Verwaltungsrecht

Anerkennung eines Zeitsoldaten als Kriegsdienstverweigerer

Aktenzeichen  M 4 K 14.2436

Datum:
18.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 4 Abs. 3 S. 1
KDVG KDVG § 5

 

Leitsatz

1. Bei einem Kriegsdienstverweigerer müssen für eine verbindliche Gewissensentscheidung konkrete Anhaltspunkte festgestellt werden (wie BVerwG BeckRS 9998, 161949). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Gewissensentscheidung ist jede ernste, sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne schwere seelische Not bzw. nicht ohne ernstliche Gewissensnot handeln kann (BVerfG BeckRS 9998, 116192). (redaktioneller Leitsatz)
3. Anders als bei Wehrpflichtigen, die vor oder bei Beginn des Wehrdienstes einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellen, ist bei Soldaten auf Zeit, die den Grundwehrdienst geleistet haben, ohne einen Konflikt mit dem Gewissen zu empfinden, für die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung der Nachweis einer „Umkehr“ der gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe zu fordern, wobei diese Umkehr nicht nur durch ein „Schlüsselerlebnis“ oder entsprechend schwerwiegende Umstände herbeigeführt werden kann, sondern auch das Ergebnis eines längeren Wandlungsprozesses sein kann (wie BVerwG BeckRS 9998, 27066). (redaktioneller Leitsatz)
4. Kann sich ein Gericht bei wohlwollender Beurteilung des Sachverhalts im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nicht dazu entschließen, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der erforderlichen Gewissensentscheidung abschließend zu bejahen, geht dies nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zu Lasten des seine Anerkennung begehrenden Kriegsdienstverweigerers. (redaktioneller Leitsatz)
5. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss einer Ausbildung und der Einreichung des Antrages auf Kriegsdienstverweigerung ist ein starkes Indiz gegen eine Gewissensentscheidung iSv Art. 4 Abs. 3 GG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist beim in der Rechtsbehelfsbelehrung:des Widerspruchsbescheides als zuständiges Gericht genannten Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben worden. Der Eingang beim Verwaltungs-gericht München erst am 5. Juni 2014 kann dem Kläger nicht angelastet werden.
Die Klage ist aber unbegründet.
1. Klagegegenstand ist die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat keinen Anspruch darauf, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden (§ 113 Abs. 5, 1 VwGO).
Nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz -GG- darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Wer aus Gewissensgründen unter Berufung auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung i.S. des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, wird gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen (Kriegsdienstverweigerungsgesetz – KDVG -) als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Nach § 5 KDVG ist eine Person auf ihren Antrag hin als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen, wenn der Antrag vollständig ist, die dargelegten Beweggründe geeignet sind, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen, und das tatsächliche Gesamtvorbringen und die dem Bundesamt bekannten sonstigen Tatsachen keine Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers begründen oder die Zweifel aufgrund einer Anhörung nach § 6 KDVG nicht mehr bestehen.
Für eine verbindliche Gewissensentscheidung müssen konkrete Anhaltspunkte festgestellt werden (BVerwG, B.v. 6.2.1978 – VI B 36.77 – BVerwGE 55, 217). Eine Gewissensentscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – NJW 1961, 355) jede ernste, sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne schwere seelische Not bzw. nicht ohne ernstliche Gewissensnot handeln kann. Wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 1. Februar 1989 (BVerwG, U.v. 1.2.1989 – 6 C 61/86 – BVerwGE 81, 239) klargestellt hat, ist Voraussetzung für die Annahme einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe i.S.v. Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG nicht das „Zerbrechen der Persönlichkeit“ oder der Eintritt eines „schweren seelischen Schadens“. Es genügt vielmehr eine schwere Gewissensnot des Wehrpflichtigen, die im Einzelfall zu einem seelischen Schaden führen kann, aber nicht muss. Anders als bei Wehrpflichtigen, die vor oder bei Beginn des Wehrdienstes einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellen, ist bei Soldaten auf Zeit, die den Grundwehrdienst geleistet haben, ohne einen Konflikt mit dem Gewissen zu empfinden, für die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung allerdings der Nachweis einer „Umkehr“ der gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe zu fordern. Die Umkehr kann nicht nur durch ein „Schlüsselerlebnis“ oder entsprechend schwerwiegende Umstände herbeigeführt werden, sondern kann auch das Ergebnis eines längeren Wandlungsprozesses sein (BVerwG, U.v. 2.3.1989 – 6 C 10/87 – BVerwGE 81, 294 ff.).
Das Vorliegen einer solchen Gewissensentscheidung lässt sich vielfach nicht in vollem Umfang beweisen. Es kann daher genügen, dass ein auf Grund aller in Betracht kommender Umstände ermittelter hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für eine solche Entscheidung spricht (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.1972 – VIII C 46.72 – BVerwGE 41, 53; BVerwG, B.v. 26.6.2014 – 6 B 17/14 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11, juris Rn. 7). Kann sich das Gericht jedoch bei wohlwollender Beurteilung des Sachverhalts im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nicht dazu entschließen, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der erforderlichen Gewissensentscheidung abschließend zu bejahen, geht dies nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zu Lasten des seine Anerkennung begehrenden Kriegsdienstverweigerers. Der Maßstab des dergestalt umschriebenen hohen Grades von Wahrscheinlichkeit einer Gewissensentscheidung stimmt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit demjenigen der Überzeugung, dass eine solche Entscheidung hinreichend sicher angenommen werden kann, überein. Ist dieser letztgenannte Maßstab nicht erfüllt, bestehen wiederum Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers im Sinne des § 5 Nr. 3 KDVG (BVerwG, B.v. 26.6.2014 – 6 B 17/14 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11, juris Rn. 6f.)
2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu Recht abgelehnt. Nach Würdigung aller in Betracht kommender Umstände, insbesondere aufgrund des Eindrucks, den das Gericht bei der Befragung des Klägers im Rahmen seiner Einvernahme als Partei gewonnen hat, hält es das Gericht nicht für wahrscheinlich, dass beim Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt die behauptete verbindliche Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe vorgelegen hat. Er hat eine innere Umkehr nicht glaubhaft gemacht (vgl. zum Prüfungsmaßstab BVerwG, B.v. 26.6.2014 – 6 B 17/14 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11). Die von ihm dargelegten Beweggründe für seinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer konnten die von der Beklagten angeführten Zweifel an einem inneren Wandlungsprozess im Sinne der Rechtsprechung nicht ausräumen. Die Angaben des Klägers zu seinem längeren inneren Wandlungsprozess sind auch bei wohlwollender Betrachtung nicht überzeugend. Der Kläger hat in der Gesamtschau seiner Äußerungen die Zweifel an der Darlegung seiner Angaben, dass ihm, der Kriegsdienst an der Waffe aufgrund eines inneren Umkehrprozesses nicht mehr möglich sei, nicht mit dem notwendigen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgeräumt.
a) Gegen die Annahme, der Entschluss des Klägers zur Kriegsdienstverweigerung sei von Gewissensnöten diktiert, spricht bereits der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss seiner Ausbildung und der Einreichung des Antrages auf Kriegsdienstverweigerung. Ausweislich der am … September 2013 ausgestellten Master-Urkunde der Universität der Bundeswehr … endeten die Prüfungen zum Master of Engineering (M. Eng.) am … August 2013. Bereits 4 Tage später, am … September 2013 unterschrieb der Kläger die Begründung für seinen KDV-Antrag und beauftragte einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Rechte. Dies lässt vermuten, dass es dem Kläger vor Abschluss der Prüfungen nicht so sehr um seine Gewissensnöte als vielmehr um den erfolgreichen Abschluss einer wirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch sehr interessanten Ausbildung gegangen ist. Die Annahme liegt nahe, dass der Kläger mit dem Stellen des KDV-Antrages so lange zuwartete, bis er davon ausgehen konnte, nach dem Ablegen der letzten Prüfungen seinen Master-Studiengang erfolgreich abgeschlossen zu haben.
Dieses starke Indiz gegen eine Gewissensentscheidung im Sinn von Art. 4 Abs. 3 GG konnte der Kläger mit seinen umfangreichen Ausführungen im KDV-Antrag, im behördlichen Verfahren und auch bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht München nicht widerlegen, sondern bestärkte das Gericht vielmehr in der Überzeugung, der KDV-Antrag sei jedenfalls nicht aus Gewissensnot gestellt worden.
b) So ist schon unklar, was für den Kläger die Motivation gewesen ist, das zweite Übungsschießen 2013 abzulehnen sowie bereits im Jahr 2012 nur noch an den nötigsten militärischen Ausbildungen teilzunehmen. In seiner ergänzenden Stellungnahme zum KDV-Antrag vom … November 2013 (S. 2) gibt er als weiteren Grund für seine späte Antragstellung an, dass er sich erst spät wieder mit dem militärischen Alltag beschäftigt habe, da er nur ein mittelmäßiger Student gewesen sei und somit viel Zeit zum Lernen habe aufbringen müssen. Dadurch, dass er sehr durch das Studium gefordert gewesen sei, habe er nur die nötigsten Leistungen im militärischen Bereich erbringen können und auch nur sehr selten Berührungspunkte mit dem Truppenalltag gehabt.
Dem widerspricht die Einlassung auf S. 2 der Widerspruchsbegründung. Hier gibt er – bezogen auf das letzte Schulschießen im Februar 2013 – an, daran habe er – befohlen – teilgenommen und sei noch der Überzeugung gewesen, seine Bedenken würden sich irgendwann von alleine legen. Für ein zweites Schulschießen (Ende April/ Anfang Mai 2013) habe er die Teilnahme schon abgelehnt. Außerdem habe er schon im Jahr 2012 nur noch an den nötigsten, weil befohlenen, militärischen Ausbildungen teilgenommen.
Zieht man die Stellungnahme der Universität der Bundeswehr … vom … September 2013 heran, wonach der Kläger in der Gesamtschau seines Jahrganges eher zum hinteren Mittelfeld gehört habe und durch persönlichen Ehrgeiz, Fleiß sowie seine hohe Selbstdisziplin – verbunden mit einem enormen Lernaufwand – die während seines Studiums sehr hohe persönliche Belastung kompensieren und letztlich das Studium erfolgreich habe beenden können und aufgrund dieser Umstände während seines Studiums nur vereinzelt zusätzliches Engagement habe zeigen können, erscheint die Einlassung in der Widerspruchsbegründung, er habe sich aus Gewissensgründen nach Möglichkeit von dem Truppendienst ferngehalten, als zusätzliche, nicht glaubhafte Steigerung. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2016 konnte der Kläger nicht glaubhaft vermitteln, dass er wirklich aus Gewissensgründen auf Schießübungen verzichtet hatte. Nach seinen Einlassungen musste er die Nichtteilnahme auch nicht weiter begründen.
c) Ebenso erfährt die Schilderung seines allgemeinen Gesundheitszustandes im Laufe des Verwaltungsverfahrens teils drastische Steigerungen. Während der Kläger in der ursprünglichen Begründung seines KDV-Antrages lediglich beschreibt, wie seiner Lebensgefährtin eine zunehmende Nervosität und Aggressivität aufgefallen sei und wie er manchmal wegen der Überlegungen nachts aufwache, weil er Alpträume habe und dann lange nicht einschlafen könne, gibt er in seiner Widerspruchsbegründung an, er habe in letzter Zeit starke Schlafstörungen gehabt, schlafe nur sehr schwer ein, wache jede Nacht mindestens einmal auf, sei total nassgeschwitzt und habe Alpträume. Wenn er daran denke, seine Waffe auf einen Menschen zu richten, fange er an zu zittern, bekomme Bauchschmerzen und müsse schwer schlucken. Die Schilderungen seiner Symptomatik gipfeln in der Aussage auf S. 3 der Widerspruchsbegründung: All diese Gedanken beschäftigten ihn von oben bis unten, von rechts nach links, morgens und abends. Er wisse nicht mehr wohin mit seinen Gedanken. Abgesehen von der deutlichen Steigerung seines Vorbringens im Laufe des Verwaltungsverfahrens wirken diese Schilderungen überzogen und aufgesetzt. Der Kläger war auch in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, diesen Eindruck auszuräumen. Es ist kaum vorstellbar, wie der Kläger bei der in der Widerspruchsbegründung geschilderten Symptomatik sein anspruchsvolles Studium – wie oben geschildert – erfolgreich zu einem Abschluss hätte bringen können. Nach eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung hat er sich auch zu keinem Zeitpunkt um professionelle Hilfe bemüht.
d) Auch die Antwort des Klägers auf die Nachfrage des Gerichts, ob er sich keine Gedanken darüber gemacht habe, dass man sich durch Unterlassung schuldig machen könne – etwa wenn es um die Befreiung von Konzentrationslagern ginge – vermochte das Gericht nicht von der Ernsthaftigkeit einer Gewissensentscheidung des Klägers zu überzeugen. Die ausweichende und am Kern der Frage vorbeigehende Antwort des Klägers, dies sei eine schwierige Frage, er habe noch keine endgültige Antwort gefunden, er denke aber, dass der, der Waffen besitze, etwas falsch mache, zeigt in aller Deutlichkeit, dass von einem schleichenden Lernprozess und einer fundiert gereiften Gewissensentscheidung beim Kläger keine Rede sein kann. Dies zeigt auch seine in sich widersprüchliche Äußerung in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, ob es sinnvoll sei, Konzentrationslager mit Waffengewalt zu befreien, er habe sich Gedanken gemacht; wenn er gewaltfrei leben würde, würden solche Kriege und Weltkriege nicht stattfinden. Diese Aussage ist weder in sich stimmig, noch zeugt sie von einem ausgereiften Erkenntnisprozess. Gerade der Besuch des Konzentrationslagers Dachau sowie die Schilderungen seiner Großmutter über die Behandlung von Kriegsgefangenen hätten den Kläger zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema „schuldig werden durch Unterlassen“ bewegen müssen. Legt man seine Aussage zugrunde, dass sein Erkenntnisprozess bereits durch die Ansprache durch einen Freund im Jahr 2011 angestoßen worden sei, muss man feststellen, dass sich der Kläger über diesen Aspekt menschlicher Verstrickung in Schuld anscheinend noch überhaupt keine Gedanken gemacht hat. Der Eindruck, dass der KDV-Antrag des Klägers nicht durch eine fundierte Gewissensentscheidung motiviert wurde, wird auch nicht durch die Schilderung der in seinem Freundeskreis vorgefallenen Familientragödie, welche ein paar Monate nach der Stellung des KDV-Antrages zugetragen hat, widerlegt. Ein Freund von ihm habe ein Einfamilienhaus zur Explosion gebracht, wobei seine Kinder getötet worden seien; er selbst habe schwerverletzt überlebt. Die Aussage des Klägers, er habe das als Argument angesehen, dass Gewalt keine Lösung sei, überzeugt das Gericht nicht. Selbst auf Nachfrage, ob der Kläger in einer Situation wie der geschilderten von einer Waffe Gebrauch machen würde, wenn er sehe, dass der Freund das Haus zur Explosion bringen wolle, erklärte der Kläger, er könne dafür keine Lösung nennen. Er wisse nicht, wie er reagieren würde. Auch dies zeigt eindrücklich, dass sich der Kläger des Themas „Schuld und Verstrickung durch Untätigbleiben“ in keinster Weise gewidmet hat. Ein tiefgreifender Wandlungsprozess, der zu einer ausgereiften Gewissensentscheidung geführt hat, ist nicht im Ansatz zu erkennen.
e) Auch die Einlassungen des Klägers zum Thema „Kundus“ haben das Gericht in der Überzeugung bestärkt, wonach der Kläger seinen KDV-Antrag nicht aus tiefer Gewissensnot heraus gestellt hat. Denn gerade die Ereignisse am 4. September 2009 im Norden Afghanistans, als eine Bundeswehreinheit unter Oberst … … einen von Taliban entführten Tanklastwagen bombardiert hat, durch den wahrscheinlich (die Opferzahlen variieren je nach Quelle) um die 100 Menschen, darunter auch Kinder, getötet oder verletzt wurden, was die bisher mit Abstand größte Zahl von Opfern bei einem Einsatz sowohl in der Geschichte der Bundeswehr als durch die Kräfte der ISAF (International Security Assistance Force) hat, hätten dem Kläger wie kaum ein anderer Vorfall Gelegenheit geboten, sich mit dem Dienst an der Waffe und dem damit verbundenen Implikationen von Schuld vertieft auseinanderzusetzen. Dies umso mehr, als der Luftangriff in Kundus nicht nur im Bundestag ausführlich aufgearbeitet wurde, sondern sich die juristische, straf- und staatshaftungsrechtliche Aufarbeitung sogar bis zum 6. Oktober 2016 (Entscheidung des BGH – III ZR 140/15) und damit sogar noch bis wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erstreckt hat. Der Luftangriff auf Kundus scheint aber bei den Überlegungen des Klägers keinerlei Rolle gespielt zu haben, was gegen eine vertiefte Gewissensprüfung spricht.
f) In der Gesamtschau konnte der Kläger die Zweifel an der Wahrheit seiner Angaben nicht ausräumen. Er hat eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG, § 1 KDVG nicht mit dem notwendigen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit glaubhaft dargelegt.
Das Gericht konnte bei dem Kläger keinen Wandlungsprozess feststellen, der zu einer Umkehr seiner gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst geführt hat. Eine ernste, sittliche, die ganze Persönlichkeit des Klägers ergreifende unbedingte Entscheidung gegen das Töten im Krieg hat der Kläger nach Auffassung der Kammer nicht getroffen.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen (§ 135 VwGO i.V.m. § 10 Abs. 2 KDVG).


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