Verwaltungsrecht

allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, Neutralitätsgebot, subjektives Recht einer Fraktion auf Chancengleichheit, Mitgliedschaft in einer Allianz gegen Extremismus

Aktenzeichen  AN 4 E 21.01491

Datum:
4.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30388
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO Art. 30 Abs. 3
GO Art. 57

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag ist bereits unzulässig. Es fehlt an dem Bedürfnis der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes (Ziffer 1). Die Antragstellerin hätte mit ihrem Begehren zunächst den Stadtrat befassen müssen, wie der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin entgegen seiner ursprünglich ablehnenden Haltung im Schreiben vom 30. März 2021 zuletzt mit Schreiben vom 26. Mai 2021 vor der Antragstellung ausdrücklich nochmals angeboten hat. Unabhängig davon bestehen nach konkretem Vortrag Zweifel am Vorliegen der erforderlichen Antragsbefugnis (Ziffer 2).
1. Die Antragstellerin hat zum Zeitpunkt der Entscheidung rechtlich kein schützenswertes Interesse daran, dass die Antragsgegnerin ihre Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus ruhen lässt.
a) Für jedes Rechtsschutzbegehren muss ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis vorliegen (BVerfG, B.v. 19.10.1982 – 1 BvL 34/80 – BVerfGE 61, 126, (135)). Das gilt auch für den vorläufigen Rechtsschutz (Happ in Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 34). Das Rechtsschutzbedürfnis liegt vor, wenn die Antragstellerin ein schutzwürdiges Interesse an der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes hat. Hiervon ist grundsätzlich auszugehen. Das Rechtsschutzbedürfnis ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu hinterfragen, die auf einen Missbrauch prozessualer Rechte schließen lassen. Das Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte lässt sich dabei auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückführen. Der Rechtsschutzsuchende soll von seiner Rechtsschutzmöglichkeit dann keinen Gebrauch machen können, wenn sich die Inanspruchnahme der Gerichte als unnötig oder rechtsmissbräuchlich erweist (Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth, VwGO 6. Aufl. 2014, Vor. §§ 40 ff., Rn. 24 unter Hinweis auf BVerwGE 81, 164 f.). Dies zugrunde gelegt hat die Antragstellerin kein schutzwürdiges Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz, da zunächst das für die begehrte Beendigung der Mitgliedschaft zuständige Organ mit der Streitsache zu befassen ist.
In der Hauptsache begehrt die Antragstellerin derzeit die Beendigung der Mitgliedschaft und verfolgt im streitgegenständlichen Eilrechtsschutz eine gerichtliche Anordnung dahingehend, dass die Antragsgegnerin die Mitgliedschaft einstweilig ruhen lässt. Das Begehren in der Hauptsache ist mit der Leistungsklage zu verfolgen, da ein Austritt nach § 3 Abs. 4 Satz 2 der Satzung der Allianz gegen Rechtsextremismus durch schriftliche Erklärung stattfindet. Im Grundsatz ist anerkannt, dass vor einer Leistungsklage ein Antrag bei der zuständigen Behörde zu stellen ist (Rennert in Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, vor § 40 Rn. 13). Das Gleiche gilt bei einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO (Kuhla in BeckOK-Posser/Wolff, VwGO, 58. Ed. Stand: 1.7.2021, § 123 Rn. 37a).
Ob von einem Antragsteller ein vorhergehender Antrag bei der zuständigen Behörde verlangt werden muss, ist anhand der Umstände des Einzelfalles unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sowie des Rechtsstaatsprinzips zu bestimmen. Von der verfassungsrechtlichen Grundstruktur der Rechtsschutzgarantie her kontrolliert die Rechtsprechung einerseits das Verwaltungshandeln, was eine vorhergehende Tätigkeit oder Untätigkeit impliziert. Andererseits besteht aber auch ein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, was im Einzelfall, etwa bei zeitkritischen Streitigkeiten, einen Antrag entbehrlich machen kann. Vorliegend tritt bei der Antragsgegnerin der Gesichtspunkt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28 Abs. 2 GG hinzu, das der Antragsgegnerin als Gemeinde ausdrücklich einen Bereich der Eigenständigkeit zugesteht.
b) Vor diesem Hintergrund ist für den zu entscheidenden Einzelfall zu sagen, dass sich die Antragstellerin bereits mit mehreren Schreiben an die Antragsgegnerin sowie an die Rechtsaufsicht gewendet hatte. Der Stadtrat wurde hingegen noch nicht mit der Angelegenheit befasst. Nach Art. 29 GO ist dieser aber bei der Antragsgegnerin das zuständige Organ für die Frage der Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft, da er als Kollegialorgan die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns kontrolliert (Art. 30 Abs. 3 GO). Als Fraktion hätte die Antragstellerin alle erforderlichen Schritte unternehmen müssen, um die im Streit stehende Mitgliedschaft im Stadtrat selbst zu klären. Dabei ist erforderlich, dass sich der Stadtrat genau mit dem Begehren befasst, dass die Antragstellerin sodann auch im gerichtlichen Verfahren verfolgt.
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass sich der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30. März 2021 unter Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft noch geweigert hatte, die Streitfrage als Tagesordnungspunkt aufzunehmen. Ob diese Weigerung zu Recht oder zu Unrecht, also unter Verletzung von Rechten der Antragstellerin erfolgt ist, ist ein hiervon strikt zu trennender Streitgegenstand und betrifft nicht die hier im Raum stehende Abstimmungsfrage über die Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus selbst. Außerdem hatte der erste Bürgermeister, nachdem der Schriftwechsel sich inhaltlich auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus vor dem Hintergrund der gemeindlichen Aufgaben, also auf den Inhalt der abzustimmenden Frage, verlagert hatte, zuletzt im Schreiben vom 26. Mai 2021 nochmals ausdrücklich angefragt, ob eine Befassung im Stadtrat nun gewünscht sei. Die Antragstellerin hatte hierauf nicht nochmals geantwortet, sondern mit Schreiben an die Regierung von Mittelfranken vom 7. Juni 2021 nach Sachverhaltsdarstellung ebenfalls nur die Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft selbst, und nicht die unterlassene Aufnahme auf die Tagesordnung, gerügt.
Die Behandlung der Frage im Stadtrat wird auch nicht deshalb überflüssig, weil der erste Bürgermeister sowie die Rechtsaufsichtsbehörde sich zur Frage der Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft der Antragsgegnerin in der Allianz gegen Rechtsextremismus bereits inhaltlich geäußert haben. Nach Art. 59 Abs. 2 GO ist es Aufgabe des ersten Bürgermeisters, rechtswidrige Beschlüsse des Stadtrates zu beanstanden und ggf. die weitere Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeizuführen. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass das Verfahren für den Fall einer positiven Stadtratsentscheidung bereits durchgeführt worden ist. Der erste Bürgermeister und die Rechtsaufsichtsbehörde haben sich vor allem inhaltlich zu der Frage der Rechtmäßigkeit der grundsätzlichen Mitgliedschaft unter dem Aspekt des eigenen Wirkungskreises geäußert und die Mitgliedschaft, voraussichtlich zu Recht, der gemeindlichen Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit zugeordnet (so auch die Zuordnung im Fall BayVerfGH, Vf. 97-IVa-20, E.v. 1.8.2021 – juris Rn. 37 für die Frage, ob der Bayerische Landtag Mitglied in einem Bündnis für Toleranz sein kann). Die Frage der Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus erschöpft sich aber nicht in der abstrakten Feststellung, ob sie per Beschluss im Jahre 2009 in rechtmäßiger Weise begründet werden konnte. Vielmehr endet die gemeindliche Zuständigkeit der Öffentlichkeitsarbeit dort, wo eine allgemeinpolitische Betätigung stattfindet (Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 31. EL Stand: Februar 2021, Art. 57 Rn. 20), was anhand der Tätigkeit der Allianz gegen Rechtsextremismus zu beurteilen ist. Dies zu bewerten ist aber zunächst Aufgabe des Stadtrates und erst dieser Beschluss ist vom ersten Bürgermeister nach Art. 59 Abs. 2 GO zu prüfen. Insbesondere kann im Rahmen eines Stadtratsbeschlusses ein deutlich differenzierteres Bild zum Ausdruck kommen. Dass – auch bei Annahme einer unzulässigen Äußerung durch die Allianz für Menschenrechte – der Antragsgegnerin und damit vor allem deren hierfür zuständigen Stadtrat auch andere Handlungsoptionen zur Verfügung stünden, wird schon durch den von der Antragstellerin in der Hauptsache gestellten Hilfsantrag impliziert. Hierdurch wird nämlich die Möglichkeit der Einwirkung der Antragsgegnerin auf die Allianz für Menschenrechte bereits angedeutet.
Es ist regelmäßig nicht ausreichend, dass sich der Rechtsschutzsuchende in irgendeiner Form an die zuständige Behörde gewendet hat, sondern es muss eine Entscheidung in der Sache selbst, durch die zuständige Stelle und im richtigen Verfahren erfolgt sein. Das gilt hier zumal die Antragstellerin eine Rechtsverletzung gerade als Teil des Organs, das überhaupt noch keine Gelegenheit hatte, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, geltend machen will. Vorliegend ist auch keine Ausnahme aus einer besonderen Eilbedürftigkeit, also unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes, zu machen. Vielmehr hat die Antragstellerin sich mit ihrem sehr indirekten, weil auf die Mitgliedschaft und nicht auf die konkrete Äußerung bezogenen Begehren erstmalig gut ein Jahr nach den Kommunalwahlen an den ersten Bürgermeister gewandt. Dabei kritisiert die Antragstellerin für die Partei, für die ihre Mitglieder im Stadtrat sitzen, die Arbeit der Allianz gegen Rechtsextremismus unter dem Aspekt der Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft der Antragsgegnerin. Dabei geht es inhaltlich um Äußerungen der Allianz mit Blick auf die Partei, deren Mitglieder auch diejenigen der Antragstellerin sind. Vor dem konkreten Hintergrund, dass es der Antragstellerin ausweislich der gestellten Anträge um die Mitgliedschaft als solche und gerade nicht um die konkreten Meinungsäußerungen geht, ist nicht ersichtlich, weshalb ein Zuwarten der Streitfrage bis zur Behandlung im Stadtrat nicht möglich sein soll. Dieses ergibt sich schließlich auch nicht aus der zu erwartenden Verfahrensdauer, die im Übrigen auch kein gesondertes Interesse an einer sofortigen Entscheidung im Sinne eines Anordnungsgrundes begründen würde.
Nachdem das oben genannte Rechtsschutzbedürfnis auch im Rahmen der Entscheidung über den gestellten Hilfsantrag zu prüfen ist, ergibt sich notwendig auch dessen Unzulässigkeit.
2. Darüber hinaus bestehen vorliegend Zweifel an der Antragsbefugnis der Antragstellerin. Auch im Rahmen des Antrages nach § 123 VwGO muss die Antragstellerin in analoger Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sein. Es muss um ein subjektives Recht der Antragstellerin gehen, das infolge des Handelns oder Unterlassens der Antragsgegnerin möglicherweise verletzt wird (Happ in Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 41).
a) Die Antragstellerin kann vorliegend auch kein Recht aus ihrer Stellung als Fraktion herleiten.
Die Kontrolle des Verwaltungshandelns der Gemeinde obliegt nach Art. 30 Abs. 3 GO dem Gemeinderat als Kollegialorgan (Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 31. EL Stand: Februar 2021, Art. 30 Rn. 10). Der einzelnen Fraktion steht diese Überwachungsbefugnis nicht zu (Wachsmuth PdK-Bay B-1, 13. Fassung 2021, Art. 30 GO Ziffer 4 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BayVGH. Die dort ebenfalls zitierten abweichenden Auffassungen betreffen die Frage des Auskunftsrechts).
b) Die Antragstellerin kann sich in diesem Zusammenhang weiter nicht auf die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb und den korrespondierenden Grundsatz der parteipolitischen Neutralität berufen.
Inhaber des Rechts auf Chancengleichheit ist der Teilnehmer im politischen Wettbewerb, der sich zu Wahlen stellt. Entsprechend findet das Neutralitätsgebot keine Anwendung in Bezug auf Gruppierungen, die nicht am politischen Wahl- oder Abstimmungswettbewerb teilnehmen (Ernst in von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Aufl. 2021, Art. 28 GG Rn. 107; Mehde in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. EL Stand: Januar 2021, Art. 28 Abs. 1 GG Rn. 54 f.).
Die Antragstellerin kann sich als Fraktion daher nicht auf einen Anspruch auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb berufen. Dieser steht nicht der Fraktion, sondern der Partei zu, deren Mitgliedern die Fraktionsmitglieder zugleich sind, bzw. (allenfalls) den individuellen Wahlbewerbern selbst. Die Fraktion ist das kommunalrechtlich verfasste Ergebnis einer Wahl, nicht der potenzielle Bewerber für eine Wahl. Die Antragstellerin nimmt als Fraktion nicht an Wahlen teil, selbst wenn ihre Mitglieder wieder zur Kommunalwahl antreten sollten. Die Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen als Sachwalter ist dem Rechtsschutzsystem der VwGO grundsätzlich fremd.
Nachdem der Antrag ausdrücklich im Namen der Fraktion und nicht für die hinter der Stadtratsfraktion stehenden Mitglieder gestellt wurde, kommt auch eine eventuelle Umdeutung nicht in Betracht.
c) Das Reichsgericht hat zwar grundsätzlich eine Art von Ehrschutz des Gemeinderates angenommen (Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 31. EL Stand: Februar 2021, Art. 30 Rn. 4). Es dürfte aber fraglich sein, wie die Antragstellerin aus dieser Rechtsprechung profitieren will, weil eine Herabwürdigung der Antragstellerin (in ihrer Rolle als verfasstes Stadtratsorgan) oder ihrer Mitglieder jedenfalls nicht substantiiert vorgetragen ist.
3. Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über den Streitwert basiert auf § 52 Abs. 1 GG i.V.m. Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2013).


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