Verwaltungsrecht

Anforderung an nachhaltige Integration

Aktenzeichen  19 CE 21.551

Datum:
27.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10010
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25b, § 60a Abs. 2 S. 1
VwGO § 146 Abs. 4 S. 3

 

Leitsatz

Ein Ausländer, der nur wegen anhaltender Passlosigkeit aufgrund fehlender Mitwirkungshandlungen und falscher Angaben jahrelang in der Bundesrepublik geduldet wurde, erfüllt nicht die Anforderungen an eine Aufenthaltsgewährung aufgrund nachhaltiger Integration. (Rn. 1 – 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 9 E 21.209 2021-02-16 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine Abschiebung vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu untersagen.
Der am …1987 geborene Antragsteller, iranischer Staatsangehöriger, ist am 2. Oktober 2010 in das Bundesgebiet eingereist und hat erfolglos ein Asylverfahren betrieben (ablehnender Bundesamtsbescheid vom 7.4.2011, rechtskräftige Klageabweisung vom 3.1.2012, bestandskräftige Ablehnung von 5 Folgeanträgen vom 27.4.2015, 3.8.2016, 26.9.2018, 9.3.2020, 22.9.2020 durch Bundesamtsbescheide). Der Aufenthalt des Antragstellers wurde wegen fehlender Reisedokumente gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG über viele Jahre hinweg geduldet. Trotz mehrfacher Belehrung und Aufforderung zur Mitwirkung wurde ein Reisepass vom Antragsteller nicht vorgelegt. Der Antragsteller ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten (Verurteilung durch das Amtsgericht W. vom 11.10.2012 wegen illegalen Aufenthalts zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen und vom 23.9.2014 wegen versuchter Strafvereitelung mit falscher Verdächtigung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten zur Bewährung; Einstellung von Strafverfahren nach § 153 Abs. 2 StPO wegen eines Vergehens nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vom 5.3.2018 sowie wegen eines Verstoßes gegen § 1 Gewaltschutzgesetz vom 5.7.2018; erneutes Ermittlungsverfahren wegen eines Vergehens nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Der Antragsteller bezieht seit September 2014 Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz; er wurde von der Antragsgegnerin mehrfach erfolglos wegen seiner Weigerung zur Ausübung einer Arbeitsgelegenheit (z.B. als Hilfskraft im städtischen Bauhof) verpflichtet. Der Antragsteller entzog sich mehrfach, z.T. über Monate hinweg dem behördlichen Zugriff, zuletzt tauchte er vom 8. Juni bis zum 2. August 2020 unter. Nach Fahndungsausschreibung führte der Kläger beim Aufgriff am 4. August 2020 einen gültigen Reisepass mit sich. Die Antragsgegnerin beabsichtigt seit September 2020, die Abschiebung des Antragstellers durchzuführen. Am 14. September 2020 täuschte der Antragsteller einen untauglichen Suizidversuch durch Einnahme von zwei Tabletten Ibuprofen 400 in den Räumen der Stadtverwaltung vor. Vom 15. September bis 14. November 2020 befand sich der Antragsteller in Abschiebehaft. Der Antragsteller reichte am 21. September 2020 und am 20. Januar 2021 Petitionen ein, die im Wesentlichen mit zielstaatsbezogenen Erwägungen begründet wurden. Ab 14. Januar 2021 befand sich der Antragsteller erneut in Abschiebehaft; die am 29. Januar 2021 geplante Abschiebung scheiterte am verweigerten Transit der türkischen Behörden.
Den am 9. Februar 2021 gestellten Eilantrag auf Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über eine geltend gemachte Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Februar 2021 mit der Begründung abgelehnt, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch geltend gemacht habe. Die Voraussetzungen eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 25b AufenthG seien offenkundig nicht gegeben. Beim Antragsteller sei nicht von einem „geduldeten Ausländer“ auszugehen. Trotz fehlender Verbescheidung könne nicht von einer materiell bestehenden Verfahrensduldung ausgegangen werden, da die Ablehnung des Antrages voraussichtlich keinen erheblichen Klärungsbedarf aufwerfen werde. Der Antragsteller erfülle nicht die Voraussetzungen nach § 25b Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 AufenthG. Der Antragsteller habe bislang an keinem Integrationskurs teilgenommen, er verfüge nicht über einen Grundbestand an staatsbürgerlichem Wissen und hinreichende Sprachkenntnisse, stehe in keinem Beschäftigungsverhältnis und werde voraussichtlich seinen Lebensunterhalt nicht sichern können. Der Antragsteller sei nur wegen anhaltender Passlosigkeit aufgrund fehlender Mitwirkungshandlungen und falscher Angaben jahrelang geduldet gewesen. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Behörde infolge eines Aufgriffs im August 2020 Kenntnis von der Existenz eines gültigen Reisepasses erlangt habe, habe der Antragsteller den Versagungsgrund nach § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Aufgrund des durch jahrelange Mitwirkungsverweigerung erzwungenen Aufenthalts liege ein atypischer Fall vor, der es rechtfertigen würde, abweichend vom Soll-Anspruch des § 25b Abs. 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Darüber hinaus stehe ein noch aktuelles Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht W. vom 23. September 2014 zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sowie aufgrund der zögerlichen Passbeschaffung ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen. Der Antragsteller könne angesichts der Gesamtumstände nicht als im Bundesgebiet integriert oder verwurzelt angesehen werden (Art. 8 EMRK). Die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien nicht geeignet, eine Erkrankung des Antragstellers glaubhaft zu machen, die eine Abschiebung beeinträchtigen könnte. An die Feststellungen des Bundesamtes hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote sei die Antragsgegnerin nach § 42 Satz 1 AsylG gebunden.
Die hiergegen am 18. Februar eingelegte Beschwerde begründet der Antragsteller am 23. Februar 2021 „unter Verweis auf den bisherigen Akteninhalt“. Unter Hinweis auf die vorgelegten Atteste sei ein Sachverständigengutachten bezüglich der Reisefähigkeit und des Gesundheitszustandes des Antragstellers einzuholen. Der Antragsteller übermittelt des Weiteren unkenntliche Kopien von Lichtbildern, die den angeblichen Kampf von Angehörigen des Antragstellers gegen das iranische Regime betreffen sollen. Der Bruder des Antragstellers sei im Iran wegen Pressemitteilungen das hiesige Verfahren betreffend festgenommen worden.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den eine Untersagung von Abschiebungsmaßnahmen abgelehnt worden ist, ist bereits unzulässig, weil das Beschwerdevorbringen des Antragstellers dem Darlegungsgebot (§ 146 Abs. 4 Sätze 3, 4 VwGO) nicht gerecht wird.
In Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes sind für die Beschwerdeentscheidung nur die innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe maßgebend (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde die Gründe darlegen, aus denen der Beschluss abzuändern oder aufzuheben ist; sie muss sich mit dem Beschluss auseinandersetzen. Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, aus welchen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gründen der angefochtene Beschluss unrichtig sein soll. Dazu muss der Beschwerdeführer die Begründung des Verwaltungsgerichts aufgreifen und konkret aufzeigen, in welchen Punkten und aus welchen Erwägungen heraus er diese für unrichtig hält. Die Funktion des Darlegungsgebotes gemäß § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO besteht zum einen darin, den Rechtsmittelführer zu einer sorgfältigen Prüfung der Einlegung des Rechtsmittels anzuhalten, und zum anderen darin, dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses zu ermöglichen, die gemäß § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO grundsätzlich auf die vorgetragenen Beschwerdegründe beschränkt ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2018 – 20 CS 18.686 – juris).
Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen jedoch nicht gerecht. Die Begründung der Beschwerde setzt sich mit den tragenden Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts, wonach weder die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG vorliegen noch ein Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht ist, nicht auseinander. Mit dem bloßen Verweis auf den gesamten Akteninhalt, der pauschalen Geltendmachung einer Beweiserhebung über den Gesundheitszustand des Antragstellers und dem Anführen zielstaatsbezogener Erwägungen wird die Beschwerdebegründung der Funktion des Darlegungsgebotes gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse eine Bindung an die Feststellungen des Bundesamtes nach § 42 Satz 1 AsylG besteht. Hiermit setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht auseinander, sondern übermittelt unkenntliche Lichtbilder unter zusammenhanglosen, zielstaatsbezogenen Ausführungen. Es fehlt daher insgesamt an der im Beschwerdeverfahren erforderlichen substantiellen Auseinandersetzung mit den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung.
Abgesehen davon rechtfertigen auch inhaltlich die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung des Beschwerdevorbringens im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes zu beschränken hat, keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch auf vorläufige Untersagung der Abschiebung glaubhaft gemacht hat. Der Antragsteller hat ersichtlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG, zu dessen Erhalt ihm aus Art. 19 Abs. 4 GG zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein Duldungsanspruch erwachsen könnte. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach die vorgelegten ärztlichen Atteste nicht geeignet sind, die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit zu widerlegen (§ 60a Abs. 2c AufenthG), ist nicht zu beanstanden. Mit dem psychiatrischen Befundbericht des Dr. med., Dipl. Theol. W. M., erstellt aufgrund eines Telefongesprächs in der Abschiebehaft unter Hinnahme von Sprachschwierigkeiten, wird im Wesentlichen lediglich bescheinigt, dass das Vorliegen einer genauen psychischen Erkrankung sowie eventueller Suizidalität abgeklärt werden müsse. Dagegen wurde seitens des ärztlichen Dienstes der Abschiebehafteinrichtung am 25. Januar 2021 ausdrücklich ein stabiler Gesundheitszustand und Reisefähigkeit bescheinigt. Die weiteren ärztlichen Stellungnahmen hat das Verwaltungsgericht zutreffend gewürdigt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen liegen damit keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Erkrankung und eine daraus resultierende Reiseunfähigkeit des Antragstellers vor, die Anlass für weitere Untersuchungen oder Ermittlungen geben könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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