Verwaltungsrecht

Albanischer Staatsangehöriger, Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken, Westbalkan-Regelung, Visumsverfahren, Arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Beschäftigung

Aktenzeichen  M 10 S 21.252

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10181
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 19c
BeschV § 26 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Ablehnung der Verlängerung seines Aufenthaltstitels.
Der am … Oktober 1992 in Albanien geborene Antragsteller ist albanischer Staatsangehöriger. Er wuchs im Wesentlichen in Albanien auf und besuchte dort das Gymnasium. Nach dem Schulabschluss arbeitete er in einem Callcenter und in der Gastronomie.
Der Antragsteller hielt sich bereits von 1998 bis 2002 mit seiner Familie zur Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach negativer Entscheidung über den Asylantrag wurde die Familie letztlich im Juli 2002 abgeschoben. In den Jahren 2012 und 2013 reiste der Antragsteller im Rahmen des visumsfreien Touristenverkehrs mehrfach nach Deutschland ein, ebenso im Jahr 2014 zum Zweck des Studiums. Nach Aktenlage reiste er erneut am 16. Juni 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am 12. September 2016 heiratete er eine in … wohnhafte kosovarische Staatsangehörige, die eine Niederlassungserlaubnis besitzt.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 17. November 2016 wurde der Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Anlass der Ausweisung waren zwei strafrechtliche Verurteilungen. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts München vom 9. Juni 2015 war der Antragsteller wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Ferner war der Antragsteller wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 5. August 2016 im Ergebnis zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 7 EUR verurteilt worden.
Die gegen den Bescheid gerichtete Klage zum Verwaltungsgericht München hatte lediglich im Hinblick auf die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots Erfolg, im Übrigen wurde die Klage abgewiesen (U.v. 23.2.2017 – M 10 K 16.5409). Nach der Ausreise des Antragstellers am 24. Juni 2017 wurde die Dauer der Sperrwirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Bescheid vom 11. Juli 2018 nachträglich auf 11. Juli 2018 befristet.
Aufgrund dessen reiste der Antragsteller nach eigenen Angaben am 7. November 2018 mit einem Visum zum Familiennachzug ein (Bl. 659 Behördenakte) und nahm Wohnsitz bei seiner Ehefrau.
Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller daraufhin am 13. November 2018 eine bis 12. November 2020 gültige Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zur Ehefrau (Bl. 671 Behördenakte).
Nach Mitteilung der Ehefrau des Antragstellers vom 15. September 2020 (Bl. 868 Behördenakte) gab es am 9. Mai 2020 einen Fall häuslicher Gewalt. Die Ehefrau sei deshalb zwischenzeitlich aus der ehelichen Wohnung ausgezogen.
Mit Schreiben vom 28. September 2020, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 29. September 2020 (Bl. 870 Behördenakte), beantragte der Antragsteller die Verlängerung seines Aufenthaltstitels. Im diesbezüglichen Formblattantrag gab er als Aufenthaltszweck „Familiennachzug zur Ehegattin“ an. Der Aufenthaltszweck habe sich seit der letzten Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht geändert (Bl. 873 ff. Behördenakte). Nach den dem Antrag beigefügten Unterlagen ist der Antragsteller Mitarbeiter in der internen Logistik einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in … auf der Grundlage eines unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnisses. Bereits am 4. September 2020 war ihm eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt worden (Bl. 847 Behördenakte).
Die Antragsgegnerin hörte den Antragsteller sowie seine Ehefrau jeweils mit Schreiben vom 8. Oktober 2020 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an (Bl. 890 ff. Behördenakte). Die ehemalige Bevollmächtigte des Antragstellers verwies hierzu mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 (Bl. 897 Behördenakte) insbesondere darauf, der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis werde auch auf das bestehende Arbeitsverhältnis gestützt. Die Ehefrau des Antragstellers nahm mit E-Mail vom 28. Oktober 2020 Stellung (Bl. 894 f. Behördenakte). Sie führte aus, dass sie sich vom Antragsteller aufgrund eines Vorfalls von häuslicher Gewalt am 9. Mai 2020 getrennt habe. Zunächst habe sie noch mit ihm zusammen in der ehelichen Wohnung gelebt, sei aber dann ausgezogen, da sie sich nicht sicher gefühlt habe. Sie habe dem Antragsteller deutlich gemacht, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein möchte.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28. September 2020 ab (Ziffer 1) und verpflichtete den Antragsteller, die Bundesrepublik bis spätestens 31. Januar 2021 zu verlassen (Ziffer 2). Ferner kann nach Ziffer 3 des Bescheids ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von bis zu einem Jahr für die Bundesrepublik Deutschland sowie die Schengenstaaten angeordnet werden, sollte der Antragsteller die Ausreisefrist schuldhaft und erheblich überschreiten. Im Übrigen wird dem Antragsteller für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Albanien angedroht (Ziffer 4).
Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der erteilten Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 8 Abs. 1 AufenthG lägen aufgrund der Trennung der Eheleute nicht mehr vor. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG habe der Antragsteller nicht erworben, da die Ehe im Bundesgebiet nicht rechtmäßig für die Mindestzeit von drei Jahren, sondern nur im Zeitraum vom 8. November 2018 bis 20. Juli 2020 bestanden habe. Umstände für die Annahme einer besonderen Härte nach § 31 Abs. 2 AufenthG seien weder ersichtlich noch geltend gemacht. Andere Aufenthaltsgründe stünden dem Antragsteller nicht zur Seite.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 15. Januar 2021, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage auf Aufhebung dieses Bescheids sowie Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung erhoben (Az. M 10 K 21.251), über die noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird vorgetragen: Der Antragsteller lebe seit Sommer 2020 von seiner Ehefrau getrennt. Zwar habe er ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 AufenthG nicht erworben. Aber es wäre zu prüfen gewesen, ob dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung erteilt werden könne. Aufgrund der Tätigkeit des Antragstellers in der internen Logistik einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verfüge er über ein Fachwissen, das für die ganzheitliche Betreuung der internationalen Kunden des Arbeitgebers im Bereich Business erforderlich sei; insofern werde auf die Arbeitgeberbestätigung vom 13. Januar 2021 Bezug genommen. Es bestehe ein arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Beschäftigung des Antragstellers, da seine Tätigkeit dazu geeignet sei, die ganzheitliche Betreuung der internationalen Kunden zu gewährleisten, und damit Arbeitsplätze gesichert würden. Dem Antragsteller könne daher eine Aufenthaltserlaubnis auf der Rechtsgrundlage des § 19c Abs. 3 AufenthG erteilt werden. Jedenfalls sei, falls dies verneint werde, die gesetzte Ausreisefrist im Hinblick auf die Beschäftigung zu kurz bemessen. Es wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Antragsteller auch ein Visum für eine unqualifizierte Beschäftigung nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 Beschäftigungsverordnung (BeschV) beantragen könne, aufgrund der Pandemie Visumsanträge allerdings derzeit nicht bearbeitet würden. Eine Terminregistrierung auf den Homepages der deutschen Botschaften des Westbalkans für die Beantragung von Visa sei derzeit nicht möglich. Ferner werden eine Erklärung des Arbeitgebers zum Beschäftigungsverhältnis vom 19. Januar 2021 sowie Einkommensnachweise vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 5. März 2021 beantragt die Antragsgegnerin,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Im vorliegenden Fall komme lediglich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 26 Abs. 2 BeschV in Betracht, welche zwingend die Durchführung eines Visumsverfahrens voraussetze. Insoweit werde auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 11. Februar 2021 im Verfahren am M 9 S 20.6386 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 10 K 21.251, sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg, da er zum Teil bereits unzulässig ist. Soweit er zulässig ist, ist er jedoch unbegründet.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 15. Dezember 2020 ist im Hinblick auf Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids zulässig, im Hinblick auf Ziffer 3 des Bescheids jedoch unzulässig.
a) Im Hinblick auf die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, da die Klage insoweit kraft Gesetzes gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat. Obwohl in der Hauptsache die Verpflichtungsklage auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die richtige Klageart ist und damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an sich ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen wäre, ist demnach ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO grundsätzlich statthaft. Dies setzt allerdings voraus, dass der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zuvor eine gesetzliche Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Ansonsten wäre allenfalls ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO denkbar (s. BayVGH, B.v. 31.8.2006 – 24 C 06.954 – juris Rn. 11; B.v. 12.10.2006 – 24 CS 06.2576 – juris Rn. 8).
Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt hat.
Im vorliegenden Fall hat der Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst; der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist daher insoweit statthaft. Die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers galt bis 12. November 2020; die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels wurde am 29. September 2020 und damit rechtzeitig vor dessen Ablauf beantragt.
Durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Versagung der Verlängerung seines Aufenthaltstitels würde diese Fiktion des erlaubten Aufenthalts fortbestehen und der Antragsteller wäre nicht ausreisepflichtig.
b) Hinsichtlich der Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist und der Abschiebungsandrohung (Ziffern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ebenfalls statthaft, da es sich um Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung handelt. Eine dagegen gerichtete Klage hat nach Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
c) Was Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids angeht, handelt es sich hierbei nach ihrem Wortlaut sowie der diesbezüglichen Begründung auf Seite 7 des Bescheids („Androhung nach § 11 Abs. 6 AufenthG“) nicht um eine Anordnung, sondern lediglich um einen Hinweis auf die Rechtslage, nach der gemäß § 11 Abs. 6 AufenthG die Möglichkeit einer späteren Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots besteht. Da insoweit im Bescheid vom 15. Dezember 2020 aber noch keine verbindliche Regelung getroffen werden sollte, handelt es sich bei Ziffer 3 des Bescheids nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz, der im Wege des Eilrechtsschutzes über § 80 Abs. 5 VwGO angreifbar wäre.
2. Soweit der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zulässig ist, ist er jedoch unbegründet, da nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes überwiegt.
Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
So liegt der Fall hier; nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache wird die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Sache voraussichtlich erfolglos bleiben. Der Antragsteller hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung der beantragten Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der angegriffene Bescheid vom 15. Dezember 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit wird zunächst auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
a) Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, §§ 27 ff. i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG.
aa) Ein Anspruch auf Verlängerung der bereits erteilten Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner Ehefrau nach § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 AufenthG scheidet aus, da die Ehegatten unstreitig jedenfalls seit dem Sommer 2020 nicht mehr in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammenleben.
bb) Auch ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat der Antragsteller nicht erworben, da die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mindestens seit 3 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat.
Die Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt voraus, dass die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ununterbrochen für die Dauer von drei Jahren bestanden hat. Kurzzeitige Unterbrechungen außerhalb von § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG sind unschädlich. Die Gesamtzeit von drei Jahren Aufenthalt als Eheleute darf aber nicht aus mehreren Teilzeiten zusammengesetzt sein (vgl. Dienelt in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 31 AufenthG Rn. 20 f.).
Im vorliegenden Fall bestand die eheliche Lebensgemeinschaft – rückgerechnet ab dem von den Parteien zugrunde gelegten Trennungszeitpunkt im Sommer 2020 – nicht drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet, da die Frist erst am 7. November 2018 zu laufen begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt ist der Antragsteller eingereist, um mit seiner Ehefrau zusammenzuleben. Ein eventuelles Zusammenleben nach der Heirat am 12. September 2016 bis zur Ausreise des Antragstellers nach Albanien am 24. Juni 2017 ist hierbei nicht zu berücksichtigen. Die Unterbrechung des ehelichen Zusammenlebens aufgrund des Aufenthalts des Antragstellers in Albanien für einen Zeitraum von rund einem Jahr und 5 Monaten (24.6.2017 bis 6.11.2018) ist nicht als kurzzeitig anzusehen; zudem beruhte die Ausreise auf einer Ausweisung.
cc) Gründe für eine besondere Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr geht der Antragsteller selbst davon aus, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG nicht erworben zu haben.
b) Nach kursorischer Prüfung hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit nach §§ 18 ff. AufenthG. Die Voraussetzungen der hier alleine in Betracht kommenden Anspruchsnorm in § 19c AufenthG liegen nicht vor.
aa) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 19c Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG besteht nicht.
Nach § 19c Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann. Gemäß § 19c Abs. 2 AufenthG kann einem Ausländer mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann.
Vorliegend fehlt es jedoch an einer Zulassung der Beschäftigung durch die Beschäftigungsverordnung (§ 19c Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG) oder durch eine zwischenstaatliche Vereinbarung (§ 19c Abs. 1 AufenthG).
Insbesondere lässt § 26 Abs. 2 Beschäftigungsverordnung (BeschV) in der ab 1. Januar 2021 geltenden Fassung, die sogenannte Westbalkan-Regelung, die Beschäftigung des Antragstellers nicht zu. § 26 Abs. 2 BeschV ist in dieser Fassung anzuwenden, da nach ständiger Rechtsprechung bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen ist (BVerwG, U.v. 7.4.2009 – 1 C 17/08 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeschV können für bestimmte Staatsangehörige des Westbalkans, insbesondere von Albanien, in den Jahren 2021 bis einschließlich 2023 Zustimmungen mit Vorrangprüfung zur Ausübung jeder Beschäftigung erteilt werden. Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV darf die erstmalige Zustimmung nur erteilt werden, wenn der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels bei der jeweils zuständigen deutschen Auslandsvertretung in einem der in Satz 1 genannten Westbalkanstaaten gestellt wird.
Da es vorliegend um den Fall einer erstmaligen Zustimmung (der Bundesagentur für Arbeit) zur Beschäftigung geht, ist § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV einschlägig. Seine Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Der Antragsteller hat keinen Aufenthaltstitel in Form eines nationalen Visums bei der Deutschen Botschaft in Tirana/Albanien beantragt, sondern direkt die Verlängerung bzw. Neuerteilung seiner bisher nach § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis bei der Antragsgegnerin als zuständiger Ausländerbehörde begehrt.
§ 19c Abs. 1 AufenthG kann zwar grundsätzlich auch die Fortsetzung eines bestehenden Aufenthalts ermöglichen, wenn zunächst ein Aufenthaltstitel zu einem anderen Zweck erteilt worden ist und nunmehr unter Wechsel des Aufenthaltszwecks die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken erstrebt wird (vgl. § 39 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AufenthV). Ein Wechsel des Aufenthaltszwecks unter Verbleib im Bundesgebiet setzt allerdings über die fortbestehende Rechtmäßigkeit des Aufenthalts voraus, dass der Gesetzgeber einen Zweckwechsel ohne vorherige Ausreise nicht durch eine besondere Regelung ausgeschlossen hat (vgl. HessVGH, B.v. 28.10.2019 – 7 B 1729/19 – juris Rn. 16). Ein solch besonderer Ausschluss liegt hier in § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV aber gerade vor. Diese Regelung setzt nämlich zwingend voraus, dass im Herkunftsstaat ein zweckentsprechendes nationales Visum beantragt wird (vgl. BR-Drs. 447/15 v. 29.9.2015, S. 11).
Im konkreten Fall kann nach Aktenlage vom Visumserfordernis auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Die Voraussetzungen eines gebundenen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind nicht erfüllt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG), da es sich bei den Regelungen des § 19c AufenthG um Ermessensvorschriften handelt. Auch ist es nach Aktenlage nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar, das Visumsverfahren nachzuholen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG).
An die Annahme der Unzumutbarkeit der Durchführung des Visumsverfahrens sind hohe Anforderungen zu stellen. Wartezeiten, Kosten und sonstige Erschwernisse, die durch das Visumsverfahren entstehen, sind als typische Umstände der gesetzlichen Ausgestaltung des Einreiseverfahrens auch bei der ordnungsgemäßen Einreise grundsätzlich hinzunehmen. Als unzumutbar können sie nur dann angesehen werden, wenn die Versäumnisse dem Ausländer nicht persönlich anzulasten sind, sein Verschulden nur gering war oder die notwendigen Reisen aufgrund äußerer Umstände oder aus persönlichen Gründen besondere Schwierigkeiten bereiten oder besonders aufwändig erscheinen (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 154 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Durchführung des Visumsverfahrens für den Antragsteller nicht als unzumutbar anzusehen. Insbesondere ist die Visastelle der Deutschen Botschaft in Albanien nach den Informationen auf der Homepage der Botschaft (https://tirana.diplo.de/al-de – abgerufen am 7.4.2021) entgegen des Vortrags der Verfahrensbevollmächtigten jedenfalls seit 23. November 2020 wieder geöffnet, wenn auch die Anzahl der täglich bearbeiteten Anträge aufgrund der Corona-Pandemie nach wie vor reduziert ist. Dass der Antragsteller möglicherweise mit einer längeren Wartezeit bei der Visumsantragstellung rechnen muss und er deswegen in diesem Zeitraum einer Beschäftigung in Deutschland nicht nachgehen kann, stellt keinen besonderen Umstand dar, der die Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens zur Folge hätte (vgl. hierzu auch: VG München, B.v. 11.2.2021 – M 9 S 20.6386). Im Übrigen hätte der Antragsteller es in der Hand gehabt, bereits frühzeitig nach der Trennung von seiner Ehefrau ein Visumsverfahren einzuleiten. Die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers galt bis 12. November 2020. Ab dem Trennungszeitpunkt, der nach dem Parteivortrag im Sommer 2020, möglicherweise aber bereits früher (im Mai 2020) anzusetzen ist, hätte der Antragsteller – auch unter Berücksichtigung etwaiger Verzögerungen durch die Corona-Pandemie – ausreichend Zeit gehabt, ein entsprechendes Visumsverfahren in die Wege zu leiten und die Ausreisemodalitäten ggf. entsprechend zu gestalten, um Nachteile für den Arbeitgeber oder gar einen Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden. Nach der Stellungnahme der Ehefrau des Antragstellers vom 28. Oktober 2020 hat diese ihn seit der Trennung auch mehrfach darauf hingewiesen, er solle sich wegen eines Visums zum Zweck der Erwerbstätigkeit bei der Botschaft melden.
bb) Auch die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 19c Abs. 3 AufenthG liegen nach kursorischer Prüfung nicht vor.
Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer im begründeten Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn an seiner Beschäftigung ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht.
Die Regelung ist strikt auf besondere Einzelfälle zugeschnitten, die nicht (allein) durch individuelle Härten oder besondere subjektive Bedürfnisse eines Ausländers oder eines Unternehmens gekennzeichnet sind, sondern durch das beschriebene öffentliche Interesse. Soweit die Aufenthaltserlaubnis nur in einem begründeten Einzelfall erteilt werden darf, muss sich dieser Fall hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation von anderen Fällen unterscheiden. Der Bedarf darf nicht allgemeiner Natur sein, sondern nur in einer singulären Konstellation auftreten und anderweitig nicht gedeckt werden können. Die im Gesetz besonders erwähnten öffentlichen Interessen müssen eine atypische Arbeitsmarktsituation widerspiegeln. Es muss ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Beschäftigung bestehen, das mit den sonst zur Verfügung stehenden Mitteln nicht befriedigt werden kann. Das öffentliche Interesse an der Beschäftigung des konkreten Ausländers kann zum Beispiel darin bestehen, dass sie in dem Unternehmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt oder den Abbau von Arbeitsplätzen verhindert. Das (rein privatwirtschaftliche) Einstellungsinteresse des Arbeitgebers allein begründet jedenfalls kein öffentliches Interesse (vgl. Bergmann in: ders./Dienelt, Ausländerrecht, a.a.O., § 19c AufenthG Rn. 14 ff.).
Im konkreten Fall trägt der Antragsteller unter Bezugnahme auf eine Bestätigung seines Arbeitgebers vom 13. Januar 2021 zwar vor, dass er über ein Fachwissen verfüge, das für die ganzheitliche Betreuung der internationalen Kunden seines Arbeitgebers im Bereich Business erforderlich sei, was weitere Arbeitsplätze sichere.
Aber damit wird ein arbeitsmarktpolitisches Interesse, das im begründeten Einzelfall die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erlaubt, nicht substantiiert geltend gemacht. Es wird lediglich pauschal auf ein besonderes Fachwissen des Antragstellers abgestellt. Es wird nicht konkret begründet, warum gerade der Antragsteller, der nicht einmal eine Ausbildung (in diesem Bereich) hat und erst seit 1. Oktober 2019 im Unternehmen beschäftigt ist, in seinem Tätigkeitsbereich der internen Logistik so bedeutsam ist, dass dieser Bedarf nicht auf andere Weise gedeckt werden könnte. Eine besonders atypische Arbeitsmarktsituation wird auch nicht dargelegt.
c) Andere Anspruchsgrundlagen für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
d) Die Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids sowie die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des Bescheids sind rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Insbesondere begegnet die nach § 59 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 AufenthG gesetzte Ausreisefrist bis zum 31. Januar 2021 keinen rechtlichen Bedenken. Es wirkt sich zugunsten des Antragstellers aus, dass im Bescheid vom 15. Dezember 2020 die Ausreisefrist, die grundsätzlich nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zwischen 7 und 30 Tagen betragen darf, im vorliegenden Fall gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG verlängert worden ist, da das Fristende auf 31. Januar 2021 festgelegt worden ist. Bei der Bestimmung der Länge der Frist hat die Antragsgegnerin auf der einen Seite das öffentliche Interesse an der unverzüglichen Ausreise des Antragstellers und auf der anderen Seite die persönlichen Umstände des Antragstellers (bisherige Aufenthaltsdauer sowie fehlende familiäre Bindungen in Deutschland) berücksichtigt. Auch unter Berücksichtigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses ist die Fristdauer nicht unangemessen kurz.
Die Abschiebungsandrohung nach Albanien ist rechtlich nicht zu beanstanden; sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummern 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.


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