Verwaltungsrecht

altersdiskriminierende Besoldung; Darlegung ernstlicher Richtigkeitszweifel im Berufungszulassungsverfahren

Aktenzeichen  1 L 40/22

Datum:
2.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 1. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0502.1L40.22.00
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend VG Magdeburg, 21. Juni 2018, 5 A 185/16 MD, Urteil

Tenor

Auf Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg – 5. Kammer – vom 21. Juni 2018 zugelassen.
Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Kläger unter anderem geltend gemacht, das Verwaltungsgericht Magdeburg sei in dem angefochtenen Urteil vom 21. Juni 2018 zu Unrecht davon ausgegangen, der Fristbeginn des § 15 Abs. 4 AGG ab Verkündung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2011 – C-297/10 u. a. – (juris) in Sachen H. und M. verstoße nicht gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz; dies ergebe sich insbesondere daraus, dass 6.516 von 10.667 beim Beklagten eingegangenen Anträgen auf Entschädigung wegen altersdiskriminierender Besoldung – was einem Anteil von ca. 65 % entspreche – wegen Versäumung der Frist des § 15 Abs. 4 AGG abgelehnt worden seien. Auf diesen bereits erstinstanzlich erhobenen Einwand hat das Verwaltungsgericht unter anderem ausgeführt, ob und wie viele Antragsteller an der Frist des § 15 Abs. 4 AGG scheiterten, sei für die Frage, ob den Beamten die Geltendmachung der Rechte unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werde, letztlich ohne Bedeutung, es hänge von „mannigfaltigen Umständen wie der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, der Entschlusskraft oder der Ausprägung der Bedürfnisses nach letzter Klärung des Vorliegens anspruchsbegründender Merkmale vor Geltendmachung des Anspruchs“ ab, ob und wann ein Betroffener einen Antrag stelle. Diese Argumentation hat der Senat in seinem Beschluss vom 11. Juni 2020 – 1 L 67/20 -, den das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18. März 2022 – 2 BvR 1232/20 – (juris) aufgehoben hat, als überzeugend angesehen; auch wenn im Rahmen der Überprüfung des Effektivitätsgrundsatzes der vom Kläger in den Mittelpunkt seines Zulassungsvorbringens gestellte Gesichtspunkt des hohen Anteils der als verspätet zurückgewiesenen Widersprüche mit zu berücksichtigen sei, gebe deshalb die rechnerische Quote der an der Ausschlussfrist gescheiterten Besoldungsempfänger keinen Aufschluss darüber, ob diese Frist die Geltendmachung der Rechte übermäßig erschwert habe, hierfür seien auch nach dem im Laufe des Zulassungsverfahrens ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Februar 2020 – C-773/18 u. a. – (juris Rn. 88 ff.) andere, vom Kläger jedenfalls nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegte Gesichtspunkte maßgebend.
2. Darin erblickt das Bundesverfassungsgericht eine unzumutbare Überspannung der Darlegungsanforderungen im Berufungszulassungsverfahren (§ 124a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Satz 4 VwGO). Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, allein der Verweis des Klägers auf den Anteil von ca. 65 % (tatsächlich rund 61 %) der wegen Fristversäumnis abgelehnten Entschädigungsanträge im Land Sachsen-Anhalt genüge für eine schlüssige Infragestellung der erstinstanzlichen Annahme eines fehlenden Verstoßes gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2022, a. a. O. Rn. 25, 30, 33). Ob diesem Argument eine nur untergeordnete Bedeutung beizumessen sei, habe der beschließende Senat im Zulassungsverfahren nicht bewerten dürfen, um dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz nicht in unzulässiger Weise zu versperren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2022, a. a. O. Rn. 30). In diesem Zusammenhang führt das Bundesverfassungsgericht insbesondere aus, aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Februar 2020 folge, dass das Fachgericht bei entsprechenden Anhaltspunkten eine umfassende Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen habe, um festzustellen, ob der Fristbeginn gegen den Effektivitätsgrundsatz verstoße; eine solche Prüfung habe das Verwaltungsgericht hier jedoch nicht vorgenommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2022, a. a. O. Rn. 31). Auch wenn dem erstinstanzlichen Urteil damit nach Ansicht des Senats eine Begründung entgegenhalten wird, die sich in den im Zulassungsverfahren eingereichten Schriftsätzen des Klägers vom 5. September 2018 und 26. Mai 2020 nicht ansatzweise wiederfindet – dort wird auf die erstinstanzliche Argumentation vielmehr mit keinem Wort eingegangen -, wird aufgrund der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung nunmehr gemäß § 124a Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 21. Juni 2018 zugelassen.


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