Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Verfahrenseinstellung wegen Nichtbetreibens

Aktenzeichen  M 25 S 17.35579

Datum:
3.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 25, § 32, § 33 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 34 Abs. 1
ZPO ZPO § 181 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ladung eines Asylbewerbers zur Anhörung, wenn die Belehrung über die Folgen des Nichterscheinens ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist zweifelhaft, ob die Ladung zur Anhörung ordnungsgemäß zugestellt wurde, sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Einstellung des Verfahrens bei summarischer Prüfung als offen zu betrachten. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3 Sinn der Vorschriften über die Ersatzzustellung ist es, dem Empfänger möglichst bald und zuverlässig Kenntnis von der Niederlegung zu geben. Der Postzusteller hat so zu verfahren, wie er es sonst bei für den konkreten Empfänger bestimmten Sendungen tut. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage M 25 K 17.35578 gegen die in Nr. 1 und Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. März 2017 verfügte Verfahrenseinstellung und die Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 21. März 2017 (M 25 K 17. 35578) gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2017, mit dem sein Asylverfahren eingestellt, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes verneint, ihm die Abschiebung nach Uganda angedroht und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten festgesetzt wurde.
Der 30-jährige ugandische Staatsangehörige reiste am 27. August 2015 in die Bundesrepublik ein und stellte am 29. September 2016 einen Asylantrag.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 wurde der Kläger zur persönlichen Anhörung geladen. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde, weil die Einlegung in einen Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung die Ersatzzustellung in der Gemeinschaftseinrichtung nicht möglich war, das Schriftstück bei der hierfür bestimmten Stelle niedergelegt, und zwar in der Postagentur P. im (…-Markt), Bgm.-G. Straße 2, P. Die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung habe die Zustellerin am 8. Dezember 2016 in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, nämlich „in den Gemeinschaftsbriefkasten mit eingelegt“ (Behördenakte, Blatt 49, 85).
Mit Schreiben vom 18. Januar 2017 gab das Bundesamt dem Antragsteller Gelegenheit, innerhalb eines Monats nach Zugang des Schreibens schriftlich sowohl zu seinen Asylgründen als auch zu den Gründen, die seiner Rückkehr den Heimatstaat entgegenstehen, Stellung zu nehmen (Behördenakte, Blatt 50). Dieses Schreiben konnte dem Antragsteller am 23. Januar 2017 nicht zugestellt werden, da er nicht angetroffen wurde (Behördenakte, Blatt 52).
Mit Bescheid vom 6. März 2017, dem Beklagten als Einschreiben am 11. März 2017 zugestellt, stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, und drohte ihm die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate (Nr. 4). Der Bescheid wurde am 10. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben (Behördenakte, Blatt 79).
Der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da der Kläger das Verfahren nicht betreibe. Daher sei gemäß § 32 AsylG festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei. Der Antragsteller sei der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde vermutet, dass er das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative AsylG nicht betreibe.
Abschiebungsverbote seien weder vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor. Bereits das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens lasse drohende Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz im Heimatland zweifelhaft erscheinen.
Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 Aufenthaltsgesetz zu erlassen.
Hiergegen ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21. März 2017, bei Gericht am selben Tag eingegangen,
Klage erheben und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsteller habe die Einladung zur Anhörung am 6. Dezember 2016 nie erhalten. In der Flüchtlingsunterkunft des Antragstellers wohnten 120 bis 125 Flüchtlinge, die sich zum Zeitpunkt der Anhörung im Dezember 2016 drei Briefkästen geteilt hätten. Aufgrund der anhaltenden Probleme bei der Postzustellung habe das Landratsamt die Situation abgeändert und inzwischen befänden sich dort sechs Briefkästen. Der Kläger selbst habe keinen Schlüssel zu dem Briefkasten. Die Post werde intern verteilt, was zu weiteren Problemen führe. Damit sei das Fernbleiben vom Anhörungstermin genügend entschuldigt.
Am 27. März 2017 ging die elektronische Behördenakte ein.
Mit Schriftsatz vom 10. April 2017 legte der Prozessbevollmächtigte eine eidesstattliche Erklärung des Antragstellers vom 23. März 2017 vor, dass er die Einladung zu einem Anhörungstermin nicht erhalten habe. Ein derartiges Schreiben sei ihm nie zugegangen oder ihm ausgehändigt worden. Bis zur Zustellung des Bescheids habe er vom Anhörungstermin am 6. Dezember 2016 keine Kenntnis gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte, auch des Hauptsacheverfahrens und die vorgelegte Behördenakte.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg. Das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorerst verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebungsandrohung.
Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verfahrenseinstellung und der Abschiebungsandrohung gerichtete Antrag ist zulässig (vergleiche zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8) und begründet.
Für die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Entscheidung ist maßgebend, ob das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Vollzug des Verwaltungsakts überwiegt. Bei dieser gerichtlichen Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorrangig zu berücksichtigen. Hat der Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg, weil der angegriffene Verwaltungsakt fehlerhaft ist, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse. Wird der Antragsteller im Verfahren der Hauptsache aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben, weil die angegriffene Verfügung als rechtmäßig zu beurteilen ist, ist der Antrag in aller Regel unbegründet. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, so verbleibt es bei der Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden öffentlichen bzw. privaten Interessen.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist gemäß § 77 Absatz ein Satz 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung.
Vorliegend ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens zumindest als offen zu betrachten.
1. In der Hauptsache wird zunächst zu klären sein, ob der Antragsteller gemäß § 33 Abs. 4 AsylG auf die nach den Abs. 1 und 2 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hingewiesen wurde.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Abs. 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion erleiden kann, ist nämlich nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 33 Abs. 4 AsylG entsprochen.
1.1. In der Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass – wenn der Hinweis seiner Aufgabe, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, gerecht werden solle – er auch den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen müsse, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befinde, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig sei (u.a. VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung sei daher deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrsche, unentbehrlich.
Ob der allgemeine Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und allgemeine Verfahrenshinweise diesen Anforderungen genügt, ist zu prüfen. Der beigefügte Gesetzesauszug zu § 33 AsylG enthält die hier maßgebliche Regelung des § 33 Abs. 2 AsylG überhaupt nicht und ist zudem ausschließlich in deutscher Sprache gefasst. Die Belehrung zu § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG in der Ladung zur Anhörung war ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt.
1.2. Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Die Vorschrift lässt damit eine anderweitige Zustellung, aufgrund derer sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, nicht zu.
Eine Empfangsbestätigung über die Zustellung der Belehrung hat die Antragsgegnerin nicht vorgelegt. Der Antragsteller hat darüber hinaus an Eides Statt erklärt, er habe die Ladung und damit auch die darin enthaltene Belehrung nicht erhalten.
2. Weiterhin ist zweifelhaft, ob die Ladung zur Anhörung ordnungsgemäß zugestellt wurde. Denn es ist fraglich, ob die Niederlegung dem Antragsteller in einer den Anforderungen des § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO entsprechenden Weise mitgeteilt worden ist.
Nach dieser Bestimmung ist eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung auf dem vorgesehenen Formular unter der Anschrift der Person, der zugestellt werden soll, in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Tür der Wohnung, des Geschäftsraums oder der Gemeinschaftseinrichtung anzuheften.
Vorliegend hat die Zustellerin angegeben, den Brief in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben zu haben, nämlich durch Einlegung in den Gemeinschaftsbriefkasten.
2.1. Zunächst dürfte zu prüfen sein, ob die Ersatzzustellung durch Niederlegung überhaupt zulässig war, oder ob nicht zuvor eine Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten hätte erfolgen müssen (vergleiche Bruns in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 10 AsylG Rn. 17).
2.2. Außerdem lässt sich die Üblichkeit der Zustellung nicht abstrakt und generell ermitteln. Denn Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dem Empfänger möglichst bald und zuverlässig Kenntnis von der Niederlegung zu geben ist. Der Postzusteller hat so zu verfahren, wie er es auch sonst bei den für einen konkreten Empfänger bestimmten Sendungen tut (vergleiche zum Ganzen BVerwG, U.v. 13.11.1984 – 9 C 23/84 – NJW 1985, 1179). In der Hauptsache wird daher zu ermitteln sein, ob die Postzustellerin die Mitteilung über die Niederlegung im Einklang mit einer bisher praktizierten und vom Empfänger akzeptierten oder hingenommenen Übung vorgenommen hat.
Nachdem die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Einstellung des Verfahrens und die Abschiebungsandrohung bei summarischer Prüfung als offen zu betrachten sind, und dass private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug überwiegt, ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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