Verwaltungsrecht

Angehöriger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft – keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 19 K 17.30202

Datum:
31.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46745
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Angehörige der Ahmadiyya sind in Pakistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für aktiv bekennende Ahmadis, für die die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung ihrer religiösen Identität besonders wichtig ist, muss von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Nr. 5) sowie der Befristungsentscheidung (Nr. 6) bestehen keine Zweifel. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG) verwiesen.
1. Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG.
Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln die §§ 3a bis d AsylG.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen nicht vor. Denn das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Pakistan dort Verfolgung droht. Für die Beurteilung dieser Frage gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
a) Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist.
Die insoweit vorgetragenen Gründe rechtfertigen nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger schilderte lediglich Belästigungen, Beschimpfungen und Beleidigungen im Unterricht die schon von ihrer Intensität her nicht geeignet sind, Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darzustellen. Anders könnte dies für die beschriebene Schlägerei mit den drei Mullahs zu beurteilen sein. Das Gericht hat jedoch bereits erhebliche Zweifel daran, dass sich das Geschehen, sowie der Kläger es geschildert hat, tatsächlich abgespielt hat. Er hat die zeitliche Einordnung des Geschehens im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht im Ansatz nachvollziehbar darstellen bzw die entstandenen Widersprüche aufklären können. Darüber hinaus liegt dieser Vorfall bereits mehr als vier Jahre in der Vergangenheit, sodass insoweit nicht mehr davon auszugehen ist, dass die Mullahs bei einer etwaigen Rückkehr des Klägers ein fortbestehendes Interesse an seiner Habhaftwerdung hätten.
b) Der Kläger kann sich nicht auf eine Gruppenverfolgung als Mitglied der Glaubensgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat (im Folgenden: Ahmadiyya) berufen.
Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya in Pakistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 59 ff.; VG Augsburg, U.v. 18.1.2019 – Au 3 K 16.31570 – juris Rn. 17; VG München, U.v. 18.10.2018 – M 10 K 17.30895 – juris Rn. 18). Die Auswertung der vorliegenden aktuellen Erkenntnismittel ergibt keine Anhaltspunkte für eine abweichende Einschätzung. Zwar werde die Ahmadiyya von der pakistanischen Verfassung als nicht-muslimisch kategorisiert und schränkten Zusätze zum Strafgesetz deren Religionsfreiheit ein (§ 298c Pakistanisches Strafgesetzbuch). Ahmadis würden auf einer gesonderten Wählerliste geführt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan, Stand: August 2018, S. 6, 13 f. – Lagebericht). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet im Rahmen ihrer Schnellrecherche (7.5.2018, S. 7, 8) von einer Kultur der religiösen Intoleranz, Drangsalierungen und Tötungen von Ahmadis. Jedoch lebe der größte Teil der Ahmadis friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen (Lagebericht S. 13). Die Lage der Ahmadis in Pakistan habe sich in letzter Zeit sogar eher verbessert (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report – Pakistan, September 2015, S. 59). Vor diesem Hintergrund geht auch der Vortrag des Klägerbevollmächtigten zur im Rahmen der Passbeschaffung entstehenden Verfolgung nicht weiter über die bereits auch im Hinblick auf die Passbeschaffung bekannten (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Pakistan, Stand: Juni 2017, S. 80, 81) Diskriminierungen hinaus. Das vom Klägerbevollmächtigen in Bezug genommene Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. März 1985 (9 B 5072/79) ändert an dieser, sich an der aktuellen – auch obergerichtlichen Rechtsprechung – orientierenden Einschätzung nichts.
c) Der Kläger gehört schließlich auch nicht zu dem Kreis von Glaubensangehörigen der Ahmadiyya, für die eine öffentlichkeitswirksame Religionsausübung identitätsprägend ist und die sich deshalb in Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sehen.
Nach herrschender Rechtsprechung muss für aktiv bekennende Ahmadis, für die die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung ihrer religiösen Identität besonders wichtig ist, von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 33; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – juris Rn. 116). Anknüpfungspunkt für die Verfolgungsgefahr ist dabei die Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Hierzu gehört nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v.5.9.2012 – C-71/11 – juris Rn. 62, 63) nicht nur die Freiheit, Religion im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben. Dabei stellt nicht jeder Eingriff in die geschützte Religionsfreiheit auch eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG dar. Um als Verfolgung qualifiziert zu werden, muss es sich um eine schwerwiegende Rechtsverletzung handeln, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 23 f.).
Ob die behauptete Gefahr derart schwerwiegend ist, ist anhand von objektiven und subjektiven Kriterien zu prüfen. Es kommt also – neben der objektiv zu beantwortenden Frage, wie schwer die drohenden Rechtsgutsverletzungen sein werden – als subjektives Element darauf an, dass für den Betroffenen zur Wahrung seiner religiösen Identität die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit besonders wichtig ist. Entscheidend ist, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem individuellen Glaubensverständnis als zentrales Element seiner religiösen Identität unverzichtbar ist (EuGH, U.v.5.9.2012 – C-71/11 – juris Rn.70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 f.).
Die Tatsache, dass der Kläger die konkrete, nach außen gerichtete, religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als derart identitätsstiftend erfährt, dass ihm ein Verzicht hierauf oder eine zumindest wesentliche Beschränkung nicht zuzumuten ist, muss der Asylbewerber zur vollen richterlichen Überzeugung nachweisen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 30). Sein religiöses Selbstverständnis lässt sich nur aus dem klägerischen Vorbringen sowie durch Rückschluss von äußeren Anhaltspunkten auf seine innere Einstellung feststellen. Zur Ermittlung und Einschätzung dieser inneren Tatsachen ist eine Gesamtwürdigung des klägerischen Vortrags und der vorgelegten Unterlagen vorzunehmen. Es ist auf das religiöse Selbstverständnis des Klägers in seinem Heimatland und nun in Deutschland abzustellen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, wie der Kläger seinen Glauben konkret ausgeübt hat, ausübt und inwieweit dies für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität elementar ist, oder möglicherweise nur aus asyltaktischen Erwägungen erfolgt.
Es besteht kein Zweifel daran, dass der Kläger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft zugehörig ist. Es ist jedoch nicht davon überzeugt, dass gerade die öffentliche Ausübung seines Glaubens für ihn unverzichtbarer Bestandteil seiner religiösen Identität ist.
Zu dieser Einschätzung gelangt es insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Auch die vorgelegten Unterlagen und die beim Bundesamt vorgetragenen Umstände haben in die Entscheidungsfindung Eingang gefunden. Der Kläger hat eine Mitgliedsbescheinigung vom 27. Oktober 2017 der Ahmadiyya vorgelegt, aus der sich ergibt, dass er von Geburt an Ahmadi ist, regelmäßig an Gebeten in der Moschee sowie an lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teilnimmt, Musi ist, seine Beiträge bezahlt und ehrenamtliche Hilfsdienste erledigt. Ferner wurde eine umfangreiche Dokumentationsmappen vorgelegt, die die Aktivitäten des Klägers in seiner oberbayerischen Gemeinde und die Teilnahme an regionalen und überregionalen Veranstaltungen der Ahmadiyya belegen sollen. Diese Unterlagen lassen zwar den Rückschluss zu, dass der Kläger sich in Deutschland aktiv am Gemeindeleben beteiligt. Sie stützen den Vortrag des Klägers, sich seinem Glauben verbunden zu fühlen und seit seiner Ankunft in Deutschland auch immer wieder an Veranstaltungen teilgenommen zu haben. Sie bieten aber keine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass gerade die Öffentlichkeit seines Bekenntnisses für ihn identitätsstiftend ist. Diese – innere – Tatsache konnte der Kläger auch in seinem persönlichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
In Pakistan hat der Kläger seinen Glauben nur im häuslich-nachbarschaftlichen Bereich und gemeindeintern gelebt. Er hatte innerhalb seiner Gemeinde keine besondere Funktion inne. Er hat die Moschee der Gemeinschaft täglich besucht. Darüber hinaus hatte er keine – insbesondere keine nach außen erkennbar werbende – Tätigkeit für seine Gemeinde ausgeübt
In Deutschland nimmt er an Veranstaltungen der Gemeinde teil und besucht auch die Moschee in Neufahrn. Dies wird durch die Fotodokumentation belegt. Zwar legen die Fotos nahe, dass der Kläger in Deutschland seinen Glauben auch in die Öffentlichkeit trägt. Dies z. B., durch die Teilnahme Reinigungsaktionen und diversen Flyer-Verteilaktionen. Die fotografisch dokumentierten Reinigungsaktionen bezogen sich jedoch überwiegend auf die Ahmadiyya Moschee in Neufahrn, daher ist insoweit nicht von einem deutlichen Nach-außen-Tragen der Aktivitäten des Klägers auszugehen.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den als einen mit seinem Glauben verbundenen jungen Mann erlebt. Er hat dargelegt, dass es ihm wichtig ist und war etwa seine im muslimischen Glauben wurzelnden Gebetsverpflichtungen zu erfüllen. Dass ihm die Teilnahme an Gemeindeveranstaltungen und die Übernahme von Aufgaben für die Gemeinde ein echtes inneres Anliegen ist, vermochte er jedoch nicht darzulegen.
Das Gericht gewann insbesondere nicht die Überzeugung, dass der Kläger die beschriebenen „missionarischen Tätigkeiten“ (Tabligh) aus einem intrinsischen und von ihm als für sich bindenden religiösen Antrieb heraus wahrnimmt, sondern dass es sich dabei um Verpflichtungen handelt, die für alle Ahmadis Geltung beanspruchen und denen er – aus einer grundsätzlich jedoch eher passiven Haltung heraus – nachkommt, weil dies so erwartet wird und üblich ist. Dies wird vor allem dadurch bestätigt, dass der Kläger nicht vortragen konnte, welchen Inhalt z.B. die von ihm verteilten Flyer haben. Er beschränkte sich lediglich auf die pauschale Angabe, den Ahmadi-Glauben als guten Glauben verbreiten zu wollen, ohne dies mit Inhalten zu unterfüttern. Seine Aussagen zu seinem religiösen Selbstverständnis waren zwar verbal aussagestark („Für meine Religion kann ich alles opfern, mein Leben, mein Vermögen und meine Zeit“), ließen jedoch – auch auf mehrere Nachfragen des Gerichts hin – einen inneren Gehalt bzw. eine Nachdrücklichkeit und Authentizität vermissen, die unbedingt zu erwarten wäre, würde der Kläger tatsächlich eine innerliche Gebundenheit erleben und nach außen hin leben. Dieser Eindruck wurde im Lauf der mündlichen Verhandlung an mehreren Stellen deutlich: Die Ausführungen des Klägers erfolgten bei Nachfragen zu seinem persönlichen Erleben und den Gründen für das Nach-außen-Tragen seines Bekenntnisses wiederholt im Plural („Wir machen Tabligh und wir versuchen einen guten Islam zu verbreiten“). Er formulierte formal und stereotyp („Leben, Vermögen, Zeit“) und er war nicht in der Lage, von sich aus über sein religiöses Leben und dessen Bedeutung für ihn zu sprechen. Erst auf konkrete Fragen des Gerichts antwortete der Kläger, jedoch in eher oberflächlicher und vordergründiger Art und Weise. Innere Konflikte, die ihn in Pakistan in seiner Religionsausübung beschränkt hätten, vermochte er – auch auf gezielte dahingehende (Suggestiv-) Nachfragen seines Bevollmächtigten – nicht zu schildern. Auch seine Erklärung, warum er Musi geworden sei, entbehrte vollständig einer inneren Bindung.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass zum einen die Situation in der mündlichen Verhandlung für den Kläger durchaus herausfordernd ist und dass dieser zudem aus einem anderen Kulturkreis stammt. Deshalb ist nicht ohne Weiteres zu erwarten, dass er von sich aus breite Ausführungen zu seinem inneren Erleben macht. Das Gericht und auch sein Bevollmächtigter haben den Kläger jedoch intensiv befragt. Gleichwohl blieben seine Angaben zur hier entscheidenden Frage, ob gerade das öffentliche Leben seines Glaubens ein Kernbestandteil seiner Persönlichkeit ist, weitgehend ohne Überzeugungskraft. Das Gericht hat nicht den Eindruck gewonnen, dass er hierzu intellektuell nicht in der Lage wäre, sondern dass es dem Kläger von sich aus hierauf nicht im Besonderen ankam.
Unter Gesamtwürdigung seines Vortrags geht das Gericht nicht davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan und der dort eingeschränkten Möglichkeit, seinen Glauben öffentlichkeitswirksam nach außen zu tragen, in einen schweren inneren Konflikt geraten wird. Er nimmt die Möglichkeiten, die sich ihm hier in Deutschland bieten zwar wahr. Das Gericht ist jedoch nicht davon überzeugt, dass diese konkrete Glaubenspraxis für ihn grundsätzlich zentrales Element seiner religiösen Identität und damit für ihn unverzichtbar ist.
d) Ferner muss sich der Kläger auf die Möglichkeiten einer inländischen Fluchtalternative (§ 3e AsylG) verweisen lassen.
Nach der aktuellen Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 20; Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014) können potentiell Verfolgte in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Peshawar oder Multan aufgrund der dortigen Anonymität unbehelligt leben. Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass der Kläger nach einer Wiedereinreise nach Pakistan in einer dieser Millionenstädte sicher leben könnte. In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche: 880.000 km², ca. 200 Mio. Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines potentiellen Verfolgers zu entgehen. Gründe, die es ihm nicht zumutbar erscheinen ließen, außerhalb seiner Heimatregion zu leben, hat der Kläger nicht vorgetragen. Unter Berücksichtigung des dargestellten Risikoprofils (Ahmadi, der seinen Glauben nicht öffentlich bekennt) ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Kläger nicht in Anonymität verstecken, sondern allenfalls eine gewisse Vorsicht walten lassen muss, sodass ihm auch die Teilnahme am Erwerbsleben möglich sein wird.
Insbesondere wäre ihm ein Umzug nach Rabwah (Chenab Nagar), dem religiösen Zentrum der Ahmadiyya, zuzumuten (so auch VG Frankfurt, U.v. 9.8.2017 – 4 K 5804/16.F.A – juris Rn. 28; VG München, U.v. 21.9.2017 – M 1 K 16.35606 – Juris Rn. 17 f.; VG Oldenburg, U.v.30.1.2017 – 5 A 513/14 – juris LS 2; VG Augsburg, U.v. 10.3.2016 – Au 3 K 16.30051 – juris Rn 16; aA: VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 121). Rabwah bietet Ahmadis einen erheblichen Schutz, da sie dort weitgehend unter sich sind (Bevölkerungsanteil von ca. 95%). Ahmadis könnten sich in Rabwah relativ sicher fühlen, obwohl es auch dort zu Bedrohungen komme (Lagebericht, S. 2; UK Home Office, Country Policy and Information Note Pakistan: Ahmadis, März 2019, S. 23, 24, abrufbar unter: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/790304/CPIN-Pakistan-Ahmadis-v4.0_Mar_19.pdf). Die Stadt Rabwah bietet Ahmadis jedoch ein großes Maß an Freiheit, um ihre religiösen Aktivitäten durchführen zu können (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Pakistan, Stand: 22. 3 2017, S. 77).
Der Kläger kann sich also den behaupteten Bedrohungen dadurch entziehen, dass er sich in einem anderen Landesteil, insbesondere aber in der Stadt Rabwah niederlässt.
2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint. Dabei hat sie die Erkenntnisse über die aktuelle Situation in Pakistan umfassend zu Grunde gelegt. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an (§ 77 Abs. 2 AsylG). Änderungen der Sachlage haben sich zwischen dem Erlass des Bescheids und der mündlichen Verhandlung nicht ergeben.
3. Die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger ist ein junger, offenbar gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Arbeitserfahrung, von dem zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können.
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).


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