Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei Aufklärungsbedarf

Aktenzeichen  M 17 S 17.31936

Datum:
14.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 36, § 75
AufenthG AufenthG § 60
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Kann anhand der Aktenlage nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung (Ablehnung des Schutzantrags als offensichtlich unbegründet)vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 4. Januar 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Bangladesch. Er reiste nach eigenen Angaben am … August 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. November 2015 Asylantrag.
Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Juni 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass sein Vater Mitglied der politischen Partei Jamaat-e-Islami gewesen sei. Die Anhänger der Awami-Liga aus ihrer Ortschaft hätten gegen den Vater eine falsche Anzeige erstattet und ihm vorgeworfen, dass er jemand aus ihrem Dorf getötet habe. Er sei zum Tode verurteilt worden, habe jedoch im Gefängnis einen Schlaganfall erlitten, an dessen Folgen er 2015 gestorben sei. Es habe in seiner Kindheit auch einen Streit um ein landwirtschaftliches Grundstück gegeben. Die Mitglieder der Awami-Liga hätten dieses weitergenutzt, obwohl es seinem Vater gehört habe. Sie hätten unbedingt in den Besitz dieses Grundstückes kommen wollen und angefangen, hinter dem Antragsteller her zu laufen. Er sei immer wieder geschlagen worden, wenn ein Fußballspiel oder eine andere Veranstaltung gewesen sei. Sie hätten ihm u.a. seine Zähne ausgeschlagen. Seine Brüder seien einen Monat bzw. 17 Tage im Gefängnis gewesen, weil sie sich gegen das Unrecht geäußert hätten. Er sei nicht Mitglied der Jamaat-e-Islami gewesen, habe diese jedoch durch Mundpropaganda unterstützt.
Mit Bescheid vom 4. Januar 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Bangladesch bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Verfolgungshandlungen Dritter seien dem Staat nur dann zuzurechnen, wenn er Einzelne oder Gruppen zu Verfolgungshandlungen anrege oder derartige Handlungen unterstütze oder tatenlos hinnehme und damit den erforderlichen Schutz versage. Die Heimatbehörden des Antragstellers seien jedoch gewillt und generell auch in der Lage, gegen Übergriffe Dritter vorzugehen. Nicht die Partei Awami League oder Funktionäre der Partei seien hier aktiv, sondern lediglich private Einzelpersonen, die gegebenenfalls dieser Partei angehörten. Insoweit erscheine die ungerechtfertigte Nutzung des Grundstücks als privatrechtliche und nicht als asylrelevante Problemlage. Der Antragsteller habe weder versucht, sich auf zivilrechtlichem Weg seines Grundstücks zu bemächtigen noch habe er sich an die Polizei gewandt. Auch sei es ihm zumutbar, sich einem etwaigen Strafverfahren zu stellen und seine Unschuld zu beweisen. Zudem stehe ihm offensichtlich eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Auch subsidiärer Schutz sei daher nicht zu gewähren gewesen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor, insbesondere drohe dem Antragsteller in Bangladesch keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und auch die derzeitigen humanitären Bedingungen in Bangladesch führten nicht zu der Annahme, dass bei seiner Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Der Antragsteller gehöre zum Personenkreis der jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männer und er könne sich auf die Unterstützung durch seine Familie verlassen. Ihm drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG.
Hiergegen erhob der Kläger am 2. Februar 2017 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 17.31935) und beantragte gleichzeitig, hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Sein mittlerweile bestellter Prozessbevollmächtigter führte mit Schreiben vom 7. Februar 2017 aus, dass das oberste Gericht von Bangladesch der Jamaat-e-Islami 2013 die Registrierung als politische Partei entzogen habe und die Regierung derzeit versuche, religiöse Parteien allgemein zu verbieten. In der Zeit, als die Awami-Liga an der Regierung beteiligt gewesen sei, hätten Anhänger dieser Liga ein Baugrundstück des Vaters des Antragstellers nutzen wollen. Dieser habe deswegen 2009 bei der Polizei Anzeige erstattet. Vor Gericht habe der Vater kein Recht bekommen, da er nicht genügend Geld gehabt habe, um das Gericht auf diese, in Bangladesch übliche und notwendige Weise davon zu überzeugen, dass er der Eigentümer sei. Die Anhänger der Awami-Liga hätten den Vater des Antragstellers verfolgt und ihn angezeigt. Obwohl er unschuldig gewesen sei, sei er zum Tod durch Erhängen verurteilt worden, da die Familie nicht die notwendigen Mittel gehabt habe, die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht dazu zu bewegen, entlastende Momente zu prüfen. 2013 sei er an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Noch vor dem Tod des Vaters hätten Anhänger der Awami-Liga den Antragsteller mit Schlägen, Eisenstangen und Pistolen traktiert. Kurz nach dem Tod des Vaters sei es zu einem ähnlichen Vorfall vor dem Haus gekommen. Eines Tages seien er und Nachbarn Zeuge geworden, wie Mitglieder der Liga einen Menschen erschossen hätten. Der Antragsteller und die übrigen Augenzeugen seien bedroht worden, dass sie mit niemanden darüber reden dürften. Anschließend zeigten sie den Antragsteller bei der Polizei wegen Beteiligung an dem Mord an. Auch seine beiden Brüder seien bedroht worden. Der Antragsteller werde wegen des Grundstücksstreits und wegen der falschen Anschuldigung wegen Mordes verfolgt. Gemeinsamer Nenner sei die Zugehörigkeit des Antragstellers zu Jamaat und die Zugehörigkeit seiner Gegner zur Awami-Liga. Es sei daher nicht nachzuvollziehen, dass die politische Einstellung keine Rolle spielen solle. Vor dem Hintergrund, dass der Vater unschuldigerweise verurteilt worden sei, sei auch nicht nachzuvollziehen, dass der Antragsteller sich einem Strafverfahren stellen könne, um seine Unschuld zu beweisen. Dass dem Antragsteller aufgrund der Zugehörigkeit zu Jamaat ein strafrechtliches Verfahren eröffnet werde, welches nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verlaufen werde, sei mehr als ungewiss. Dem Antragsteller stehe auch keine inländische Fluchtalternative zu, weil seine Brüder unbehelligt in Bangladesch lebten, da beide Brüder bereits in Haft gewesen seien.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.31935 und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 4. Januar 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. Im vorliegenden Fall kann allein anhand der Aktenlage nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Klage als offen zu bewerten, da erst in der mündlichen Verhandlung abschließend geklärt werden kann, ob der Kläger verfolgt wurde bzw. bei einer Rückkehr gefährdet wäre.
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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