Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot wegen schlechter humanitärer Verhältnisse nur im Ausnahmefall

Aktenzeichen  8 ZB 18.32934

Datum:
16.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30700
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland begründen nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK. Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind.  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 17.31916 2018-10-04 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG in Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es in diesen Fällen zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2007 – 1 ZB 07.30025 – juris Rn. 3; B.v. 13.6.2016 – 13a ZB 16.30062 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f.; SächsOVG, B.v. 30.11.2017 – 1 A 1046/17.A – juris Rn. 5; OVG SA, B.v. 29.3.2017 – 3 L 249/16 – juris Rn. 14; HessVGH, B.v. 17.1.2017 – 3 A 2970/16.Z.A – juris Rn. 2).
Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht. Die Klägerin zeigt hinsichtlich der für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Tatsachenfrage,
„ob eine junge, arbeitsfähige äthiopische Frau, die mit einem unehelichen Kind ledig nach Äthiopien zurückkehrt, in die Gesellschaft so reintegriert werden kann, dass sie in der Lage sein wird, für sich und ihr Kind das Existenzminimum im Sinne § 60 Abs. 5 AufenthG zu erwirtschaften oder ob sie nicht vielmehr Gefahr läuft, aufgrund des gesellschaftlichen Tabubruchs sozial geächtet zu werden und damit in ihrem Existenzminimum bedroht zu sein“,
keinen Klärungsbedarf auf. Die Frage, ob die Klägerin in Äthiopien das Existenzminimum für sich und ihr Kind „erwirtschaften“ kann, ist nicht klärungsfähig; das Verwaltungsgericht hat hierauf nicht abgestellt, sondern angenommen, dass die Klägerin – auch als Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes – von der Großfamilie unterstützt wird. Soweit die Klägerin letzteres wegen der sozialen Ächtung von Frauen mit nichtehelichen Kindern in der äthiopischen Gesellschaft infrage stellt, zeigt sie keine hinreichende Wahrscheinlichkeit auf, dass dies vorliegend anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist. Zwar kann sich die Klägerin insoweit auf die angeführte Auskunft (Schnellrecherche) der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 26. Mai 2015 stützen, als es in einzelnen ländlichen Regionen Äthiopiens vorkommen kann, dass ledige Mütter diskriminiert und teilweise sogar von den Eltern verstoßen werden. Die Klägerin legt aber nicht konkret dar, weshalb dies in ihrem Fall zu befürchten wäre, z.B. weil alle ihre Verwandten in ländlichen Regionen lebten bzw. besonders konservativ eingestellt wären, sodass ihr die allgemeine Akzeptanz gegenüber zahlreichen nicht verheirateten Müttern in Äthiopien (vgl. Bericht vom 26.5.2015, S. 1, 2 unten) nicht zuteil würde.
Im Übrigen können in rechtlicher Hinsicht schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – NVwZ 2012, 681/685 = Rn. 278, 282 f.; vgl. auch Stiegeler in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 AufenthG, Rn. 29). Dass sich die Klägerin in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, wurde, wie oben ausgeführt, nicht hinreichend dargelegt und ist auch sonst nicht erkennbar.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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