Verwaltungsrecht

Annahme eines abgeschlossenen Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat – Zweitantrag

Aktenzeichen  M 9 S 17.39419

Datum:
17.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71a
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 111567). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: M 9 K 17.39415) der Antragstellerin gegen Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. April 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist (alles nach eigenen Angaben) nigerianische Staatsangehörige und geboren am 15. Dezember 1989. Sie reiste spätestens am 9. September 2015 (vgl. Bl. 69 der Bundesamtsakten) in das Bundesgebiet ein und stellte am 13. Juni 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle Regensburg einen Asylantrag.
Auf Grund der Angaben der Antragstellerin in der sog. Dublin – Erst- und Zweitbefragung (Persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Erstbefragung am 13. Juni 2016, Bl. 22 – 25 der Bundesamtsakten und Persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung am 5. Juli 2016, Bl. 47 – 49) und in der Anhörung gemäß § 25 AsylG (Bl. 41 – 46 der Bundesamtsakten), in denen die Antragstellerin jeweils angab, mehrere Jahre in Griechenland gelebt zu haben, wandte sich die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 21. September 2016 im Rahmen eines Informationsersuchens nach Art. 34 Dublin III-VO an Griechenland. Mit Schreiben vom 4. November 2016 teilten die griechischen Behörden in Bezug auf die Antragstellerin (Nr. 2 des Schreibens, Bl. 66 der Bundesamtsakten) mit: „Asylum application rejected at first instance. Appeal submitted. The examination of her appeal is pending“.
Mit Bescheid vom 28. April 2017 (Bescheid als Einschreiben am 20.12.2016 zur Post gegeben) lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und forderte die Antragstellerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, dass es sich beim Asylantrag der Antragstellerin um einen Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylG handele. Mit Schreiben vom 4. November 2016 habe die griechische Regierung dem Bundesamt mitgeteilt, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in Griechenland erfolglos abgeschlossen worden sei. Im Übrigen wird auf den Bescheid und seine Begründung Bezug genommen.
Der Bescheid wurde mit Begleitschreiben ebenfalls vom 28. April 2017 als Einschreiben an den Bevollmächtigten der Antragstellerin versandt. Einen Zustellnachweis enthält die Bundesamtsakten nicht, allerdings ist auf der mit der Klageschrift vorgelegten Kopie des Bescheids ein Eingangsstempel der RA-Kanzlei des Bevollmächtigten datierend vom 2. Mai 2017 angebracht.
Die Antragstellerin ließ mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 9. Mai 2017 Klage erheben (M 9 K 17.39415) und beantragen, den Bescheid vom 28. April 2017 aufzuheben. Hilfsweise werden Verpflichtungsanträge auf Asylanerkennung usw. gestellt. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Schriftsatz Bezug genommen, ebenfalls auf den Schriftsatz vom 13. Juli 2017.
Außerdem ließ die Antragstellerin im selben Schriftsatz beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom 28. April 2017 verfügte Abschiebungsandrohung nach Nigeria anzuordnen.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung (vgl. § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG) ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, und begründet.
Nach dem gemäß § 71a Abs. 4 AsylG anwendbaren Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 71a AsylG ist im Falle eines Zweitantrags ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Antragsgegnerin für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ein Zweitantrag liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG und
§ 71a Abs. 1 AsylG im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt.
Die Antragsgegnerin ist auf Grund des Fristablaufs gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO für das Asylverfahren zuständig geworden; das wurde von den Behörden der Antragsgegnerin auch erkannt, vgl. Bl. 75 der Bundesamtsakten.
Jedoch fehlt es an der für die Annahme eines Zweitantrags notwendigen Voraussetzung, dass das Asylverfahren im sicheren Drittstaat, um den es sich bei Griechenland zweifelsohne handelt, erfolglos abgeschlossen wurde.
Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 30 ff.). Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist die Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedstaat (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 33 ff.). Diese Voraussetzungen müssen feststehen – bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG Rn. 9). Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen sog. Info-Request (vgl. Art. 34 Dublin III-VO; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.). Erforderlich sind danach stets die Informationen zum Verfahrensstand und zum Tenor einer ggfs. getroffenen Entscheidung in dem Mitgliedstaat (vgl. Art. 34 Abs. 2 Buchst. g Dublin-III-VO), ob darüber hinaus – im Hinblick auf eine Beurteilung der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG – zumindest in der Regel die Kenntnis der Entscheidungsgründe der Ablehnung in dem anderen Mitgliedstaat (vgl. Art. 34 Abs. 3 Dublin-III-VO) erforderlich ist, ist umstritten, kann hier aber offen bleiben. Ebenso wenig kommt es hier darauf, dass sich das erfolglos abgeschlossene Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen muss.
Denn die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG liegen hier offensichtlich nicht vor. Die Behörde der Antragsgegnerin geht im streitgegenständlichen Bescheid zu Unrecht davon aus, dass aus dem Schreiben der griechischen Behörden vom 4. November 2016 hervorgeht, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in Griechenland erfolglos abgeschlossen ist. Vielmehr folgt aus diesem Schreiben unter Zuhilfenahme rudimentärer Englischkenntnisse bereits, dass über den Asylantrag der Antragstellerin gerade noch nicht unanfechtbar entschieden wurde; aus dem Schreiben vom 4. November 2016 geht bezogen auf die Antragstellerin nämlich gerade hervor, dass sie gegen die erstinstanzliche Ablehnung ein Rechtsmittel eingelegt hat, über das noch nicht entschieden ist; die bloße – naheliegende – Vermutung, dass das Rechtsmittelverfahren wegen der Ausreise der Antragstellerin und dem damit notwendig einhergehenden Nichtbetreiben des Verfahrens eingestellt werden wird, genügt nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung gerade nicht; die Behörde der Antragsgegnerin müsste hierzu noch einen weiteren Beleg vorlegen. Tut sie das nicht, wird der Bescheid im Rahmen der Klage aufgehoben werden.
Nachdem auch eine Aufrechterhaltung des Bescheids im Hinblick auf die Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) aufgrund der Zuständigkeit Deutschlands für das Asylverfahren nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 41, 42) und auch keine sonstige „geltungserhaltende Auslegung“ des streitgegenständlichen Bescheids möglich ist, wird die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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