Verwaltungsrecht

Anerkennung weiterer Dienstunfallfolgen – keine Wiedereinsetzung in Berufungsbegründungsfrist

Aktenzeichen  3 ZB 19.2432

Datum:
29.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14676
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, § 173 S. 1
ZPO § 85 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Auch wenn ein Rechtsanwalt die Notierung, Berechnung und Überwachung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen in zulässiger Weise seinem Büropersonal überlässt, so hat er in jedem Fall den Ablauf von Fristen für die Rechtsmittelbegründung dann eigenverantwortlich zu überprüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Von dieser Verpflichtung können ihn auch Anweisungen an das Büropersonal bezüglich der Fristwahrung nicht befreien. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unterlässt der Rechtsanwalt eine solche eigenverantwortliche Prüfung, so kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 18.736 2019-10-15 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
IV. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Oktober 2019 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 36.418,60 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Anerkennung weiterer Dienstunfallfolgen und Gewährung eines Unfallruhegehalt nach Art. 53 BayBeamtVG weiter verfolgt, ist unzulässig, weil er nicht fristgerecht begründet worden ist (1.) und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist nicht vorliegen, so dass der Wiedereinsetzungsantrag abzulehnen war (2.).
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht fristgerecht begründet worden. Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO ist die Begründung, soweit sie wie hier nicht mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründung des Zulassungsantrags ist jedoch nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2019 beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht worden.
Nach dem vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterzeichneten Empfangsbekenntnis ist das Urteil am 4. November 2019 zugestellt worden. Nach § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB endete die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO daher mit dem Ablauf des 7. Januar 2020, dem nächsten Werktag nach Montag, dem 6. Januar 2020, einem gesetzlichen Feiertag in Bayern. Die Begründung des (fristgerecht eingelegten) Zulassungsantrags ist beim Verwaltungsgerichtshof aber erst am 16. Januar 2020 und damit nach Ablauf der nicht verlängerbaren, bis 7. Januar 2020 laufenden Zweimonatsfrist eingegangen.
2. Der Klägerin ist auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Vielmehr ist der entsprechende Antrag abzulehnen, weil die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht erfüllt sind.
War jemand ohne sein Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Klägerin war jedoch nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzuhalten. Denn die Versäumung dieser Frist beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Klägerin gleichsteht (etwa BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 6; vgl. zur Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG: BVerfG, B.v. 20.4.1982 – 2 BvL 26/81 – juris Rn. 48 ff.).
Zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand legt der Bevollmächtigte eine schriftliche „Anweisung und Belehrung über die Behandlung von Fristsachen in unserer Kanzlei“ vor, über deren Inhalt die verantwortlichen Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen belehrt würden. Danach notiere die zuständige Sekretärin u.a. Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich im Fristenkalender, dann entsprechend im Handaktenblatt und vermerke diese Notierung mit Handzeichen auf dem maßgeblichen Schriftstück. Im vorliegenden Fall habe die ansonsten tadellos arbeitende Kanzleiangestellte versehentlich nur die Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung notiert, nicht aber die Frist für die Begründung des Zulassungsantrags. Diese Aussage bestätigt sie durch eidesstattliche Versicherung vom 15. Januar 2020. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sei bei Aktenvorlage Anfang Dezember 2019 im Zusammenhang mit der Stellung eines Zulassungsantrags davon ausgegangen, dass – wie sonst auch – die Begründungsfrist ebenfalls notiert worden sei; dabei sei ihm nicht aufgefallen, dass entgegen seiner Annahme die Frist weder im Fristenbuch noch im Handaktenblatt vermerkt gewesen sei. Zu berücksichtigen sei, dass sich das „Handaktenblatt nicht wie bei den üblichen Aktenheftungen an bekannter Stelle“ befunden habe.
Vor dem Hintergrund dieses Vorbringens ist ein (Mit-)Verschulden des Bevollmächtigten an der Versäumung der Zweimonatsfrist festzustellen, das dem Versäumnis der angestellten Sekretärin, die die Begründungsfrist im Fristenkalender einzutragen versäumt hat, mindestens gleichgewichtig gegenübersteht.
2.1 Zwar kann dem Klägerbevollmächtigten nicht vorgeworfen werden, dass er nicht schon am 4. November 2019, als er das Empfangsbekenntnis über den Erhalt des Urteils vom 15. Oktober 2019 (Bl. 259 d. VG-Akte) unterzeichnet hat, zugleich mit seiner Rückübersendung an das Verwaltungsgericht die Begründungsfrist in den Handakten festgehalten und vermerkt hat, dass die Frist auch im Fristenkalender notiert worden ist. Denn er hat durch die Vorlage der entsprechenden Arbeitsanweisung zur Behandlung von Fristsachen vom 18. Mai 1994 / 4. Juli 1997 (vgl. dort 2.) und die damit in Zusammenhang stehende eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemacht, eine geeignete organisatorische Maßnahme getroffen zu haben, dass derartige Fristen korrekt eingetragen werden (vgl. etwa BVerwG, B.v. 21.2.2008 – 2 B 6.08 – juris Rn. 8, 9; B.v. 3.12.2002 – 1 B 429.02 – juris Rn. 8; B.v. 6.12.2000 – 2 B 57.00 – juris). Zum Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Urteils konnte er sich darauf verlassen, dass die ansonsten beanstandungsfrei tätige Büroangestellte entsprechend der zitierten Büroanweisung nicht nur die Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung (4.12.2019) mit entsprechender Vorfrist – wie geschehen – notiert, sondern zugleich auch die am 7. Januar 2020 auslaufende Begründungsfrist, wie nicht geschehen. Die besondere Sorgfaltspflicht, die die eigenverantwortliche Überwachung der Wahrung von Fristen durch einen Rechtsanwalt erfordert, schließt es nicht aus, die Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal zu überlassen.
2.2 Aber auch wenn ein Rechtsanwalt die Notierung, Berechnung und Überwachung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen in zulässiger Weise seinem Büropersonal überlässt, so hat er in jedem Fall den Ablauf von Fristen für die Rechtsmittelbegründung dann eigenverantwortlich zu überprüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Von dieser Verpflichtung können ihn auch Anweisungen an das Büropersonal bezüglich der Fristwahrung nicht befreien (BVerwG, B.v. 7.3.1995 – 9 C 390.94 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 17.10.2007 – 21 ZB 07.1741 – juris Rn. 4 im Hinblick auf § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO; BGH, B.v. 11.2.1992 – VI ZB 2/92 – juris Rn. 6).
Diese Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Prüfung des Laufs der zweimonatigen Begründungsfrist bei Vorlage der Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung hat der Bevollmächtigte der Klägerin nicht ausreichend wahrgenommen. Ihm wurden nämlich die Akten der Klägerin – ausweislich des in Auszügen vorgelegten Fristenbuchs (Bl. 39 d. VGH-Akte) – bereits am 28. November 2019 zur Beantragung der Zulassung der Berufung vorgelegt. Bereits zu diesem Zeitpunkt – spätestens mit Fertigung des Schriftsatzes vom 3. Dezember 2019 – hätte er selbständig prüfen müssen, ob die Begründungsfrist korrekt (vor-)notiert ist. Bei Vornahme dieser Prüfung mit der gebotenen Sorgfalt hätte er spätestens am 3. Dezember 2019 erkannt, dass sich bis dahin offenbar noch niemand der Berechnung der Berufungsbegründungsfrist angenommen hatte und sie daher weder im Fristenkalender noch im Handaktenblatt notiert war. Infolge dieser schuldhaften Verletzung seiner Sorgfaltspflichten hat der Bevollmächtigte die Frist zur Begründung der Berufung versäumt, so dass dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entsprochen werden kann.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 39 Abs. 1, § 42 Abs. 1 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1, 2 GKG. Dabei war für den Streitwert nicht der zweifache Jahresbetrag der Differenz zwischen der erhaltenen Versorgung und dem erstrebten höheren Unfallruhegehalt zugrunde zu legen, sondern der dreifache Jahresbetrag (vgl. hierzu: Beschluss des Senats vom 11.4.2019 – 3 C 16.1639 – juris), hier demnach 36 x 733,85 Euro (vgl. Blatt 191 der VG-Akte) = 26.418,60 Euro. Hinzu kommt gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Betrag von 10.000 Euro, jeweils 5.000 Euro für die beiden auf Verpflichtung zur Anerkennung der Körperschäden als weitere Folgen zweier Dienstunfälle gerichteten Klageanträge. Daraus ergibt sich ein Gesamtstreitwert in der tenorierten Höhe von 36.418,60 Euro. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts war von Amts wegen nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG entsprechend zu ändern.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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