Verwaltungsrecht

Anforderungen an eine Anhörungsrüge

Aktenzeichen  10 ZB 20.30308, 10 AS 20.30413

Datum:
28.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6741
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 149, § 152a
AsylG § 78 Abs. 4 S. 4
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Sie beinhaltet vielmehr ein formelles Recht für den Fall, dass das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen uns sich mit ihm nicht in der gebotenen Art und Weise auseinandergesetzt hat. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (BVerwG BeckRS 2015, 45453). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Die einstweilige Aussetzung der Vollziehung einer rechtskräftigen Entscheidung nach Erhebung einer Anhörungsrüge nach § 152a Abs. 6 i.V.m. § 149 Abs. 1 S. 2 VwGO kommt nur dann in Betracht, wenn die Anhörungsrüge mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird und ohne eine solche vorläufige Regelung der Antragsteller bzw. Kläger unzumutbar belastet würde (VGH Kassel BeckRS 2006, 20996). Dies ist jedenfalls dann nicht mehr der Fall, wenn feststeht, dass die Anhörungsrüge keinen Erfolg hat (OVG Lüneburg BeckRS 2010, 46304). (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Verfahren 10 ZB 20.30308 und 10 AS 20.413 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.
IV. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird abgelehnt.

Gründe

Die Verfahren 10 ZB 20.30308 und 10 AS 20.413 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden
1. Mit der Anhörungsrüge (10 ZB 20.30308) erstrebt der Kläger die Fortführung des Verfahrens über seinen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. Oktober 2019 (M 13 K 17.46111), den der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Januar 2020 (10 ZB 19.34230) abgelehnt hat. Mit diesem Urteil hatte das Verwaltungsgericht die Asylklage des Klägers abgewiesen.
Die Anhörungsrüge ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO darzulegen. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B. v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Aus der Begründung der Anhörungsrüge wird nicht hinreichend deutlich, welches Vorbringen in dem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 9. Dezember 2019 der Senat in dem Beschluss vom 8. Januar 2020 nicht zur Kenntnis genommen haben sollte.
Zwar wird geltend gemacht, das erkennende Gericht habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör „dadurch verletzt, dass es die Tatsache, dass es dem Kläger mit seinem Vorbringen im Rahmen des Zulassungsantrags alleine auf die tatsächliche Mitgliedschaft [bei] der IPOB ankommt, nicht zur Kenntnis genommen und dadurch auch nicht bei seiner Entscheidung erwogen“ habe; die Frage nach dem Grad der Beteiligung sei im Rahmen des Zulassungsantrags nicht erörtert worden. Es sei offenbar nicht die bloße „Mitgliedschaft als solche“, eine womöglich „passive Mitgliedschaft“, angezweifelt worden. Die allein beweiserhebliche Frage sei gewesen, „ob die Mitgliedschaft als solche Repressalien nach sich zieht“. Diese Frage habe der Senat gänzlich unberücksichtigt gelassen.
Dieser Vortrag entspricht nicht dem klägerischen Vorbringen im Antrag auf Zulassung der Berufung, die der Senat bei seiner Entscheidung allein heranzuziehen hatte (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). In dem Schriftsatz des Klägers vom 9. Dezember 2019 heißt es ausdrücklich: „Der Kläger ist ein Nigerianer, der Nigeria im Jahre 2013 verlassen hat. Er hat dort als Kameramann gearbeitet. Er hat die IPOB unterstützt und für diese Organisation mobilisiert und Flugblätter verteilt. Er hat von 2010 bis 2013 an mehreren Demonstrationen teilgenommen und war hierbei in exponierter Stellung…“. Auch der Beweisantrag, dessen unberechtigte Ablehnung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht der Kläger gerügt hatte, richtete sich darauf, dass „politische Betätigung für IPOB“ in ganz Nigeria zur Verfolgung durch Sicherheitsorgane oder das Militär führe. Das Verwaltungsgericht hat den Tatsachenvortrag des Klägers insgesamt als nicht glaubhaft angesehen. Der Kläger will daraus offenbar ablesen, damit habe das Verwaltungsgericht nur die „politische Betätigung“ für IPOB nicht geglaubt, die „bloße Mitgliedschaft“ bzw. „passive Mitgliedschaft“ bei IPOB aber nicht angezweifelt; das Verwaltungsgericht sowie der Senat hätten sich somit mit einer sich allein daraus ergebenden Verfolgungsgefahr befassen müssen. Zum einen ist jedoch eine solche Aufspaltung der Glaubhaftigkeit des „Verfolgungsschicksals“ – worauf der Senat bereits im Beschluss vom 8. Januar 2020 (Rn. 5) hingewiesen hat – nach den Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil nicht nachvollziehbar. Zum anderen brauchte der Senat in der Entscheidung über den Zulassungsantrag nicht auf einen „alternativen Sachverhalt“ einzugehen, der gerade im Widerspruch zum Tatsachenvortrag in der Begründung des Zulassungsantrags gestanden hätte.
Eine entscheidungserhebliche Verletzung des klägerischen Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG durch den angegriffenen Beschluss des Senats vom 8. Januar 2020 ist damit nicht hinreichend dargelegt.
Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (10 AS 20.30413) ist abzulehnen.
Die einstweilige Aussetzung der Vollziehung einer rechtskräftigen Entscheidung nach Erhebung einer Anhörungsrüge nach § 152a Abs. 6 i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt nur dann in Betracht, wenn die Anhörungsrüge mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird und ohne eine solche vorläufige Regelung der Antragsteller bzw. Kläger unzumutbar belastet würde (HessVGH, B.v. 28.11.2005 – 7 Q 2684/05 – juris Rn. 8). Dies ist jedenfalls dann nicht mehr der Fall, wenn feststeht, dass die Anhörungsrüge keinen Erfolg hat (NdsOVG, B.v. 21.1.2010 – 8 MC 11/10 – juris Rn. 1). Letzteres trifft hier zu.
Einer Kostenentscheidung ebenso wie einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die Kosten des Zwischenverfahrens nach § 152a Abs. 6 i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu den Kosten des Hauptverfahrens, d.h. des Verfahrens über die Anhörungsrüge, zählen und die Entscheidung somit keine eigenständige Kostenfolge auslöst (OVG LSA, B.v. 27.6.2012 – 1 M 64/12 – juris Rn. 2; SächsOVG, B.v. 15.9.2011 – 5 B 135/11 – juris Rn. 2 f.; NdsOVG, B.v. 21.1.2010 – 8 MC 11/10 – juris Rn. 2; HessVGH, B.v. 28.11.2005 – 7 Q 2684/05 – juris Rn. 12).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


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