Verwaltungsrecht

Äthiopien, Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, Männliches Kleinkind ohne eigene Fluchtgründe, „Tigray-Konflikt“, nationale Abschiebungsverbote im Hinblick auf die humanitäre Situation (verneint)

Aktenzeichen  B 7 S 21.31015

Datum:
5.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 867
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 30 Abs. 1
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 7
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger mit oromischer Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Er wurde am … .2021 in … in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Aufgrund der Antragsfiktion des § 14a Abs. 2 AsylG wurde mit Eingang der Geburtsanzeige der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung von Oberfranken vom 12.10.2021 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am gleichen Tag ein Asylantrag als gestellt erachtet.
Die Asylanträge der Eltern und der Schwester des Antragstellers wurden mit Bescheiden des Bundesamts vom 13.02.2018 (Gz.: …), vom 19.03.2018 (Gz.: …) und vom 29.03.2018 (Gz.: …) abgelehnt. Die dagegen erhobenen Klagen wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteilen vom 20.02.2020 ab (B 7 K 18.30358, B 7 K 18.31259 und B 7 K 18.30772). Rechtsmittel gegen die Urteile vom 20.02.2020 wurden nicht eingelegt.
Mit Schriftsatz vom 05.11.2021 forderte das Bundesamt die Eltern des Antragstellers auf, schriftlich zu den eigenen Asylgründen des Antragstellers Stellung zu nehmen, worauf sich die Bevollmächtigte des Antragsstellers mit Schriftsatz vom 18.11.2021 beim Bundesamt anzeigte und für den Antragsteller einen Asylantrag stellte.
Mit Schriftsatz vom 24.11.2021 teilte der Antragsgegner der Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass bereits eine Geburtsanzeige nach § 14a AsylG eingegangen sei und damit das Antragsdatum (12.10.2021) bestehen bleibe.
Laut Aktenlage beim Bundesamt ist im Verwaltungsverfahren weder eine Stellungnahme der Eltern des Antragstellers noch eine Stellungnahme durch die Bevollmächtigte des Antragstellers eingegangen.
Mit Bescheid vom 16.12.2021, als Einschreiben zur Post gegeben am 21.12.2021, lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1). Der Antrag auf Asylanerkennung wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffer 2). Unter Ziffer 3 des Bescheides wurde der Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes ebenfalls als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht, sofern er nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland verlasse. Gleichzeitig wurde die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 5). Unter Ziffer 6 ordnete der Antragsgegner das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter seien offensichtlich nicht gegeben. Ein Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht gegeben seien. Die Beurteilung als offensichtlich unbegründet sei gerechtfertigt, wenn nach der vollständigen Erforschung des Sachverhaltes zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen könne und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrages geradezu aufdränge.
Der Antragsteller sei offensichtlich kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Eine konkret drohende individuelle und begründete Furcht vor Verfolgung sei für den Antragsteller nicht geltend gemacht worden. Eine Vorverfolgung könne angesichts der Tatsache, dass der Antragsteller im Bundesgebiet geboren worden sei und sich zu keiner Zeit in Äthiopien aufgehalten habe, auch nicht vorliegen. Auch die von den Eltern sowie der Schwester des Antragstellers in deren eigenen Verfahren vorgetragenen Gründe führten erkennbar nicht zu einem Schutzanspruch, so dass sich aus deren Verfahren offenkundig auch nicht schließen lasse, dass dem Antragsteller als nachgeborenem Kind im Herkunftsland eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 AsylG drohe.
Dem Antragsteller drohe auch kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG. Ein konkret drohender und individueller ernsthafter Schaden bei Rückkehr in das Herkunftsland sei nicht geltend gemacht worden. Anderes lasse sich auch nicht aus den von den Eltern des Antragstellers in deren eigenen Asylverfahren vorgebrachten Antragsbegründungen erkennen, da diese bereits auch offensichtlich nicht zu einem Schutzanspruch führten.
Die Voraussetzungen gemäß Art. 16a Abs. 1 GG seien nicht gegeben, da schon die weiter gefassten Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht einschlägig seien.
Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK seien nicht festzustellen. Zwar komme eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht, wenn der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle. Selbst unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers führten die derzeitigen humanitären Bedingungen in Äthiopien jedoch nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Bei einer Rückkehr nach Äthiopien könne im Allgemeinen von der Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden (wird umfassend ausgeführt). Im Falle des Antragstellers sei es dessen Eltern auch vor der Ausreise gelungen, ihren Lebensunterhalt – entweder durch eigene Arbeit oder durch Unterstützung von Familienangehörigen – zu bestreiten. Davon könne auch bei einer Rückkehr ausgegangen werden. Die Eltern verfügten über verwandtschaftliche Beziehungen im Heimatland, so dass bei einer Rückkehr des Antragstellers mit seiner Mutter und seinem Vater keine existentielle Gefahrenlage bestehe und daher zumindest das Existenzminimum gesichert sei. Insoweit werde auch auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG in den Bescheiden der Eltern sowie der Schwester des Antragstellers verwiesen. Das sich die Situation aufgrund der „Corona-Pandemie“ und der Heuschreckenplage sowie Überschwemmungen maßgeblich verschärft habe, sei nicht ersichtlich (wird umfassend ausgeführt).
Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe. Hierfür müsste über die Gefahren hinaus, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt sei, eine besondere Fallkonstellation gegeben sein, die als gravierende Beeinträchtigung die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutlich übersteige. Gründe sich die von einem Ausländer geltend gemachte Furcht nur auf Gefahren, die die ganze Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, die dieser angehöre, allgemein betreffe, so sei die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Verfahren beim Bundesamt gesperrt (§ 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG).
Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Um eine mit der RL 2008/115/EG zu vereinbarende modifizierte Anwendung zu erreichen, erfolge die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Hierdurch beginne die Ausreisefrist nicht vor Ablauf der Klagefrist zu laufen, im Falle einer fristgerechten Stellung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht vor Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts über diesen (wird weiter ausgeführt).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 27.12.2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 30.12.2021, erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid vom 16.12.2021 und beantragt zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseanordnung und Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die „Asylfolgeantragsbegründung vom 05.12.2021“ verwiesen, welche – entgegen den Ausführungen im Bescheid – an das Bundesamt gesendet worden sei.
Gemäß dem beigefügten Schriftsatz vom 05.12.2021 sei die Bevölkerung Äthiopiens im Moment mit einer massiven Hungersnot und humanitären Katastrophen eklatanten Ausmaßes konfrontiert. Laut den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes sei ein landesweiter Ausnahmezustand verhängt worden. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und bewaffneten Akteuren der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) in der Region Tigray und den Regionen Amhara und Afar würden sich ausweiten. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich Kampfhandlungen weiter verstärkten und in weitere Regionen des Landes reichen. Es könne zu Unterbrechungen des Internets in Tigray kommen. Auch in Addis Abeba und anderen Regionen des Landes seien im Rahmen des Ausnahmezustands kurzfristige Abschaltungen des Internets und der Mobilfunkverbindungen möglich. In zahlreichen Gebieten im Land komme es aktuell zu gewaltsamen Protesten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Konflikt in Tigray habe starke Fluchtbewegungen zur Folge. Besonders die humanitäre Lage in der Region Tigray verschlimmere sich Zusehens. Auch Amnesty International habe eine Zusammenfassung zur aktuellen Lage am 12.11.2021 veröffentlicht. Danach gäbe es willkürliche Festnahmen und Masseninhaftierungen gegen Tigrayaner, darunter auch Kinder und ältere Menschen. Die meisten Häftlinge halte man ohne Anklageerhebung oder Zugang zu einem Rechtsbeistand fest. Die Festnahmen hätten sich, seit die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen habe, verstärkt (wird weiter ausgeführt).
Beide Erkenntnismittel seien exemplarisch für die humanitäre Krise in Äthiopien sowie die verheerende Sicherheitslage aufgrund des weiter stattfindenden kriegsähnlichen Geschehens. Es zeige sich, dass sich die Lage weiterhin verschlechtere und somit auf absehbare Zeit keine Verbesserung zu erwarten sei. Bei einer „Rückkehr“ des Antragstellers mit seiner Familie bedeute dies ein großes Risiko für Leib und Leben. Eine Rückkehr sei aktuell und auf absehbare Zeit nicht zumutbar und verhältnismäßig. Es sei nicht zu erwarten, dass sich derzeit eine zurückkehrende Familie eine Lebensgrundlage aufbauen und den Lebensunterhalt sichern könne. Dies sei aufgrund der allgemein verheerenden Lage derart erschwert, dass dies einer Familie, zumal mit Säugling, nicht zugemutet werden könne.
Die Antragsgegnerin äußerte sich bis zum Erlass dieses Beschlusses nicht.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen. Die Gerichts- und Behördenakten der rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren der Eltern und der Schwester des Antragstellers wurden beigezogen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 16.12.2021, über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die nach § 34 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung (Ziffer 5 des Bescheides vom 16.12.2021) ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Abs. 1 AsylG statthaft. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylG sowie der §§ 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung. Hier geht es weder um Widerruf und Rücknahme (§§ 73, 73b und 73c AsylG), noch liegt ein sonstiger Fall im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylG vor, in dem die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage beträgt. Wegen der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beträgt die Ausreisefrist nämlich gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche. Im Übrigen wurde gemäß Ziffer 5 Satz 4 des Bescheides der Vollzug behördlicherseits „nur“ bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist, die vorliegend gewahrt wurde, bzw. bis zur Bekanntgabe der Ablehnung eines Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt, so dass es dem Eilantrag auch nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis mangelt.
2. Gemäß Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nur ausgesetzt bzw. die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bzw. des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen.
An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Abschiebungsandrohung bestehen – nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung – jedoch vorliegend keine ernstlichen Zweifel.
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlässt das Bundesamt nach § 59 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer weder als Asylberechtigter anerkannt (Nr.1), noch ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird (Nr. 2), noch subsidiärer Schutz gewährt wird (Nr. 2a), die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3) und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt (Nr. 4). Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche.
Der Antragsgegner hat aller Voraussicht nach den Asylantrag und den Antrag auf Zuerkennung des internationalen Schutzes zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Daneben hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.
a) Offensichtlich unbegründet ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG der Asylantrag, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Ein Asylantrag ist insbesondere nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a AsylG als gestellt gilt, nachdem zuvor die Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Hintergrund dieses Katalogtatbestandes ist die Erfahrung, dass in der Vergangenheit allzu häufig Asylanträge von Familienangehörigen bewusst gestaffelt gestellt wurden, um auf diese Weise die Beendigung des Aufenthalts der Familie hinauszuzögern. Um diesen Missbrauch des Asylverfahrens einzudämmen, hat der Gesetzgeber nicht nur die Regelung des § 14a AsylG geschaffen, sondern auch in § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG die qualifizierte Ablehnung des tatsächlichen oder fiktiven Asylantrags eines im Sinne des AsylG handlungsunfähigen Kindes vorgesehen, wenn zuvor die Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Ferner beruht die Norm auch auf der Annahme, dass Kinder nur in absoluten Ausnahmefällen eigene Asylgründe geltend machen können (BeckOK-AuslR/Heusch, AsylG, Stand: 1.10.2021, § 30 Rn. 52 m.w.N.; Schröder in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 30 AsylVfG Rn. 38; VG Würzburg, B.v. 29.4.2020 – W 8 S 20.30486 – juris; VG Würzburg, B.v. 28.8.2013 – W 6 S 13.30278 – juris). Hieraus folgt aber zugleich auch eine notwendige Einschränkung der Normanwendung, so dass ausnahmsweise § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG dann nicht greift, wenn eigene, originäre Asylgründe des Kindes geltend gemacht werden und für diese die Voraussetzungen für eine qualifizierte Ablehnung als offensichtlich unbegründet nicht vorliegen (Funke-Kaiser in: Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand: Oktober 2017, § 30 Rn. 141; VG Würzburg, B.v. 29.4.2020 – W 8 S 20.30486 – juris; VG Würzburg, B.v. 28.8.2013 – W 6 S 13.30278 – juris; VG Ansbach, B.v. 4.10.2018 – AN 9 S 18.31173 – juris; vgl. auch BeckOK-AuslR/Heusch, AsylG, Stand: 1.10.2021, § 30 Rn. 52).
Gemessen hieran sind hinsichtlich des im März 2021 geborenen männlichen Antragstellers die Voraussetzungen für die Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG, jedenfalls aber gemäß § 30 Abs. 1 AsylG – da sich die Ablehnung der Anträge „geradezu aufdrängt“ (vgl. BeckOK-AuslR/Heusch, AsylG, Stand: 1.10.2021, § 30 Rn. 13 ff. u. 31) -, gegeben. Die Asylanträge der Eltern des Antragstellers sind unanfechtbar abgelehnt. Eigene, originäre „Asylgründe“ des Antragstellers i.S.d. Art.16a GG bzw. der §§ 3 und 4 AsylG sind – selbst unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schreiben vom 05.12.2021 – nicht geltend gemacht und kommen auch anderweitig nicht in Betracht. Mit Schreiben der Antragstellerseite an den Antragsgegner vom 05.12.2021 werden ersichtlich keine Aspekte angeführt, die auch nur ansatzweise die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer konkret individuellen Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG begründen können. Die Ausführungen beziehen sich vielmehr im Wesentlichen auf die humanitäre Lage in Äthiopien und die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region Tigray mit ihren Auswirkungen auf die übrigen Landesteile. Aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller noch nicht einmal ein Jahr alt ist, noch nie in Äthiopien gelebt hat und die Asylanträge seiner Eltern und seiner Schwester rechtskräftig abgelehnt wurden, ist für das Gericht auch anderweitig nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass dem Antragsteller eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte. Dementsprechend sind auch die engeren Voraussetzungen des Art. 16a GG für die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht gegeben. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG liegen in der Person des Antragstellers offensichtlich nicht vor. Eine konkret drohende und individuelle Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt – wie bereits vorstehend im Rahmen des § 3 AsylG dargelegt – ersichtlich nicht in Betracht. Ferner kommt für den Antragsteller mit oromischer Volkszugehörigkeit offensichtlich keine Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Betracht. Insoweit verkennt das Gericht nicht, dass gegenwärtig für Zivilpersonen in der Region Tigray die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllt sein dürften. Ob dies in Anbetracht der Auswirkungen des „Tigray-Konflikts“ auf die übrigen Landesteile auch für tigrinische Volkszugehörigkeit gilt, die sich außerhalb des eigentlichen Konfliktgebiets aufhalten, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da der Antragsteller und seine Familie oromische Volkszugehörige sind und diese bei einer realitätsnahen Rückkehrprognose in die Oromo-Region zurückkehren werden, in der ersichtlich für Zivilisten der Volksgruppe der Oromo ohne gefahrerhöhende „Vorbelastungen“ – und damit insbesondere auch für den vorliegenden Antragsteller als Kleinkind – kein „real risk“ einer Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht (vgl. auch VG Bayreuth, B.v. 18.11.2021 – B 7 S 21.30819; VG Bayreuth U.v. 7.7.2021 – B 7 K 21.30417 – juris).
Soweit sich der Antragsteller auf die „massive Hungersnot“ und die humanitäre Situation in Äthiopien – beruft, ist dieser Vortrag schon von Vorneherein nicht geeignet, zur Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen. Insoweit handele es sich nur um eine allgemeine und insbesondere um keine von einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG bzw. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG ausgehende Gefahr (BayVGH B.v. 8.3.2021 – 23 ZB 20.32340).
b) Auch an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes bezüglich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bestehen keine ernstlichen Zweifel. Auf die Gründe des Bescheids hierzu wird zunächst Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend weist das Gericht auf Folgendes hin:
aa) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Auch unter Einbeziehung der schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland, insbesondere infolge der „Corona-Pandemie“, der „Heuschreckenplage“ und fortbestehender ethnischer Konflikte sowie des teilweise auf die angrenzenden Regionen übergreifenden Tigray-Konflikts, ergibt sich nicht die Verpflichtung des Bundesamts, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Würzburg, GB. v. 11.5.2020 – 8 K 20.50114 – juris).
Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch infolge der Verbreitung des Coronavirus bzw. der Ausbreitung der Heuschrecken in Äthiopien – begründet derartige Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff.; VG Würzburg, U.v. 3.7.2020 – W 3 K 19.31666 – juris; VG Würzburg, B.v. 3.12.2020 – W 3 S 20.31209 – juris).
Es ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Äthiopien einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung durchbrechen könnte, ausgesetzt wäre. Weder aus den Darlegungen der Antragstellerseite, noch aufgrund anderweitiger Erkenntnisse kann geschlossen werden, dass der Antragsteller ohne glaubhaft gemachte Vorerkrankungen allein aufgrund der Verbreitung des Coronavirus (auch) in Äthiopien bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre, zumal für den Antragsteller nicht einmal behauptet wurde, dass dieser aufgrund besonderer persönlicher Merkmale einer Personengruppe angehören würde, für die die beachtliche Gefahr eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs einer hypothetischen Infektion mit dem Coronavirus anzunehmen wäre. In rechtlicher Hinsicht ist somit das Vorliegen einer Extremgefahr im oben beschriebenen Sinn diesbezüglich zu verneinen.
Daneben gibt es keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Äthiopien – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen und Verschärfungen u.a. durch die Corona-Pandemie, den Tigray-Konflikt und die Heuschreckenplage – gegenwärtig außerhalb der Tigray-Region und angrenzender Gebiete des nördlichen Äthiopiens derart desolat wäre, dass dem Antragsteller der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten. Eine solche Zuspitzung der Situation ist bei Niederlassung des Antragstellers außerhalb des aktuellen Krisenherdes in Nordäthiopien nicht anzunehmen. Dabei ist nicht zuletzt zu würdigen, dass erhebliche Hilfsgelder – nicht zuletzt auch von Deutschland – bereitgestellt werden. Allerdings trifft es durchaus zu, dass der Konflikt in der Region Tigray nicht ohne Auswirkungen auf die anderen Regionen in Äthiopien bleibt, so etwa durch Binnenfluchtbewegungen. Es gibt jedoch keine belastbaren Hinweise, dass sich die humanitäre Lage in den anderen Regionen in Äthiopien aktuell als derart prekär darstellen würde, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers (mit seinen Eltern und seiner Schwester) die anzulegende Gefahrenschwelle des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder des § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. hierzu näher unten) erreicht würde (vgl. hierzu etwa DW, Wie Ostafrika eine Heuschreckenplage bekämpft – inmitten einer Pandemie; Aus Politik und Zeitgeschichte: Am Ende kann nur Gott uns helfen. Das Coronavirus in Äthiopien; WFP East Africa: Update on the Desert Locust Outbreak; Africanews, coronavirus-covid19-hub-updates; OCHA – Ethiopia – Humanitarian Bulletin Issue 6, 7, 9 und 11; OCHA, Ethiopia – Northern Ethiopia Humanitarian Report, Last updated 11.11.2021; CERF vom 15.11.2021, UN Allocates $40 Million from Emergency Funds to Humanitarian Response in Ethiopia).
Der Vater des Antragstellers ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat die Schule bis zur elften Klasse besucht und besitzt damit eine überdurchschnittliche Bildung. Daneben hat dieser Berufserfahrung im Handel und mit der Reparatur von Elektrogeräten. Selbst wenn der Vater in dieser Sparte bei einer Rückkehr keine Beschäftigung findet, ist er auf sämtliche Erwerbstätigkeiten – auch auf schlichte Hilfstätigkeiten – zu verweisen. Auch die Mutter des Antragstellers ist jung, gesund und erwerbsfähig. Nach Angaben in ihrem Asylverfahren hat sie zwar die Schule nur bis zur vierten Klasse besucht. Sie verfügt aber dennoch zumindest über eine gewisse Schulbildung. Die Mutter der Klägerin hat zwar keinen Beruf erlernt, aber bereits früher im Haushalt der Eltern mitgeholfen. Diese Tätigkeit kann sie auch bei einer Rückkehr der inzwischen vierköpfigen Familie wiederaufnehmen und somit insbesondere für die Betreuung der beiden Kleinkinder sorgen, während der Vater des Antragstellers einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Im Übrigen kann die Familie des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Äthiopien auf umfassenden familiären Rückhalt – zumindest auf Seiten des Vaters des Antragstellers – zurückgreifen. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei einer Familie mit zwei kleinen Kindern in Äthiopien eher um eine „unterdurchschnittlich“ große Familie handelt, der Vater des Antragstellers erwerbsfähig ist und die Familie zudem über familiären Rückhalt im Herkunftsland verfügt, ist nicht ersichtlich, dass das absolute Existenzminimum in Äthiopien – trotz der gegenwärtigen Verhältnisse – nicht gesichert werden kann. Im Übrigen wird insoweit auch auf die diesbezüglichen Ausführungen in den Urteilen vom 20.02.2020 (B 7 K 18.30358, B 7 K 18.31259 und B 7 K 18.30772) in den Asylverfahren der Eltern und der Schwester des Antragstellers verwiesen.
Über die zu erwartenden Hilfsmöglichkeiten aus dem verwandtschaftlichen Umfeld hinaus ist nicht zuletzt zu würdigen, dass – worauf das Bundesamt bereits mit der Zuleitung des streitgegenständlichen Bescheids an die Antragstellerseite hingewiesen hatte – bei freiwilliger Ausreise umfangreiche Rückkehrhilfen beansprucht werden können. Aus dem sog. REAG-/GARP-Programm kann u.a. eine Reisebeihilfe i.H.v. 200,00 EUR sowie eine Starthilfe von 1.000,00 EUR in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückkehrende Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu 5.000,00 EUR (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin).
Es liegt auf der Hand, dass die genannten Rückkehrhilfen und Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm gerade in der Anfangszeit nach der Rückkehr und vor dem Hintergrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie mit dazu beitragen, dass der Antragsteller (mit seiner Familie) in Äthiopien wiederum wird Fuß fassen können. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Antragsteller nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris). Dementsprechend ist es dem Antragsteller möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Äthiopien freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen. Legt man dies zugrunde, kann der Antragsteller (mit seiner Familie) auch eine etwaige Quarantäne oder Beschränkungen in der Erreichbarkeit seiner Herkunftsregionen bewältigen.
bb) Dem Antragsteller steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere darf gemäß Art. 3 EMRK niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
(1) Soweit man die schwierige Lage im Herkunftsland auch und insbesondere infolge der Corona-Pandemie, der Heuschreckenplage und des Tigray-Konflikts in den Blick nimmt, spricht nach Auffassung des Gerichts bereits vieles dafür, dass § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bezüglich allgemeiner Gefahren aufgrund der unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat als lex specialis anzusehen ist und daher insoweit auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG Sperrwirkung entfaltet. Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich nämlich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris). Eine zusätzliche Würdigung allgemeiner Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Zielstaat der Abschiebung im Rahmen und am Maßstab des § 60 Abs. 5 AufenthG würde die gesetzgeberischen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot bei allgemeinen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit konterkarieren (so auch BayVGH, B.v. 06.05.2020 – 23 ZB 20.30943 – im Hinblick auf das Verhältnis von § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG zu § 60 Abs. 5 AufenthG bei der Geltendmachung gesundheitlicher Gründe; vgl. auch BayVGH, B.v. 9.12.2020 – 23 ZB 20.31844).
(2) Letztlich kann aber dahinstehen, ob die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG greift. Selbst wenn man der Auffassung folgt, dass der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG auch bei einer allgemeinen Gefahrenlage, insbesondere bei einer schlechten allgemeinen Situation mit unzumutbaren Lebensbedingungen eröffnet sein soll, da schon von der Gesetzessystematik her der Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nicht herangezogen werden könne (so BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris), ist bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG jedenfalls ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind, liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BVerwG, B.v. 22.9.2020 – 1 B 39.20 – juris; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris m.w.N.; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Gemessen an diesem Maßstab ist beim Antragsteller auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die gegenwärtig schwierigen humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die aktuelle Auskunftslage rechtfertigt es nach Überzeugung des hiesigen Einzelrichters nicht, äthiopischen Staatsangehörigen gegenwärtig – mehr oder weniger pauschal und ohne eingehende Darlegung und Würdigung der Situation im jeweiligen Einzelfall (so wie beispielsweise in Verfahren vor dem VG Ansbach) – ein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen allein „aufgrund der sich derzeit durch die Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit der in Äthiopien herrschenden Heuschreckenplage ergebenden landesweiten Verhältnisse“ zuzusprechen (vgl. auch VG Halle (Saale) U.v. 20.9.2021 – 4 A 18.5/19 HAL – juris). Im vorliegenden Fall verweist das hiesige Gericht daher auf die obigen einzelfallbezogenen Ausführungen zu § 60 Abs. 7 AufenthG. Obwohl im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht der Maßstab der „Extremgefahr“ anzulegen ist, handelt es sich im Fall des hiesigen Antragstellers jedenfalls (auch) nicht um einen „ganz außergewöhnlichen“ Fall, in dem humanitären Gründe der Abschiebung „zwingend“ entgegenstehen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es der Familie mit zwei gesunden Kindern aus humanitären Gründen nicht möglich sein sollte, nach Äthiopien zurückzukehren. Dass es der Familie zumutbar ist, nach Äthiopien zurückzukehren, wurde bereits mit Urteilen vom 20.02.2020 festgestellt. Die dortigen Ausführungen gelten auch im hiesigen Verfahren, da schon im Ansatz nicht ersichtlich ist, dass diese Einschätzung – nur durch die Geburt eines zweiten Kindes – nicht weiter tragfähig sein sollte.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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