Verwaltungsrecht

Äthiopien, Oromo, Junge, zwei Jahre, politische Verfolgung der Eltern, verneint, Teufelsanbeter, Corona-Pandemie

Aktenzeichen  W 3 K 20.30082

Datum:
10.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30888
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 5. August 2021 seinen Klageantrag insoweit zurückgenommen, als beantragt worden ist, den Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Januar 2020 als Asylberechtigten anzuerkennen. Mit Abtrennungsbeschluss vom 5. August 2021 wurde das Verfahren in Bezug auf den zurückgenommenen Teil der Klage vom Verfahren W 3 K 20.30082 abgetrennt und wird nunmehr unter dem Aktenzeichen W 3 K 21.30834 geführt.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist damit das Begehren der Klagepartei, die Beklagte zu verpflichten, der Klagepartei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihr subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und den Bescheid des Bundesamtes vom 2. Januar 2020 insoweit aufzuheben, als er diesem Begehren entgegensteht.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Klagepartei nicht in ihren Rechten. Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, gemäß § 3 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK -), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung u.a. wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG wird gewährt, wenn dem Schutzsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Rechtsverletzungen aufgrund von Handlungen im Sinne von § 3a AsylG durch einen Akteur im Sinne von § 3c AsylG in seinem Herkunftsland drohen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzen, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Herkunftsland zurückzukehren (BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502, 1000, 961/86 – NVwZ 1990, 151 f.; BVerwG, U.v. 29.11.1987 – 1 C 33.71 – BVerwGE 55, 82, 83 m.w.N.).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Asylsuchende Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 16; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).
Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festzustellenden Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit kommt damit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 22; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37).
Nach diesen Maßstäben hat die Klagepartei keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Situation des Asylsuchenden und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass diese die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Anspruch auf die Gewährung politischen Asyls oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Antragsteller den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden zu berücksichtigen (BVerwG, B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 – juris Rn. 2; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 27 m.w.N.).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94/95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113).
Gemessen an diesen Voraussetzungen konnte der Kläger nicht glaubhaft machen, dass er in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG kommen könnte.
Sofern die Mutter des Klägers Befürchtungen äußert, schwanger als Soldatin in den Tigray-Konflikt entsendet zu werden, ist dies im Rahmen ihres eigenen Asylverfahrens zu prüfen.
Sofern der Vater des Klägers vortragen lässt, bei einer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland und dem Umstand, sich gegen die – vom Vater des Klägers behauptete – Enteignung in Äthiopien gewehrt zu haben, sofort verhaftet zu werden und dass dieses Schicksal auch seiner ganzen mit ihm in Deutschland lebenden Familie – einschließlich des Klägers – drohen könnte, sieht der erkennende Einzelrichter unabhängig von der Frage der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens vor dem Hintergrund des grundlegenden Wandels der Verhältnisse in Äthiopien diesbezüglich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in den Verfahren 8 B 18.30261, 8 B 18.30275, 8 B 17.31645, 8 B 18.30261 (Ue.v. 13.2.2019 – alle juris), 8 B 18.30274, 8 B 18.30252 (Ue.v. 12.3.2019 – beide juris) und 8 B 17.31645 (U.v. 14.3.2019 – juris) auf der Grundlage verschiedener im Rahmen dieser Verfahren eingeholter Auskünfte und Gutachten und weiterer neuester Erkenntnisquellen die politische Situation in Äthiopien neu beurteilt und hierbei die Organisationen Ginbot 7, OLF, ONLF und die ihnen nahe stehenden politischen Organisationen und exilpolitischen Organisationen wie EPCOU, EPPFG, EDFM in den Blick genommen.
Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Nachdem der Rat der EPRDF Abiy Ahmed zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar – Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört, der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).
Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellte nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1). Die renommierte Menschenrechtsanwältin M. A. wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen.
Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Insgesamt sind ca. 32.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13, vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f., vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6).
Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).
Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung u.a. der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7, OLF und ONLF als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 – B 7 K 17.32826 – juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (J. M.) als auch der Ginbot7 (A. T.) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (B. N.) mit Premierminister A. A. im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen. Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von D. I. gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 17.9.2018 – Äthiopien; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“; AA, Stellungnahme vom 7.2.2019).
Verbote für soziale Medien wurden aufgehoben. Verschiedene Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sender, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind, wurden entsperrt, auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12) (vgl. zur allgemeinen Lage in Äthiopien auch AA, Lagebericht Stand März 2020).
Aus dieser Erkenntnislage ergibt sich, dass Personen, die in Äthiopien oder im Ausland für die OLF, Ginbot 7 oder die ONLF bzw. für eine diesen Organisationen nahestehende Organisation politisch tätig waren, aufgrund dieser oppositionellen Tätigkeit keine Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr in ihr Heimatland mehr haben müssen.
Nach dem Dafürhalten des Gerichts wird damit in und außerhalb Äthiopiens unter Bezugnahme auf die oben angeführte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (exil-)politisches Engagement nicht mehr verfolgt, sodass dem Kläger diesbezüglich auch keine Gefahr droht.
Darüber hinaus erscheint der Vortrag des Vaters des Klägers dahingehend, dass seine in Äthiopien verbliebene Familie inhaftiert worden sei, nachdem er an einer Demonstration in Deutschland teilgenommen habe, nicht glaubhaft. Das Gericht stellt dem Vater des Klägers nicht in Abrede, dass er an Demonstrationen in Deutschland teilgenommen hat. Allerdings konnte der Vater des Klägers keinerlei Nachweise dafür vorlegen, dass er von Bediensteten der äthiopischen Regierung gesehen und fotografiert worden wäre und dass deswegen seine Familie in Äthiopien verhaftet worden wäre. Dies sind reine Vermutungen, die der Vater des Klägers angestellt hat. Erschwerend kommt hinzu, dass der Vater des Klägers seinen Vortrag im Rahmen des Vertrages dahingehend gesteigert hat, dass nunmehr nicht mehr nur ihm allein, sondern auch seiner Frau und seinen beiden Kindern sofort die Sippenhaft drohen würde. Dies spricht ebenfalls gegen eine Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags.
Auch der Vortrag des Vaters des Klägers hinsichtlich gesellschaftlicher Repressalien und Anfeindungen aufgrund dessen, dass er als Teufelsanbeter angesehen werde und dies auf den Kläger selbst abfärben würde, ist nicht geeignet, um dem Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu vermitteln.
Der Vater des Klägers hat in seinem Asylverfahren in seiner eigenen Anhörung vom 28. April 2017 dazu im Wesentlichen vorgetragen, dass er aufgrund dessen in der Schule provoziert und angefeindet worden sei. Für den Kläger befürchtet er nunmehr ganz erhebliche Misshandlungen durch Lehrer und Mitschüler aufgrund derselben Umstände, sofern der Kläger überhaupt die Schule besuchen dürfe. Das Gericht sieht darin eine Übersteigerung des Vortrags zum Verfolgungsschicksal des Klägers, was gegen eine Glaubhaftigkeit des Vortrags insgesamt spricht.
Im Übrigen sind allgemeine Feindseligkeiten der Mitmenschen, wie sie der Vater des Klägers für seinen Sohn geltend macht, von der Intensität her nicht geeignet, um den Anspruch auf die Flüchtlingseigenschaft zu vermitteln.
Damit steht der Klagepartei kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
Der Kläger hat ebenfalls keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Dass der Klagepartei bei einem Aufenthalt in Äthiopien die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht sie selbst nicht geltend. Ebenso wenig kann angesichts der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass der Klagepartei in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unabhängig hiervon ist auch unter Berücksichtigung von in Äthiopien herrschenden harten Haftbedingungen nicht erkennbar, dass bei der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe einem Inhaftierten eine menschenrechtswidrige Behandlung droht (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 57 m.w.N.). Auch ist nicht erkennbar, dass in Äthiopien ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrschen könnte, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klagepartei infolge willkürlicher Gewalt führen könnte. Zwar werden in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach der aktuellen Erkenntnislage zumindest keine bürgerkriegsähnlichen Zustände in Äthiopien (vgl. im Einzelnen BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 60 bis 61 m.w.N.). Unter Bezugnahme auf die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes mit Stand 5. August 2021 wird ergänzend ausgeführt, dass die Lage in ganz Äthiopien derzeit besonders volatil ist. Zwar kommt es regelmäßig zu Unruhen und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen und Sicherheitskräften, diese erreichen jedoch nicht die Intensität eines bewaffneten Bürgerkrieges. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich diese Auseinandersetzungen – wie vom Kläger befürchtet – über ganz Äthiopien ausbreiten könnten. Offenbleiben kann eine Bewertung der Zustände in der Region Tigray und den angrenzenden Gebieten der Regionen Amhara und Afar, in der es in letzter Zeit zu Kämpfen zwischen äthiopischem Militär und nichtstaatlichen Kämpfern gekommen ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24.2.2021; SZ E-Paper vom 2.2.2021; FAZ E-Paper vom 28.12.2020; Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, Stand 5. August 2021). Für den Kläger besteht nicht einmal ansatzweise die Gefahr, sich in dieser Region aufhalten zu müssen. Daher vermittelt dem Kläger auch die umfassende Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles, insbesondere derer, die die Situation des Herkunftslandes des Klägers kennzeichnen – so das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. Juni 2021 in der Rechtssache C-901/19 – auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen, individuellen Situation keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, insbesondere aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen, liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Diese Vorschrift verweist auf die EMRK, soweit sich aus dieser zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Äthiopien gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung. Sozialleistungen sind nicht existent, Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Es gibt keine kostenlose medizinische Grundversorgung; dennoch ist die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Chronische Krankheiten können mit Einschränkungen behandelt werden (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 64 m.w.N.; AA, Lagebericht Stand März 2020).
Während für die Tatbestandsalternativen Folter und unmenschliche Behandlung ein einer staatlichen Institution zurechenbares vorsätzliches Handeln erforderlich ist, gilt dies nicht bei der Alternative der erniedrigenden Behandlung. Deshalb können unter diese Tatbestandsalternative auch schlechte humanitäre Verhältnisse fallen. Diese sind relevant, wenn sie auf staatlichem oder auf staatlichen Institutionen zurechenbarem Handeln beruhen, so dass der Zivilbevölkerung kein ausreichender Schutz geboten werden soll oder kann (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 164 bis 169). Aber auch wenn es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen als erniedrigende Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein. Diese müssen jedoch ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Das kann der Fall sein, wenn der Flüchtling im Herkunftsland seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris LS 1 und Rn. 8; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 und 25). Hierbei bedarf es der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, wobei z.B. auch Krankheiten eine Rolle spielen können, soweit sie Auswirkungen auf die Frage habe, ob der Flüchtling seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern kann.
Für die Gefahr einer erniedrigenden Behandlung müssen ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt ist; diese muss also aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher („real risk“) und darf nicht nur hypothetisch sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6). Dabei ist ein gewisser Grad an Mutmaßungen dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent; es kann nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhobener Beweis verlangt werden (BVerwG; B.v. 13.2.2019 – a.a.O.). Es gilt also der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 187 bis 191).
Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine – zwar notwendig hypothetische, aber doch – realitätsnahe Rückehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – und U.v. 16.8.1993 – 9 C 7.93 – juris). Lebt der Ausländer in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen. Dabei ist das Bundesverwaltungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass nicht von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband auszugehen sei, wenn einzelnen Familienmitgliedern bestandskräftig Abschiebungsschutz oder sonst ein gesichertes Bleiberecht zuerkannt worden ist (BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – juris). An dieser Rechtsprechung hält das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf den grund- und konventionsrechtlichen Schutz der Familie nicht mehr fest. Für die Prognose der bei Rückkehr in das Herkunftsland drohenden Gefahren ist in Bezug auf die einzubeziehenden Personen auch zu berücksichtigen, unter welchen Voraussetzungen es überhaupt zu einer Rückkehr kommen kann und wird. Der grund- und konventionsrechtliche Schutz des bestehenden Kernfamilienverbandes wirkt auf diese Rückkehrkonstellation ein und lässt auch bei bestehender Bleibeberechtigung einzelner Mitglieder eine getrennte Betrachtung einzelner Familienmitglieder für den Rückkehrfall in der Regel nicht zu. Bereits das Bundesamt hat davon auszugehen, dass Art. 6 GG/Art. 8 EMRK einer Trennung der in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie entgegenstehen und es daher zur Rückkehr – wegen bestandskräftiger Bleiberechte – entweder nicht oder nur im Familienverband kommen wird (BVerwG, U.v. 4.7.19 – 1 C 49/18 – juris, Rn. 21).
Entscheidend für den Schutz des Art. 6 GG ist dabei die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, ohne dass es darauf ankäme, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris, Rn. 15; BVerfG, B.v. 25.10.1995 – 2 BvR 901/95 – juris; vgl. BVerfG, B.v. 14.12.1989 – 2 BvR 377/88 – juris zur Familie als Beistandsgemeinschaft und Begegnungsgemeinschaft; Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 15. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 8; Badura in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand Februar 2020, Art. 6 Rn. 60 m.w.N.). Erfasst wird auch die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen einem Elternteil und Kindern. Leben die Eltern getrennt, bildet jeder Elternteil mit dem Kind eine Familie, wenn beide Elternteile trotz ihres Getrenntlebens tatsächlich für das Kind Verantwortung tragen (BVerfG, B.v. 12.10.2010 – 1 BvL 14/09 – BVerfGE 127, 263-292, Rn. 59; Jarass, a.a.O., Art. 6 Rn. 8; Pätzold in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Aufl. 2015, Art. 8, Rn. 41 m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist für die Prognoseentscheidung deshalb davon auszugehen, dass die Klagepartei mit seinen Eltern und dem Geschwisterchen nach Äthiopien zurückkehren wird.
Bei dem Kläger handelt es sich um ein ca. zweijähriges Kind ohne gesundheitliche Einschränkungen.
Der Kläger bildet mit seinen Eltern und seinem Geschwisterchen unstreitig eine gemeinsame Familie.
Das Gericht ist auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel davon überzeugt, dass die Eltern der Klagepartei bei einer zu unterstellenden Rückkehr im Familienverbund der Familie und damit auch dem Kläger das Existenzminimum sichern können werden.
Nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung hat die Mutter des Klägers die Schule bis zur 6. Klasse besucht und keinen Beruf erlernt. Der Vater des Klägers hat die Schule bis zur 9. Klasse besucht und ebenfalls keinen Beruf erlernt, sondern dann in seinem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet. Die Eltern des Klägers können somit nur Tätigkeiten ausführen, für die sie keine Ausbildung benötigen.
Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger selbst ca. zwei Jahre alt ist und ein jüngeres Geschwisterchen hat. Die dafür notwendige Betreuung kann die Mutter des Klägers sicherstellen, sodass es dem Vater des Klägers möglich sein wird, jedenfalls in der Hauptstadt Addis Abeba eine Anstellung zu finden und damit das Existenzminimum der Familie zu sichern. Aufgrund der vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten in Addis Abeba – auch für ungelernte Arbeitskräfte – sieht es das Gericht damit entgegen den Ausführungen der Klägerbevollmächtigten auch nicht als völlig unsicher an, ob der Vater des Klägers überhaupt eine Arbeit finden können wird. Unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen sieht es das Gericht nicht als wahrscheinlich an, dass der Vater des Klägers inhaftiert werden könnte und damit nicht mehr die Unterhaltung der Familie sicherstellen könnte.
Daher sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Klagepartei ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der in Äthiopien angeordneten Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie und aufgrund der Auswirkungen der Heuschreckenplage.
Gemäß der Johns-Hopkins-Universität sind in Äthiopien 281.811 Personen (Stand: 5.8.2021) an COVID-19 erkrankt, wobei von einer höheren Dunkelziffer auszugehen ist. Aus den Informationen der Johns-Hopkins-Universität ergibt sich, dass derzeit seit etwa Anfang April 2021 die Anzahl der Neuinfektionen zurückgeht.
Am 8. April 2020 wurde zunächst für fünf Monate der Ausnahmezustand ausgerufen. Die landeweit geltenden Restriktionen umfassten das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), die Schließung aller Schulen, Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität, einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis (AA, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand 29.6.2020). Ein Lockdown ist demgegenüber in Äthiopien nicht angeordnet worden. Zwischenzeitlich ist der Ausnahmezustand wieder ausgelaufen und nicht verlängert worden. Die Tagelöhner, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Arbeit zu finden, um sich abends etwas zu Essen zu kaufen, gehen weiter zur Arbeit. Auch Wochenmärkte wurden weiterhin betrieben (Berliner Zeitung vom 9.4.2020, In Äthiopien gibt es 435 Beatmungsgeräte – und 105 Mio. Menschen). Da die Menschen ihre Kontakte einschränken, ist es für Arbeitssuchende schwieriger, Aufträge zu bekommen (Menschen für Menschen vom 29.4.2020, Corona-Überlebenspakete für Kinder in Äthiopien).
Aus den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes (Stand: 5.8.2021) ergibt sich, dass es aufgrund der Corona-Pandemie weiterhin zu Einschränkungen im internationalem Luft- und Reiseverkehr und zu Beeinträchtigungen im öffentlichen Lebens kommt. Die Einreise ist sowohl auf dem Luftweg als auch auf dem Landweg möglich. Von Reisebeschränkungen innerhalb des Landes ist nicht (mehr) die Rede. Die örtlichen Abstands- und Hygienevorschriften müssen eingehalten werden. Versammlungen einschließlich religiöse Feiern und Veranstaltungen von mehr als 50 Personen sind verboten. In einzelnen Bundesstaaten können derzeit weitergehende Einschränkungen wie Verkehrsbeschränkungen gelten.
Hinsichtlich der Heuschreckenplage ist festzustellen, dass in Äthiopien große Heuschreckenschwärme vorhanden sind, die ganze Felder und Weideflächen kahlfressen. Im Juni 2019 machten sich die Tiere von Oman ausgehend auf den Weg in Richtung Horn von Afrika. In Äthiopien fanden sie dank außergewöhnlicher Regenfälle im Oktober und November 2019 günstige Bedingungen für die Vermehrung vor. Die Welthungerhilfe verteilt derzeit in Äthiopien gemeinsam mit den Partnern des NGO-Bündnisses Alliance 2015 Bargeld, dies zum Schutz vor Ernteverlusten und um steigende Preise infolge der Krise bei Lebensmitteln und Viehfutter abzufedern. Zudem plant die Welthungerhilfe den Aufbau von Capacity-Building (z.B. Entwicklung von Frühwarnsystemen). In der Afar-Region plant die Welthungerhilfe weitere ernährungssichernde Maßnahmen. Dies macht deutlich, dass Äthiopien derzeit nicht so stark von der Heuschreckenplage betroffen ist, dass eine akute Hungersituation eingetreten wäre (vgl. Welthungerhilfe, Projekt-Update vom 12.5.2020, Heuschreckenplage in Ost-Afrika).
Diese Informationen können der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden. Aus ihnen ergibt sich, dass sowohl hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie als auch hinsichtlich derjenigen der Heuschreckenplage als auch in der Zusammenschau beider Ereignisse nach derzeitigem Stand nichts Konkretes erkennbar ist, was mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erniedrigenden Behandlung des Klägers deshalb führen könnte, weil seine Eltern bei einer Rückkehr nach Äthiopien den existentiellen Lebensunterhalt für ihn und seine Kernfamilie nicht sichern könnte.
Auch die Heuschreckenplage kann diesbezüglich zu keinem anderen Ergebnis führen. Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass in Äthiopien landesweit eine Hungersituation vorhanden wäre, die eine Verelendung des Klägers und seiner Kernfamilie bedingen würde.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG derartige Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Doch auch in diesem Fall kann der Asylsuchende ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Aus dieser müsste sich die begründete Furcht des Flüchtlings ableiten lassen, selbst in erheblicher Weise ein Opfer dieser extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies müsste sich alsbald nach der Rückkehr realisieren (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 67). Dies bedeutet, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489, Rn. 12; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
Unabhängig hiervon liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist gemäß Satz 4 der Vorschrift nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, die insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, der lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Derartige erhebliche konkrete Gefahren für die Klägerpartei sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Auch hinsichtlich der Corona-Pandemie sind keine erheblichen konkreten Gefahren für den Kläger erkennbar. Bei dieser Pandemie handelt es sich gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG um eine Gefahr, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist und die deshalb lediglich bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 19.5.2020 – 23 ZB 20.31096 – a.U. Rn. 12 – n.v.). Demgegenüber ist nicht erkennbar, dass der Kläger oder Angehörige seiner Kernfamilie bei einer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund der Corona-Pandemie mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, also alsbald nach seiner Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. Erkrankungen ausgeliefert wären. Denn es ist nicht erkennbar, dass sich der Kläger oder Angehörige seiner Kernfamilie mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit alsbald nach ihrer Rückkehr mit dem Corona-Virus infizieren werden. Dies ergibt sich daraus, dass trotz der vermutlich hohen Dunkelziffer nicht erkennbar ist, dass die Krankheit in Addis Abeba oder andernorts so verbreitet wäre, dass man sich jederzeit infizieren würde. Doch selbst wenn dies so wäre, ist weiterhin nicht erkennbar, dass eine entsprechende Infektion bei dem Kläger oder Angehörigen seiner Kernfamilie erhebliche lebensgefährliche Auswirkungen haben würde. Denn hinsichtlich der Auswirkungen einer Infektion mit dem Corona-Virus ist allgemein bekannt, dass in sehr vielen Fällen der Verlauf milde ist oder sogar keinerlei Symptome auftreten. Lediglich ein kleinerer Teil der Infizierten benötigt eine stationäre und ein sehr geringer Teil der Infizierten sogar eine intensivmedizinische Behandlung. Auch ist nicht ersichtlich, dass beim Kläger oder Angehörigen seiner Kernfamilie mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Long-COVID-19-Syndrome auftreten sollten, zumal unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen eine Infektion mit dem COVID-19-Virus bereits sehr unwahrscheinlich ist.
Damit liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insbesondere unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie und etwaiger Long-COVID-19-Syndrome nicht vor.
Aus alledem ergibt sich, dass der Bescheid des Bundesamtes, soweit er angegriffen worden ist, rechtmäßig ist und der Klagepartei die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen, so dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen war.


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