Verwaltungsrecht

Anfechtungsklage gegen die Ablehnung eines Asylantrags bei einem Zweitantrag nach erfolglosem Abschluss eines Erstantragsverfahrens in einem sicheren Drittstaat

Aktenzeichen  M 28 K 17.36270

Datum:
5.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 a

 

Leitsatz

1. Nach aktueller Rspr. des BVerwG zu Zweitanträgen nach § 71a AsylG ist nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 6. August 2016 in der Hauptsache nunmehr eine Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig sowie eine hilfsweise Verpflichtungsklage auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG zu erheben (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 111567 ). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens iSd § 71a AsylG in einem sicheren Drittstaat muss festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Entscheidung abgeschlossen wurde. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung oder endgültigen Einstellung des Antrags in dem sicheren Drittstaat hat. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. März 2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil alle Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 29. November 2017, die Beklagte hat mit allgemeiner Prozesserklärung des Bundesamts auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Regierung von Oberbayern ist vorliegend zwar aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses Verfahrensbeteiligter. In diesen Erklärungen hat die Regierung von Oberbayern allerdings darum gebeten, ihr ausschließlich die jeweilige Letzt- und Endentscheidung zu übersenden und damit unter anderem auch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie statthaft: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Zweitanträgen (§ 71 a AsylG) ist nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 6. August 2016 in der Hauptsache nunmehr eine Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig sowie eine hilfsweise Verpflichtungsklage auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu erheben (BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff., 20 a. E.).
2. Die Klage ist im Hauptantrag begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 22. März 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da mithin die Klage schon im Hauptantrag Erfolg hat, war über die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nicht mehr zu entscheiden.
Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1. des Bescheids vom 22. März 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das Bundesamt hat den Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt, weil es sich um einen Zweitantrag (§ 71 a AsylG) handele und die Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Indes hätte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers nicht als Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG behandeln dürfen: Es fehlte von Anfang an und fehlt auch noch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Klage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) unverändert an einem hinreichenden Nachweis dafür, dass dem Asylantrag des Klägers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylG) vorausgegangen ist:
§ 71 a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylG) voraus. Erfolgloser Abschluss des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens meint, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiedereröffnung mit anschließender voller sachlicher Prüfung – eingestellt worden ist (BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29 ff.).
Hierbei muss der vorangegangene erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (vgl. Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Entscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung oder endgültigen Einstellung des Antrags in dem sicheren Drittstaat hat (vgl. VG München, U. v. 14.9.2017 – M 21 K 17.43514 – juris Rn. 18; VG Augsburg, B. v. 13.4.2017 – Au 7 S. 17.30833 – juris Rn. 22; VG Greifswald, B. v. 24.2.2017 – 4 B 41/17 As HGW – juris Rn. 18; VG München, B. v. 30.1.2017 – M 23 S. 16.34213 – juris Rn. 24; VG Schleswig-Holstein, B. v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Wiesbaden, B. v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20 f., VG Ansbach, U. v. 29.9.2015 – AN 3 K 15.30829 – juris Rn. 23; Schönenbroicher in Kluth/Heusch BeckOK AuslR, Stand: 1.5.2017, § 71a AsylG Rn. Rn. 2 f). Angaben des Asylbewerbers über den Ausgang seines Asylverfahrens in dem sicheren Drittstaat allein reichen nicht aus: Diese haben aber in aller Regel den Verfahrensablauf nicht durchschaut und können deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen. Eine Zulässigkeitsentscheidung, die auf einer derart unzuverlässigen Tatsachenbasis getroffen wird, kann für ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchzuführendes Verfahren keine Grundlage sein (BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22).
Im Fall des Klägers liegen auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage unverändert keine gesicherten Erkenntnisse über den erfolglosen Abschluss der Asylverfahren in Italien und/oder der Schweiz vor: Der Akte des Bundesamts sind keine Umstände zu entnehmen, die es rechtfertigen könnten, hiervon auszugehen: Die in der Akte enthaltenen EURODAC-Treffer sind diesbezüglich nicht aussagekräftig. Die bloßen Angaben des Klägers in den Befragungen, seine Asylverfahren in Italien und in der Schweiz seien abgelehnt worden bzw. negativ verlaufen, auf die sich die Beklagte in den Bescheidsgründen stützt, sind für eine gesicherte Erkenntnis – wie eben ausgeführt – nicht ausreichend. Darüber hinausgehende eigenen Ermittlungen oder Feststellungen des Bundesamts zur Durchführung von Asylverfahren des Klägers in Italien und in der Schweiz sind der Akte nicht zu entnehmen. Auch die gerichtliche Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen im Klageverfahren hat keine gesicherten Erkenntnisse erbracht: Das Gericht hat hierzu gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO die insoweit objektiv beweisbelastete Beklagte herangezogen. Es hat hierzu der Beklagten mit Beschluss vom 2. August 2017 aufgegeben, dem Gericht binnen drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses Nachweise darüber vorzulegen, dass das Asylverfahren des Klägers in Italien oder der Schweiz erfolglos abgeschlossen worden ist. Das Bundesamt hat auf diesen Beschluss, der am 21. August 2017 zugestellt worden war, bis zur Entscheidung des Gerichts nicht reagiert. Es hat insbesondere keinerlei Nachweise vorgelegt. Es hat auch nicht dargelegt, dass und ggf. aus welchen Gründen es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, innerhalb der gesetzten Frist die geforderten Nachweise beizubringen. Dem Gericht ist nicht ersichtlich, wie es selbst einfacher oder besser als das Bundesamt den Sachverhalt hätte aufklären können. Beweisanträge oder wenigstens Beweisanregungen des Bundesamts liegen nicht vor. Allein eine Befragung des Klägers in einer mündlichen Verhandlung hätte nicht zu einer hinreichenden Aufklärung des Sachverhalts führen können: Wie oben bereits ausgeführt reichen bloße Angaben des Asylbewerbers über den Ausgang seines Asylverfahrens in dem sicheren Drittstaat nicht aus, um zu einer gesicherten Erkenntnis gelangen zu können.
Die Unzulässigkeitsentscheidung kann auch nicht auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestands aufrechterhalten werden. Ist mithin die rechtswidrige Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des Bescheids vom 22. März 2017 aufzuheben, so gilt dies auch für die somit verfrüht ergangenen Entscheidungen über die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in Ziffer 2. des Bescheids und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des Bescheids (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21). In der Folge besteht auch keine Rechtsgrundlage für die Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG.
Nach alldem war der Bescheid vom 22. März 2017 mit der Kostenfolge der § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG aufzuheben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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