Verwaltungsrecht

Anforderungen an Auswahlvermerk und wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren

Aktenzeichen  3 CE 17.2304

Datum:
8.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 1345
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
BV Art. 94 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Der Dienstherr kommt seiner Verpflichtung zur schriftlichen Niederlegung der wesentlichen Auswahlerwägungen nicht nach, wenn sich dem Auswahlvermerk nicht entnehmen lässt, welche Gesichtspunkte letztlich für seine Auswahlentscheidung maßgeblich waren und das Gericht sie deshalb nicht auf ihre Plausibilität überprüfen kann. (Rn. 4 und 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Arbeitszeugnis eignet sich nicht als Grundlage für einen Leistungsvergleich, da zwischen einer dienstlichen Beurteilung und einem Dienst- oder Arbeitszeugnis grundlegende Unterschiede bestehen (BayVGH BeckRS 2015, 56157). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3 Will der Dienstherr neben dienstlichen Beurteilungen wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren (Art. 16 Abs. 1 S. 4 LlbG) für seine Auswahlentscheidung heranziehen, muss er die Gewichtung im Einzelnen zumindest vorher anhand des Ausschreibungsprofils festlegen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 E 17.3441 2017-11-09 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird in Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses für beide Instanzen auf jeweils 23.459,19 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässigen Beschwerden sowohl der Antragsgegnerin als auch der Beigeladenen, die der Senat anhand der jeweils fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Sätze 6 und 1 VwGO), haben keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass das Auswahlverfahren fehlerhaft war. Gegen seine Begründung, mangels aktuellen Leistungsnachweises für die Beigeladene sei ein – Auswahlgesprächen stets vorgeschalteter – Leistungsvergleich mit dem Antragsteller nicht möglich gewesen, wenden sich sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene. Die mit den Beschwerden vorgebrachten Einwände rechtfertigen nicht die Abänderung des angefochtenen Beschlusses, weil sie die Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Beschluss nicht in Frage stellen.
1. Die zu Lasten des Antragstellers auf der Grundlage des Vorstellungsgesprächs vom 23. Mai 2017 vor dem Kommunalausschuss als Werkausschuss für den Abfallwirtschaftsbetrieb M* … getroffene Auswahlentscheidung ist schon deshalb rechtswidrig, weil sie – gemessen an Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 94 Abs. 2 BV (vgl. § 9 BeamtStG, Art. 16 Abs. 1 LlbG), Art. 19 Abs. 4 GG – unzureichend begründet ist, worauf der Antragsteller bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hingewiesen hatte. In der Auswahlentscheidung – der Sitzungsvorlage für die Vollversammlung des Stadtrates vom 28. Juni 2017 betreffend die Einstellung und Bestellung der Zweiten Werkleitung des Abfallwirtschaftsbetriebes M* … (BesGr. B 3 bzw. Sonderdienstvertrag entsprechend der Bruttobezüge der BesGr. B 3) – wird lediglich festgestellt, die Beigeladene habe substantiiertere Antworten gegeben als ihre Mitbewerber, habe überzeugend nachweisen können, dass sie das Anforderungsprofil der Stelle in einem deutlich höheren Maße erfülle als der nach Status anführende Antragsteller und dass sie im Vergleich mit allen die beste Eignung für die ausgeschriebene Stelle besitze. Dies erfüllt nicht die Anforderungen, die an einen Auswahlvermerk zu stellen sind:
Aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt die Verpflichtung des Dienstherrn, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen – deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber ggf. durch Akteneinsicht verschaffen kann – wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber zu befinden, ob er die Entscheidung hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Bewerbungsverfahrensanspruch bestehen. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen (vgl. Schnellenbach, Konkurrenzen im öffentlichen Dienst, Anhang 5 Rn. 2; BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 16.12.2008 – 1 WB 19/08 – juris Rn. 35). Insoweit hat sich die Antragsgegnerin in Buchstabe D Nr. 3.3.4 der Ausschreibungsrichtlinien (Ausführungsbestimmungen) auch selbst auferlegt, dass sich die Mitglieder der Vorstellungskommission zu den fachlichen und persönlichen Stärken und Schwächen (= Eignungsprofil) der Kandidatinnen und Kandidaten bezogen auf das Anforderungsprofil der Stelle äußern. Nach Buchstabe D Nr. 3.3.5 der Ausschreibungsrichtlinien (Ausführungsbestimmungen) ist das Ergebnis der Vorstellungsrunde schriftlich niederzulegen.
Dem verfahrensgegenständlichen Auswahlvermerk lässt sich nicht entnehmen, welche Gesichtspunkte und Erwägungen letztlich für die Auswahlentscheidung maßgeblich waren und den Ausschlag zu Gunsten der Beigeladenen gegeben haben. Ein Auswahlvermerk mit den wesentlichen Erwägungen liegt nicht vor. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, die Beigeladene erfülle das Anforderungsprofil der Stelle in einem deutlich höheren Maße als der nach Status anführende Bewerber, kann vom Senat daher nicht auf ihre Plausibilität überprüft werden. Die Antragsgegnerin hat zwar den Verlauf der Vorstellungsgespräche am 23. Mai 2017 in der Art einer Niederschrift protokolliert, aber weder Einzel- noch Gesamtbewertungen vorgelegt, obwohl dies auch nach ihren eigenen Ausschreibungsrichtlinien erforderlich gewesen wäre. Soweit der Auswahlvermerk des Weiteren meint, die Schlussfolgerung, die Beigeladene habe substantiiertere Antworten gegeben, auch auf die vorausgegangenen verwaltungsinternen Vorstellungsgespräche erstrecken zu können, erschließt sich dies aus der Vormerkung vom 4. Mai 2017, wonach der Antragsteller und Beigeladene dort mit identischer Gesamtwürdigung – gut geeignet – abgeschnitten haben, nicht.
Der von der Antragsgegnerin in anderem Zusammenhang erfolgte Hinweis auf Art. 88 Abs. 2 GO ändert nichts an den Anforderungen, die an den Auswahlvermerk zu stellen sind. Die Bestellung der Werkleitung erfolgt durch Beschluss gemäß Art. 51 Abs. 1 GO, nicht etwa durch geheime Wahl (Schulz in PdK Bayern, Art. 88 GO Anm. 2.1.1.). Modifikationen des Grundsatzes der Bestenauslese sind deshalb nicht veranlasst (vgl. zu Bundesrichterwahlen, BVerfG, B.v. 20.9.2016 – 2 BvR 2453/15 – NJW 2016, 3425).
2. Soweit die Antragsgegnerin und die Beigeladene das durchgeführte Bewerbungsverfahren in ihrem Beschwerdevorbringen [im Übrigen] als rechtmäßig ansehen und dem Verwaltungsgericht vorhalten, es habe der Gesetzesänderung des Art. 16 LlbG zum 1. August 2013 nicht Rechnung getragen, sondern auf dadurch überholte Rechtsprechung verwiesen, sind folgende Klarstellungen veranlasst:
2.1 Nach Art. 16 Abs. 1 Sätze 4 und 5 LlbG (i.d.F. des Gesetzes vom 24.7.2013 ) können dienstliche Beurteilungen und wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren, wie insbesondere systematisierte Personalauswahlgespräche, strukturierte Interviews oder Assessment-Center, sofern diese von Auswahlkommissionen durchgeführt werden, Grundlage für die Entscheidung des Dienstherrn sein. Werden für eine Auswahlentscheidung dienstliche Beurteilungen sowie weitere verschiedene Auswahlmethoden nach Satz 4 verwandt, bestimmt der Dienstherr die Gewichtung (zur Gesetzeshistorie s. Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Nov. 2017, Art. 16 LlbG Rn. 26 ff; Kathke, RiA 2013, 193/196; zur Verfassungsmäßigkeit vgl. Günther, RiA 2014, 101, 102; Schnellenbach, Konkurrenzen im öffentlichen Dienst, Anhang 2 Rn. 142). Zur Auswahlentscheidung selbst trifft Art. 16 Abs. 1 Satz 5 LlbG dahingehend eine Abstufung, dass dienstliche Beurteilungen stets verwendet werden müssen und weitere Auswahlmethoden zusätzlich gestattet sind (BayVGH, B.v. 5.8.2014 – 3 CE 14.771 – juris Rn. 45 f.; vgl. Günther, a.a.O., S. 106; Kathke, RiA 2013, 193, 197 sowie die dritte Änderung der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht vom 24.4.2014, Az. 22/21-P 1003/1-023-14 257/14, FMBL 2014, 62/64 Abschnitt 4, wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren: Die dienstliche Beurteilung darf nicht zur Marginalie werden).
2.2 Im vorliegenden Einzelfall durfte die Antragsgegnerin die Beigeladene in wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren einbeziehen, weil aussagekräftige – aktuelle – Erkenntnisquellen für die Beigeladene nicht vorhanden waren (vgl. BVerfG, B.v. 12.7.2005 – 1 BvR 972/04, 1 BvR 1858/04 – juris Rn. 33; vgl. auch BayVGH, B.v. 28.7.2014 – 3 ZB 13.1642 – juris Rn. 17; B.v. 24.4.2017 – 3 CE 17.434 – juris) und es in Ausnahmefällen zulässig sein kann, auf ein Zwischenzeugnis eines externen Bewerbers zu verzichten (HessVGH, B.v. 26.11.2008 – 1 B 1870/08 – NVwZ-RR 2009, 527 ).
Hier lagen dienstliche Beurteilungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2014 sowohl für den Antragsteller als auch für die (während dieser Zeit in Diensten der Antragsgegnerin stehenden) Beigeladene vor. Diese waren aber nach Buchstabe D Ziffer 2 Absatz 2 der Ausschreibungsrichtlinien (Ausführungsbestimmungen) der Antragsgegnerin in der Fassung vom 10.12.2014 nicht mehr ausreichend aktuell und ergaben einen Beurteilungsgleichstand, wenngleich in unterschiedlichen Statusämtern. Bei einem Rückgriff auf diese Beurteilungen hätte die Durchführung eines Auswahlgesprächs dem Regelwerk der Antragsgegnerin entsprochen.
Mit dem von der Antragsgegnerin der Beigeladenen erteilten Arbeitszeugnis vom 4. Januar 2016 lag zwar ein hinreichend aktueller Leistungsnachweis vor. Das Arbeitszeugnis eignet sich jedoch nicht als Grundlage für einen Leistungsvergleich mit dem unter dem 10. Januar 2017 erstellten Leistungsbericht für den Antragsteller, da zwischen einer dienstlichen Beurteilung und einem Dienst- oder Arbeitszeugnis grundlegende Unterschiede bestehen (BayVGH, B.v. 18.11.2015 – 6 CE 15.2260 – juris Rn. 13; OVG SH, B.v. 27.1.2016 – 2 MB 20/15 – juris Rn. 25). Nur wenn das (Zwischen-)Zeugnis Surrogat für eine dienstliche Beurteilung bzw. ein Leistungsäquivalent einer dienstlichen Beurteilung ist, kann es taugliche Grundlage eines Auswahlverfahrens sein (vgl. Zimmerling, RiA 2002, 165/175; OVG NW, B.v. 13.5.2004 – 1 B 300/04 – juris; ThürOVG, B.v. 9.10.2017 – 2 EO 113/17 – juris Rn. 12, HessVGH, B.v. 27.1.1994 – 1 TG 2485/93 – juris Rn. 31; vgl aber auch OVG LSA, B.v. 14.11.2014 – 1 M 125/14 – juris Rn. 22: „Übersetzbarkeit“ eines Arbeitszeugnisses). Die letztgenannten Voraussetzungen erfüllt das Zeugnis vom 4. Januar 2016 nicht. Jedoch war die Beigeladene der Antragsgegnerin aufgrund langjähriger Tätigkeit beim Abfallwirtschaftsbetrieb M* … bekannt, so dass an deren grundsätzlicher Eignung keine Zweifel bestanden.
Auf die Frage der Zumutbarkeit der Vorlage eines (Zwischen-)Zeugnisses kommt es vor diesem Hintergrund nicht an. Der jetzige Arbeitgeber der Beigeladenen stellt – anders als die Antragsgegnerin – keine sog. qualifizierten Arbeitszeugnisse aus.
2.3 Die vor Inkrafttreten des Art. 16 Abs. 1 Satz 5 LlbG erlassenen Ausschreibungsrichtlinien der Antragsgegnerin regeln nicht, wie die dienstlichen Beurteilungen einerseits und das Ergebnis des Auswahlverfahrens (bzw. seiner Komponenten) andererseits in den Regelfällen lückenlos vorliegender Beurteilungen für die Bewerber zu gewichten sind. Erst recht lässt sich ihnen nicht entnehmen, wie beim vorliegenden Sachverhalt (Konkurrenz von internem und externem Bewerber) mit dem Leistungsbericht vom 10. Januar 2017, der für den statushöheren Antragsteller mit dem Bestprädikat erstellt worden ist, umzugehen wäre. In Buchstaben D Ziff. 2.1.1 der Ausschreibungsrichtlinien (Ausführungsbestimmungen) findet sich eine entsprechende Gewichtung nicht. Die Bestimmung regelt lediglich, unter welchen Kautelen eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erfolgen kann. Will die Antragsgegnerin die durch die Rechtsänderung des Art. 16 LlbG eröffneten Spielräume nutzen, bedarf es einer Gewichtung von Beurteilung(en) und wissenschaftlich fundiertem Auswahlverfahren (bzw. dessen Komponenten). Will sich der Dienstherr nicht dem Verdacht aussetzen, diese Gewichtung erst in Kenntnis des Abschneidens der Bewerber getroffen zu haben, wird diese zumindest im Vorhinein anhand des Ausschreibungsprofils zu treffen sein (vgl. VG Greifswald, U.v. 14.9.2017 – 6 A 2308/16 HGW – juris Rn. 50). Die alleinige Heranziehung des Ergebnisses des Auswahlverfahrens würde die Beurteilungen andernfalls zur Marginalie machen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, Abs. 3, 1. Halbsatz 2. Alt. VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Sätze 1 bis 3, § 47, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG (Änderung der Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2017 – 6 C 17.1429 – juris). Danach war der Streitwert ausgehend von der Besoldungsgruppe B 3 von 5.000 € auf 23.459,19 € (3 x 7.819,73 €) anzuheben.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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