Verwaltungsrecht

Anfechtung eines Prüfungsbescheids im ersten juristischen Staatsexamen

Aktenzeichen  M 4 K 16.508

Datum:
25.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayJAPO § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Nach dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit müssen für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt wird (wie BVerfGE 84, 34 [52] = NJW 1991, 2005). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Prüfungsnoten dürfen nicht isoliert gesehen werden, sondern sind in einem Bezugssystem zu finden, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraumes sind etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (wie BVerwG BeckRS 2004, 22860). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
6. Das Gericht hat die zu Grunde liegenden Prüfungsbewertungen nur insoweit zu überprüfen, als vom Prüfling dagegen substantiierte Einwendungen vorgebracht werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Prüfungsbescheid des Landesjustizprüfungsamts vom 4. Januar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Bewertungen der von dem Kläger angefertigten Bearbeitungen (Klausuren) der Aufgaben 3, 5 und 6 sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Neubewertung dieser Klausuren und Neuverbescheidung (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
I.
Prüfungsentscheidungen sind nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar.
Nach dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit müssen für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten. Mit diesem Grundsatz wäre es unvereinbar, wenn einzelne Kandidaten, indem sie einen Verwaltungsgerichtsprozess anstrengen, die Chance einer vom Vergleichsrahmen unabhängigen Bewertung erhielten. Die gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entschei-dungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt wird (BVerfG B. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 [52]).
Dieser prüfungsspezifische Bewertungsspielraum erstreckt sich auch auf die Notenvergabe bei Prüfungen wie der streitgegenständlichen: Die Prüfer müssen bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Examenspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben und allgemein anwenden. Auch die Bestehensgrenze lässt sich nicht starr und ohne den Blick auf durchschnittliche Ergebnisse bestimmen. Daraus folgt, dass die Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Da sich die komplexen Erwägungen, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, nicht regelhaft erfassen lassen, würde eine gerichtliche Kontrolle zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen (BVerfG B. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 [51 f.]).
Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraumes sind etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (BVerwG U.v. 12.11.1997 – 6 C 11.96 – juris Rn. 22; B.v. 13.5.2004 – 6 B 25/04 – juris; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 635). Ebenso handelt es sich um eine den Prüfern vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf eine entsprechend determinierte Notenstufe bzw. zugeordnete Punktzahl eine Prüfungsleistung als „brauchbar“ zu bewerten ist (BVerwG v. 12.11.1997, a.a.O.). In diesen Bereich des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraumes dürfen die Gerichte grundsätzlich nicht eindringen, sondern haben nur zu überprüfen, ob die Prüfer die objektiven, auch rechtlich beachtlichen Grenzen ihres Bewertungsspielraumes überschritten haben (vgl. BVerwG v. 13.5.2004 – 6 B 25/04 – juris; BVerfG B. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 ff.).
Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar ist, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden. Überschritten wird der Beurteilungsspielraum ferner, wenn eine Bewertung auf einer wissenschaftlich-fachlichen Annahme des Prüfers beruht, die einem Fachkundigen als unhaltbar erscheinen muss (BVerfG B. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 [53 ff.]; BVerwG B. v. 13.5.2004 – 6 B 25/04 – juris). Die wissenschaftlich-fachlichen Wertungen können vom Gericht stärker, wenn auch nicht vollständig, überprüft werden. Eine fachliche Antwort lässt sich bei entsprechendem Fachwissen als „richtig“, „falsch“ oder bei bestehenden Unklarheiten zumindest als „vertretbar“ bezeichnen. Ob eine als „falsch“ bewertete Lösung diese Voraussetzungen erfüllt, muss das Gericht gegebenenfalls durch Sachverständige klären. Bei der Beurteilung juristischer Fachfragen, insbesondere bei juristischen Staatsprüfungen, ist allerdings in aller Regel von der erforderlichen Qualifikation und Fachkompetenz der Verwaltungsgerichte auszugehen (BVerwG U. v. 24.2. 1993 – 6 C 38/92 – juris; BVerwG B. v. 21.7.1998 – 6 B 44/98 – juris).
Das Gericht hat die zu Grunde liegenden Prüfungsbewertungen nur insoweit zu überprüfen, als vom Prüfling dagegen substantiierte Einwendungen vorgebracht werden. Der Prüfling muss also auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler wirkungsvoll hinweisen (BVerfG B. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34, 48). Dazu genügt es nicht, dass er sich generell gegen eine bestimmte Bewertung seiner Prüfungsleistungen wendet und etwa pauschal eine zu strenge Korrektur bemängelt. Vielmehr muss er konkret darlegen, in welchen Punkten die Korrektur bestimmter Prüfungsleistungen nach seiner Auffassung Bewertungsfehler aufweist, indem er substantiierte Einwände gegen Prüferbemerkungen und -bewertungen erhebt. Macht er geltend, dass etwa eine als falsch bewertete Antwort in Wahrheit vertretbar sei und auch so vertreten werde, so hat er dies unter Hinweis auf entsprechende Fundstellen näher darzulegen (BVerwG U. v. 24.2.1993 – 6 C 35/92 – juris).
Ist die vom Prüfling gerügte Bewertung einer Prüfungsaufgabe fehlerhaft und hat dieser Fehler Einfluss auf das Prüfungsergebnis, so führt dies zur Aufhebung des Bescheides über die Prüfungsendnote und zur Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen (BVerwG U. v. 16.3.1994 – 6 C 5/93 – juris). Können allerdings Auswirkungen dieser materiellen Prüfungsfehler auf das Ergebnis der Prüfungsentscheidung ausgeschlossen werden, so folgt – wie bei unwesentlichen Verfahrensfehlern – aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, dass ein Anspruch auf Neubewertung nicht besteht, weil sich die Prüfungsentscheidung im Ergebnis als zutreffend und damit als rechtmäßig darstellt (BVerwG B. v. 13.3.1998 – 6 B 28/98 – juris).
II.
Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die gegen die Klausurbewertungen erhobenen Einwendungen nicht durchgreifen.
1. Die zivilrechtliche Klausur 3 wurde vom Erstkorrektor mit 5 Punkten (ausreichend) und vom Zweitkorrektor mit 6 Punkten (ausreichend) bewertet.
Der Kläger rügt, dass sich auf dem Begründungsblatt auf S. 1 neben dem Prüfungspunkt „2. Statthaftigkeit (Leistungsklage)“ kein Haken befinde. Auch in seiner Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren moniere der Erstkorrektor weiterhin die fehlende Charakterisierung des Klageantrags als Leistungsantrag in Abgrenzung zum Feststellungsantrag. In zivilprozessualen und arbeitsrechtlichen Klausuren sei es jedoch absolut unüblich, den Prüfungspunkt „Statthafte Klageart“ unter einer eigenen Überschrift zu diskutieren. Zudem mache der Kläger Ausführungen auf S. 5 seiner Bearbeitung unter der Überschrift „2. Hinreichend bestimmte Klage“.
Mit dieser Rüge dringt der Kläger nicht durch. Laut Bearbeitervermerk sollten die Prüflinge in einem Gutachten, das auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, prüfen, ob die Klage der Nina Neumann Aussicht auf Erfolg hat. Die Frage der statthaften Klageart war im Sachverhalt der Klausur 3 klar angelegt:
„Die A-GmbH rüge nicht nur die Unzuständigkeit des Arbeitsgerichts München, sondern frage sich auch, was für eine Art von Klage mit welchem Rechtsschutzziel … … überhaupt erhebe.“
Insofern ist es nicht zu beanstanden, wenn der Erstkorrektor Ausführungen zur statthaften Klageart erwartete. Etwaige Ausführungen im Rahmen des Prüfungspunktes der „hinreichend bestimmten Klage“ können die vorherige Festlegung der statthaften Klageart auch nicht ersetzen, da die Frage, wann eine Klage hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 1 Zivilprozessordnung -ZPO- ist, von der Beantwortung der Vorfrage abhängt, was die statthafte Klageart und damit der Gegenstand der Klage ist. Zudem gibt der Kläger auch bei den Ausführungen auf S. 5 seiner Bearbeitung lediglich den Klausursachverhalt wieder und ordnet das Rechtsschutzbegehren der Klausurklägerin nicht rechtlich (als Leistungsklage) ein; es fehlt die Subsumtion.
2. Die öffentlich-rechtliche Klausur 5 wurde vom Erstkorrektor mit 4 Punkten (ausreichend) und vom Zweitkorrektor mit 5 Punkten (ausreichend) bewertet.
Auch mit seiner Einwendung, dass die Korrekturbemerkung der Erstkorrektorin „abwegig! Gg. Wortlaut des Gesetzes“ hinsichtlich der Prüfung des Klägers, ob die Drei-Tages-Fiktion im Rahmen des Art. 3 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes -VwZVG- Anwendung findet, bleibt der Kläger erfolglos.
Laut Bearbeitervermerk war „von der ordnungsgemäßen Zustellung des Bescheides am 21. Juli 2015 […] auszugehen“. Schon deshalb war es verfehlt, eine Verlagerung des Zustellungszeitpunktes zu prüfen. Jedenfalls enthält Art. 3 VwZVG auch keine dem Art. 4 Abs. 2 Satz 2 VwZVG entsprechende Regelung; die Prüfung einer Analogie ist (mangels Regelungslücke) auch nach Auffassung des Gerichts fernliegend und damit abwegig.
3. Die öffentlich-rechtliche Klausur 6 wurde vom Erstkorrektor mit 3 Punkten (mangelhaft) und vom Zweitkorrektor mit 5 Punkten (ausreichend) bewertet.
a) Der Kläger wendet gegen die Erstkorrektur ein, dass er die Teilanfechtungsklage gegen den Abgabenbescheid sehr wohl erkannt habe. Er erwähne den Begriff der Teilanfechtungsklage zwar nicht, gebe auf S. 1 seiner Bearbeitung aber deutlich zu verstehen, dass er durch eine Anfechtungsklage das (klausur-)klägerische Ziel realisieren wolle, von 360 Euro Gebühr nur 300 Euro zu zahlen. Seinen Ausführungen sei zumindest zu entnehmen, dass seine Klage nicht auf eine Vollaufhebung gerichtet sei.
Das Gericht folgt den Ausführungen des Erstkorrektors und der Beklagten, wonach der Kläger die Möglichkeit der Teilanfechtungsklage in seiner Klausurbearbeitung nicht erkannt hat. Wie schon der Bevollmächtigte des Klägers selbst ausführt, nennt der Kläger den Begriff der Teilanfechtungsklage nicht. Den Ausführungen des Klägers kann auch darüber hinaus nicht entnommen werden, dass er die Teilanfechtung erkannt hat. Zwar gibt der Kläger das Rechtsschutzbegehren der Klausurklägerin wieder, ordnet dieses jedoch erkennbar nicht als Teilanfechtung ein. So führt er in seiner Klausurbearbeitung aus (S. 1 und 7):
„Da es B darum geht, der Bescheid möge aufgehoben werden und sie statt 360 Euro nur 300 Euro bezahlen müsse, geht es ihr in erster Linie um die Aufhebung des Bescheids. […] Die Klage des B ist begründet, sofern sie sich gegen den richtigen Beklagten richtet, der VA rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 I 1 VwGO.“
Der Kläger macht gerade nicht deutlich, dass er den Verwaltungsakt nur teilweise anfechten möchte, er begehrt die Aufhebung des Verwaltungsaktes nicht nur soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Auch zitiert der Kläger § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- und nennt nicht die Spezialvorschrift des § 113 Abs. 2 VwGO. Die Einschätzung des Erstkorrektors, dass der Kläger die Situation der Teilanfechtung nicht erkannt habe, ist daher nicht zu beanstanden.
b) Mit einer weiteren Rüge wendet sich der Kläger gegen ein Fehlzeichen auf Seite 1 des Begründungsblattes neben dem Prüfungspunkt „Schreiben des B an das Landratsamt (LRA) als WS auszulegen (§§ 133, 157 BGB analog)“. Das Fehlzeichen sei nicht gerechtfertigt, da der Kläger auf Seite 4 Ausführungen zur Auslegung tätige:
„Zugunsten juristischer Laien wie B darf angenommen werden, dass ihr Brief, beim Landratsamt eingegangen am 22. Juni 2015, als Widerspruch iSd § 68 VwGO ausgelegt werden durfte.“
Auch diese Einwendung bleibt ohne Erfolg. Das Fehlzeichen ist nicht zu beanstanden, da der Kläger mit seinen Ausführungen zum Widerspruch keine juristische Leistung erbracht hat. Schon seine Formulierung „ausgelegt werden durfte“ geht an der Aufgabenstellung vorbei, da es in einem Gutachten Aufgabe des Bearbeiters ist, festzustellen, ob das Schreiben als Widerspruch auszulegen war oder nicht. Zwar hat der Kläger das Ergebnis einer Auslegung formuliert, die Begründung/Auslegung unter Nennung des Maßstabes (objektiver Empfängerhorizont) und Nennung der maßgeblichen Normen (§§ 133, 157 BGB) fehlt jedoch gänzlich.
c) Weiterhin wendet sich der Kläger gegen die Anmerkung „lange Ausführungen zur Zuständigkeit des Landratsamtes“ auf Seite 1 des Begründungsblattes. Die Aussage des Erstkorrektors im Nachprüfungsverfahren, dass seine Anmerkung nicht als Kritik zu sehen sei, sei nicht nachvollziehbar. Alle Anmerkungen des Erstkorrektors seien als Kritik zu verstehen.
Das Gericht folgt der Argumentation des Klägers nicht. Zum einen sind nicht alle Anmerkungen des Erstkorrektors kritisch, beispielsweise findet sich auf S. 2 des Begründungsblattes auch ein Lob für die gute Abgrenzung der Gebührensatzung. Zum anderen wäre die Korrekturanmerkung auch dann nicht zu beanstanden, wenn sie tatsächlich kritisch gemeint wäre. Die Ausführungen des Klägers zur Zuständigkeit des Landratsamtes sind tatsächlich lang und umständlich; sie leiden unter anderem an einem nicht überzeugenden Aufbau sowie unpräzisen, „unjuristischen“ Formulierungen (bspw.: „Fraglich ist jedoch, ob B den Widerspruch bei der richtigen Behörde eingelegt hat. Dies wäre vorliegend G, § 70 I 1 VwGO, als Behörde, die den VA erlassen hat. Die Beschwerde wurde allerdings an das örtlich zuständige Landratsamt adressiert. Dies ist aber insbesondere deshalb unbeachtlich, da das Landratsamt den Widerspruch an die G als richtigen Adressaten weiterleitete. Für den Widerspruchsbescheid, so wie er von besagten Landratsamt erfolgte könnte aber eben auch dieses zuständig gewesen sein.“). Die maßgebliche Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 2 VwGO wurde nicht geprüft.
d) Auch durfte der Erstkorrektor die Einstufung der Musikschule als öffentliche Einrichtung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz -KAG- i.V.m. Art. 21 Gemeindeordnung -GO- als fehlend kritisieren.
Der Kläger erwähnt auf S. 10 seiner Bearbeitung bei der Prüfung von Art. 8 Abs. 1 KAG den Begriff der öffentlichen Gemeindeeinrichtung, definiert und subsumiert ihn jedoch nicht. Es fehlt daher an dieser Stelle der Arbeit die rechtliche Auseinandersetzung damit, ob die Musikschule eine öffentlich-rechtliche Einrichtung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 KAG darstellt. Schon vor diesem Hintergrund ist das Fehlzeichen nicht zu beanstanden.
Auch ist es nicht zu beanstanden, dass der Erstkorrektor die Nennung von Art. 21 GO im Zusammenhang mit Art. 8 Abs. 1 KAG im Rahmen seines prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums erwartet, da der Begriff der öffentlichen Einrichtung nicht im KAG definiert ist und an den der Gemeinde- bzw. Landkreisordnungen anknüpft (vgl. Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 1. Auflage 2016, D. Gebühren, Rn. 83). Zwar erwähnt der Kläger den Begriff der öffentlichen Einrichtung auch auf S. 6 seiner Klausurbearbeitung und nennt mit Art. 57 GO eine neben Art. 21 GO ebenfalls relevante Norm der Gemeindeordnung. Jedoch geschieht dies in völlig anderem Kontext bei der Zulässigkeitsprüfung (Frage der zuständigen Widerspruchsbehörde) und gerade nicht hinsichtlich Art. 8 Abs. 1 KAG. Auch verweist der Kläger später nicht auf diese Ausführungen. Daher war die Korrektur des Erstbewerters auch insoweit nicht zu beanstanden.
e) Mit einer weiteren Rüge beanstandet der Kläger, dass der Erstkorrektor seiner erweiterten Begründungspflicht als faktischer Zweitbewerter nicht nachgekommen sei und verweist unter anderem auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Ansbach (VG Ansbach, U.v. 23.3.2000 – AN 2 K 99.82 – juris).
Diese Rechtsprechung ist vorliegend schon offensichtlich nicht anwendbar. Selbst wenn man den Erstkorrektor im Nachprüfungsverfahren als faktischen Zweitgutachter sähe, entschiede das Votum des Erstkorrektors nicht über die Bewertung der Klausur als mangelhaft. Die Klausur wurde insgesamt mit 4 Punkten bewertet. Auch der Argumentation des Klägers, dass insoweit nicht an die konkrete Klausur, sondern an das gesamte Examen anzuknüpfen sei, da die Bewertung auch über das Bestehen insgesamt entscheide, wird nicht gefolgt. Dies konnte der Erstkorrektor gar nicht wissen. Die Offenlegung der anderen Prüfungsergebnisse/der Prüfungsgesamtnote in diesen Fällen verstieße gegen das Gebot der Chancengleichheit.
Darüber hinaus ist es für das Gericht auch nicht ersichtlich, wieso die Stellungnahme des Erstkorrektors im Nachprüfungsverfahren etwaigen gesteigerten Begründungspflichten nicht genügen sollte.
f) Es liegt auch kein unzulässiger Austausch des Bewertungssystems durch den Erstkorrektor vor.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass ein Prüfer, dem ein Bewertungsfehler unterlaufen ist, bei der deshalb erforderlichen Neubewertung nicht seine Bewertungskriterien, nach denen er im Rahmen des ihm zustehenden Bewertungsspielraums die Prüfungsleistung bewertet hat, ändern darf. Er muss vielmehr seine Bewertung durch Korrektur der als rechtsfehlerhaft beanstandeten Einzelwertungen ergänzen und die neu vorzunehmenden Wertungen in die komplexen Erwägungen, auf denen das Bewertungsergebnis beruht, einpassen (BVerwG, U. v. 24.2.1993 – 6 C 38/92 – juris Rn. 23; U. v. 14.7.1999 – 6 C 20/98 – juris). Insofern wird sich auch im Rahmen einer Neubewertung der Umstand, dass ein zunächst angenommener und nach der ursprünglichen Einschätzung des Prüfers als schwerwiegend eingestufter Fehler sich bei der Neubewertung als nicht gegeben erweist, in aller Regel auf die abschließende Bewertung auswirken. Betrifft dagegen die ursprüngliche, im Rahmen der Neubewertung nicht aufrechterhaltene Kritik des Prüfers einen von ihm als geringfügig eingestuften Fehler, so unterliegt es seiner prüfungsspezifischen Wertung, ob sich der Wegfall dieses Fehlers auf die abschließende Bewertung auswirkt (BVerwG, B. v. 11.6.1996 – 6 B 88/95 – juris Rn. 8).
Vorliegend hat der Erstkorrektor im Nachprüfungsverfahren in einem Fall die Kritik des Erstprüfers als berechtigt erachtet (Punkt Nummer 1 der ergänzenden Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren) und dies in einem Punkt offen gelassen (Punkt Nummer 5 der ergänzenden Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren). In beiden Fällen erachtete der Erstkorrektor diese Punkte als für die Bewertung von untergeordneter Bedeutung und daher als nicht entscheidend und hielt an seiner ursprünglichen Bewertung fest. Weitere Mängel der Korrektur liegen auch nach Auffassung des Gerichts – wie oben jeweils ausgeführt – nicht vor.
Das Gericht zweifelt nicht daran, dass es sich bei den eingeräumten bzw. offen gelassenen Korrekturmängeln um Punkte von untergeordneter und damit geringfügiger Bedeutung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelte. Damit unterlag es der prüfungsspezifischen Wertung des Erstkorrektors, ob sich die Bewertung ändert. Insofern sind für das Gericht keine Korrekturmängel ersichtlich. Der Erstkorrektor hat in seinen Stellungnahmen hinreichend deutlich gemacht, dass für ihn der fast unbrauchbare europarechtliche Teil und der kaum brauchbare KAG-Teil für seine Bewertung ausschlaggebend waren. Die eingeräumten bzw. offengelassenen Korrekturmängel beziehen sich aber gerade nicht auf diese Bereiche. Das Gericht kann insoweit keine Abweichung vom Bewertungsmaßstab feststellen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung.
IV.
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.


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