Verwaltungsrecht

Äthiopischer Staatsangehöriger, volljährig, Volkszugehörigkeit: Oromo;, Vorfluchttatbestand;, 2015, Akteur: äthiopische Sicherheitskräfte, Teilnahme an Demonstration, Inhaftierung, Freilassung gegen Auflagen, Erneute Teilnahme an Demonstration, Fahndung, Mangelnde Glaubhaftigkeit, Veränderte Lage / Zeit verstrichen, Interner Schutz, Exilpolitische Betätigung, OLA-Taskforce / Mitglied, Teilnahme an Demonstrationen, Facebook, arbeitsfähig, keine Unterhaltsverpflichtungen, familiäres Netzwerk vorhanden, keine physischen oder psychischen Beeinträchtigungen / Erkrankungen

Aktenzeichen  M 13 K 17.49100

Datum:
10.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18654
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AsylG § 3e
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
AsylG § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2022 über die Verwaltungsstreitsache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung auf diese Folge ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
II. 
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
III. 
Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, ist sie zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 26. Oktober 2017 ist – in dem zur Entscheidung des Gerichts gestellten Umfang – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) – hierzu sogleich unter den Ziffer 1 und 2.
Darüber hinaus hat das Bundesamt zu Recht festgestellt, dass keine zielstaatsbezogenen nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG zu Gunsten des Klägers bestehen – hierzu sogleich unter Ziffer 3.
Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig – hierzu sogleich unter Ziffer 4.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
a. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nach Überzeugung des Gerichts nicht aus dem vom Kläger – vor dem Bundesamt und auch nochmals in der mündlichen Verhandlung dem Gericht gegenüber – als Vorfluchttatbestand geschilderten Sachverhaltes aus dem Jahr 2015.
(1) So ist der vom Kläger dargelegte Vorfluchttatbestand nach Überzeugung des Gerichts bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht glaubhaft.
Das Gericht folgt insoweit – auch unter Berücksichtigung der seitens des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen ergänzenden Ausführungen – insoweit der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab, § 77 Abs. 2 AsylG, als darin das Bundesamt den Vortrag des Klägers deshalb als unglaubhaft eingestuft hat.
(2) Davon abgesehen ist bei der vom Kläger vorliegend als Vorfluchttatbestand geltend gemachten Art des Geschehens bereits ganz allgemein nicht davon auszugehen, dass Betroffene nach einer viele Jahre später erfolgenden Rückkehr nach Äthiopien noch immer einer hieraus (!) erwachsenden Verfolgung durch die äthiopischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sind – zur ebenfalls geltend gemachten jüngeren exilpolitischer Betätigung siehe sogleich die Ausführungen unter Ziffer b.
(a) So sind seit der angeblichen Inhaftierung, Freilassung gegen Auflagen, erneuter Demonstration, Fahndung und Ausreise des Klägers 2015 über sechseinhalb Jahre verstrichen.
Weder verfügt Äthiopien über ein zentrales Fahndungs- und Strafregister (AA, Lagebericht v. 14.6.2021) noch hatte der Kläger damals eine zentrale Rolle oder Funktion in einer, auch noch derzeit als Terrororganisation eingestuften Widerstandsgruppe oder einer der auch noch derzeit staatlicher Verfolgung ausgesetzten Oppositionsgruppen inne, die dafür sorgen könnte, dass er sich auch nach so langer Zeit der Abwesenheit immer noch auf dem Radar der Sicherheitsbehörden befindet.
(b) Zudem waren die Demonstrationen 2015, aufgrund derer der Kläger sich angeblich staatlicher Verfolgung ausgesetzt sah, gegen die von der TPLF bzw. der tigrinischen Volksgruppe dominierte „alte“ Regierung gerichtet, welche infolge des politischen Umbruchs Mitte 2018 ihre Macht verloren hat.- vgl. hierzu ausführlich AA – Lagebericht v. 17. Okt. 2018. Zugleich hat die zahlenmäßig stärkste Volksgruppe der Oromo an Macht und Einfluss gewonnen.
(c) Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, seine in Äthiopien verbliebene Familie sei Ende 2018 – und damit bereits nach / trotz dem erfolgten Machtwechsel – infolge seiner exilpolitischen Betätigungen staatlichen Repressionen ausgesetzt gewesen, was implizieren würde, dass sich der Kläger zumindest damals noch immer bzw. wieder im Fokus der äthiopischen Sicherheitsbehörden befindet.
Jedoch hat der Kläger seine Aktivitäten auf F. dem Gericht – obwohl diesbezüglich die Nachweislast tragend – schon gar nicht nachgewiesen – siehe hierzu die Ausführungen sogleich unter Ziffer b. (4).
Davon abgesehen hat der Kläger zudem selbst ausgeführt, dass seine Familie – nach Löschung seiner Posts Ende 2018 – nicht mehr behelligt wurde, so dass nicht mehr davon auszugehen ist, dass der Kläger dreieinhalb Jahre später sich noch auf dem Radar der Sicherheitskräfte befindet.
(3) Darüber hinaus handelt es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Vorfluchttatbestand zudem bereits ganz allgemein um eine wenn überhaupt nur lokal bestehende, auf den jeweiligen Bundesstaat bzw. sogar die örtliche Region oder Stadt begrenzte Bedrohung, derer sich Betroffene durch Verlagerung ihres Wohnsitzes in eine andere Region oder einen anderen Bundesstaat, etwa in die Hauptstadt Addis Abeba, entziehen können (siehe hierzu AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 3 – S. 15).
(a) Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Bei der Zumutbarkeit sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für eine Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 27).
(b) Bei der vom Kläger geltend gemachten Verfolgung durch Sicherheitskräfte des Regionalstaates Oromia im Jahr 2015 handelte es sich bereits bei seiner Ausreise 2015 um eine lediglich regionale, räumlich auf den Bundesstaat Oromia begrenzte Bedrohung.
Wie bereits oben dargestellt, verfügt Äthiopien über kein zentrales Fahndungs- und Strafregister.
Des Weiteren hat der Kläger selbst ausgeführt, dass trotz angeblicher Fahndung der Sicherheitskräfte im Zuge der zweiten Demonstration lediglich seine Familie in seinem Heimatort, nicht aber der nur sechzig Kilometer entfernt wohnende Onkel in Bidire, bei welchem sich der Kläger vier Tage versteckt gehalten hat, von den Sicherheitskräften aufgesucht worden sei, auch nicht nach längerer Zeit, was zeigt, dass eine landesweite Fahndung nach dem Kläger entweder nicht betrieben worden oder schon gar nicht möglich war.
(c) Unter Berücksichtigung der aus den vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien hervorgehenden allgemeine Lage sowie der individuellen Situation des Klägers ist davon auszugehen, dass es dem Kläger auch in einem anderen Landesteil, etwa in der Hauptstadt Addis Abeba, gelingen wird, für sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen – siehe hierzu die Ausführungen im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter Ziffer 3. a. und b. jeweils unter (1).
b. Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts auch nicht aufgrund der geltend gemachten exilpolitischen Betätigung während seines Aufenthaltes in Deutschland.
Zwar kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
Jedoch führt nach Überzeugung des Gerichts die genannten exilpolitischen Betätigungen, sprich weder die Mitgliedschaft bei der OLA-Taskforce sowie seine in diesem Zusammenhang erbrachten geringfügigen Spenden an die OLA oder die Teilnahme an Demonstrationen, noch seine – bereits Ende 2018 beendeten – Aktivitäten auf F. zu einer begründeten Furcht vor Verfolgung.
(1) Bis zum Regierungswechsel 2018 konnte die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führen. Dies hing vor allem davon ab, ob diese Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wurde, des Weiteren von Art und Umfang der exilpolitischen Aktivität (z. B. Organisation gewaltsamer Aktionen, führende Position) sowie ob und wie sich die Person nach ihrer Rückkehr in Äthiopien politisch betätigte – AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 1.9 – S. 14.
Mit dem Regierungswechsel 2018 (s.o.) und der nachfolgend eingeleiteten Entkriminalisierung der politischen Opposition wandelte sich zwar zunächst das politische Klima – AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 1.9 – S. 14. Dennoch fand weiterhin eine weitgehende nachrichtendienstliche Überwachung politischer Aktivitäten von im Ausland lebenden Äthiopiern statt – AA, Lagebericht v. 14.6.2021 – Ziff. 1.9 – S. 14.
Angesichts des derzeitigen bewaffneten Konflikts zwischen Zentralregierung und verbündeten regionalen Milizen einerseits sowie Kräften der TPLF und verbündeter Gruppierungen, wie etwa der OLA andererseits, ist jedoch wieder von einem verschärften Vorgehen gegen oppositionelle, den militärischen Widerstand gegen die Zentralregierung führende Organisationen und deren führende Mitglieder auszugehen.
(2) Eine einfache Mitgliedschaft in der sog. OLA-Taskforce ohne zentrale Führungsrolle führt unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln über den Staat Äthiopien nach Überzeugung des Gerichts nicht zu einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr nach Äthiopien, zumal bereits fraglich ist, ob die als OLA-Taskforce bezeichnete Organisation, welche laut der Aussage vieler anderer oromischer Volkszugehöriger in anderen Verfahren nicht wie vom Kläger geltend gemacht bereits 2017, sondern erst 202 / 2021 gegründet wurde, tatsächlich Unterstützungsleistungen an die OLA erbringt, oder ob der Zweck der Gruppierung nicht eher asyltaktischer Natur ist (entsprechende Nachweise für Ersteres liegen nicht vor).
(3) Selbiges gilt für geringfügige Spenden an die OLF oder die Beteiligung als einfacher Teilnehmer an Demonstrationen gegen die äthiopische Regierung in Deutschland oder das Arbeiten als Ordner. Das bloße Hochhalten von ausgeteilten Fahnen, und sei es die der OLA, oder das bloße Nachsprechen vorgegebener Parolen etc. sorgt – auch wenn davon auszugehen ist, dass derartige Versammlungen seitens der äthiopischen Sicherheitsbehörden grundsätzlich beobachtet werden – alleine noch nicht dafür, dass man in den verstärkten Fokus der Sicherheitskräfte gerät. Hierfür ist eine zentralere Rolle erforderlich.
Der Kläger hat auf entsprechende Nachfrage des Gerichts selbst angegeben, dass er eine über die eines bloßen Mitläufers hinausgehende zentrale Rolle in der Organisation der Demonstration bzw. deren Durchführung, etwa als Redner, ausgeübt hat. Die Arbeit als Ordner oder das Informieren hinsichtlich Übernachtungsmöglichkeiten reichen hierfür nicht aus.
(4) Auch die vom Kläger geltend gemachten politischen Aktivitäten auf F. stellen vorliegend keinen anspruchsbegründenden Nachfluchttatbestand nach § 28 Abs. 1a AsylG dar.
Zwar hat der Kläger geltend gemacht, dass er nicht nur gegen die alte TPLF-Regierung, sondern Ende 2018 auch für kurze Zeit gegen die aktuelle Regierung sich politisch auf F. betätigt und dies nur deshalb eingestellt habe, da sich seine Familie in Äthiopien deshalb staatlichen Repressionen und Drohungen ausgesetzt gesehen habe.
(a) Jedoch hat der Kläger seine angeblichen politischen Aktivitäten auf F. dem Gericht gegenüber schon gar nicht nachgewiesen.
Bei den angeblich geposteten / geteilten Inhalten handelt es sich um persönliche Umstände, bezüglich derer die formelle Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich beim Kläger liegt. Anders als etwa bei bestimmten Vorgängen im Herkunftsland, hinsichtlich derer den Asylsuchenden ein Nachweis im engeren Sinne häufig nicht möglich ist, kann der Kläger einen entsprechenden Nachweis, z.B. durch entsprechende Screenshots, auch ohne weiteres erbringen.
Der Vorlage entsprechender Nachweise steht vorliegend insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger geltend gemacht habe, die Posts bereits Ende 2018 entfernt zu haben, da angeblich seine Familie in Äthiopien wegen seiner Aktivitäten staatlichen Repressionen und Drohungen ausgesetzt gewesen sei.
Denn auch in diesem Fall wäre es dem – bereits zu diesem Zeitpunkt anwaltlich vertretenen und damit beratenen – Kläger durchaus möglich gewesen, vor Entfernen der Posts aus F. durch Screenshots o.Ä. entsprechende Nachweise für das laufende Gerichtsverfahren zu generieren.
(b) Davon abgesehen hat der Kläger seit Ende 2018, also seit etwa dreieinhalb Jahren, sich laut eigener Aussage nicht mehr politisch auf F. betätigt und war seine Familie seitdem deshalb keinen Repressionen mehr ausgesetzt, so dass allein deshalb nach Überzeugung des Gerichts keine Gefahr einer Verfolgung aufgrund vergangener Aktivitäten mehr droht, da andernfalls seine Familie weiterhin staatlichen Maßnahmen ausgesetzt hätte sein müssen.
(5) Davon abgesehen ist in Zusammenhang mit der geltend gemachten Unterstützung der OLA noch ganz allgemein Folgendes zu berücksichtigen:
Derzeit kommt es im Westen und Süden des Bundesstaates Oromia regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Äthiopischen Armee und Kämpfern der OLA (Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopien v. 1.5.2021, S. 22-23).
Die OLA wird nicht nur für Attacken gegen militärische Ziele sowie die gezielte Tötung von Amtsträgern oder Personen, die loyal zur Regional- oder Bundesregierung stehen verantwortlich gemacht (Aljazeera: Worsening violence in western Ethiopia forcing civilians to flee, 20.02.2021, https://www.aljazeera.com/news/2021/3/20/ worsening-violence-western-ethiopia-forcing-civilians-to-flee (Abruf 17.05.2021)), sondern auch für teils massive Übergriffe auf die Zivilbevölkerung bis hin zu gezielten ethnische Säuberungen sowie für Angriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, insbesondere seit große Teile der äthiopischen Sicherheitskräfte in die Region Tigray verlegt wurden.
Opfer der Übergriffe bzw. ethnischen Säuberungen sind vor allem Angehörige der Volksgruppe der Amharen (Amnesty International: Ethiopia: Over 50 ethnic Amhara killed in attack on village by armed group, 02.11.2020, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/11/ethiopia-over-50-ethnic-amhara-killed-in-attack-on-village-by-armed-group (Abruf 17.05.2021); Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopien v. 1.5.2021, S. 22-23) sowie religiöse Minderheiten, insbesondere orthodoxe Christen (United States Department of State: 2019 Report on International Religious Freedom: Ethiopia, 11.06.2020, https://www.state.gov/reports/2019-report-on-international-religious-freedom/ethiopia/ (Abruf 17.05.2021)). Berichtet wird von Tötungen, Plünderungen, insbesondere dem Raub von Vieh sowie dem Niederbrennen von Kirchen und ganzen Dörfern.
So wurden etwa Anfang November 2020 in der Kebele Gawa Qanqa (Guliso Distrikt, West Wollega – Grenzregion zum Regionalstaat Benishangul-Gumuz) mindestens 54 Menschen getötet, das Dorf geplündert, Vieh gestohlen und Häuser in Brand gesetzt (Amnesty International: Ethiopia: Over 50 ethnic Amhara killed in attack on village by armed group, 02.11.2020, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/11/ethiopia-over-50-ethnic-amhara-killed-in-attack-on-village-by-armed-group(Abruf 17.05.2021)).
Im Dezember 2020 kam es in der Grenzregion zum Bundesstaat Amhara zu Tötungen, Plünderungen und dem Niederbrennen von Kirchen (The Economist: Ethnicviolence threatens to tear Ethiopia apart, 02.11.2019, https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2019/11/02/ethnic-violence-threatens-to-tear-ethiopia-apart (Abruf 17.05.2021)).
Vor diesem Hintergrund erklärte die äthiopische Regierung Anfang Mai 2021 die OLA zur terroristischen Vereinigung (Bundesamt, Länderreport Nr. 33 Äthiopen v. 1.5.2021).
Sofern die äthiopischen Sicherheitskräfte vor diesem Hintergrund gegen Kämpfer und aktive Unterstützer der OLA vorgehen, handelt es sich grundsätzlich nicht um eine gezielte Verfolgung oppositioneller oromischer Volkszugehöriger allein wegen deren politischer Überzeugung, sondern um legitime Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts bzw. zur Abwehr allgemeiner Gefahren (BayVGH, B.v. 1.4.2021 – 3 ZB 20.32507 – Rn. 37).
c. Auch ist den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln über den Staat Äthiopien nicht zu entnehmen, dass oromische Volksangehörige seit dem Machtwechsel 2018 (vgl. hierzu ausführlich AA – Lagebericht v. 17. Okt. 2018) per se pauschaler, flächendeckender Verfolgung ausgesetzt sind (siehe hierzu AA, Lagebericht v. 18.01.2022), zumal Teile der Oromos selbst Teil der Machtelite geworden oder für diese bzw. die Sicherheitskräfte arbeiten.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a. Davon, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien infolge des geltend gemachten Vorfluchttatbestandes oder seiner angeblichen exilpolitischen Betätigung ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr.2 AsylG (Todesstrafe / Folter / unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) droht, hat der Kläger das Gericht, wie bereits soeben im Rahmen der §§ 3 ff AsylG dargelegt, nicht überzeugen können. Auch finden die Regelungen über den internen Schutz nach § 3e AsylG über § 4 Abs. 3 AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG Anwendung, so dass auch insoweit auf die zur Flüchtlingseigenschaft gemachten Ausführungen verwiesen werden kann.
b. Auch mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und den Konflikt zwischen der TPLF und der Bundesregierung im Norden des Landes im Bundesstaat Tigray sowie in Teilen der Bundesstaaten Afar und Amhara ist keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers im Falle seiner Rückkehr beachtlich wahrscheinlich. Bei einer Einreise des Klägers über den Internationalen Flughafen von Addis Abeba und einer Weiterreise von dort in seine Heimatregion (Borena Zone) im östlichen Teil des Bundesstaates Oromia wird der Kläger mit dem Kampfgebiet nicht in räumlichen Kontakt kommen.
3. Des Weiteren bestehen zu Gunsten des Klägers auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Bei den nationalen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Da das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid allein eine Abschiebung nach Äthiopien angedroht hat, kommt es für die Feststellung von Abschiebungsverboten ausschließlich auf die Situation in Bezug auf Äthiopien an.
Insbesondere besteht vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger nicht in der Lage sein wird, nach seiner Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum zu decken – sogleich unter a. sowie b. jeweils unter (1).
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.
(1) Eine Verletzung von Art. 3 EMRK (sowie von Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht, vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh), kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (siehe § 3c AsylG), fehlt, wenn die humanitären Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Hygiene und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12 m.v.N.). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41 738/10, Paposhvili/Belgien – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/1, C. I. u.a. – NVwZ, 691, Rn. 68). Dieses Mindestmaß kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11).
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer drohenden menschenunwürdigen Verelendung setzt dabei keine „Extremgefahr“ voraus, die für die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG notwendig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018, 1 B 25.18 – juris Rn. 13). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner Rechtsprechung (EuGH, Urteile v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim – JZ 2019, 999, Rn. 89 ff., und C-163/17, Jawo, InfAuslR 201 9, 236, Rn. 90 ff.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 21.1 .2 0 1 1, 30696/09, M.S.S. / Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413, Rn. 252 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris, Rn. 12; OVG Hamburg, U.v. 18.12.2019 – 1 Bf 132/17.A – juris, Rn. 39).
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen über den Staat Äthiopien sowie den eigenen Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung nach Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht die Gefahr, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in der Lage sein wird, nach seiner Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum zu decken.
Das Gericht folgt insoweit zunächst der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht hinsichtlich der bereits dort berücksichtigten Punkte von einer weiteren Darstellung der Gründe ab, § 77 Abs. 2 AsylG.
Auch bei Berücksichtigung von Umständen, die erst nach Erlass des angefochtenen Bescheids eingetreten sind, wie etwa die sich durch Heuschreckenplage, Dürrekatastrophe, Tigray-Konflikt und COVID-19-Pandemie / in diesem Zusammenhang national wie international ergriffener Pandemieschutzmaßnahmen ergebenden Auswirkungen auf die allgemeine Versorgungslage, Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Äthiopien geht das Gericht davon aus, dass es dem Kläger weiterhin möglich sein wird, für sein Existenzminimum durch eigene Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls mit zusätzlicher Unterstützung seiner Familie decken zu können.
(a) Der Kläger verfügt über eine elfjährige Schulausbildung in Äthiopien und hat zudem in Deutschland die Berufsschule besucht.
Darüber hinaus hat er in Deutschland berufliche Erfahrung als Hausmeister (sechs Monate) und seit 2019 in der Verwaltung einer Asylunterkunft gesammelt.
Zudem spricht er neben seiner Muttersprache Oromo auch Amharisch, des Weiteren etwas Arabisch und etwas Englisch sowie etwas Deutsch, was er im Falle einer Rückkehr ebenfalls gewinnbringend auf dem Arbeitsmarkt einsetzen kann, etwa in der Tourismusindustrie oder als Dolmetscher / Mitarbeiter für westliche Hilfsorganisationen oder die deutsche Auslandsvertretung.
(b) Der Kläger ist zudem nach eigenen Angaben gesund und arbeitsfähig.
(c) Zudem ist die äthiopische Wirtschaft bzw. der dortige Arbeitsmarkt derzeit nicht infolge weitreichender Pandemieschutzmaßnahmen (allgemeiner oder zumindest Teil-Lockdown / Geschäftsschließungen o.Ä.) in vielen Teilen lahmgelegt, Hotels, Gaststätten, Kinos und Clubs etc. geöffnet (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504; abgerufen am 2.5.2022).
(d) Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der ledige und kinderlose Kläger keinerlei Unterhaltspflichten Dritten gegenüber ausgesetzt ist.
(e) Zudem verfügt der Kläger in Gestalt seiner Mutter, seines jüngeren Bruders sowie seiner Schwester sowie eines Onkels und dreier Tanten weiterhin über ein bestehendes familiäres Netzwerk in Äthiopien. Des Weiteren unterstützt sein älterer, derzeit in Kenia lebender Bruder die Familie finanziell.
(f) Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Falle einer freiwilligen Rückkehr zudem auf umfangreiche Leistungen diverser Rückkehrerprogramme zurückgreifen kann (https://www.returningformgermany.de/de/programmes; abgerufen am 2.5..2022):
Neben einer einmaligen finanziellen Starthilfe von 1.000 EUR pro Person sowie der Übernahme der Reisekosten im Rahmen des Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany (REAG) sowie des Government Assisted Repatriation Programme (GARP) sind dies u.a.:
Im Vorfeld, noch vor seiner Rückkehr nach Äthiopien: Rückkehrvorbereitende Maßnahmen (RkVM) wie etwa Coachings und Workshops in entsprechender Sprache zur Existenzgründung im Zielstaat.
Nach Ankunft in Äthiopien: Reintegrationsunterstützungen, zum einen in Form von nicht-monetären Unterstützungsleistungen wie etwa (neben der In-Empfangnahme am Flughafen u.a. auch) die Unterstützung beim Aufbau eines kleinen Unternehmens oder bei der Jobsuche sowie die Unterstützung bei der Suche nach Kontaktpersonen im Rahmen der Nolawi Services Äthiopien, sowie ggf. auch weitere finanzielle Unterstützung wie etwa die sog. 2. Starthilfe nach sechs bis acht Monaten im Rahmen des sog. StarthilfePlus-Programms.
(g) Aufgrund der vorgenannten Faktoren (Qualifikationen und Arbeitsfähigkeit, keine Unterhaltsverpflichtungen, vorhandenes familiäres Netzwerk, Rückkehrerhilfen) ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger trotz der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Lage in Äthiopien sein Existenzminimum wird sichern können.
b. Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
(1) Liegen – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus (vgl. VGH Bad.-Württ., U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris Rn. 282).
(2) Auch in Äthiopien derzeit bestehende allgemeine Gesundheitsgefahren begründen vorliegend kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Gunsten des Klägers. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Gefahr einer Ansteckung mit dem auch in Äthiopien grassierenden Sars-Cov-2-Virus und einer anschließenden COVID-19-Erkrankung.
(a) Beruft sich ein Ausländer auf allgemeine (hier: Gesundheits) Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wie etwa die sämtliche Menschen in Äthiopien treffende Gefahr einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus und einer daran anschließenden COVID-19-Erkrankung, wird Abschiebungsschutz grundsätzlich ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
Allerdings kann ein Ausländer in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch bei Fehlen einer solchen generellen Regelung ausnahmsweise dann individuellen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund der im Zielstaat herrschenden allgemeinen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn in diesem Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
(b) Zwar besteht auch für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien, wie für jeden anderen Menschen in Äthiopien auch, die Gefahr, sich dort mit SARS-CoV-2 anzustecken und infolge dessen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden. Jedoch ist die Gefahr hinsichtlich des Klägers nicht derart extrem, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien „sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgesetzt würde (vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 -, juris Rn. 16) und deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entfällt.
So kann eine COVID-19-Erkrankung zwar bei schwerem Verlauf zum Tod führen oder zumindest schwere, dauerhafte bzw. lange andauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Auch hängt der Grad der Gefahr, im Falle eines schweren Verlaufes zu sterben, neben individuellen Faktoren wie etwa der gesundheitlichen Disposition des Erkrankten sowie der bei Ansteckung ausgesetzten Virusmenge u.a. auch von allgemeinen Umständen wie Qualität und Kapazitäten der vor Ort vorhandenen medizinischen Behandlung (Personal / Intensivbetten / Sauerstoff etc.) sowie den vor Ort ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen ab. Jedoch ist der Kläger jung, gesund und ohne Vorerkrankungen und weist auch im Übrigen keinen Risikofaktor für einen schweren Verlauf im Falle einer Infektion auf.
(3) Aktuelle individuelle gesundheitliche Gründe in der Person des Klägers, die einer Abschiebung nach Äthiopien entgegenstehen könnten, wurden nicht geltend gemacht.
4. Auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die vorgenommene Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbotes begegnen keinerlei rechtlichen Bedenken.
IV. 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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