Verwaltungsrecht

Angeblich senegalesischer Staatsangehöriger, Langjährige Identitätstäuschung als angeblich kongolesischer Staatsangehöriger, Verurteilung wegen Vorlage eines ersten gefälschten senegalesischen Reisepasses, Vorlage eines zweiten noch nicht abschließend vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Echtheit geprüften senegalesischen Reisepasses, Verpflichtung zur Teilnahme an einem Vorführungstermin vor Vertretern der senegalesischen Auslandsvertretung zwecks Identifizierung, Bestandskräftige Ausweisung, Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Vorführungstermin, Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  Au 6 S 21.488, Au 6 K 21.487

Datum:
9.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23945
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, 49 Abs. 2, 82 Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 5
§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Der Antragsteller und Kläger (im Folgenden: Kläger) ist nach eigenen Angaben senegalesischer Staatsangehöriger und wendet sich mit seiner Klage gegen die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Vorführungstermin vor Vertretern der senegalesischen Auslandsvertretung zwecks Identifizierung und Reisepassbeantragung. Er begehrt mit seinem Eilantrag die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage sowie Prozesskostenhilfe für das Antrags- und für das Klageverfahren.
I.
Der Kläger stellte am 1. Oktober 2013 in Deutschland einen Asylantrag unter der Identität, geboren am … 1984 in, mit der Angabe, kongolesischer Staatsangehöriger zu sein. Er verfügte über einen unter diesen Personalien ausgestellten norwegischen Führerschein. In seiner polizeilichen Vernehmung gab er an, er habe im Jahr 2001 in Norwegen einen Asylantrag gestellt, wo er mit seiner Freundin und der gemeinsamen Tochter zusammenlebe. Auf Vorhalt, er sei im Jahr 2011 von den norwegischen Behörden zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben worden, gab er an, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass der Kläger im Jahr 2005 eine Aufenthaltserlaubnis in Norwegen erhalten hatte, im Jahr 2011 wegen sexueller Beziehung zu Minderjährigen zu sechs Monaten Haft verurteilt, aus Norwegen ausgewiesen und aufgrund dessen zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben worden war. Am 11. Februar 2015 tauchte der Kläger in Deutschland unter und reiste möglicherweise nach Norwegen zurück.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte mit Bescheid vom 16. Juni 2016 das Asylverfahren wegen Rücknahmefiktion ein, forderte den Kläger zum Verlassen des Bundesgebiets auf und drohte ihm die Abschiebung in den Kongo an. Weiter erließ es ein Einreise- und Aufenthaltsverbots für 30 Monate. Tatsächlich tauchte der Kläger jedoch wieder auf. Seine Klage gegen den Bescheid wies das Verwaltungsgericht allerdings ab (VG Augsburg, GB.v. 24.7.2017 – Au 7 K 16.31033).
Der Kläger machte sich während des Asylverfahrens strafbar:
– AG Augsburg, U.v. 14.7.2016 – …: 10 Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen in zwei Fällen. Der Kläger hatte in zwei Fällen einem 16-jährigen Jungen einen Joint zum Rauchen gegeben; er wurde auch hier als kongolesischer Staatsangehöriger geführt.
Auf diese Verurteilung hin wies ihn das Landratsamt * mit Bescheid vom 2. Januar 2017 aus dem Bundesgebiet unter der Voraussetzung aus, dass das Asylverfahren ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen werde. Es befristete die Wirkungen der Ausweisung auf zwei Jahre nach der Abschiebung oder Ausreise des Klägers. Es forderte den Kläger erstmals mit Schreiben vom 26. Juli 2017 und seither wiederholt zur Beschaffung von Identitätsdokumenten auf, insbesondere zur Beschaffung eines Reisepasses seines Herkunftsstaats. Der Kläger wurde geduldet, weil er wegen ungeklärter Identität und mangels Reisepasses nicht abgeschoben werden konnte.
Am 12. Februar 2018 teilte der Kläger der Ausländerbehörde des Landratsamts … seine heutigen, angeblich wahren Personalien mit und deckte auf, dass die behauptete kongolesische Staatsangehörigkeit und Identität unwahr gewesen seien. Eine deutsche Staatsangehörige erwarte von ihm ein Kind, dessen Vater er sein wolle. Sein echter Reisepass sei bei einem Bekannten in einem anderen europäischen Land. Der Kläger wurde erneut über seine Verpflichtung zur Beschaffung eines Reisepasses unter seiner echten Identität belehrt sowie weiterhin geduldet.
Der Kläger legte die Farbkopie einer senegalesischen Geburtsurkunde für sich vor. Er erkannte am 22. Juli 2018 die Vaterschaft für das am … 2018 geborene Kind an. Am 2. August 2018 vereinbarten die Kindeseltern notariell die gemeinsame Personensorge für das Kind. Der Kläger wies sich mit einem senegalesischen Reisepass aus.
Der Kläger ließ der Ausländerbehörde einen senegalesischen Reisepass vorlegen, der sich jedoch bereits bei der polizeilichen Prüfung als Totalfälschung herausstellte.
Auf Hinweis norwegischer Polizeibehörden entwickelte sich gegen den Kläger der Anfangsverdacht, von Deutschland aus Gelder an einen senegalesischen Staatsangehörigen und dessen norwegische Ex-Ehefrau weitergeleitet zu haben, die sich dem IS in Syrien bzw. dem Irak angeschlossen hatten. Ob der Kläger und seine Verlobte davon wussten, blieb offen. Strafrechtliche Sanktionen wurden nicht ergriffen.
Am 28. März 2018 füllte der Kläger zwar einen Passersatzantrag aus, gab aber ergänzend an, er sei im Jahr 2001 zwar unter seinen richtigen Personalien nach Norwegen eingereist, habe aber unter der kongolesischen Identität erfolgreich Asyl beantragt und seine Personaldokumente in sein Heimatland zurückgeschickt, wo sein Reisepass sei.
Am 19. Oktober 2018 teilte der Kläger nochmals mit, er wolle nicht freiwillig ausreisen. Der Kläger wurde anschließend noch mehrfach über die Pflicht zur Beschaffung eines Reisepasses erfolglos belehrt. Mit Bescheid vom 23. Mai 2019 wurden seine Asylbewerber-Leistungen weiter gekürzt und auf Sachleistungen umgestellt.
Der Kläger wurde wegen des gefälschten Reisepasses bestraft:
– AG Augsburg, U.v. 3.6.2019 – …: Geldstrafe 150 Tagessätze zu 10,00 Euro wegen Urkundenfälschung.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 1. Oktober 2020 ließ der Kläger einen am 2. März 2020 auf seine aktuellen Personalien ausgestellten senegalesischen Reisepass vorlegen, beantragte die private Wohnsitznahme bei der Kindesmutter zwecks Betreuung des Kindes, während diese arbeite, weil ihm die Beschäftigung verboten sei. Weiter beantragte er einen Aufenthaltstitel zum Familiennachzug zu seinem Kind unter Verzicht auf ein Visumverfahren wegen der pandemiebedingten Beschränkungen des Reiseverkehrs (Covid 19). Der Kläger und die Kindesmutter lebten seit sechs Jahren zusammen und seine Wiedereinreise im Visumverfahren sei nicht gesichert.
Der Antragsgegner und Beklagte (im Folgenden: Beklagte) lehnte den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Verzicht auf ein Visumverfahren mit Bescheid vom 21. Oktober 2020 ab; über die hiergegen erhobene Klage im Parallelverfahren (Au 6 K 20.2557) ist noch nicht entschieden.
Der Beklagte leitete den Reisepass dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Prüfung der Echtheit zu; die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2021 verpflichtete der Beklagte den Kläger, beim Außentermin zur Sammelanhörung der senegalesischen Delegation am 8. März 2021 um 14:00 Uhr zum Zweck der Ausstellung eines Passes, Passersatzes oder eines anderen gültigen Reisedokuments vorzusprechen und ein solches zu beantragen (Ziffer 1), verpflichte ihn zur unverzüglichen Übergabe des Dokuments an den Beklagten (Ziffer 2), drohte ihm für den Fall, dass er Ziffer 1 dieses Bescheids nicht nachkomme, die zwangsweise Vorführung an (Ziffer 3) und ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheides an (Ziffer 4).
Hiergegen ließ der Kläger am 5. März 2021 Klage erheben und neben Prozesskostenhilfe beantragen,
den Bescheid vom 22. Februar 2021 aufzuheben.
Weiter ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2021 wiederherzustellen.
Zur Begründung ließ der Kläger ausführen, ihm sei für den 11. März 2021 in München eine Vorsprache angesonnen worden, obwohl er bereits im Besitz eines Reisedokuments sei. Dieser Reisepass befinde sich seit dem 7. Dezember 2020 bei der Behörde, wobei die Echtheitsprüfung offenbar vom Beklagten verzögert werde, um die Eheschließung des Klägers mit seiner Verlobten zu verhindern, während parallel versucht werde, ein anderweitiges Heimreise-Dokument zu erlangen. Die Teilnahme des Klägers an der Vorführung sei nicht geeignet, einen Reisepass zu erlangen, da die Republik Senegal dem Kläger bereits einen solchen ausgestellt habe und der Kläger seit geraumer Zeit seine senegalesische Staatsangehörigkeit nicht mehr bestreite.
Der Beklagte trat dem Antrag entgegen und beantragte
Antragsablehnung.
Der Reisepass sei umgehend an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitergeleitet worden, wobei dessen Außenstelle in * die Echtheit nicht habe bestätigen können und den Reisepass daher an die Zentrale in * weitergeleitet habe, wo die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei. Zudem könne der Kläger durch die Vorsprache und eine Bestätigung seiner Identität durch die senegalesische Botschaft zur Identitätsklärung beitragen, nachdem er bereits einen gefälschten Reisepass vorgelegt und auch jahrelang unter falschen Personalien im Bundesgebiet gelebt habe. Die Delegation befinde sich nur für einen kurzen Aufenthalt von einer Woche im Bundesgebiet, sodass die Anhörung stattfinden müsse. Das öffentliche Interesse an seiner Identitätsklärung überwiege sein privates Verschonungsinteresse.
Der Beklagte hält an seinem Bescheid trotz Ablaufs des ursprünglichen Termins zur Vorführung am 8. März 2021 und Nichterscheinens des Klägers fest, da in der 10. Kalenderwoche noch Vorsprachen stattfänden und eine Vorführung noch möglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet. Gegen die in Ziffer 3 des Bescheids vom 22. Februar 2021 enthaltene Androhung der Vorführung ist zwar kein ausdrücklicher Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt worden. Insoweit wird der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 88 VwGO aber als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verstanden, da die Vorführungsandrohung als Zwangsmittelandrohung mit dem Ausgangsbescheid verbunden ist (arg. ex Art. 21a, Art. 37 Abs. 1 Satz 2 und Satz 2 BayVwZVG) und dieser insgesamt angefochten ist. Dennoch führt die Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugs- und dem privaten Verschonungsinteresse unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache in der gebotenen summarischen Prüfung dazu, dass sich die für sofort vollziehbar erklärte Vorsprache- und Vorlageverpflichtung mit Vorführungsandrohung derzeit nicht als rechtswidrig erweist, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage hiergegen nicht wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist.
1. Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig.
a) Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO sind die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hinsichtlich Ziffer 1 und Ziffer 2 des Bescheids vom 22. Februar 2021 (Vorsprache- und Vorlageverpflichtung) und der konkludente Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO hinsichtlich Ziffer 3 des Bescheids vom 22. Februar 2021 (Vorführungsandrohung).
b) Die Vorspracheverpflichtung in Ziffer 1 ist ein belastender Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, für den in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft ist (§ 42 Abs. 1 VwGO) und der sich noch nicht erledigt hat.
Ein Verwaltungsakt erledigt sich, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 11/15 – InfAuslR 2017, 137/139 Rn. 29). Eine Erledigung kann gemäß Art. 43 Abs. 2 Alt. 4 BayVwVfG insbesondere durch Zeitablauf eintreten. Zwar ist der vom Beklagten im Bescheid bestimmte Termin bei der senegalesischen Delegation/Auslandsvertretung am 8. März 2021 um 14.00 Uhr inzwischen verstrichen. Dadurch hat sich die Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen und zur Antragstellung aber nicht erledigt. Vielmehr macht die auf § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG, Art. 36 Abs. 1 BayVwZVG gestützte Androhung der polizeilichen Vorführung in Ziffer 3 deutlich, dass die Verpflichtung auch danach fortbesteht und einen Grundverwaltungsakt darstellt, der, nachdem ihm nicht nachgekommen wurde, nunmehr zwangsweise im Wege der polizeilichen Vorführung durchgesetzt werden kann (vgl. OVG NRW, B.v. 16.2.2017 – 18 A 1176/13 – juris Rn. 16).
Dies gilt umso mehr, als der Beklagte davon ausgeht, eine erneute Vorsprache noch im Lauf der Woche durchführen zu können.
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Dabei hat das Gericht die widerstreitenden öffentlichen und privaten Vollzugsinteressen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und die Erfolgsaussichten der Klage mit zu berücksichtigen, soweit sich diese bereits übersehen lassen. Lässt sich bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen bzw. wiederherzustellen, weil aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich dagegen die angefochtene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aufschubinteresse überwiegt. Lässt sich die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Verfügung bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung nicht feststellen, nimmt das Verwaltungsgericht eine Folgenabwägung vor unter Berücksichtigung der Folgen, die einträten, würde die Verfügung sofort vollzogen, aber im Nachhinein im Klageverfahren aufgehoben, gegenüber den Folgen, bliebe die Verfügung zunächst außer Vollzug, würde aber später im Klageverfahren bestätigt.
Diese Entscheidung fällt zu Lasten des Klägers aus, da das öffentliche Interesse an seiner sofort vollziehbaren Vorsprache- und Vorlageverpflichtung gegenüber dem privaten Interesse des Klägers, hiervon bis zum Abschluss der Echtheitsprüfung seines vorgelegten Reisepasses verschont zu bleiben, überwiegt.
a) Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 1 und Ziffer 2 des Bescheids vom 22. Februar 2021 (Vorsprache- und Vorlageverpflichtung) ist unbegründet.
aa) Rechtsgrundlage für die Anordnung des persönlichen Erscheinens beim Vorsprachetermin – allgemein und konkret am 8. März 2021 – ist § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Nach dieser Vorschrift kann, soweit es erforderlich ist, zur Vorbereitung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz angeordnet werden, dass ein Ausländer bei den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint. Wenn der Ausländer einer solchen Anordnung nicht Folge geleistet hat, darf sie nach § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zwangsweise durchgesetzt werden. Die Ausgestaltung der Vorsprachepflicht nach § 82 Abs. 4 AufenthG hat die Behörde, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, nach Ermessen vorzunehmen. Sie kann – und muss – es bei der bloßen Vorspracheanordnung belassen, wenn sie davon ausgehen kann, dass der Ausländer einer derartigen Anordnung voraussichtlich Folge leisten wird. Falls sie hingegen aufgrund festgestellter tatsächlicher Umstände damit rechnen muss, dass der Adressat eine Vorspracheanordnung missachten und damit seine Mitwirkungspflicht nach § 82 AufenthG verletzen wird, muss sie auf geeignete Weise sicherstellen, dass die Vorsprache ohne Zeitverzögerung stattfinden und ihren Zweck erfüllen wird (BVerwG, U.v. 8.5.2014 – 1 C 3/13 – BVerwGE 149, 320-333, Rn. 23).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger ist aufgrund des unanfechtbaren Abschlusses seines Asylverfahrens und nach Ablauf der ihm durch das Bundesamt gesetzten Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig, § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Für die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung ist ein gültiges Heimreisedokument erforderlich. Ein solches kann der Kläger trotz wiederholter Belehrung über seine Mitwirkungspflichten bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung (vgl. § 48 Abs. 3 AufenthG) noch nicht vorweisen. Zwar hat er mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 1. Oktober 2020 einen am 2. März 2020 auf seine aktuellen Personalien ausgestellten senegalesischen Reisepass vorlegen lassen, dessen Echtheit aber noch nicht abschließend bestätigt ist. Zum gegenwärtigen Stand dauert die Prüfung noch an, was nicht der Beklagte zu vertreten hat:
Soweit der Kläger meint, dass die Echtheitsprüfung offenbar verzögert werde, um die Eheschließung des Klägers mit seiner Verlobten zu verhindern, während parallel versucht werde, ein anderweitiges Heimreise-Dokument zu erlangen, liegt dies neben der Sache. Die Verzögerung hat sich der Kläger selbst zuzuschreiben, denn der Reisepass wurde bereits am 2. März 2020 ausgestellt, aber vom Kläger erst im Oktober 2020 der Ausländerbehörde vorgelegt. Hätte er ihn unverzüglich nach Erhalt und deutlich früher vorgelegt, könnte die Prüfung längst abgeschlossen sein. Es kann auch keineswegs unterstellt werden, dass der nun vorliegende Reisepass des Klägers echt ist, da er sich zuvor mit einer Totalfälschung eines auf seine angeblichen Personalien ausgestellten senegalesischen Reisepasses ausgewiesen und diesen wohl zur Vaterschaftsanerkennung, nach Aktenlage aber sicher zur Personensorgeübernahme genutzt hatte. Er ist auch entsprechend wegen Urkundenfälschung verurteilt worden. Solange also der aktuelle Reisepass nicht sicher echt ist und wahre Angaben zur Identität des Klägers enthält, sind jedenfalls in diesem Einzelfall einer jahrzehntelangen beharrlichen Identitätstäuschung gegenüber erst norwegischen und auch deutschen Behörden weder die Passpflicht nach § 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG noch die Pflicht zur Identitätsklärung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG erfüllt. Die Klärung der Identität setzt nämlich die Gewissheit voraus, dass ein Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin Verwechslungsgefahr nicht besteht; ohne Weiteres geklärt ist die Identität in der Regel bei Vorlage eines anerkannten Passes oder Passersatzes oder wenn die Identität im Rahmen der Vorsprache einer Identifizierungskommission des (vermutlichen) Herkunftslandes bestätigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 2.6.2020 – 10 CE 20.931 u.a. – juris Rn. 14). Beide Alternativen sind beim Kläger derzeit aber (noch) nicht erfüllt.
§ 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfordert für die Vorsprachepflicht nicht, dass die Staatsangehörigkeit des Betroffenen nachgewiesen ist, sondern lässt vielmehr die Vermutung für eine bestimmte Staatsangehörigkeit genügen. Eine solche Vermutung besteht bereits dann, wenn sachliche Anhaltspunkte für eine bestimmte Staatsangehörigkeit vorliegen, ohne dass ein bestimmter Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht sein muss (vgl. hierzu OVG BB, B.v. 1.12.2010 – OVG 3 S 70.10 – juris Rn. 7). Im Fall des Klägers liegen solche Anhaltspunkte vor, die auf eine senegalesische Staatsangehörigkeit schließen lassen. Denn der Kläger hat – mittlerweile in Abweichung von seinen Angaben einer kongolesischen Identität seit seiner Einreise im asylrechtlichen Verfahren und bei Vorsprachen bei der Ausländerbehörde – angegeben, senegalesischer Staatsangehöriger zu sein und mittlerweile den zweiten senegalesischen Reisepass vorgelegt. Eine andere Staatsangehörigkeit hat der zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtete Kläger (§ 49 Abs. 2 AufenthG) aktuell nicht mehr behauptet, was auch sein Bevollmächtigter betont. Umso wahrscheinlicher könnte also eine Vorsprache die behauptete Identität bestätigen.
bb) Die Anordnung ist auch verhältnismäßig im weiteren Sinne und damit erforderlich im Sinne von § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Die Ausländerbehörde hat vor Anordnung des persönlichen Erscheinens stets sorgfältig zu prüfen, ob dies zur Vorbereitung oder Durchführung von Maßnahmen nach ausländerrechtlichen Regelungen verhältnismäßig, das heißt geeignet, erforderlich und angemessen ist. Ist dies zu bejahen, hat die Ausländerbehörde darüber hinaus das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben und dabei insbesondere Fragen der Zumutbarkeit zu berücksichtigen.
Die Pflicht zum persönlichen Erscheinen bei der Vertretung der senegalesischen Republik ist im Hinblick auf die behauptete Staatsangehörigkeit geeignet, die Identität des Klägers einschließlich seiner Staatsangehörigkeit zu klären. Sie führt im günstigsten Fall zur Ausstellung eines echten Reisepasses oder Heimreisedokuments für den ausreisepflichtigen Kläger.
Sie ist erforderlich, da der Kläger jahrelang freiwillig seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist, stattdessen einen ersten total gefälschten senegalesischen Reisepass vorgelegt hat und die Echtheitsprüfung des zweiten senegalesischen Reisepasses noch nicht mit für den Kläger positivem Ergebnis abgeschlossen ist. Soweit der Kläger einwendet, die Teilnahme des Klägers an der Vorführung sei nicht geeignet, einen Reisepass zu erlangen, da die Republik Senegal dem Kläger bereits einen solchen ausgestellt habe, trifft dies nicht zu. Bisher hat der Kläger zwei angeblich senegalesische Reisepässe vorgelegt, deren erster total gefälscht war und deren zweiter noch nicht abschließend für echt befunden wurde. Sollte sich auch dieser zweite Reisepass als gefälscht herausstellen, kann die Vorführung des Klägers bei Klärung der Bestätigung seiner Identität und tatsächlich senegalesischen Staatsangehörigkeit des Klägers endlich zur Ausstellung eines dritten echten Reisepasses führen. Sollte der zweite Reisepass hingegen echt sein, kann die Vorführung des Klägers zur Bestätigung seiner Identität und Staatsangehörigkeit führen und die Echtheitsprüfung durch die deutschen Behörden erleichtern und abkürzen, woran der Kläger nach seinem Vorbringen ein gesteigertes Interesse hat.
Die Pflicht zum persönlichen Erscheinen ist verhältnismäßig im engeren Sinn. Der Kläger ist bisher seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Identitätspapieren nicht nachweislich nachgekommen, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist. Sie verlangt vom Kläger nichts Unmögliches, da ihm das Erscheinen und die Beantragung von Identitätspapieren bei der senegalesischen Auslandsvertretung bzw. der Delegation in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht möglich ist. Auch ist sie nicht von vornherein und offensichtlich untauglich und deshalb unzumutbar. Mit Blick auf den eher geringen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG und das Fehlen sonstiger Umstände, die gegen eine solche Verpflichtung sprechen, ist die getroffene Anordnung zur Vorsprache nicht unzumutbar. Umgekehrt ist der Eingriff durch ein besonders schwerwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt, den durch jahrelange Täuschung über seine Identität faktisch verlängerten Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet durch Abschiebung zu beenden oder durch freiwillige Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens zu legalisieren. In beiden Fällen sind eine geklärte Identität und ein zur Heimreise erforderliches Dokument des Herkunftsstaats zwingend erforderlich. Dies gilt umso mehr, als der Kläger nicht nur ausreisepflichtig, sondern auch ausgewiesen worden ist.
b) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 3 des Bescheids vom 22. Februar 2021 (Vorführungsandrohung) ist unbegründet.
Dies gilt auch in Anbetracht dessen, dass unmittelbarer Zwang grundsätzlich gegenüber Zwangsgeld und Ersatzvornahme subsidiär ist (Art. 29 Abs. 3 VwZVG). Ob der grundsätzliche Vorrang des Zwangsgeldes wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung zur zwangsweisen Vorführung gemäß § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG auch im vorliegenden Fall gilt, kann dahinstehen. Zu Recht geht der Beklagte davon aus, dass aufgrund der fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit des Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehenden Klägers ein Zwangsgeld als grundsätzlich milderes Mittel keinen zweckentsprechenden und angesichts der nur kurzen Verfügbarkeit der senegalesischen Delegation für Vorsprachen im Bundesgebiet auch keinen rechtzeitigen Erfolg erwarten lässt. Die angedrohte polizeiliche Vorführung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Dem Kläger wurde mit dem Vorsprachetermin am 8. März 2021 Gelegenheit zur freiwilligen Vorsprache gegeben, die er ohne rechtfertigenden Grund nicht wahrgenommen hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 8.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist unbegründet, da im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe die Erfolgsaussichten der Klage und für den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage aus den dargelegten Gründen nicht mehr offen sind.
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Im Zeitpunkt der Bewilligungsreife für den erwerbs- und vermögenslosen Antragsteller und Kläger sind die Erfolgsaussichten des Antrags und der Klage aus den o.g. Gründen nicht mehr offen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben