer existenziellen Notlage ausgesetzt, die sie nicht aus eigener Kraft abwenden könnte, weshalb die Überstellung eine menschenrechtswidrige Behandlung darstellen würde (Rn. 26). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Überstellung der Familie nach Spanien würde nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen, wenn die spanischen Behörden eine individuelle Garantieerklärung abgeben würden, wonach die Familienmitglieder eine Unterkunft erhalten und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sein würden (Rn. 34). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.    Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2.    Soweit die Klagen zurückgenommen wurden, werden die Verfahren eingestellt.
3.    Unter entsprechender Aufhebung der Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. März 2019, vom 11. März 2019 und vom 12. März 2019, Az.: …, … und … wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass für die Kläger ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Spanien besteht.
4.    Die Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte, wobei die Kläger ihre Kostenhälfte gesamtschuldnerisch tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
5.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die Verfahren waren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – einzustellen, soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihre Klagen zurückgenommen haben. Die Klagerücknahmen erstrecken sich auf die Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamtes (Ziffer 1. des Tenors der streitgegenständlichen Bescheide).
2. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 29. August 2019 entschieden werden, obwohl die Beklagtenseite nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
3. Die Kläger haben Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Spaniens. Den Klägern zu 1. und 2. und ihren minderjährigen Kindern droht aufgrund der dortigen Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge bzw. Schutzberechtigte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK.
a) In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist anerkannt, dass die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen herrschen. Solche Bedingungen können dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. hierzu insgesamt EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland – juris Rn. 263 f. und 365 ff.).
Allerdings verpflichtet diese Norm nicht, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen oder sie finanziell zu unterstützen, um ihr einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, B.v 2.4.2013 – 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande – ZAR 2013, 336 f.; U.v. 21.1.2011 – 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland – juris Rn. 249 m.w.N.). Auch gewährt sie von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bei einer Überstellung bedeutend geschmälert würden, begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande – ZAR 2013, 336/337). Die Verantwortlichkeit eines Staates ist jedoch dann begründet, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und – trotz ausdrücklich im nationalen Recht verankerter Rechte – behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland – juris Rn. 250; siehe auch EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – juris Rn. 88 ff.). Bei der Prüfung einer Überstellung kommt es nicht nur auf die generellen Verhältnisse im Zielstaat an, sondern auch auf die individuellen Umstände des konkret Betroffenen. Wenn etwa mit Blick auf bestimmte Erkrankungen ernstliche Zweifel über die Folgen einer Abschiebung bestehen, müssen individuelle und ausreichende Zusicherungen des Zielstaates eingeholt werden (vgl. auch OVG NW, B.v. 8.12.2017 – 11 A 585/17.A – juris Rn. 15). Jedenfalls ist es erforderlich, dass die dort gewährleisteten Rechte praktisch sowie effektiv und nicht nur theoretisch und illusorisch zur Verfügung stehen (vgl. hierzu: EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10, Paposhvili/Belgien – juris Rn. 182, 187, 191 m.w.N.).
Im Einklang hiermit sieht das Bundesverfassungsgericht bisher bei belastbaren Anhaltspunkten für Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung ebenfalls keine Verletzung von Art. 3 EMRK. Vielmehr wird bei drohender Obdachlosigkeit im Zielstaat der Abschiebung in besonderen Einzelfällen – etwa bei Familien mit Kleinstkindern – lediglich ein inländisches Abschiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne angenommen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris Rn. 11, 13 f.; siehe auch EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12, Tarakhel/Switzerland – juris Rn. 116 ff.: Garantieerklärung für Unterbringung zusammen als Familie und in einer dem Alter der Kinder entsprechenden Weise).
Ob einem in einem anderen Mitgliedstaat anerkannten Flüchtling eine unmenschlich oder entwürdigende Behandlung droht, erfordert grundsätzlich, wie die Feststellung systemischer Mängel im Asylsystem, eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2016 Az. 2 BvR 273/16 – juris).
Dabei bemerkt das Gericht zunächst, dass es zuvörderst Aufgabe des Bundesamtes gewesen wäre, die Prüfung, ob im Einzelfall das zu fordernde Mindestmaß an Schwere im Sinne des Art 3 EMRK erreicht ist und daher die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen, nach § 24 Abs. 2 und § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG vorzunehmen. Aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 24 Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass das Bundesamt den Sachverhalt klärt und die erforderlichen Beweise erhebt. Für das hier relevante Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bedeutet dies, dass alle für die Beurteilung des Vorliegens einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung relevanten Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung zu ermitteln und zu würdigen sind (BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 1 B 40.18 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 20 ZB 19.31553 – BeckRS 2019, 15384). Bereits daran fehlt es in den streitgegenständlichen Bescheiden im erforderlichen Umfange. Unter Ziffer 2. der Gründe der angegriffenen Bescheide prüft das Bundesamt Abschiebungsverbote für die Kläger. Dabei zeigt es zutreffend den rechtlichen Rahmen und seine Erkenntnisse zu den humanitären Bedingungen für Asylsuchende bzw. anerkannt Schutzberechtigte im Königreich Spanien auf, die sich vorwiegend auf die Berichtslage von AIDA (vgl. aida – Asylum Information Database, Country Report: Spain, Stand: 2018) stützen. Danach geht das Bundesamt selbst davon aus, dass in Spanien ein Mangel an verfügbaren Sozialwohnungen herrscht, nur niedrige Mietzinsbeihilfen und Diskriminierungen bei der Wohnungssuche bestehen, was für viele Schutzberechtigte zu einem Problem werden könne und wirtschaftliche Probleme und Armut nach sich zögen. Das Bundesamt stellt dabei weiter fest, dass Nichtregierungsorganisationen lediglich eine vermittelnde Rolle einnähmen und eine staatliche Behörde zur Wohnraumverwaltung bzw. -zuweisung nicht existiere. Anhand dieses Maßstabes lässt es das Bundesamt jedoch ungeprüft, ob die Situation der Kläger insoweit und unter Beachtung ihres individuellen Vortrages in den Anhörungen die Kriterien des Art. 3 EMRK in erheblicher Weise berührt. Das Bundesamt begnügt sich mit der bloßen Feststellung, dass „auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Antragsteller“ die „Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich“ sei. Eine Auseinandersetzung mit dem Sachvortrag der Kläger und der Tatsache, dass vier von sechs Antragstellern noch minderjährig sind und jedenfalls der Kläger zu 6. sich in einem besonders schutzwürdigen Alter befindet, unterbleibt ausweislich der Bescheidgründe. Hinsichtlich des Klägers zu 1. unterlässt es das Bundesamt auch, eine Würdigung der familiären Situation vorzunehmen, die im Hinblick auf das Bestehen einer gelebten Kernfamilie mit den Klägern zu 2. bis 6. jedenfalls andere Anforderungen an die Gefahrprognose bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach sich zieht als es der Fall wäre, wenn der Kläger zu 1. ledig und ohne Kinder gegenüber dem Bundesamt aufgetreten wäre. Bereits aus diesem Grund erweisen sich die angegriffenen Bescheide hinsichtlich Ziffer 2. des Tenors als rechtswidrig.
b) Nach den dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnissen und auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 -, juris) geht der erkennende Einzelrichter aufgrund einer Gesamtbewertung der besonderen Umstände des Einzelfalls davon aus, dass die Kläger im Hinblick auf das Bestehen einer Kernfamilie mit Klein- und Kleinstkindern zu der Gruppe der besonders schutzbedürftigen Personen gehören, denen ohne eine konkret-individuelle Zusicherung von Seiten Spaniens eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzbedürftige in Spanien grundsätzlich so ausgestaltet sind, dass sie im Fall einer Überstellung bei allen Schutzberechtigten zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. Art. 4 EuGrCh bzw. Art. 3 EMRK führen.
Mit dem oben genannten Urteil vom 19. März 2019 hat der EuGH die Maßstäbe – aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 EuGrCh für Asylbewerber und Anerkannte in gleicher Weise wie für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert und partiell verschärft. Hiernach darf ein Asylbewerber aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-VO eigentlich für die Bearbeitung seines Antrags zuständig ist oder ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 EuGrCh bzw. Art. 3 EMRK verstößt, d.h. die physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Die Annahme eines solchen Verstoßes gegen Art. 4 EuGrCh bzw. Art. 3 EMRK, d.h. ein diesbezüglicher Stopp der Rücküberstellung ist danach nur zulässig, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles asylrelevante Schwachstellen oder andere Umstände eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Zunächst ist hiernach auf den (Arbeits-)Willen (und reale Arbeitsmöglichkeiten) sowie die persönlichen Entscheidungen des Betroffenen abzustellen. Ein Art. 4 EuGrCh/Art. 3 EMRK-Verstoß kann erst angenommen werden, wenn unabhängig hiervon eine Situation extremer materieller Not einträte, die es nicht erlaubte, die elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren und zu waschen (kurz: „Bett, Brot, Seife“). Grundsätzlich irrelevant sei bei gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen sogar, wenn überhaupt keine existenzsichernden staatlichen Leistungen bestünden, soweit dies für Inländer ebenso gelte.
Der EuGH weist aber auch in Übereinstimmung mit der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – juris) darauf hin, dass unterschieden werden muss zwischen gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen einerseits, für die diese „harte Linie“ gilt, sowie andererseits Antragstellern mit besonderer Verletzbarkeit, also Vulnerablen, die unabhängig vom eigenen Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten können. Für Kleinkinder, minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, Kranke bzw. sonstige vulnerable Personen ist im Dublin-Raum mithin von einem anderen, höheren Schutzstandard auszugehen. (vgl. VGH Ba.-Wü., B.v. 27.5 2019 – A 4 S 1329/19 – juris).
Dabei ist bei der Gefahrenprognose für den Kläger zu 1. als Vater einer in der Bundesrepublik im Verbund gelebten Kernfamilie von einer gemeinsamen Rückkehr aller Mitglieder der Kernfamilie auszugehen, Art. 6 GG. Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits Abschiebungsschutz zuerkannt worden ist, (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris).
c) Ausgehend von diesen Vorgaben geht der erkennende Einzelrichter davon aus, dass die Kläger im Falle ihrer Rücküberstellung nach Spanien ohne einer besonderen Zusicherung von Seiten der zuständigen spanischen Behörden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Obdachlosigkeit und damit einer existenzielle Notlage ausgesetzt sein würden, die sie nicht aus eigener Kraft abwenden könnten, weshalb eine Überstellung – wie im vorliegenden Fall – eine menschenrechtswidrige Behandlung darstellt (so auch VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris m.w.N; VG München, B.v. 12.1.2018 – M 28 S 17.35846 – juris.; VG Gelsenkirchen, B.v. 21.5.2019 – 5aL 790/19A – juris; VG Düsseldorf, B.v. 8.4.2019 – Az. 22 L 3736/19.A – juris; VG Würzburg, U.v. 19.7.2019 – W 2 K 18.30717 – BeckRS 2019, 18118). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Das spanische Asylleistungssystem ist auf die Integration und Herstellung selbstverantwortlicher Lebensweise der Schutzberechtigten in der spanischen Gesellschaft ausgerichtet, weshalb das Königreich Spanien einen dreistufigen Integrationsprozess installiert hat, den jeder Asylbewerber und auch anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich und ausnahmslos zu durchlaufen hat, wenn er staatliche Hilfen in Anspruch nehmen möchte (vgl. Raphaelswerk e.V., Spanien: Informationen für Geflüchtete, die nach Spanien rücküberstellt werden, Stand: August 2018). Das dreiphasige System sieht dabei vor, dass Asylantragsteller in der ersten Phase in Unterbringungszentren bzw. in Wohnungen im ganzen Land untergebracht werden, wobei der Staat die Mietzahlungen bei privater Unterbringung auch noch in der zweiten Phase des Integrationsprozesses übernimmt. Die dritte Phase, die Autonomiephase, ist jedoch auf das Erreichen finanzieller Unabhängigkeit des Asylantragstellers gerichtet, so dass finanzielle Unterstützung nur noch punktuell zur Deckung bestimmter Aufgaben übernommen wird. Die Vollendung jeder Phase ist Voraussetzung für Unterstützungsleistungen aus der nächsten Phase. Für besonders schutzbedürftige Gruppen besteht die Möglichkeit einer zeitlichen Streckung des staatlichen Unterstützungsprogrammes auf bis zu 24 Monate, was auch die Unterbringung in einer Asylbewerberaufnahmeeinrichtung umfasst. Daneben leisten Nichtregierungsorganisationen beratende und vermittelnde Hilfe. Anerkannt Schutzberechtigte haben zudem Anspruch auf Sozialleistungen des spanischen Staates zu denselben Bedingungen wie Inländer. Im Allgemeinen ist die Lage in Spanien allerdings von hoher Arbeitslosigkeit und Diskriminierung Schutzberechtigter beim Zugang zu Beschäftigung und sonstigen Förderprogrammen geprägt (zu Vorstehendem: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Spanien, Stand: 6.7.2018, Ziffer 7. Schutzberechtigte).
Soweit demnach Schutzberechtigte dieselben Sozialleistungen des spanischen Staates in Anspruch nehmen können wie spanische Staatsbürger ist Folgendes weiter festzustellen. In Spanien gibt es keine staatliche Grundsicherung, die dem Arbeitslosengeld-II in Deutschland vergleichbar wäre. Im Rahmen eines legalen Beschäftigungsverhältnisses werden Sozialbeiträge abgeführt, die nach Wegfall des Beschäftigungsverhältnisses ggf. einen Anspruch auf zeitlich befristetes Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe vermitteln. Über diesen Rahmen hinaus besteht die Möglichkeit, bei den Gemeinden oder Autonomen Regionen spanische Sozialhilfe (Renta mínima de insercíon) zu beantragen. Der Betrag, der dabei ausgezahlt wird, liegt je nach Gemeinde oder Region zwischen 300,00 und 600,00 Euro. Ein Anspruch auf Kindergeld bemisst sich nach der Einkommensgrenze der Eltern und ggf. weiteren Faktoren, etwa einem vorhandenen Grad der Behinderung des Kindes. Für Kinder oder Pflegekinder unter 18 Jahren ohne Behinderungsgrad gewährt der spanische Staat einen jährlichen Betrag von 291,00 Euro pro Kind. Darüber hinaus sind Einmalzahlungen des Staates für kinderreiche Familien in Höhe von bis zu 10.800,00 Euro bei vier oder mehr in Spanien geborenen Kindern möglich (zu Vorstehendem: Deutsche Vertretungen in Spanien, Informationsblatt Sozialhilfe in Spanien, Stand: April 2019, abrufbar unter: https://spanien.diplo.de/blob/1752454/d8ef4f088158ced52694799073a0a15c/dd-sozialhilfe-data.pdf; Europäische Kommission, Spanien – Sonstige Familienbeihilfen, Stand: 2019, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/social/). In Spanien besteht derzeit ein gesetzlicher Mindestlohn von 735,90 Euro (Europäische Kommission, Lebens- und Arbeitsbedingungen in Spanien, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/eures/, Stand: 2019). Hinsichtlich der Wohnraumsituation garantiert die spanische Verfassung ein „Recht auf würdigen Wohnraum“, jedoch ist bezahlbarer Wohnraum insbesondere in den Großstädten und Urlaubsregionen Spaniens knapp bemessen (vgl. Deutschlandfunk, Spanien – Eine Wohnung ist für jeden lebensnotwendig, Artikel vom 20.7.2018, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/spanien-eine-wohnung-ist-fuer-jeden-lebensnotwendig.795.de.html?dram:article_id=423396). Insbesondere Sozialwohnungen sind kaum vorhanden und wurden von den Kommunen Spaniens im Zuge der Schuldenkrise vermehrt an Investmentfonds abgestoßen (Deutschlandfunk, Stillstand in Spanien – Obdachlose demonstrieren gegen Wohnungsnot, Artikel vom 30.7.2019, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/stillstand-in-spanien-obdachlose-demonstrieren-gegen.795.de.html?dram:article_id=455081). Die Situation in Spanien ist zudem von einem hohen Anteil an Wohneigentum geprägt, so dass nur etwa 25 Prozent der Bevölkerung Spaniens überhaupt zur Miete wohnt und nur etwa die Hälfte davon subventionierte Mietverhältnisse umfasst (Europäische Kommission, Eurostat – Wohnstatistiken in den EU-Mitgliedsstaaten, Stand: 2016, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Housing_statistics/de#Wohnraumtyp). Der Zugang zu Obdachlosenunterkünften ist kapazitäts- und saisonabhängig und wird vor allem durch kirchliche Organisationen wie der Caritas zur Verfügung gestellt (Deutschlandfunk, Stillstand in Spanien – Obdachlose demonstrieren gegen Wohnungsnot, Artikel vom 30.7.2019, a.a.O.). Für das Jahr 2016 hat das „Spanish National Institute of Statistics“ (Instituto Nacional de Estadística – INE) ermittelte, dass durchschnittlich 16.437 Personen täglich in Obdachlosenunterkünften registriert wurden (Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Wohnungslosigkeit in Europa – Statistiken und Strategien in ausgewählten europäischen Staaten, WD 6 – 3000 – 084/18, abrufbar unter: https://www.bundestag.de). In dieser Gemengelage konkurrieren sozialbedürftige Migranten und spanische Staatsbürger um die wenigen subventionierten Wohnungen, wobei das Königreich Spanien lagebedingt und im Hinblick auf die Exklaven Ceuta und Melilla einen hohen Anteil von Migranten, die über das Mittelmeer flüchten, aufnimmt (United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2018, Section 2. d. – Protection of Refugees).
Das Gericht sieht die vorstehenden Feststellungen insbesondere auch durch den Vortrag des Klägers zu 1. in der mündlichen Verhandlung in weiten Teilen bestätigt. Der Kläger hat nachvollziehbar, detailliert und ohne Übertreibungen glaubhaft geschildert, dass der spanische Staat ihm und seiner Familie zwar grundlegende integrative Leistungen gewährt hat, etwa die Aufnahme in einer Asylbewerberunterkunft, einen Sprachkurs und auch finanzielle Unterstützung für die Sicherung des privaten Wohnraumes im Rahmen der Integrationsphasen, wie sie vorstehend dargestellt wurden. Auch die Aussage gegenüber dem Kläger nach dessen Rücküberstellung im Mai 2016, die staatliche Hilfe sei auf eineinhalb Jahre begrenzt, ist objektiv nachvollziehbar, wenngleich für das Gericht offen bleibt, ob der spanische Staat tatsächlich die besondere familiäre Situation der Kläger unberücksichtigt gelassen hat. Jedenfalls aber hat der Kläger zu 1. nachvollziehbar geschildert, dass die staatlichen Unterstützungsleistungen insbesondere nach dem Bezug einer von einer Privaten vermieteten Wohnung nach und nach eingestellt wurden. Dies entspricht dem spanischen Integrationsansatz für Schutzberechtigte, ohne, dass dies unter dem Blickwinkel der Vereinbarkeit mit Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrCh grundsätzlich zu beanstanden wäre, wie das Gericht in der mündlichen Verhandlung gegenüber der Klägerseite auch angemerkt hat.
Der erkennende Einzelrichter ist auch davon überzeugt, dass es den integrationswilligen Klägern gelungen ist und im Falle einer Rücküberstellung nach Spanien voraussichtlich wieder gelingen würde, für den Kläger zu 1. ein Arbeitsverhältnis zu finden, aus dem der gesetzliche Mindestlohn erzielt werden kann. Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass es den Klägern auch gelingen würde, ihnen zustehende Familienbeihilfen tatsächlich zu erlangen. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers zu 1. in der mündlichen Verhandlung bleibt letztlich vage, soweit er angab, vergeblich solche Leistungen bei der Stadt … beantragt zu haben. Jedenfalls auf dem gerichtlichen Weg wäre die Bewilligung und Auszahlung dieser Hilfen wohl erfolgreich durchsetzbar, wobei nach dem Vortrag des Klägers zu 1. nicht erkennbar ist, dass er einen solchen Schritt bereits erwogen hatte. In der Summe wäre über eine solche Familienbeihilfe gleichwohl nur ein Zusatzeinkommen von 1.164,00 Euro pro Jahr zu erzielen, so dass eine deutliche Steigerung des monatlichen Einkommens für die Kläger als Familienverband nicht zu erwarten steht.
Eine existenzielle Notlage ergäbe sich damit für die Kläger im Hinblick auf die praktisch kaum zu realisierende Möglichkeit des Auffindens eines Wohnraumes für eine sechsköpfige Familie. Dem Gericht ist bekannt, dass es schon in Deutschland schwer ist, für Familien dieser Größenordnung bei nur geringem Einkommen angemessenen Wohnraum zu finden, wobei die deutsche Gesellschaft deutlich stärker von Wohnraummietverhältnissen und sozialem Wohnungsbau geprägt ist als die spanische Gesellschaft. Im Falle der Obdachlosigkeit dürfte es für den Kläger zu 1. indes noch schwieriger werden, auch eine Arbeitsstelle zu finden. Aus Sicht des Gerichts droht den Klägern dabei die ernsthafte Gefahr der Verelendung. Ein solcher Zustand wäre insbesondere für die Kläger zu 3. bis 6. eine nicht hinnehmbare Verletzung ihrer grundlegenden Menschenrechte aus Art. 3 EMRK, da sie im besonderen Maße verletzlich und für Extremzustände wie der Obdachlosigkeit und daraus erwachsenden Folgeproblemen anfällig sind.
Diese Einschätzung des erkennenden Einzelrichters wird durch den Umstand, dass es den Klägern schon einmal mit Hilfe des Roten Kreuzes gelungen ist, Wohnraum zu erhalten, nicht erschüttert. Der Kläger zu 1. hat glaubhaft dargelegt, dass es überhaupt nur mit Unterstützung und Bürgschaft des Roten Kreuzes möglich war, einen vermietungswilligen Privaten für die Kläger zu finden. Die vom Kläger zu 1. dargestellte Einkommens- und Ausgabensituation ist nachvollziehbar und anhand objektiver Statistiken zu den Lebensverhältnissen in Spanien belegbar. Dass er im Hinblick auf seine persönlichen Qualifikationen, Kenntnisse und Fertigkeiten realistischerweise bei einer Rücküberstellung nach Spanien eine Arbeitsstelle finden wird, die die Einkommenssituation der Kläger deutlich verbessert und regelmäßige Mietzahlungen für eine angemessene Wohnung für eine sechsköpfige Familie auf lange Sicht garantiert, ist wenig wahrscheinlich. So hat der Kläger zu 1. überzeugend dargelegt, dass es ihm überhaupt nur aufgrund informeller Kontakte, die zwischen den in Spanien lebenden Menschen aus dem arabischen Sprachraum möglich war, eine Anstellung zu finden. Das Gericht glaubt dem Kläger zu 1., dass derartige Beschäftigungsmöglichkeiten für Migranten aus den nördlichen Afrika-Staaten überwiegend nur in einfachen Dienstleistungsbereichen bzw. in Cafés o.ä. zu erlangen sein werden. Das Gericht glaubt dem Kläger im Weiteren auch, dass es selbst bei Annahme einer Arbeitstätigkeit im gesamten spanischen Staatsgebiet schwierig bzw. unmöglich ist, mit der gesamten Familie zum Ort der Arbeitstätigkeit umzuziehen. Dies würde eben das Vorhandensein entsprechenden Wohnraums bedingen. Hinzu tritt der Umstand, dass die Klägerin zu 2. noch auf Jahre hinaus selbst nichts wird zu den finanziellen Einkünften der Familie beitragen können, da insbesondere der Kläger zu 6. sich noch in einem betreuungsintensiven Alter befindet. Auch der Kläger zu 5. ist noch nicht in einem schulpflichtigen Alter und damit auf die Betreuungsmöglichkeit durch einen Elternteil angewiesen, da die Kläger insgesamt in Spanien über kein (familiäres) Netzwerk verfügen, das Betreuungsleistungen mitübernehmen kann.
Aus Sicht des Gerichts steht zur Abmilderung der Notlage der Obdachlosigkeit für die Kläger auch keine staatliche Hilfe zu erwarten. Nach Abschluss der Integrationsphasen haben die Kläger keinen Anspruch mehr, vorübergehend Obdach in einer Aufnahmeeinrichtung Spaniens zu erlangen. Auch die Gewährung finanzieller Beihilfen bemisst sich für die Kläger letztlich danach, was ein spanischer Staatsbürger verlangen könnte. Die Zahlung spanischer Sozialhilfe plus sonstiger Familienbeihilfen dürfte indes nicht ausreichen, prekäre Verhältnisse für die Kläger sicher auszuschließen. Dass der spanische Staat zusätzlich dazu Mietzahlungen übernimmt, wie sie vergleichbar den gesetzlichen Regelungen zum Arbeitslosengeld-II in Deutschland sind, ist aus den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht abzuleiten. Vielmehr überlässt der spanische Staat Beratungs-, Vermittlungs- und Unterstützungsleistungen für die Wohnungssuche bei anerkannt Schutzbedürftigen faktisch allein Nichtregierungsorganisationen und kirchlichen Einrichtungen, wobei die Möglichkeiten dieser Institutionen in Übereinstimmung von klägerischem Vortrag und objektiven Erkenntnismitteln äußerst beschränkt sind. Hiervon geht letztlich auch das Bundesamt in den angegriffenen Bescheiden aus.
Eine Überstellung nach Spanien verstößt daher nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn die spanischen Behörden für die Kläger eine individuelle Garantieerklärung abgeben, wonach die Kläger eine Unterkunft erhalten und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sind. Die vom EGMR in der „Tarakhel“-Entscheidung dargelegten Grundsätze sind auch auf Personen anzuwenden, die mit einem Schutzstatus in den diesen gewährenden Drittstaat rücküberstellt werden sollen (vgl. VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris; VG Göttingen, B.v. 26.4.2017 Az. 3 B 267/17 – juris).
Das Bundesamt wäre deshalb verpflichtet gewesen, konkrete Zusagen zur Unterbringung der Kläger einzuholen oder zumindest auf andere Weise sicher zu stellen, dass der speziellen Situation der Kläger Rechnung getragen wird. Eine solche individuelle Zusicherung der zuständigen spanischen Stellen ist nach Aktenlage aber bisher nicht erteilt worden und auch nicht mehr zu erwarten.
Den Klagen war daher im noch aufrecht erhaltenen Umfange insgesamt stattzugeben.
4. Die Kostenentscheidung war hälftig zwischen Klägern und Beklagter zu teilen, weil die Kläger im Umfang ihrer Klagerücknahme gemäß § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen haben. Soweit die Kläger erfolgreich waren, ergibt sich die Kostenlast für die Beklagte aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kläger tragen gemäß § 159 Satz 2 VwGO ihren Kostenanteil als Gesamtschuldner. Das Gericht bewertet die Streitgegenstände hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung einerseits und der Verpflichtung des Bundesamtes auf die Feststellung von Abschiebungsverboten andererseits als gleichwertig. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte sich bezüglich der Unzulässigkeitsentscheidung nicht inhaltlich mit dem Asylvorbringen der Kläger auseinanderzusetzen brauchte.
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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