Verwaltungsrecht

Äthiopischer Staatsangehöriger, volljährig

Aktenzeichen  M 12 K 17.41852

Datum:
20.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53366
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
AsylG § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2021 über die Verwaltungsstreitsache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung auf diese Folge ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
II.
Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 18. Mai 2017 ist – in dem zur Entscheidung des Gerichts gestellten Umfang – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG – hierzu sogleich unter Ziffer 1.
Darüber hinaus hat das Bundesamt zu Recht festgestellt, dass keine zielstaatsbezogenen nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG zu Gunsten des Klägers bestehen – hierzu sogleich unter Ziffer 2.
Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig – hierzu sogleich unter Ziffer 3.
1.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) – hierzu sogleich unter Ziffer a. – oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3) – hierzu sogleich unter Ziffer b.
a.
Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nach Überzeugung des Gerichts nicht aus dem vom Kläger – gegenüber dem Bundesamt und auch nochmals in der mündlichen Verhandlung dem Gericht gegenüber – als Vorfluchttatbestand geltend gemachten Sachverhaltes aus den Jahren 2013 bis 2014 (Inhaftierung wegen ONLF-Verdacht; Flucht aus Haft).
(1) So ist der vom Kläger geltend gemachte Sachverhalt nach Überzeugung des Gerichts bereits unglaubhaft.
(a) Zum einen weist der Vortrag des Klägers zahlreiche Widersprüche auf – sowohl innerhalb seines Vorbringens bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt, aber auch bei Abgleich der vor Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben mit dem Vortrag vor dem Bundesamt, etwa was die Umstände seiner Flucht aus der Haft während des Arbeitseinsatzes im Wald (allein / mit mehreren / zu zweit geflohen; verfolgt / nicht verfolgt bzw. zumindest keine Verfolgung bemerkt) oder den Zeitraum zwischen Flucht und Ausreise betrifft, ohne dass der Kläger für die unterschiedlich gemachten bzw. dokumentierten Angaben eine plausible Erklärung geliefert hat.
Auch steigert der Kläger seinen Vortrag vor Gericht nochmals, als er angibt, während der Haft vergewaltigt worden zu sein, u.a. auch von einem Angehörigen der Sicherheitskräfte, welcher zuvor bereits seine Mutter vergewaltigt und geschwängert habe soll, worauf hin seine Mutter den Kläger im Nachgang dazu gebracht habe, durch Herumtrampeln auf ihrem Bauch für eine Fehlgeburt zu sorgen.
(b) Davon abgesehen sind die vom Kläger geschilderten Umstände der Flucht nicht realistisch. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Drogenhändler das Risiko eingehen hätte sollen, ihm völlig unbekannte, entflohene und möglicherweise von den Sicherheitskräften verfolgte Häftlinge ohne jede Gegenleistung mitzunehmen.
(2) Davon abgesehen ist bei der vom Kläger vorliegend als Vorfluchttatbestand geltend gemachten Art des Geschehens bereits ganz allgemein nicht davon auszugehen, dass Betroffene nach einer viele Jahre später erfolgenden Rückkehr nach Äthiopien noch immer einer hieraus (!) erwachsenden Verfolgung durch die äthiopischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sind.
(a) Zum einen sind seit der angeblichen Inhaftierung und Flucht des Klägers während des Arbeitseinsatzes (November 2013) über acht Jahre verstrichen.
Weder verfügt Äthiopien über ein zentrales Fahndungs- und Strafregister (AA, Lagebericht v. 14.6.2021) noch hatte der Kläger damals eine zentrale Rolle oder Funktion in einer, auch noch derzeit als Terrororganisation eingestuften Widerstandsgruppe oder einer der auch noch derzeit staatlicher Verfolgung ausgesetzten Oppositionsgruppen inne, die dafür sorgen könnte, dass er sich auch nach so langer Zeit der Abwesenheit immer noch auf dem Radar der Sicherheitsbehörden befindet.
(b) Zum anderen haben sich im Bundesstaat Somali seit Mitte 2018 (und damit nach Ausreise, Anhörung vor dem Bundesamt sowie Erlass des angefochtenen Bescheids) die Machtverhältnisse und infolge dessen die Struktur und das Verhalten der Sicherheitsbehörden wie auch die Einstufung und das Verhalten der ONLF grundlegend verändert, so dass allein vor diesem Hintergrund einer Wiederholungsgefahr nicht mehr anzunehmen ist.
Von 1994 bis August 2018 herrschte im Regionalstaat Somali eine von der Zentralregierung nur unzureichend kontrollierte Regional-Diktatur unter Regionalpräsident Abdi Mohammed Omar, auch bekannt als Abdi Iley (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 4).
Die unmittelbar der Regionalregierung unterstehende (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020), paramilitärisch aufgebaute (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 8) Liyu-Police entstand zwischen 2007 und 2009 (Landinfo, Oslo, Ethiopia: Spesialpolitiet (Liyiu Police) i Somaliregionen, 3.6.2016, S. 2). Der Bestand der regulären Polizei hingegen wurde seit Gründung der Liyu-Police auf nahezu null reduziert (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 8).
Hauptzweck der Liyu-Police war die Bekämpfung der Ogaden National Liberation Front (ONLF) (Landinfo, Oslo, Ethiopia: Spesialpolitiet (Liyiu Police) i Somaliregionen, 3.6.2016, S. 2), einer 1984 gegründeten Organisation mit dem Ziel der Selbstbestimmung für die Volksgruppe der Ogadeni, eines somalischen Clans, in dem von ihm bewohnten bzw. beanspruchten Gebiet Ogaden, welches größtenteils auf dem Gebiet des Regionalstaates Somali liegt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 10). Die ONLF hatte zunächst nach dem Sturz der Regierung Mengistu durch die EPRDF zwischen 1992 und 1994 mit dem Placet der EPRDF das Gebiet des heutigen Regionalstaates Somali verwaltet. Als die ONLF 1994 eine Volksabstimmung über die Selbstbestimmung von Ogaden forcierte und ihr daraufhin die Regierungsverantwortung wieder entzogen wurde, ging sie als Rebellenarmee in den Untergrund (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 10) und wurde daraufhin von der Regierung als terroristische Vereinigung eingestuft (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 4).
Die Liyu-Police wird für einen Großteil der in dieser Zeit (2007 bis Mitte 2018) im Regionalstaat Somali begangenen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7).
So ging die Liyu-Police – sowie zu deren Unterstützung eingesetzte lokale Milizen (AA, Lagebricht v. 4.3.2015, S. 6) – in ihrem Kampf gegen die ONLF nicht nur hart, oftmals auch mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen tatsächliche oder auch nur vermutliche Unterstützer und Angehörige der ONLF, vor (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 5) – so existieren zahlreiche Berichte von Folter und Misshandlung, insbesondere während der Untersuchungshaft und von Häftlingen, die unter Verdacht stehen, mit Terrororganisationen in Verbindung zu stehen (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 5).
Auch politisch völlig unauffällige Zivilsten wurden oftmals Opfer willkürlicher Übergriffe und Verhaftungen durch Liyu-Polizisten (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7).
Die äthiopische Zentralregierung konnte im Laufe der Jahre immer weniger direkten Einfluss auf die Liyu-Police und auf deren Befehlshaber, Regionalpräsident Abdi Iley ausüben (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020).
Der 2018 erfolgte Machtwechsel auf Ebene der Bundesregierung brachte jedoch mit zeitlicher Verzögerung auch für die Somali-Region einen tiefen Einschnitt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 4).
Die amtierende Regionaldiktatur von Abdi Iley wurde entmachtet, Abdi Iley und weitere Mitglieder der alten Regierung verhaftet und wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 3-4). Im August 2018 wurde mit Mustafa Omer ein vormaliger Menschenrechtsaktivist an die Spitze der Regionalregierung Somalis gestellt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 3).
Die ONLF ist seit dem 5. Juli 2018 nicht mehr als terroristische Organisation eingestuft (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 5), Ende 2018 kehrten die Parteiführer der ONLF und eine große Zahl Parteimitglieder und ehemaliger Kämpfer aus dem Exil zurück bzw. wurden aus dem im September 2018 geschlossenen Regionalgefängnis Jail Ogaden freigelassen (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 3 und 5).
Auch auf Ebene der regionalen Sicherheitskräfte, insbesondere der Liyu-Police, führte der Machtwechsel zu tiefgreifenden Veränderungen:
Während des gewaltsamen Machtwechsels 2018 hatte die Bundesarmee ihren Vormachtsanspruch durchgesetzt und einen Großteil der Liyu-Police entwaffnet (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 8).
Die führenden Kommandanten der Liyu-Police mussten sich einem zweimonatigen Beurteilungsverfahren in der Regionalhauptstadt Jigjiga unterziehen. Einige wurden daraufhin entlassen, andere erhielten eine Unterweisung über Menschenrechte und über die Verfassung und blieben im Amt (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7).
Zwar blieben die unteren Ränge der Liyu-Police vom Führungswechsel weitgehend unangetastet, ehemalige Täter damit teils auch weiter im Dienst (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7). Jedoch ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass ca. 70 Prozent der Liyu-Polizisten ursprünglich ONLF-Mitglieder waren, welche entweder durch Zwang oder wirtschaftliche Anreize der Liyu-Police beitraten, die Zugehörigkeit zu dieser Einheit somit oftmals mehr äußeren Umständen geschuldet den Ausdruck des eigenen ideologischen Standpunktes war (SEM, Lageentwicklung im Regionstaat Somali, 28.2.2020, S. 8).
Seither hat sich das Auftreten der Liyu-Police grundlegen verändert (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020).
Berichte von willkürlichen Übergriffen und Verhaftungen durch Liyu-Polizisten, auch gegenüber politisch unauffälligen Zivilsten, gibt es seitdem kaum noch (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7). Die Polizisten sind in der Regel nicht mehr mit Feuerwaffen bewaffnet (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7) und verhalten sich in der Regel diszipliniert und höflich (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 7). Auch das Ende der Behördenwillkür hat positiven Einfluss auf die Sicherheitslage im Regionalstaat Somali (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 9).
ONLF-Mitglieder sind keinen systematischen staatlichen Repressalien wegen ihrer politischen Ausrichtung mehr ausgesetzt, weder im Regionalstaat Somali, noch in Addis Abeba (SEM, Lageentwicklung im Regionalstaat Somali, 28.2.2020, S. 5 / 6).
Auch den aktuellen Erkenntnismitteln über den Staat Äthiopien aus den Jahren 2020 und 2021 (siehe etwa AA, Lagebericht v. 14.6.2021; USDOS, Human Rights Report v. 30.3.2021; AI, Amnesty Report Äthiopien v. 7.4.2021; HRW, Lagebericht v. 1.1.2021) ist nicht zu entnehmen, dass sich – bezogen auf den Regionalstaat Somali bzw. die ONLF – diesbezüglich zwischenzeitlich die Lage wieder grundlegend zum Schlechteren verändert hat, auch nicht infolge des seit Ende 2020 bestehenden bewaffneten Konflikts zwischen Bundesregierung und TPLF im Norden des Landes und den damit auf Seiten der Zentralregierung und der Sicherheitskräfte einhergehenden repressiven Tendenzen.
Vielmehr ist die derzeitige Sicherheitslage im Bundesstaat Somali relativ stabil – verglichen mit nördlicher gelegenen Landesteilen, wie etwa den Bundesstaaten Tigray, Afar und Amhara, aber auch Teilen Oromias (etwa Wolega Region), in denen es im Zuge der Kämpfe zwischen TPLF und verbündeten Milizen / Widerstandsgruppen einerseits und den äthiopischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten andererseits immer wieder (von beiden Seiten) auch zu willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und Menschenrechtsverletzungen kommt – siehe ACCORD, Armed Conflict Location & Event Data Project – 3. Quartal 2021.
Insbesondere gibt es derzeit keine Berichte, dass die ONLF ihren bewaffneten Kampf gegen den äthiopischen Staat und dessen Sicherheitskräfte wiederaufgenommen hat (siehe AA, Lagebericht v. 18.1.2022). Auch wurde die ONLF, anders als etwa die gegen die Zentralregierung kämpfende (oromische) OLF, nicht wieder als Terrororganisation eingestuft.
Auch gibt es keine aktuellen Berichte über willkürliche Verhaftungen / Tötungen im Bundesstaat Somali (vgl. USDOS, Human Rights Report v. 30.3.2021; AI, Amnesty Report Äthiopien v. 7.4.2021; HRW, Lagebericht v. 1.1.2021).
(c) Vor diesem Hintergrund (Machtwechsel 2018 / Umbau der Sicherheitskräfte / Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage / Entkriminalisierung der ONLF) und insbesondere auch angesichts der Tatsache, dass seit den vom Kläger geltend ge-machten Ereignissen über acht Jahre verstrichen sind, ist es bereits ganz allgemein nicht hinreichend wahrscheinlich, dass Betroffenen, die 2013 unter dem (oftmals auch nur pauschalen / vorgeschobenen) Vorwurf (vermeintlicher) ONLF-Unterstützung – Verfolgung seitens der Sicherheitskräfte, insbesondere der Liyu-Police, ausgesetzt waren, im Falle einer Rückkehr 2021 immer noch bzw. erneut Verfolgung seitens der äthiopischen Sicherheitsbehörden droht.
(3) Unabhängig davon bestand bezüglich des vom Kläger geltend gemachten Vorfluchttatbestandes bereits 2013 / 2014 die Möglichkeit internen Schutzes durch Verlagerung des Wohnsitzes in einen anderen Landesteil, welche sich durch die oben beschriebenen geänderten Machtverhältnisse und der damit einhergehenden Umstrukturierung der Sicherheitskräfte sowie der Entkriminalisierung der ONLF nochmals deutlich vereinfacht hat.
(a) Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Bei der Zumutbarkeit sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für eine Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris, Rn. 27).
(b) Wie bereits oben ausgeführt, unterstand die Liyu-Police im vorliegend relevanten Zeitraum (2013 / 2014) allein der damaligen, diktatorisch regierenden Regionalregierung des Bundesstaates Somali, deren Machterhalt sie zugleich schützte. Wie ebenfalls oben ausgeführt, hatte die Zentralregierung kaum bis keinen Einfluss auf die Geschehnisse in Somali.
Vor diesem Hintergrund war es Betroffenen, insbesondere unpolitischen Zivilisten oder einfachen Unterstützern jenseits der zentralen Führungsriege der ONLF bereits zu diesem Zeitpunkt möglich, einer Verfolgung durch die Liyu-Police aufgrund (vermeintlicher) Unterstützung der ONLF durch Verlagerung ihres Wohnsitzes in einen anderen Bundesstaat (und damit außerhalb des Herrschaftsbereiches der Regionalregierung) in Gebiete, in denen die ONLF nicht aktiv ist und damit kein Bedarf einer pauschalen und rigorosen Bekämpfung seitens staatlicher Akteur besteht, zu entgehen (AA, Lagebericht v. 4.3.2015, S. 15).
So ist den Aussagen des Klägers – insbesondere in der Version seines Vortrages, in welcher er angegeben hat, erst neun Monate nach seiner Flucht aus der Haft und Verlassens des Bundestaates Somali ausgereist zu sein – auch nicht zu entnehmen, dass er während seines Aufenthalts im Bundesstaat Oromia oder in der Hauptstadt Addis Abeba etwaigem Fahndungsdruck ausgesetzt war.
Durch den Machtwechsel und die in diesem Zusammenhang erfolgte Entkriminalisierung der ONLF sowie Umstrukturierung und Neuausrichtung der Liyu-Police (s.o.) ist ein Ausweichen sogar noch einfacher möglich.
Denn selbst wenn die konkreten Täter aus der Vergangenheit – wie oben angeführt – weiterhin Teil der (lokalen) Sicherheitskräfte sein sollten und entgegen der neuen Vorgaben ihrer Vorgesetzten und der grundsätzlich gewandelten „Kultur“ in ihrer Einheit lokal eine Verfolgung einzelner Betroffener / Opfer von damals wieder aufnehmen sollten (etwa der vom Kläger vor Gericht geltend gemachte „Sergeant“, welcher seine Mutter und später den Kläger selbst vergewaltigt habe), besteht vorliegend nun auch die Möglichkeit, innerhalb des Bundesstaates Somali und damit innerhalb des bekannten sprachlichen und kulturellen Raums sich der Bedrohung durch Verlagerung des Wohnsitzes in einen anderen Teil des Bundesstaates zu entziehen.
(d) Unter Berücksichtigung der aus den vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien hervorgehenden allgemeine Lage sowie der individuellen Situation des Klägers ist davon auszugehen, dass es dem Kläger auch in einem anderen Landesteil gelingen wird, für sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen – siehe hierzu die Ausführungen im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter Ziffer 2. a. (1).
b.
Auch mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und den Konflikt zwischen der TPLF und der Bundesregierung im Norden des Landes im Bundesstaat Tigray sowie in Teilen der Bundesstaaten Afar und Amhara ist keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers im Falle seiner Rückkehr beachtlich wahrscheinlich. Bei einer Einreise des Klägers über den Internationalen Flughafen von Addis Abeba und einer Weiterreise von dort in seine Heimatregion … / … im Bundesstaat Somali wird der Kläger mit dem Kampfgebiet nicht in räumlichen Kontakt kommen.
2.
Des Weiteren bestehen zu Gunsten des Klägers auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Da das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid allein eine Abschiebung nach Äthiopien angedroht hat, kommt es für die Feststellung von Abschiebungsverboten ausschließlich auf die Situation in Bezug auf Äthiopien an.
Insbesondere besteht vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger nicht in der Lage sein wird, nach seiner Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum zu decken – sogleich unter a. sowie b. jeweils unter (1).
a.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.
(1) Eine Verletzung von Art. 3 EMRK (sowie von Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht, vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh), kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (siehe § 3c AsylG), fehlt, wenn die humanitären Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Hygiene und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12 m.v.N.). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41 738/10, Paposhvili/Belgien – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/1, C.I. u.a. – NVwZ, 691, Rn. 68). Dieses Mindestmaß kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11).
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer drohenden menschenunwürdigen Verelendung setzt dabei keine „Extremgefahr“ voraus, die für die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG notwendig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018, 1 B 25.18 – juris Rn. 13). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner Rechtsprechung (EuGH, Urteile v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim – JZ 2019, 999, Rn. 89 ff., und C-163/17, Jawo, InfAuslR 201 9, 236, Rn. 90 ff.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 21.1 .2 0 1 1, 30696/09, M.S.S. / Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413, Rn. 252 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12; OVG Hamburg, U.v. 18.12.2019 – 1 Bf 132/17.A – juris, Rn. 39).
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien sowie den eigenen Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung nach Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in der Lage sein wird, nach seiner Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum zu decken.
Das Gericht folgt insoweit zunächst der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht hinsichtlich der bereits dort berücksichtigten Punkte von einer weiteren Darstellung der Gründe ab, § 77 Abs. 2 AsylG.
Auch bei Berücksichtigung von Umständen, die erst nach Erlass des angefochtenen Bescheids eingetreten sind, wie etwa die sich durch Heuschreckenplage, Dürrekatastrophe, Tigray-Konflikt und COVID-19-Pandemie / in diesem Zusammenhang national wie international ergriffener Pandemieschutzmaßnahmen ergebenden Auswirkungen auf die allgemeine Versorgungslage, Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Äthiopien geht das Gericht davon aus, dass es dem Kläger weiterhin möglich sein wird, für sein Existenzminimum durch eigene Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls mit zusätzlicher Unterstützung seiner Familie decken zu können.
(a) Zwar hat der Kläger laut eigenen Angaben in Äthiopien keine Schulausbildung erhalten, hat jedoch in Deutschland einen Mittelschulabschluss erlangt und zudem die Berufsschule besucht.
Zudem spricht er neben seiner Muttersprache Somali auch sehr gut Deutsch, wie seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, zumeist ohne Inanspruchnahme des anwesenden Dolmetschers beweisen, was er im Falle einer Rückkehr ebenfalls gewinnbringend auf dem Arbeitsmarkt einsetzen kann, etwa in der Tourismusindustrie oder als Dolmetscher / Mitarbeiter für westliche Hilfsorganisationen oder die deutsche Auslandsvertretung.
(b) Der Kläger ist zudem – wie er auf entsprechende Nachfrage vor Gericht selbst angegeben hat – derzeit arbeitsfähig, nennenswerte Einschränkungen infolge psychischer oder physischer Erkrankungen bestehen derzeit nicht; insbesondere ist die 2017 diagnostizierte Posttraumatische Belastungsstörung austherapiert.
(c) Zudem ist die äthiopische Wirtschaft bzw. der dortige Arbeitsmarkt derzeit nicht infolge weitreichender Pandemieschutzmaßnahmen (allgemeiner oder zumindest Teil-Lockdown / Geschäftsschließungen o.Ä.) in vielen Teilen lahmgegelegt, Hotels, Gaststätten, Kinos und Clubs etc. geöffnet (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504; abgerufen am 20.12.2021).
(d) Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der ledige und kinderlose Kläger keinerlei Unterhaltspflichten Dritten gegenüber ausgesetzt ist.
(e) Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Falle einer freiwilligen Rückkehr zudem auf umfangreiche Leistungen diverser Rückkehrerprogramme zurückgreifen kann (https://www.returningformgermany.de/de/programmes; abgerufen am 20.12.2021):
Neben einer einmaligen finanziellen Starthilfe von 1.000 EUR pro Person sowie der Übernahme der Reisekosten im Rahmen des Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany (REAG) sowie des Government Assisted Repatriation Programme (GARP) sind dies u.a.:
Im Vorfeld, noch vor seiner Rückkehr nach Äthiopien: Rückkehrvorbereitende Maßnahmen (RkVM) wie etwa Coachings und Workshops in entsprechender Sprache zur Existenzgründung im Zielstaat.
Nach Ankunft in Äthiopien: Reintegrationsunterstützungen, zum einen in Form von nicht-monetären Unterstützungsleistungen wie etwa (neben der In-Empfangnahme am Flughafen u.a. auch) die Unterstützung beim Aufbau eines kleinen Unternehmens oder bei der Jobsuche sowie die Unterstützung bei der Suche nach Kontaktpersonen im Rahmen der Nolawi Services Äthiopien, sowie ggf. auch weitere finanzielle Unterstützung wie etwa die sog. 2. Starthilfe nach sechs bis acht Monaten im Rahmen des sog. StarthilfePlus-Programms.
(f) Aufgrund der vorgenannten Faktoren (Qualifikationen und Arbeitsfähigkeit, keine Unterhaltsverpflichtungen, Rückkehrerhilfen) ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger trotz der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Lage in Äthiopien und trotz möglicherweise fehlenden familiären Netzwerks (so ist unklar, ob der Vater des Klägers – sofern dieser überhaupt jemals inhaftiert war – weiterhin in Haft oder bereits dort verstorben ist, oder er infolge der Umbrüche 2018 freigelassen wurde) sein Existenzminimum wird sichern können.
b.
Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
(1) Liegen – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus (vgl. VGH Bad.-Württ., U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris Rn. 282).
(2) Auch in Äthiopien derzeit bestehende allgemeine Gesundheitsgefahren begründen vorliegend kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Gunsten des Klägers. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Gefahr einer Ansteckung mit dem auch in Äthiopien grassierenden Sars-Cov-2-Virus und einer anschließenden COVID-19-Erkrankung.
(a) Beruft sich ein Ausländer auf allgemeine (hier: Gesundheits) Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wie etwa die sämtliche Menschen in Äthiopien treffende Gefahr einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus und einer daran anschließenden COVID-19-Erkrankung, wird Abschiebungsschutz grundsätzlich ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
Allerdings kann ein Ausländer in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch bei Fehlen einer solchen generellen Regelung ausnahmsweise dann individuellen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund der im Zielstaat herrschenden allgemeinen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn in diesem Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
(b) Zwar besteht auch für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien, wie für jeden anderen Menschen in Äthiopien auch, die Gefahr, sich dort mit SARS-CoV-2 anzustecken und infolge dessen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden. Jedoch ist die Gefahr hinsichtlich des Klägers nicht derart extrem, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien „sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgesetzt würde (vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 -, juris Rn. 16) und deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entfällt.
So kann eine COVID-19-Erkrankung zwar bei schwerem Verlauf zum Tod führen oder zumindest schwere, dauerhafte bzw. lange andauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Auch hängt der Grad der Gefahr, im Falle eines schweren Verlaufes zu sterben, neben individuellen Faktoren wie etwa der gesundheitlichen Disposition des Erkrankten sowie der bei Ansteckung ausgesetzten Virusmenge u.a. auch von allgemeinen Umständen wie Qualität und Kapazitäten der vor Ort vorhandenen medizinischen Behandlung (Personal / Intensivbetten / Sauerstoff etc.) sowie den vor Ort ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen ab. Jedoch ist der Kläger jung, gesund und ohne Vorerkrankungen und weist auch im Übrigen keinen Risikofaktor für einen schweren Verlauf im Falle einer Infektion auf.
(3) Aktuelle (!) individuelle gesundheitliche Gründe in der Person des Klägers, die einer Abschiebung nach Äthiopien entgegenstehen könnten, wurden nicht geltend gemacht. Insbesondere hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, seine Posttraumatische Belastungsstörung sei austherapiert.
3.
Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbotes begegnen keinerlei rechtlichen Bedenken.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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